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KEINE ZEIT FÜR TRÄNEN

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Autor Beitrag
bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 17.07.06, 15:18  Betreff: KEINE ZEIT FÜR TRÄNEN  drucken  weiterempfehlen




per Rundmail erhalten:


Der Tod eines geliebten Menschen, noch dazu, wenn es ein Familienangehöriger ist, gehört zu den tief schmerzenden Ereignissen in unserem Leben. Umso wichtiger ist es, mit ihnen menschlich, mitmenschlich umzugehen, ihnen die schweren Momente zu erleichtern und nicht noch schlimmer zu machen.

Der nachfolgende Artikel aus der Berliner Zeitung zeigt, wie verkommen, degeneriert und entmenschlicht Mitarbeiter in Sozialämtern und anderen Behörden, auf Friedhöfen und bei Bestattern heute schon sind. Auch wenn es angeblich nur Einzelfälle seien, ist jeder Einzelfall einer zuviel. Aber an Einzelfälle vermag ich schon nicht mehr zu glauben - es hat sich bei derartigen Mitarbeiter ein Verhalten verfestigt, für das sie nicht mal mehr zur Verantwortung gezogen werden. Und wir hören und erleben immer öfter ein derartiges Verhalten!

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Keine Zeit für Tränen


Eine Mutter, die von Sozialhilfe lebt, lässt ihren Sohn in Berlin begraben. Sie lernt dann, dass eine Sozialbestattung vor allem schnell gehen muss

Birgit Walter

BERLIN. Bevor der Berliner nun besoffen wird vor Begeisterung über sich selbst, über seine Herzlichkeit, Offenheit und Liebenswürdigkeit, bevor noch jemand der neuesten irrigen Umfrage (Reader's Digest) glaubt, Berlin sei nach Zürich die freundlichste Stadt Europas, bevor sich die Dinge also auf den Kopf stellen, wollen wir zwischenzeitlich noch einmal Bodenhaftung aufnehmen. Neben dem begeisterten Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft ist auch jener Berliner noch aktiv, der sich in seiner Garstigkeit schwer schlagen lässt. Er hält sich gern in Ämtern auf. Sigrid B., 59, aus einer Kleinstadt im Bayerischen, schloss gerade Bekanntschaft mit ihm.

Ein teurer Toter

Sigrid B. hat in diesem Monat in Berlin ihren Sohn beerdigt. Er wurde nur 29 Jahre alt. Sie fürchtete sich entsetzlich vor diesem Begräbnis in der Wahlheimat ihres Sohnes. Auch, weil sie noch in lebhafter Erinnerung hatte, wie vor wenigen Jahren ihr Ehemann zu Grabe getragen wurde, unter Anteilnahme der halben Stadt. Damals war sie noch eine gut situierte Unternehmer-Gattin, betrieb nebenher ein eigenes kleines Geschäft. Aber während der wohl temperierten Grabreden ahnte sie schon, dass der "teure Tote" sie teuer zu stehen kommen würde. Er hatte ihr nämlich Türme von Schulden hinterlassen, am Ende sollte ihr nicht einmal das Haus bleiben. Sie verließ die Stadt und ist seither die meiste Zeit ihres Lebens auf Sozialhilfe angewiesen.

Von der bevorstehenden Beerdigung wusste sie vor allem, dass sie eine feierliche Rede in einer geschmückten Kapelle nicht noch einmal aushalten würde. Was hätte auch ein Fremder über diesen Tod sagen können, einen Tod, den sie selbst nicht fassen konnte? Über ihren Sohn, der mit einer Heroin-Spritze im Arm starb. Was würde ein Fremder denn wissen über die Sucht-Krankheit? Mehr als die üblich verbreitete Meinung, dass es sich um selbst verschuldetes Elend handelte?

Sigrid B. hat alles erlebt, was Angehörige von Drogenabhängigen so erleben, als Mutter hielt sie trotzdem zu ihrem Sohn, fast bedingungslos. Und nach einem Entzug war sie so zuversichtlich wie der Sucht-Betreuer, die Mitbewohner, wie ihr Sohn selbst. Täglich ging er im Friedrichshain joggen, er nahm am Potsdamer RBB-Lauf teil, trainierte für den Berlin-Marathon, er wollte unbedingt Pearl Jam im September erleben und hatte einen Job in Aussicht. Er war seit Monaten clean, entschlossen zu leben. Ein paar Stunden vor seinem Tod hatte er noch wie alle Tage mit seiner Mutter telefoniert, danach muss er sich die tödliche Dosis besorgt haben.

Von nun an telefonierte seine Mutter nur noch mit Ämtern. In ihrer Wahrnehmung tat sie nichts anderes mehr. Nach 125 Telefonaten und 19 Formularen verlangte das Sozialamt - nur als Beispiel - noch eine Bescheinigung vom Einwohnermeldeamt. Wie könne es sonst sicher sein, dass der Tote auch tatsächlich in der Marienburger Straße gemeldet war. Ob das Sozialamt diese Bescheinigung nicht dort anfordern könne? Nein, beschied die Frau im Sozialamt Pankow, denn die sei kostenpflichtig. Sigrid B. fragte, ob sie das vielleicht von einer Verwandten erledigen lassen könne? - Nein, das müsse sie schon selbst tun. Aber sie wohne doch in Bayern, soll sie wegen dieser Bescheinigung nach Berlin reisen? "Keine Ahnung", sprach es aus Pankow ins Telefon. Im Einwohnermeldeamt geriet Sigrid B. telefonisch an einen mitleidigen Praktikanten, der machte eine Ausnahme und faxte die Bescheinigung.

Die Beerdigung auf dem Georgen-Parochial-Friedhof in Weißensee schließlich wird allen Trauergästen unvergessen bleiben. Sigrid B. hatte mit dem Beerdigungsinstitut vereinbart, dass die Trauerrede eine Cousine halten würde und zwar am Grab, nicht in der Kapelle. Vor der Beisetzung aber stellte sich heraus, dass neben dem Friedhof die Maschinen einer Straßenbaufirma lärmten, in unmittelbarer Nähe des Grabes. Unter diesen Umständen wollte die Cousine doch lieber in der Kapelle reden. Nein, erklärte die Urnenträgerin, die mit Verspätung eintraf, das ginge nur, wenn es höchstens eine Minute dauere. Nun, dann sollte die Rede doch am Grab gehalten werden.

Nur eine Feststellung

Die Urnenträgerin aber hatte es offensichtlich eilig. Die Trauergäste waren noch nicht am Grab eingetroffen, da hatte sie die Urne bereits versenkt. Die ersten Worte der Trauerrede unterbrach sie harsch mit den Worten: "Das hätte abgesprochen werden müssen!" Die Rede wurde trotzdem gehalten, die Trauernden nahmen Abschied, doch die Zeit, sich die Tränen aus den Augen zu wischen, blieb ihnen nicht. Die Urnenträgerin begann sofort, das Grab zuzuschaufeln.

Die Friedhofsverwalterin, später angesprochen auf diesen Umgang mit einer trauernden Mutter und den anderen Hinterbliebenen, bemerkte: Das könne sie nicht überprüfen, dazu sei es ja nun zu spät. Im übrigen handelte sich doch in diesem Fall um eine Sozialbestattung. - Ja, aber was bitte will sie damit sagen? "Nichts. Ich habe es nur festgestellt."

Berliner Zeitung, 17.07.2006



Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier


[editiert: 31.01.07, 10:04 von bjk]
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