soyfer
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Erstellt: 17.12.05, 00:35 Betreff: Re: Partei wozu? |
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Also nochmals. Man muss zwei Betrachtungsweisen unterscheiden:
- eine, die sich darauf bezieht, was ich derzeit konkret kritisiere und was ich statt dessen konkret anders haben möchte. Ich sage dann z.B. in bezug auf Partei, die wollen keine freie Meinungsäußerung, das ist schlecht. Ich fordere freie Meinungsäußerung. Ich bin aktiver Teil des Prozesses, die Partei, der Gegenstand, um den es geht, der ist sozusagen passiv. Was ich sage ist das was ich fordere. Davon redet ihr, bjk und Riker.
- gibt es aber noch eine analytische Herangehensweise. Ich untersuche den Gegenstand, ich siziere und beobachte ihn. In diesem Fall ist die "Partei" aktiv, ich als der Beobachter aber passiv. Was ich sage ist nicht das, was ich will, es ist Ergebnis meiner Beobachtung. Wenn z.B. Biologen feststellen, dass Schimpansen genau wie Menschen Kriege führen, männliche Gegner umbringen usw. so sagen sie das ja nicht, weil sie das so wollen. Sie sagen es, weil sie es beobachtet haben. Ein Arzt analysiert keine Krankheit, weil er gerne anderen Hiobsbotschaften bringt. Und so kann sich auch bei der Analyse eines abstrakten Gebildes, wie des Staates oder der Partei, so manches ergeben, was man vielleicht lieber nicht so hätte, dennoch aber so ist. Und davon rede ich. Ich untersuche das Werkzeug Partei. Und das funktioniert wunderbar, wenn man klare hierarchische Strukturen von oben nach unter will. Je straffer, desto effektiver. Eine kleine Gruppe entscheidet wohin, die große Masse folgt und zusammen erreicht man das angestrebte desto besser, je straffer die Struktur. Einfach und funktionstüchtig. Außer natürlich, man will statt Befehlen Diskussionen, statt Gehorchen die Einsicht, statt Untertanentum selbstbewußte Mitglieder, statt der Durchsetzung politischen Ideen der Herrschaft, die Durchsetzung linker politischer Ideen, Ideen der Freiheit . Dafür ist eine Partei nicht eingerichtet. Die Partei fordert Effektivität, aber Diskussion ist vielleicht "gerecht", nicht aber effektiv.
Und die Effektivität fordert Hierarchie. Und das sieht auch bjk so, nur will er sie dadurch lindern, dass es ein "primus inter pares" sein soll. Aber - das muss ich dir antworten - auch ein "nur" Primus ist ein Primus. Das "inter pares" fällt auf kurz oder lang immer die Hintertreppe runter. Was du haben willst ist ein "primus inter Pares", was du haben wirst, ist ein ganz normales Parteioberhaupt, nur nennt es sich "erster Diener der Partei", oder so. Was übrigbleibt ist bestenfalls eine leere inhaltslose Begriffshülse. So wie "real-existierender Sozialismus". Real existiert hat er, aber Sozialismus war es nicht.
Außerdem bjk: Du Antwortest mir auf folgendes: "Ziel einer Partei ist es daher keineswegs primär, Willensbildung zu betreiben. Ziel ist es vielmehr, politisch dominant zu sein. Folge ...
... hab ich gerade angeprangert ... "
Du hast aber selbst gesagt, du seist in die Linkspartei eingetreten, um die Kräfte zu bündeln. Ich weiß nicht wie es dir geht, ich würde nicht in eine Partei eintreten, nur weil ich mit ihnen gern beim Bier sitze, oder gerne mit ihnen einfach so mal diskutierte, fachsimple oder so. In Parteien ist man, weil man eine Idee vorwärts bringen will, weil man seine Kräfte bündeln will, weil man politisch dominant (als politische Richtung) sein will. Alles andere dient diesem einen Ziel, ob Diskussion, Willensbildungsbeteiligung oder Parteienforum. bjk, du kannst anprangern, wie man in einer Partei mit Andersdenkenden umgeht, du kannst kritisieren, dass Willensbildung immer von oben nach unten stattfindet, aber du kannst nicht kritisieren, dass eine Partei dazu dient, politisch dominant zu sein, dass es ihre Aufgabe ist, die Kräfte zu bündeln. Das ist so, als würdest du einen Spaten kritisieren, dass er dazu dient, Löcher zu produzieren.
Bei dir Riker, ist mir aufgefallen, dass du einen scharfen Schnitt zwischen Staat und Partei machst. Sozusagen guter Staat, korrumpiert von den Parteien, die wiederum von Menschen mißbraucht werden. Daher Volksentscheide als Regulativ zur Parteienherrschaft. Ich will dich nur darauf aufmerksam machen, dass du selbst zugegeben hast, dass die Art und Weise wie Volksentscheide formuliert, wie Werbung für sie gemacht wird usw. auch Volksentscheide leicht manipulierbar machen. Und ich sage dir, es ist ein Unterschied, ob ein freier Mensch oder eine Sklavenseele über etwas abstimmt. Daher dann auch von dir der Versuch eines engen Korsetts, das festlegt, was volksentschieden werden darf und was nicht. Z.B. Verfassungsfragen (du siehst das Grundgesetz, bzw. die Verfassung als Schutz vor unqualifizierten Volkswillensäußerungen an). Diese dürfen daher wieder nur durch die Parteienpolitiker entschieden werden? Und wer hat die Verfassung, das Grundgesetz geschrieben, waren das nicht auch jeweils Parteienpolitiker oder zumindest hoffnungsfrohe Anwärter? Und wer wird neue schreiben? Gibst du aber dem Volksentscheid ein Korsett, weil du auch einen Schutz vorm Volk willst (denn die Gegenargumente von bjk und mir trägst du selbst in dir und suchst die genannten Gefahren so abzuwehren), so ist das aber auch nur ein behinderter Schutz vor der Parteienherrschaft. Und, ganz wichtig, Volksbegehren und -entscheide sind auch ein gerne verwendetes Mittel im Interparteienkampf, also sozusagen ein politisches Sylmittel der Parteien. Erwähnen will ich nur, dass ich dein Vertrauen in Verfassungen NICHT teile. Sie sind kein "Schutz" vor Volksentscheiden. Daher sind Volksentscheide auch kein Schutz der Parteienherrschaft.
Und fragt man sich, was das Wesen einer Partei ist, was ihre Funktion und ihre Aufgabe ist, so ist es nicht das freundschaftliche Zusammenkommen von Gleichgesinnten, es ist nicht die zwanglose Diskussion von ihnen, es ist der Versuch gemeinsam das durchzusetzen auf das sich alle geeinigt haben. Denn gemeinsam kommt man wesentlich weiter, als würden alle alleine für sich kämpfen. Alles andere, das Zusammenkommen und die Diskussion ist a) reines Beiwerk um das festzulegen, das gemeinsam angestrebt wird und b) in der Realität reine Inszenierung, d.h. Blendwerk, um den Anschein zu erwecken, es sei Parteivolkes Meinung. Mit dem Ruf "Alle Macht den Räten" entmachtete Lenin die Räte.
Um also eine Partei zu haben die 1. dem Zweck einer Partei entspricht effektiv zu sein und 2. das Ziel einer freien Gesellschaft tatsächlich anstrebt, muss zweierlei gewährleistet sein, 1. dass sie in der Lage ist, schnell Entscheidungen zu fällen und 2. eine abgesicherte Willensbildung von unten nach oben hat. Die Devise muss sein, Oben: so wenig Kopetenzen wie irgend möglich, so viele, wie unbedingt nötig. Umgekehrt unten: so viel Kompetenzen wie möglich, so wenig wie möglich nach oben abgeben. Dies geling meiner Ansicht nach nur dann, wenn man verschiedenste linke Gruppen einer Partei vereinigt, ohne dass dabei diese Gruppen in der Partei aufgehen. Diese Gruppen bilden zum einen die entscheidenden politischen Einheiten der Partei und sie repräsentieren die Meinungsvielfalt. Sie verfügen z.B. über das Geld. Und diese Gruppen bestimmen ihre Aktivitäten ganz autonom. In regelmäßigen Abständen treffen sich Vertreter dieser Gruppen (mit imperativem Mandat) und legen gemeinsame Richtlinien fest, anhand derer sich die Aktivitäten der Gruppen orientiert. Dabei gilt aber auch, dass man Gruppen nicht zwingen kann, sich an Aktionen zu beteiligen oder sich ihrer enthalten muss, wenn kein Konsens möglich ist. Wichtig ist ein Konsensprinzip statt einer Mehrheitsentscheidung. Das nimmt nämlich den Druck von den Gruppen, im Vergleich zueinander stärker zu werden, um mehr Vertreter entsenden zu können. Um aber der Schwierigkeit zu entgehen, dass in einem Konsensprinzip Einigungen nur schwer zu treffen sind, so muss das Prinzip des plutalitären Entschlusses gelten. So wie es in Gerichtsurteilen und Parlamentsausschüssen Majoritäts- und Minoritätsvoten gibt, so kann es auch in dieser Parteien verschiedende, auch sich widersprechende (gleichberechtigte) Voten geben. So könnten z.B. einige Gruppen dazu aufrufen, sich an Demonstrationen zu beteiligen, andere befürworten hingegen, das nicht zu tun. Welche Position dominant ist, ergibt sich aus dem politischen Willen der Gruppen. Aber dominant heißt jetzt nicht beherrschend, denn wer nicht will, geht einen anderen Weg. Damit hat man das politische Gewicht von der Partei auf die Gruppen verlegt. Damit ist aber nicht gesagt, dass auch die Gruppen libertäre Strukturen haben müssen. Müssen sie auch nicht, aber Mitglieder können jederzeit von einer Gruppe in eine andere wechseln, mit dem Effekt, das nur die in straff organisierten Gruppen bleiben, die dies wollen, bzw. als sinnvoll ansehen. Hierbei gilt es aber das Problem der Unterwanderung zu bedenken. Somit hat man aber - prinzipiell - auch den Gruppen die Kontrolle über ihre Mitglieder entzogen. So wie die Partei den Gruppen ihren Willen nicht aufzwingen können darf, so darf die Gruppe auch ihren Mitgliedern nicht ihren Willen aufzwingen. Bleibt die Frage, wie man mit schnellen Entscheidungen umgeht. 1. in der Regel sind schnell zu fällende Entscheidungen meist nicht ganz zentral und auch nicht so oft. 2. außerdem können viele dieser Probleme zwar plötzlich auftreten, aber dass sie irgendwann geschehen, ist sehr wahrscheinlich. So kommt gegen Ende jeden Jahres, meist sehr plötzlich, aber regelmäßig der erste Schnee. Da man vorher wußte, dass er kommt, hat man sich vorbereitet und die Überraschung endet nicht darin, dass niemand weiß, was zu tun ist, dass plötzlich der starke Mann benötigt wird, der sagt wo es langgeht. Sondern das Problem ist von den diversen Straßenräumungsdiensten eingehend erörtert worden und man weiß, wie zu reagieren ist. Das gilt auch bei politischen Fragen. Also, viele politische Probleme kommen plötzlich, nicht aber überraschend und können frühzeitig diskutiert werden. Für diese schnellen Entscheidungen wird eine Entscheidungskommision gebildet. Ihnen ist eine Kontrollkommission aus Vertretern der verschiedenen Gruppen beigestellt, die binnen kürzester Frist die Entscheidungen der Entscheidungskommision zu begutachten hat. Regelmäßig wählt die Kontrollkommission aus ihren Reihen eine neue Entscheidungskommission. In regelmäßigen Abständen haben die Mitglieder der beiden Kommissionen den Gruppen, die sie vertreten, Rechenschaft abzulegen.
Natürlich ist das eine noch sehr rumpfartige Idee einer dezentralen Partei. Aber ein Anfang ist nun gemacht.
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