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bjk

Beiträge: 7353


New PostErstellt: 16.04.06, 16:15     Betreff:  >Ich frage die Deutschen ...<




... auch das gehört an einem Christenfest angesprochen,

... denn auch Christenmenschen haben furchtbare Scheußlichkeiten begangen

... und begehen sie noch immer!


bjk




kopiert aus:
http://www.jungewelt.de/2006/04-15/051.php


»Ich frage die Deutschen ...«

Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß 1945/46. Teil VIII: Frauen im Zeugenstand: Marie-Claude Vaillant-Couturier und Severina Schmaglewska

Von Kurt Pätzold




Kinder im KZ

Der Zweite Weltkrieg, wo er mit Gewehren, Panzern, Geschützen und Flugzeugen geführt wurde, war nahezu ausschließlich eine Sache der Männer wie die Kriege vorher auch. Frauen taten in allen Armeen, in denen der faschistischen wie der Anti-Hitler-Koalition, zwar an verschiedensten Plätzen Dienst, so als Krankenschwestern und Ärztinnen und in den Apparaten der Nachrichtenverbindungen. Doch nur wenige, wie die Pilotinnen in der Roten Armee, standen und kämpften an vorderster Front. In Deutschland bedienten Frauen gegen Kriegsende auch Fliegerabwehrgeschütze. Zahlreicher waren sie – setzt man ihre Teilnahme ins Verhältnis zu dem der Männer – in den Reihen der Partisanen und an den geheimen Fronten des Widerstandes. Das galt für viele Länder, insbesondere für Frankreich. Eine, die an diesem Platz gestanden hatte, war Marie-Claude Vaillant-Couturier. Als die Wehrmacht in ihr Land einfiel, war die Kommunistin 28 Jahre alt. Sie fiel in die Hände der Besatzer, an die sie von der Polizei des Petain-Regimes ausgeliefert worden war. Mit einem Transport von etwa 230 Frauen, die sich wie sie gegen die Versklavung ihres Landes gestellt hatten oder dessen auch nur verdächtigt wurden, wurde sie in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Sie hatte überlebt.

Am 28. Januar 1946 ließ der Gerichtsvorsitzende Mme. Vaillant-Couturier, die in ihrer Heimat inzwischen zum Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung gewählt worden war, in Nürnberg in den Saal 600 rufen, als Zeugin der Anklage. Sie war zurück in dieses Land gereist, in dem ihr der Tod bestimmt worden war, und sie kam aus einem Land, in dem ihr und ihrer Kameradinnen Eintreten gegen die Besatzungsherrschaft nach der Befreiung hohe Anerkennung gefunden hatte. Danielle Casanova, eine ihrer Gefährtinnen auch auf dem Wege nach Auschwitz, die im Lager umgekommen war, hatte schon im Oktober 1944 in Paris die Ehrung erfahren, daß eine Straße der Stadt ihren Namen erhielt. Vaillant-Couturier war im Palais des Invalides zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden. Ob Gaullist oder Kommunist, in Frankreich, dem Land der klassischen bürgerlichen Revolution, wurde kein Unterschied gemacht, wer mit welcher Gesinnung und mit welchem Parteimitgliedsbuch gegen Eindringlinge und deren Kollaborateure gekämpft hatte.

An diesem Januartag war seit der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im Verlauf der Weichsel-Oder-Operation der sowjetischen Armee nahezu genau ein Jahr vergangen. Die Französin hatte damals, im Januar 1945, jedoch noch nicht die Gewißheit gewonnen, das Martyrium lebend zu überstehen. Denn sie war mit wenigen ihrer Leidensgefährtinnen – die meisten waren in Auschwitz umgebracht worden und von ursprünglich 230 lebten noch 49 – in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück verlegt worden. Dorthin hatte die Inspektion der KZ-Lager inzwischen auch andere Auschwitz-Häftlinge gebracht, weil es im Reich an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften mangelte. Bei dem Entschluß zur Verlegung der Gruppe, der Vaillant-Couturier angehörte, mochte zudem auch eine Sendung im britischen Rundfunk mitgespielt haben, in der von mörderischen Schikanen berichtet worden war, denen die Gefangenen aus Frankreich ausgesetzt worden wären.

Im Zeugenstand sah sich Vaillant-Couturier ausschließlich Männern gegenüber, auf der Bank der Richter, in den Reihen der Ankläger wie auch auf den Plätzen der Verteidiger und auf der Anklagebank. Das letzte war noch das Verständlichste. Das »Dritte Reich« war von seinen Führern auch als »zielbewußter Männerbund« definiert, die »deutsche Frau«, ausgenommen die »Landfrau«, an Heim, Herd und in die Kinderstube abgeordnet worden, freilich nur, bis sie in der Rüstungsindustrie, an vielen Arbeitsplätzen zur Aufrechterhaltung von Verwaltung, Verkehr, verschiedensten Dienstleistungen und zu Hunderttausenden als Wehrmachtshelferin gebraucht wurde. Keine Frau hatte im Nazistaat eine herausragende Rolle gespielt, es sei denn, sie wurde – Filmdiva oder Sportlerin – als Vorzeigeobjekt »deutscher Art« und »arischer Schönheit« oder zum Zwecke ablenkender Unterhaltung präsentiert.

Ein abweichendes Bild bot im Saal 600 nur die Pressetribüne, auf der in Uniform und in Zivil zwischen männlichen Berichterstattern auch Frauen saßen. Unter denen hingegen, die diesen Prozeß führten und ihn außerhalb des Gerichtsaals ermöglichten, war nur ein geringer Anteil von Frauen. Sie gehörten fast durchweg zum Hilfspersonal und waren in Dolmet-scher-, Organisations- und Schreibbüros tätig. An herausragendem Platz arbeitete im US-amerikanischen Stab, wie sich der stellvertetende Hauptankläger der USA im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß Robert M.W. Kempner erinnerte, eine einzige Frau, die mit einem Teil der Anklage befaßt war. Doch nicht sie, sondern einer der Männer wurde schließlich beauftragt, im Gerichtssaal das Material vorzutragen.


Bericht über Auschwitz


Indoktrinierter Nachwuchs. BDM-Mädchen mit Propagandaminister Joseph Goebbels

Vaillant-Couturier wurde von dem französischen stellvertretenden Chefankläger Charles Dubost befragt, der dem Gericht das Beweismaterial über die Methoden des Terors vortrug, die von den deutschen Besatzern in den 1940 eroberten westeuropäischen Ländern angewendet worden waren. Zunächst berichtete sie davon, wie es ihr noch vor der Deportation auf französischem Boden erging, nachdem sie den Deutschen übergeben worden war. Im Pariser Gefängnis La Santé gefangengehalten, wo sich auch der Philosoph Georges Politzer und der Physiker
Jacques Solomon, ein Schüler von Marie Curie, befanden, wurde ihr, nachdem sie die verlangten Aussagen verweigert hatte, die Deportation angedroht. Während der fünf Monate, die sie dort verbringen mußte, erlebte sie das Wegführen der Gefangenen, die als Geiseln erschossen wurden. Dann hatte man sie zu ihrer nächsten Leidensstation, der Festung Romainville, verbracht, ein Geisellager, von wo sie im Januar 1943 mit 230 Frauen nach Auschwitz transportiert wurde, unter ihnen ein 16jähriges Mädchen und eine 67jährige Frau. Nicht alle waren Widerstandskämpferinnen. Manche ihrer Mitgefangenen waren mit ihren Männern verhaftet worden, ohne an deren Aktionen gegen die Besatzer beteiligt gewesen zu sein.

Was Vaillant-Couturier über Auschwitz sagte, gab davon nicht die erste Kunde. Aber allein Anlaß und Ort, an dem sie Auskunft gab, sicherte ihren Worten weithin Aufmerksamkeit und mehr als nur dies. Ihr Zeugnis war knapp und präzise. Es ließ kaum etwas aus: angefangen mit dem schockierenden, ja lähmendem Moment des Eintritts in das Lager Auschwitz-Birkenau. Sie schilderte die Schikanen der Appelle, die Qual der Arbeit und den Ekel angesichts von Zuständen, die der Bezeichnung Hygiene nur spotteten. Sie berichtete von der Brutalität der Aufseherinnen und ihrer Helferinnen aus den Reihen verrohter Häftlinge. Sie schilderte das Grassieren der Seuchen, die Zustände im Revier, die Sterilisationsverbrechen, die Mißhandlung und Tötung von Zwillingen, den Kindermord. Sie sprach über das System von Bestrafungen, das Bordell und das Mädchenorchester. Sie redete vom Elend des »Zigeunerlagers«, den Extraschikanen, denen nicht sogleich ermordete Juden ausgeliefert waren. Sie erinnerte sich der Selektionen, der Täuschung der Opfer und der Morde in den Gaskammern. Sie stellte die Verwertung und Beseitigung der Leichen dar, den Umgang mit dem Gepäck, den Kleidungsstücken und aller anderen Hinterlassenschaft.

Die Zeugin schloß mit den Worten: »Für Monate und Jahre hatten wir nur einen Willen, daß nämlich einige von uns lebend herauskommen möchten, um der Welt zu verkünden, was diese Zuchthäuser der Nazis waren.« Ihre Aussage und dieser Schluß hat den Verteidiger des Angeklagten Julius Streicher, der sich »Antisemit Nr.1« genannt hatte, nicht gehindert, die Zeugin zu fragen, warum sie sich so gewandt auszudrücken vermöchte und »in so gutem Gesundheitszustand zurückgekommen« sei. Der Gerichtsvorsitzende ließ die Unverschämtheit ungerügt durchgehen und die Gefragte sich nicht provozieren.


Naziverbrechen an Kindern


Josef Mengele, Chefarzt im KZ Auschwitz-Birkenau, quälte für seine Experimente Kinder zu Tode

Zweieinhalb Monate nach der Französin, am 15. April 1946, während der sowjetische Oberjustizrat L. N. Smirnow die Anklage wegen der an der Zivilbevölkerung Osteuropas verübten Verbrechen vortrug, wurde Severina Schmaglewska in den Gerichtssaal gerufen, um zu einer einzigen Frage auszusagen: die Behandlung der Kinder im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dorthin war sie im Oktober 1942 verschleppt worden. Zur Sprache kam das abscheulichste unter den grausamen Verbrechen der deutschen Faschisten: Die Tötung der Kinder jeden Alters, die nach dem Eintreffen ihren zur Vernichtung durch Arbeit ausgesonderten Müttern entrissen worden waren, in den Gaskammern. Das Gericht hörte den Bericht von der Ansammlung von Kinderwagen im Magazin des Lagers, vom elenden Dasein der Jüngsten, die für irgendwelche Arbeiten oder Tätigkeiten bestimmt worden waren, bis die im Januar 1945 noch Lebenden wie die Erwachsenen in Evakuierungstransporte gepfercht oder auf Fußmärsche westwärts getrieben wurden. Schmaglewska bezeugte die vorsätzliche Mißhandlung schwangerer Frauen, die zu Schwerarbeiten gezwungen wurden. Sie sprach von der Wegnahme und Tötung der Neugeborenen sofort nach der Geburt. Ihre Aussage mündete in den Satz: »Ich frage die Deutschen: Wo sind diese Kinder?« Niemand im Saal hatte darauf eine Antwort. An diese Zeugin stellte auch kein Verteidiger noch eine Frage. Sogar sie schwiegen.

Seit dem ersten Prozeßtag war beim Vortrag der Anklage wieder und wieder dargestellt worden, was in den Jahren des Krieges und der faschistischen Besatzung Kindern angetan wurde. Sie waren auf dem Territorium der Sowjetunion gemeinsam mit ihren jüdischen Eltern von den Mörderschwadronen der Einsatzgruppen und Spezialabteilungen der Polizei niedergeschossen, bei Ghettoräumungen kurzerhand niedergemacht, in Partisanengebieten, in denen Deutsche ganze Dörfer in Flammen aufgehen ließen, zugrunde gegangen oder weggeführt, andere in Kinderheimen und Heilanstalten ergriffen und getötet worden. Um die Männer, häufig Väter von Kindern, in den Kommandos, welche die Juden jagten und umbrachten, nicht psychisch zu sehr zu strapazieren, wurden Frauen und Kinder später, so erklärte der Chef einer Einsatzgruppe, Otto Ohlendorf, vor Gericht, nicht mehr vor deren Gewehrläufe gestellt, sondern in Gaswagen erstickt. Berichtet wurde von den verzweifelten Anstrengungen der Mütter, ihre Kinder vor den Gaskammern zu retten, in dem sie diese unter ihren Kleidern zu verbergen suchten. Zur Sprache kam das triste, verwilderte Dasein von Kindern, die mit ihren Eltern zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden waren. Sie vegetierten ohne Betreuung und Unterricht in den »Ostarbeiterlagern« dahin. Bezeugt wurde das elende Ende von Kindern, die mit den von Unterseebooten torpedierten Passagierdampfern, so am 17. September 1940 mit der »City of Benares«, untergingen. Dabei ertranken 258 Personen, unter ihnen auch 77 Kinder. Zitiert wurde ein zwei Jahre später an Kommandanten und Besatzungen deutscher U-Boote ergangener Befehl, nach erfolgreichen Torpedoangriffen Rettungsmaßnahmen zugunsten von Schiffbrüchigen zu unterlassen, sofern nicht ein eigenes Interesse damit verbunden sei. Um Hemmungen gegen diese jedem zivilen seemännischen Ehrenkodex widersprechende Verhaltensnorm abzubauen, verwies die Seekriegführung auf die gegen deutsche Städte gerichteten Bombenangriffe, die Frauen und Kinder nicht verschonen würden.

Mehrfach zitiert wurde im Verlauf des Prozesses jene Rede Heinrich Himmlers, am 4. Oktober 1943 gehalten vor SS-Generalen und -Offizieren, in der er davon gesprochen hatte, den Unterworfenen »wenn notwendig die Kinder zu rauben oder zu stehlen«, um, wie es in der wahnwitzigen Naziterminologie hieß, »gutes Blut« und die »rassisch guten Typen« zu gewinnen und auf diesem Wege die Herrenrasse zu vermehren und zu stärken. So geschehen in Polen schon bald nach der Okkupation. Das war, wie dem Gericht bewiesen wurde, der deutschen Bevölkerung zudem bekannt, beispielsweise durch die Kölnische Zeitung, die 1940 schrieb, daß diese Kinder deutsch erzogen werden sollen, und »es wird ihnen auch der deutsche Geist eingeflößt, damit sie deutsche Mustermädel und Musterjungen werden!« So praktiziert auch mit Kindern des tschechischen Dorfes Lidice, dessen Männer niedergeschossen und dessen Frauen in Konzentrationslager verschleppt wurden. Wo sich diese Kinder befanden, danach wurde zur Zeit des Prozesses und später noch lange gefahndet.

Das Fazit der Beweisaufnahme im Gerichtssaal war eindeutig. Es gab kein Verbrechen, das die deutschen Besatzer an Erwachsenen begingen, das nicht auch an Kindern verübt worden wäre. Sie litten in weiten Teilen Europas unter dem durch die Kriegsereignisse und die Ausplünderung ihrer Länder hervorgerufenen Hunger. Besonders erwähnt wurde die hohe Kindersterblichkeit in Griechenland und auf Inseln, die zeitweilig völlig von der Versorgung abgeschnitten waren. Mit den Erwachsenen wurden Kinder wie schon im Ersten Weltkrieg im Westen praktiziert, auf sowjetischem Gebiet als Schutzschilde benutzt und vor vorgehende Wehrmachtseinheiten getrieben, um eigene Verluste zu vermeiden. Kinder verbrannten unter der Devise des Kampfes gegen Partisanen und Widerstandskämpfer in Racheorgien in Scheunen wie in Kirchen. Eltern wurden vor ihren Kindern nicht nur weggeführt, sondern auch vor deren Augen erschossen. Kinder sahen, wie ihre Eltern gefoltert wurden, um von ihnen Aussagen zu erzwingen, und sie wurden auch selbst bedroht, um ihnen Informationen abzupressen. In Frankreichs Hauptstadt wurde, um vom Weg in den Widerstand abzuschrecken, in der Pariser Zeitung vom 14. Juli 1942 die offizielle Bekanntmachung veröffentlicht, daß unter 18 Jahre alte Kinder ergriffener Widerstandskämpfer in »Besserungsanstalten« verbracht würden. All das gehörte noch zu den gleichsam »normalen«, befohlenen oder angewiesenen Methoden deutscher Kriegführung, Besatzungsherrschaft und Vernichtungspraxis. Zu schweigen von den Exzessen der Sadisten in den Uniformen der SS, der Polizei und der Wehrmacht.


Antisemitische Aufhetzung



Im Gerichtssaal war auch von den deutschen Kindern die Rede, davon, wie sie auf die ihnen auf Generationen hinaus zugedachte Rolle als die Beherrscher Europas und der Welt vorbereitet werden sollten. Das geschah im Zusammenhang mit dem Anklagevortrag gegen Julius Streicher und bei Erwähnung von dessen Rolle, schon Kinder in frühem Schulalter antijüdisch aufzuhetzen. Dem Gericht lagen als Dokumente die von Streicher herausgegebene Fibel mit dem Titel »Trau keinem Fuchs ...« und das Buch »Der Giftpilz« vor, die in Text und Bild eine einzige Haßtirade gegen Juden enthielten und Kinder zu »arisch-reinrassigem« Verhalten anhalten sollten. Erinnert wurde an die Auftritte des fanatischen Antisemiten in Schulklassen und an die Verbreitung der Legenden von den angeblichen Ritualmorden der Juden an »arischen« und Christenkindern. Dem Gericht wurde der Bericht von einer Veranstaltung vorgelegt über Streichers Weihnachtsansprache an 2 000 Kinder in Nürnberg im Jahre 1936: »Er fragt seine atemlos lauschenden Zuhörer: ›Wißt Ihr, wer der Teufel ist?‹ ›Der Jud, der Jud‹, so schallte es ihm aus tausend Kinderkehlen entgegen.« Suchte Streicher im Reich unter deutschen Kindern blindwütigen Haß gegen die Juden zu bewirken, so strebten, wie die französische Anklagevertretung vortrug, deutsche Besatzungsorgane im Krieg auch im besetzten Frankreich danach, die einheimischen Kinder antijüdisch zu verhetzen, offenkundig in der Absicht, über den Antisemitismus ein der Kollaboration günstiges Klimas hervorzurufen.

Was in der Gedanken- und Gefühlswelt der Kinder im Reich angerichtet wurde, kam auch in einem anderen Zusammenhang in Rede, als von der Vernichtung wirklich oder vorgeblich unheilbar kranker oder behinderter Menschen in Gaskammern von Pflegeanstalten gesprochen wurde. Nicht nur die in der Nähe von solchen Tötungsstätten lebenden Erwachsenen ahnten oder wußten, daß in ihnen Entsetzliches geschah. Dies war auch Kindern nicht verborgen geblieben. Zitiert wurde aus einem Brief des Bischofs von Limburg an den Reichsjustizminister vom 13. August 1941, in dem der geistliche Würdenträger sich zur ruchbar gewordenen Untat in der Anstalt im nahen Hadamar äußerte. Es würden sich in dieser Gegend Kinder in aller Öffentlichkeit gegenseitig mit Worten beschimpfen wie: »Du bist nicht recht gescheit, du kommst nach Hadamar ›in den Backofen‹.« Und aus der Stadt Wien wurde berichtet, daß dort Kinder mit der Drohung geschreckt würden, sie kämen nach Mauthausen.

So viel in jenen Monaten des Prozesses von Verbrechen an Kindern in den eroberten Ländern die Rede war, und das Thema kam in dieser oder jener Weise im Gerichtshof nahezu täglich zur Sprache, es war doch auch von Mitmenschlichkeit die Rede und von der Verteidigung und Rettung des Lebens von Kindern. So im anrührenden Bericht eines niederländischen Zeugen, der davon sprach, daß eine zur Deportation bestimmte jüdische Mutter ihren Säugling spontan noch einer ihr fremden Frau hatte übergeben können, die für ihn sorgte und ihn durchbrachte. Es lebten, sagte Jacobus Vorrink, Senator und Vorsitzender der Sozialistischen Partei der Niederlande, in seiner Heimat noch viele solcher jüdischer Kinder, dem Tode entgangen, weil Verwandte, Bekannte und Freunde sie aufnahmen.


Die Teile I bis VII der Serie sind erschienen in jW vom 18.10., 14.11., 19./20.11., 30.11.2005, 3.1., 27.2. und 14.3.2006. Der neunte Teil folgt am 29.4. an dieser Stelle.



Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier


[editiert: 08.08.11, 12:34 von bjk]
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