25. Oktober 2018 um 14:43 Uhr | Verantwortlich: Albrecht Müller
Verschweigen und Vergessen-machen als bedeutsame Manipulationsmethode. Beispiel: das Spiel des Westens mit Jelzin.
Veröffentlicht in: Das kritische Tagebuch
Der Bericht über Jelzins Sturm auf das Weiße Haus, den die NachDenkSeiten am 17. Oktober veröffentlicht haben, machte mir und vermutlich auch vielen Lesern klar, dass und wie wir diese wichtige Geschichte in einem großen Nachbarland vergessen haben. Was Jelzin und seine Unterstützer und was die USA und der Westen zwischen 1990 und 2000 in Russland angestellt haben, ist aus unserem Gedächtnis verschwunden. Nicht zufällig. Das ist so gemacht. Für die meisten fängt die neuere Geschichte Russlands mit Putin an. Diesem werden dann allerlei Untaten zugeeignet. Wie sich Jelzin verhalten hat, wie der Westen zu Jelzins Zeiten die politischen Entscheidungen in Russland zu bestimmen versuchte und warum – zumindest aus russischen Augen, wenn nicht objektiv bewertet – Putin als Erlösung betrachtet werden muss, kommt in den uns heimsuchenden Erzählungen nicht vor. Albrecht Müller.
Wir werden über wichtige Vorgänge der Neunzigerjahre nicht unterrichtet. In den üblichen Darstellungen kam Putin quasi aus dem Nichts. Von Jelzin wissen wir, dass er häufig betrunken war. Wir wissen aber nicht mehr, dass der Westen durch direkte Intervention und Wahlkampfhilfe seine Wiederwahl gerettet hat. Wir wissen nichts mehr davon, dass der Westen mit sogenannten Wissenschaftlern, Politikern und Geheimdienstlern in die politischen Entscheidungen Jelzins hineinregierte. Wir haben nicht mehr präsent, dass der neoliberale Katalog mit dem sogenannten Washington Consensus in Moskau und Russland anzuwenden versucht worden ist: Privatisierung, Deregulierung, Sozialabbau. Wir haben nicht präsent, welche Rolle westliche Finanzeinrichtungen spielten. Wenn man dies alles nicht mehr präsent hat, dann gewinnt man den Eindruck, Jelzin sei der gute und Putin der böse, eben der Mann aus dem Nichts, aus dem Dunkel. Dass Jelzin ihn zum Ministerpräsidenten gemacht hat, das wissen wir vielleicht noch.
Wenn Sie sich ein bisschen besser informieren wollen, dann schauen Sie sich erstens noch einmal den oben verlinkten Bericht zum Sturm auf das Weiße Haus an.
Dann sollten Sie zweitens Naomi Kleins „Schock-Strategie“ zur Hand nehmen. Im Kapitel 11 („Scheiterhaufen einer jungen Demokratie: Russland wählt die Pinochet-Option“), Seite 303ff, und im Kapitel 12 (Das kapitalistische ID: Russland und die neuen Flegeljahre des freien Marktes) Seite 341ff finden Sie viele Informationen und Material, das die Lücke füllt, die durch Verschweigen und lückenhaftes Erzählen entstanden ist. Zwei Doppelseiten sind hier (unter https://www.nachdenkseiten.de/?p=46714 ) kopiert. Sie vermitteln jenen, die das Buch nicht kennen, einen ersten Eindruck und machen hoffentlich neugierig:
Soweit also beispielhaft Informationen aus Naomi Kleins Schock-Strategie zur Auffrischung des Wissens um die Vorgänge in Russland in den neunziger Jahren.
Dann hat drittens der NachDenkSeiten Leser R.L. eine Mail mit einer Fülle weiterer wichtiger Informationen geschickt.
Er kommt auf unseren Artikel vom 17. Oktober über den Sturm auf das Weiße Haus zurück und ergänzt folgendes:
„Um wirklich zu verstehen, warum das in Moskau passierte, sollte man nochmal John Perkins die Bekenntnisse eines Economic Hitman lesen. Nach diesem Prinzip wird auch heute noch gearbeitet. Das kann man auch in Gegenden beobachten, die ich gut kenne. Warum hat die Bechtel Corporation wohl die Autobahn Kosovo-Albanien bauen dürfen? Und wer waren die jungen englisch sprechenden Kofferträger im Kreml während der Jelzin-Zeit, über die so wenig bekannt ist? Wenigstens weiß man einiges über diejenigen US-Berater, die drei Jahre nach dem Sturm aufs Weiße Haus seinen Wahlsieg organisierten. Eine direkte Verbindung zur Regierung der USA dürfte sich kaum finden lassen. Wie so etwas organisiert wird, beschreibt Perkins.
Interessant sind auch die Aussagen von Martin Amstrong, der in den USA lange Zeit unter fadenscheinigsten Gründen im Knast saß und u.a. die Russlandkrise exakt voraussagte (Es gibt sogar einen Film über ihn):
Armstrong berichtete, dass es Ende der 90er Jahre eine Verschwörung durch New Yorker Investment-Banker gegeben hat, um Russland zu übernehmen. Es sollte langfristig von US-Geld abhängig gemacht werden. Was er beschreibt, erinnert an das Vorgehen der „Economic Hitmen“, wie es John Perkins unlängst gegenüber Sputnik erläuterte. Der Finanzanalytiker stützt sich nach seinen Angaben auf Quellen aus der US-Finanzwirtschaft. Der russische Milliardär und Oligarch Boris Beresowski habe dabei eine Rolle gespielt. Dieser sei zur Zeit Jelzins eng mit der politischen Elite in Moskau verbunden gewesen. Als weiteren Akteur nannte Armstrong den Banker Edmond Safra, Chef der „Republic National Bank“ in New York und des US-Fonds „Hermitage Capital“, der das Ganze finanziert habe.
„Ob bei dieser Aktion die US-Regierung selbst involviert war, da bin ich mir nicht hundertprozentig sicher“, erklärte der Analytiker. Aber laut ihm steckten die New Yorker Bank sowie der US-Finanz-Fonds dahinter. Armstrong beschrieb, wie Jelzin durch einen Trick erpresst werden sollte: „Ihnen gelang, Jelzin davon zu überzeugen, sieben Milliarden US-Dollar aus Mitteln des IWF zu stehlen, um den Kreml zu renovieren.“
Jelzins Abwehr der US-Attacke
Sobald der Transfer abgewickelt war, habe Safra die US-Regierung und das FBI auf die angebliche Korruption Jelzins hingewiesen. Laut Armstrong drohte die US-Regierung dem damaligen russischen Präsidenten, der mitten im Wahlkampf stand, mit den Worten: „Ok. Sie treten jetzt mal zurück. Und lassen Boris Beresowski den Vortritt.“ Dieser sei ein Strohmann der Banker für die ganze Aktion gewesen. „Er sollte neuer russischer Präsident werden. Zu diesem Zeitpunkt realisierte Jelzin, dass das alles ein inszeniertes Komplott ist. Daher wandte er sich an den jungen Putin. Putin konfiszierte, also beschlagnahmte, den kompletten Besitz von Hermitage Capital.“ Das sei der Beginn der Ära Putin in Russland.
Beresowski, der Putins Kandidatur unterstützte, war dann sehr überrascht, dass Putin sich gegen die politische Macht der Oligarchen und die Plünderung Russlands durch das Auslandskapital wandte, siehe auch hier im Video ab Minute 15:58.
Jelzin war, als er die Ausplünderung Russlands zuließ, eine gekaufte und erpressbare Marionette – zumindest bis er mit Putin die Notbremse zog. So sehe ich das wenigstens. Dass Putin dann schrittweise wieder die nationale Souveränität über die Öl- und Gasvorkommen (z.B. Sachalin II), ihre Erschließung und Ausbeutung herstellte und vernünftige Verträge durchsetzte, nimmt ihm der Westen bis heute übel. Egal ob Jelzin, der Schah von Persien oder Pinochet – alle sind Produkte aus der selben Hexenküche. Und im Zweifel gilt immer noch der alte Plan: erst kommen die Economic Hitman, wenn die nicht erfolgreich sind, kommt die Killertruppe und als letzte Möglichkeit kommt das Militär. Dumm, dass Russland ein starker Gegner ist. Und wenn es zu einem Krieg kommen sollte, darüber hat man sich in den USA schon Gedanken gemacht, erwartet man fest, dass Deutschland dabei ist neben Frankreich, Polen und dem Vereinigten Königreich.“
Dies waren einige Informationen, die das Schweigen über die Vorgänge in Russland in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts auffrischen könnten. Damit wir nicht immer wieder Opfer gezielter Manipulationen werden. Im konkreten Fall durch Verschweigen und Vergessen-machen.
... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson