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Wenn der Sozialstaat kippt

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Seite: 1, 2, 3, 4, 5
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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 24.10.04, 14:53  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen




gerade gelesen in:
http://politbuero.info/forum/phpBB2/viewtopic.php?p=8598&sid=c9a1de3487d588893eed7d2d7c8ca0b1#8598


>> "Allerdings bin ich der Meinung, dass man gar nicht zuviel lesen kann, egal was und wo. Im CDU-Forum kann und darf ich lesen, Lenin MUSSTE ich lesen. Und es fehlt mir ehrlich gesagt an der Lust, mich ein weiteres Mal näher mit dessen Werken auseinanderzusetzen. Dazu klebt mir zuviel Blut an den Händen des Autors und denen seiner Nachfolger." <<


hmm, Jessi, da frage ich mich nur entgeistert, ob Du etwa auch noch glaubst, der real existierende Kapitalismus, insbesondere der aktuelle globalisierte, sei im Grunde engelsrein oder zumindest von gleicher Menschlichkeit wie z.B. die Heilsarmee?! Hast Du wirklich keine Ahnung, wieviel Blut auch bzw. gerade am Kapitalismus klebt?! - NEIN? - Na dann empfehle ich Dir unbedingt, bei nächster Gelegenheit mal den 90minütigen Doku-Film "The Fog of War" anzusehen! Da wird zwar nur eine einzige Facette des menschenmordenden Molochs Kapitalismus beleuchtet aber die erschütternd brutale Vorgehensweise und die Menschenverachtung der jeweils "Mächtigen" der sogenannten freien Welt westlicher Hemisphäre wird hier äußerst eindrucksvoll und ohne jede Polemik oder Parteilichkeit geradezu seziert.

Mittlerweile weißt Du ja ungefähr, was ich von Deiner in den Foren zur Schau getragenen "Kompetenz" in Sachen Wirtschaft halte, hierüber werde ich hier demnächst einen separaten Thread eröffnen - keine Angst, es geht da weniger um Dich als um ein Phänomen vor allem des Mittleren Managements und wie sich Führungskräfte prostituieren - Du weißt ja, ich bin da durchaus sachkundig, war ich doch knapp 2 Jahrzehnte Insider, hab mich allerdings nie prostituieren lassen aber daß Du im politbuero einen solch, entschuldige aber ein passenderer Begriff fällt mir nicht ein, dämlichen "Blut"vergleich siehe Zitat oben anbringst, hätte ich selbst bei Dir nicht vermutet. Denk mal drüber nach. - Diesen Bandwurmsatz, komprimierter wollte ich's nicht, mußte ich noch loswerden, bevor ich mich gleich über die Erlebnis-Story meiner freitags zuendegegangenen Berliniade mit Anja und Susanne mache

Einen schönen Sonntag miteinander
bjk

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Baba Yaga
New PostErstellt: 27.10.04, 20:11  Betreff: Re: Wenn der Sozialstaat kippt  drucken  weiterempfehlen

War heute eingeladen beim sogen. Arbeitslosentreff, der von der Diakonie eingerichtet wurde.

Heute stand HartzIV auf der Tagesordnung und zwei Sozialpädagogen waren abgestellt, den ca. 40 versammelten Arbeitslosen den Segen von Hartz IV nahezubringen.

Ich war von einigen Arbeitslosen gebeten worden, teilzunehmen und deren Interessen zu vertreten.
Die Veranstaltung war darauf angelegt, den potentiellen AGII-Empfängern "Fußangeln" bei der Ausfüllung der Anträge zu erläutern und ansonsten den gesellschaftlichen Frieden zu sichern und die Herde ans Gängelband zu nehmen!

Es lag also den Veranstaltern ganz, ganz fern, die 1€-Jobs anzusprechen, geschweige denn zu diskutieren, wei die Diakonie seit 1.Okt. selbst Nutznießer von 1.50-€-Jobbern ist - 40 Arbeitslose wurden von der Agentur angefordert und bewilligt!!!!

10 000 € Nettoeinnahme spült so Hartz IV dieser christlichen Organisation monatlich in die Kassen, da ist es verständlich daß für Ruhe an der Arbeitsfront geworben wird und kein Ton der Kritik an den "Reformen" ertönen, geschweige denn Protest formiert werden sollte.

Das änderte sich dann aber schlagartig, als ich mich zu Wort meldete und erklärte, ich sei nicht bereit, mit meinen Steuergeldern und Arbeitslosenversicherungsbeiträgen die Diakonie zu alimentieren, die bekämen schon genug über die Kirchensteuern und im Zuge der Umsetzung des Hitler-Concordates!
Es ginge nicht an, daß man sich hinstelle und die Leute hier zu beschwichtigen versuche, indem man ihnen irgendwelche bekannte Binsenweishseiten zu HartzIV und dem Ausfüllen von Anträgen erzähle, während man auf dem Rücken der 1,5o€-Jobber seinen Reibach mache und dem Lohndumping in den eigenen Betrieben Vorschub leiste!

Damit hatte ich die beiden Referenten dann so weit, daß sie nur hilflos in die Runde schauten und meinten, was man denn sonst leisten könne!

Ich las Ihnen folgenden Text eines ehedem 20 jährigen Autors vor:

"Ich werde zwar immer meinen Grundsätzen gemäß handeln, habe aber in neuerer Zeit gelernt, daß nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann, daß alles Bewegen und Schreien der einzelnen vergebliches Torenwerk ist.
Sie schreiben - man liest sie nicht;
sie schreien - man hört sie nicht;
sie handeln - man hilft ihnen nicht...."

(Georg Büchner im Juni 1833 an seine Eltern - ein Jahr später schrieb er dann doch, das aufregenste und erste deutsche Manifest, die Grundlage des später entwickelten Sozialismus, " Der Hessische Landbote")

Man hatte verstanden.

Die Beiden gaben bekannt, daß am 6.11.04 in Nürberg zur bayernweiten Großdemo gegen Hartz IV aufgerufen ist und sie bestätigten dann auch noch bereitwillig meine Behauptungen, daß nämlich der bisherige, massenhafte Protest schon Wirkung gezeigt habe in Änderungen beim Selbstbehalt von eigenem Vorsorgevermögen, bei den Freigrenzen von Kinderersparnissen und in Bezug auf Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Erfordernisse!

Von den Anwesenden wurde dann gleich noch die Gründung eines Arbeitslosen- und HartzIV-geschädigten Vereins angeregt, wobei wir uns Ende November dazu verabredet haben!
Vielleicht schaffen wir es damit auch hier, Montagsdemos zu organisieren!

Natürlich ist mir bewußt, daß mit dem heutigen Diskussionserfolg und der Mattsetzung der beiden Referenten, die Diakonie noch nicht zum Mitstreiter von Arbeitnehmerinteressen geworden ist, aber ein "Büchner" ist eben auch heute noch kein wegzuschiebendes Fliegengewicht!

Baba Yaga
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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 28.10.04, 15:35  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen




>> "... während man auf dem Rücken der 1,5o€-Jobber seinen Reibach mache ..." <<


Liebe Baba,

genau das isses!!! Und genau deswegen läuft ja den Kämmerern in Kommunen und Sozialverbänden das Hartz-Wasser im Gierschlund zusammen!

Landauf landab überschlagen sie sich, noch vor Inkraft-Treten von Hartz IV den Sklavenmarkt leerzuräumen. Die erbärmlichsten und heuchlerischesten "Rechtfertigungen" müssen für diese perverse Niederträchtigkeiten in Sachen Menschenwürde herhalten, um ja auch dem letzten Spießbürger einzubläuen, solche Sklavenmärkte, äh, gemeinnützige Maßnahmen seien nun mal alternativlos!

Kein Wunder also, wenn dieser Millionen-Reibach auf Kosten der Ärmsten der Armen von der Politikerkaste und den Medien auf kleinster Flamme gehalten wird. Damit auch ja nichts oder wenigstens so gut wie gar nichts über die perverse Abzocke und den noch perverseren Profit von Kommunen und Sozialverbänden nach außen dringt! Der spießbürgerlichen Öffentlichkeit wird Gemeinwohl vorgegaukelt. Mit Erfolg, wie mensch in einem anderen Forum bei Jessi Ka lesen konnte.

Die schamlose Abzocke und widerrechtliche Auszahlung in Millionenhöhe von Arbeitnehmer-Beiträgen an die Kommunen und Sozialverbände durch das Arbeitsamt gehört nicht nur hierzulande an den Pranger gestellt sondern auch notfalls beim Europäischen Sozialgerichtshof angeklagt.

bjk

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 28.10.04, 15:39  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen




>> "Landauf landab überschlagen sie sich, noch vor Inkraft-Treten von Hartz IV den Sklavenmarkt leerzuräumen. Die erbärmlichsten und heuchlerischesten "Rechtfertigungen" müssen für diese perverse Niederträchtigkeiten in Sachen Menschenwürde herhalten, um ja auch dem letzten Spießbürger einzubläuen, solche Sklavenmärkte, äh, gemeinnützige Maßnahmen seien nun mal alternativlos!" <<


In Berlin und Mecklenbug-Vorpommern tut sich darin auch ganz besonders die mitregierende PDS bei diesen "Rechtfertigungen" hervor!

Heuchlerischer geht's kaum noch!

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Baba Yaga


New PostErstellt: 28.10.04, 16:05  Betreff: Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen

Hallo, BJK!

Kannst Du Dich noch an das Theater zwischen Regierung und Bundesrat, bzw. Kommunen erinnern, wegen der durch Hartz verursachten kommunalen Zusatzkosten?

Wenn die Kommunen mit in Hartzer Boot steigen sollen, dann wollten sie auch entsprechende Milliardenmittel zur Abgeltung ihres angeblichen "Aufwandes" an der Hartz-Verwaltung.
Von 5 Milliarden quatschte Eichel, die der Bund aufbringen wollte.

Ich denke mal, die Auslieferung arbeitsloser Menschen an Kommunen und g-Betriebe für einen Lohn von 1€/h und dafür die Pauschalvergütung von 500€/m an die "Arbeitgeber" ist wohl das versprochene "Entgelt" um das gefeilscht wurde.
Billige Arbeitskraft plus Zuzahlung!
Wem das Gesamtprogramm "nützen" soll, ist jedenfalls mir glasklar,
- die Arbeitsdienstler jedenfalls, sind degradierte und entwürdigte Verlierer!

Weißt Du eigentlich, daß jeder, der in der Lage ist, drei Stunden am Tag zu arbeiten, in diesen neuen Reichsarbeitsdienst geschickt werden kann?
Das trifft auch bisherige SozialhilfeempfängerInnen und Alleinerziehende mit Kindern, weil man diese verpflichtet ihre Kinder in Tagesstätten und Horte zu bringen.
Die Kosten für diese Unterbringungen werden aber nicht übernommen, weder von der Arbeitsagentur noch vom Arbeitslager-Betreiber, sondern müssen von dem 1€/Stundenlohn, der ja als "Aufwandsentschädigung deklariert ist, berappt werden!

Mir sagte gestern ein älterer, arbeitsloser Ingenieur er gehe nicht mehr zum Demonstrieren, er habe das Know-How andere "Mittel" zu erdenken und einzusetzen!
Mir lief es da schon sehr kalt über den Rücken, und ich wagte nicht weiter nachzufragen.
Er hat mir seine Geschichte erzählt und daß man ihn als Sorgeverpflichteten in "gerader Abkömmlinglinie" dazu trieb, sein Häuschen zu verkaufen, weil die Sozialhilfe nicht die stationären Pflegekosten seiner todkranken Mutter bezahlen wollte!
Die Wut und der Schmerz hatten ihn auch äußerlich gezeichnet!

So jemanden kann man nicht mehr trösten, da kann man nur noch schweigend daneben stehen und zuhören,
-kennst Du das?

Gruß
Baba Yaga

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 28.10.04, 16:12  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen




kopiert aus: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=61958&IDC=2



Null-Euro-Jobs als gefürchtetes Allheilmittel


HartzIV: Billigbeschäftigung weckt auch in Sachsen-Anhalt Begehrlichkeiten und Ängste

Von Hendrik Lasch, Magdeburg


Die Arbeitsmarktreform HartzIV droht sich darin zu erschöpfen, dass viele Arbeitslose in staatlich finanzierten Billigjobs untergebracht werden. Das ergab eine »Hartz-Tour« der PDS durch Sachsen-Anhalt.

Ranger, die Touristen durch Nationalparks wie den Harz führen, müssen viel wissen. Eine Ausbildung in einem Forstberuf wird verlangt, dazu die Qualifikation als Landschaftspfleger – noch, sagt Thomas Hoffmann von der Gewerkschaft IG BAU. Bald können Wanderer bei ihren Waldführern weniger Wissen erwarten. Als Ranger würden in Zukunft auch Angelernte beschäftigt – auf Ein-Euro-Basis, für jeweils ein halbes Jahr.

Die Ein-Euro-Stellen, von den Erfindern der Arbeitsmarktreform HartzIV als »letzte Auffanglinie« für Langzeitarbeitslose propagiert, scheinen in Ostdeutschland zum »Allheilmittel« für die Probleme eines dauerhaft maladen Arbeitsmarktes zu avancieren. Jenseits schöner Worte über Förderung und Eingliederung bestehe die »Gefahr, dass im Regelfall solche Stellen angeboten werden«, sagt Sabine Dirlich, Arbeitsmarktexpertin der PDS Sachsen-Anhalt.

Die PDS-Fraktion hat auf einer »Hartz-Tour« Beteiligte bei der Umsetzung der Reform besucht, von der bald jeder fünfte Sachsen-Anhalter betroffen sein wird. Drei Monate vor dem Start sind viele organisatorische Fragen noch ungeklärt, wie jetzt auf einer Anhörung zu erfahren war. Offen ist etwa der Rechtsrahmen für die Arbeitsgemeinschaften, die 14 Kreise mit den Arbeitsagenturen bilden wollen. Fünf Kommunen wollen Langzeitarbeitslose allein vermitteln. Doch ganz gleich, wie die Organisation gestaltet wird: Inhaltlich, sagt Dirlich, »dreht es sich bei der Umsetzung der Reform fast nur um Ein-Euro-Jobs.«

Verwunderlich ist das nicht. Die Billigstellen seien eine »riesengroße Verlockung«, sagt Werner Wandelt vom Verband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. Sie weckten Begehrlichkeiten bei Menschen, die endlich wieder arbeiten wollen, und bei Arbeitsämtern, die ihre Statistiken verbessern könnten – vor allem aber bei Kommunen, die »motivierte Arbeitskräfte und sämtliche Personalkosten erhalten«, sagt Wandelt, der daher von »Null-Euro-Jobs« spricht.

Der Beschäftigungseffekt indes ist Augenwischerei. Die staatlich bezahlte Billigbeschäftigung wird in Ostdeutschland »nur in Ausnahmefällen zur Überwindung der Hilfsbedürftigkeit führen«, sagt Helmuth Lehmann von der Landesagentur für Arbeit. Anders als in Städten wie Köln, wo es Arbeitsprogramme für Sozialhilfeempfänger auf Vermittlungsquoten von 30 Prozent bringen, drohe im Osten eine unschöne Situation »dauerhaft eingeweckt« zu werden – wenn nicht »das gesamte Ensemble von Möglichkeiten genutzt« werde, das die Reform biete. Dies aber, räumt Lehmann ein, kostet Geld, das viele Kommunen nicht haben.

Verbreitet sind daher Warnungen, die Reform könne nach hinten losgehen und sogar Stellen in der Wirtschaft vernichten. Bei der Vorstellung eines Kriterienkatalogs mahnte Wirtschaftsminister Horst Rehberger (FDP) unlängst, in Sachen Ein-Euro-Jobs »äußerst verantwortungsbewusst« vorzugehen und »negative Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt möglichst zu vermeiden«. In Sachsen-Anhalt sollen 30000 solcher Jobs eingerichtet werden – vor allem in den Bereichen Ordnung und Sauberkeit, Naturschutz, Freizeit und Sport, Kulturarbeit sowie Betreuung älterer Menschen.

Ob die Mahnungen fruchten, bleibt abzuwarten. Neben Politikern und Gewerkschaften fordern auch Vertreter der Wirtschaft inzwischen Beiräte einzurichten, um die Auswirkungen der Reform zu beobachten. Außerdem dürfe man »nicht nachlassen, die Arbeitsmarktpolitik grundsätzlich in Frage zu stellen«, sagt Jürgen Rogahn von der Handwerkskammer Halle. Die Forderung ist richtig, erwidert PDS-Fraktionschef Wulf Gallert – aber sie kommt spät. Als noch Gelegenheit war, HartzIV zu verändern, hätten die Arbeitgeber Durchhalteparolen ausgegeben. Jetzt, sagt Gallert, sind die Messen gesungen. Zwar bleibe die PDS beim »Grundgedanken der Ablehnung«. In den Kommunen aber müsse man jetzt »Spielräume aufstöbern und im Interesse der Betroffenen nutzen.«

(ND 28.10.04)





soso, "im Interesse der Betroffenen nutzen" - - - gaaanz selbstlos denken diese Funktionäre natürlich zuletzt an eigene Posten und Pfründe ... .. ... ach so, ja, in Sachsen-Anhalt regieren sie ja noch nicht mit

bjk
Berln-PDS-Geschädigter und -Enttäuschter


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bjk

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Ort: Berlin


New PostErstellt: 28.10.04, 16:46  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen




>> "So jemanden kann man nicht mehr trösten, da kann man nur noch schweigend daneben stehen und zuhören,
-kennst Du das?" <<



Liebe Baba,

ja, ich höre ähnliches öfters auf den Montagsdemos hier in Berlin und das macht mich ja so zornig auf die Berliner PDS. Denn diese Menschen haben dieser Partei vertraut - und werden jetzt von deren Spitzen-Funktionären verraten.

Trotzdem bemühe ich mich so gut es geht, Mut zum Durchhalten zu vermitteln, auch wenn's immer schwerer fällt viel ist schon geholfen, wenn diese verbitterten Menschen ihre Sorgen und Ängste auch mal loswerden können. Und bei wem können sie's besser als bei jemanden, der genauso oder ähnlich betroffen ist oder sie zumindestens ernst nimmt!

Doch leider nimmt dieses "Ernstnehmen" bei vielen noch nicht unmittelbar von den Sozialschweinereien Betroffenen immer mehr ab. Die entsprechenden Unfragen bezüglich Zustimmung der "Reform"-Schweinereien insbesondere in Westdeutschland lassen mir immer mehr kalte Schauer den Rücken hinunter laufen. Der mediale Dauer-Gehirnwaschgang verblödet viele Menschen in Wessiland und läßt sie auch in Sachen Mitmenschlichkeit immer mehr abstumpfen. Wir brauchen ja nur die mehr oder weniger geistlos-schnoddrigen "Kommentare" in unseren Nachbar-Foren zu lesen.

Liebe Baba, um so mehr gilt es, sich weiter engagiert gegen diesen verhängnisvollen Trend zu stemmen und nicht aufzuhören, ein menschenwürdiges Leben für alle einzufordern! - Es ist in der Tat wieder purer Klassenkampf angesagt!

Gruß
bjk

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[editiert: 28.10.04, 16:53 von bjk]
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bjk

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New PostErstellt: 28.10.04, 17:03  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen



kopiert aus: http://www.n-tv.de/5433315.html




Hartz-Gegner marschieren weiter

Wessis sind für Reformen



Trotz stetig sinkender Teilnehmerzahlen und breiter Rückendeckung in der Bevölkerung für die Reformen sollen die Demonstrationen gegen Hartz IV weitergehen. "Wir machen weiter, auf jeden Fall", sagt der Organisator der Magdeburger Montags-Demonstrationen, Andreas Ehrholdt, in einem Gespräch mit der Deutschen Presse- Agentur. Ehrholdt ist zuversichtlich, dass auch die Zahl der Demonstrationsteilnehmer wieder steigen wird.


Das Weihnachtsgeschäft wird boomen

"Spätestens kurz vor Weihnachten rechne ich mit mehr Teilnehmern", sagte er. Zu diesem Zeitpunkt würden die Bescheide zugestellt, mit denen das künftige Arbeitslosengeld II bewilligt oder abgelehnt werde.

Vom derzeitig nachlassenden Interesse der Betroffenen an den Demonstrationen zeigte sich Ehrholdt, der die bundesweite Protestwelle im Juli in Gang gebracht hatte, enttäuscht. "Die Leute sind resigniert und frustriert", begründete Ehrholdt die schwindende Resonanz. Allerdings dürften sich die Betroffenen nicht davon entmutigen lassen. "Wer zu Hause bleibt, kann nichts bewegen", betonte Ehrholdt.


Weniger Teilnehmer auch im Osten

Wie in Magdeburg, wo die Protestwelle Ende Juli ihren Ursprung hatte, nahmen an diesem Montag auch in Berlin, Leipzig und in anderen Städten deutlich weniger Menschen an den Demonstrationen teil als in den Vorwochen.

Ein Großteil der Deutschen befürwortet jedoch inzwischen die Maßnahmen der Regierung: In einer Umfrage des Instituts Ipsos für die "Financial Times Deutschland" halten 60 Prozent der Befragten die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe für richtig. Langzeitarbeitslose werden so motiviert, sich stärker um einen neuen Job zu bemühen, glauben die Befragten. Lediglich 36 Prozent sprachen sich in der Umfrage gegen die Kürzung aus.


Wenige glauben an mehr Arbeit durch Hartz IV

Allerdings glauben nur 23 Prozent der 500 Befragten, das Gesetz könne tatsächlich die Arbeitslosigkeit senken, 76 Prozent bezweifelten dies.

Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, zu mehr Arbeit bereit zu sein, wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert werden könnten. 48 Prozent würden dafür auch auf Lohn verzichten. Bei der Absicherung von Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit seien gut die Hälfte der Befragten der Meinung, dass sich der einzelne Bürger darum stärker selber kümmern sollte. Nur 37 Prozent vertreten der Umfrage zufolge die Auffassung, dass dies primär Aufgabe des Staates sei.


Ossis sind gegen die Reformen – Wessis dafür

Deutliche Unterschiede in der Bewertung ergaben sich zwischen West und Ost. Im Westen befürworten die Reformen fast zwei Drittel der Menschen, in den neuen Ländern sei die Mehrheit dagegen. 60 Prozent der West-Befragten seien dafür, die Selbstverantwortung der Bürger in der Sozialpolitik zu stärken, im Osten setze die Mehrheit weiter auf den Wohlfahrtsstaat.





Diese 60% dauerberieselten Idioten müssen sich fragen lassen, ob sie überhaupt kapiert haben, was mit "Selbstverantwortung" gemeint ist?!

bjk

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X-RAY
New PostErstellt: 28.10.04, 17:34  Betreff: Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen

mal hier reinsehen:

http://www.tagesspiegel.de/meinung/index.asp?gotos=http://archiv.tagesspiegel.de/toolbox-neu.php?ran=on&url=http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/10.10.2004/1409958.asp#art
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bjk

Beiträge: 7353
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New PostErstellt: 21.11.04, 20:03  Betreff:  Re: Wenn der Sozialstaat kippt oder der irrSinn hat Methode  drucken  weiterempfehlen




kopiert aus: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=63156&IDC=27



Im Angebot

Statt einem Euro pro Stunde

bekommen sie für ihren Job einen Euro fünfzig


Von Christina Matte



Frühnebel kriecht durch die Stadt, es wird nicht hell. Die Männer haben schon ihre Arbeitskleidung angezogen. Jürgen Hensch einen grünen Overall, Sven Martinez ein blaues Sweatshirt zur blauen Werkhose, Peter Wagner ein kariertes Flanellhemd über die Jeans, Karl-Heinz Wolter hat einfach nur eine Schürze über Jeans und Pullover gebunden. Der Pullover sieht nicht billig aus.

Die Arbeit beginnt um acht. Sie waren pünktlich. Nicht selbstverständlich, wenn einen schon lange keiner mehr morgens um acht erwartete. Wenn einen überhaupt keiner mehr erwartete. Andererseits haben sie ja fast das ganze Leben gearbeitet. »Gerackert, manchmal zwölf, vierzehn Stunden am Tag«, sagt Wolter, der an seiner Goldrandbrille fingert, »so was verlernt man nicht.« Sven Martinez ist die Ausnahme. Er ist erst 28. Nachdem er eine Lehre zum Kaufmann für Groß- und Außenhandel absolviert hatte, fand er keine Anstellung. Mittlerweile liegt die Zahl seiner Bewerbungen bei 500. Nur einmal hat ihn das Arbeitsamt an einen T-mobile-Stützpunkt vermittelt. Ein halbes Jahr lang verkaufte er Handys. Zwei Tage vor Ablauf der Probezeit hat der Filialleiter ihn entlassen. »Nach der Probezeit wäre der Zuschuss vom Arbeitsamt weggefallen«, erklärt Martinez. »Der hat gleich wieder jemanden mit Zuschuss vom Amt eingestellt.«

Sie kennen einander noch nicht lange. Erst seit kurzem arbeiten sie zusammen. Sie bilden ein Reparaturteam. Meist reparieren sie vor Ort: in Kitas, Schulen und anderen gemeinnützigen Einrichtungen Möbel, Spielzeug, Lernmittel. Heute, damit wir uns in Ruhe unterhalten können, haben sie die kaputten Stücke in die kleine Werkstatt geholt, die im Keller eines Bürohauses in Berlin-Marzahn untergebracht ist. In diesem Haus sitzt auch die G.U.T. Consult, die Gesellschaft für Umwelt- und Territorialplanung mbH. Ihr verdanken sie, dass sie nun Arbeit haben. Obwohl »Arbeit« übertrieben ist. Sie haben keine festen Arbeitsverhältnisse, die G.U.T. Consult bietet ihnen lediglich eine Beschäftigungsmöglichkeit. Für maximal 30 Stunden die Woche. Die gute Nachricht: Pro Stunde bekommen sie nicht nur einen Euro, sondern einen Euro fünfzig. Das sind 45 Euro pro Woche, 180 im Monat. Zusätzlich zur Arbeitslosen- oder zur Sozialhilfe, zusätzlich auch zum Wohngeld. Ob im Januar ihr Arbeitslosengeld II mehr oder weniger betragen wird als das, was sie jetzt von den Ämtern erhalten, wissen sie noch nicht. Aber die 180 Euro Mehraufwandsentschädigung sind ihnen erst einmal sicher. Soweit überhaupt etwas sicher ist.


Toll, ist der Kühlschrank wieder voll

Auch der Name »Gesellschaft für Umwelt- und Territorialplanung m.b.H.« ist im Jahre 15 der Einheit eine Übertreibung. Längst ist nicht mehr drin, was draufsteht. Nach der Wende gegründet, um arbeitslosen Ingenieuren eine Beschäftigung zu geben, betreibt sie seit 1994 zunehmend soziale Projekte. Zwar ist sie Bauherr des Wuhletal-Wanderweges, für den die EU 4,7 Millionen Fördermittel hinblätterte, doch hat sie, um überleben zu können, auch den »Bürgerservice« und das Projekt »Helfende Hände« gründen müssen. Des weiteren betreibt die G.U.T. Consult zwei Kinder- und Jugendklubs sowie je eine Jugendverkehrsschule in Marzahn und Hellersdorf. Projekte eben, die gemeinnützig sind oder an denen gesellschaftliches Interesse besteht, so dass sie gefördert werden. Jetzt, nachdem »die ABM fast ganz zurückgefahren wurden«, sind die so genannten Ein-Euro-Jobs hinzugekommen. Für die es hier einen Euro fünfzig gibt. »Pilotprojekte«, sagt Dr. Ulrich Ellger, »in denen 90 Langzeitarbeitslose wieder etwas leisten können.« Diese Projekte liegen im Grünflächenbereich, zu dem auch Friedhofspflege gehört, und im Instandsetzungsbereich, in dem Hensch, Martinez, Wagner und Wolter arbeiten. »Es gibt großen Bedarf«, weiß Ellger, »für drei Schulen steht ja heute nur noch ein Hausmeister zur Verfügung. Der kann gerade mal auf- und zuschließen, der hat ja überhaupt keine Zeit mehr, sich noch um anderes zu kümmern.«

Ellger ist 60 und einer der noch sieben Angestellten der G.U.T. Consult. Früher war er in der Bauakademie der DDR für logistische Forschung verantwortlich. Heute ist er ebenfalls als Logistiker gefragt: Arbeitsfelder müssen gefunden, die Gemeinnützigkeit nachgewiesen werden. Er ist nicht froh über die Entwicklung, die immer mehr Menschen aus der Arbeit drängt, aber er ist nicht Schuld daran. Wenn er etwas zu sagen hätte, er würde eine Strategie für Deutschland entwickeln, »die erst einmal festlegt, wo ich hin will«. Da sieht er nur eine Möglichkeit: »Es müssen Produkte entwickelt werden, die nur die Menschen hier und nirgendwo sonst auf der Welt herstellen können.« Innovation also, Bildung, Bildung!

Aber Ellger hat nichts zu sagen. Wer kann schon erklären, wieso 4,7 Millionen Euro (!) für einen Wanderweg zur Verfügung stehen, aber kein Geld für Schulhausmeister? Warum das alles noch funktioniert bzw. eben nicht mehr funktioniert – man muss es nicht verstehen wollen. Ellger hat das auch aufgegeben. Er kann nur Arbeitslosen helfen. Einigen von ihnen, ein bisschen. Die 45 Euro pro Woche, die das Arbeitsamt für jeden überweist, zahlt er persönlich aus. »Damit ich weiß, wie die Stimmung ist. Sie klappen das Portemonnaie auf und freuen sich: ›Toll, kann ich zu Aldi gehen, ist der Kühlschrank wieder voll!‹« Ellger freut sich dann auch. Aber bezahlt werden nur die Stunden, die auch wirklich gearbeitet wurden. »Und wenn jemand drei Tage
unentschuldigt fehlt, das ist wie auf dem ersten Arbeitsmarkt, ziehen wir unser Beschäftigungsangebot zurück und melden das dem Arbeitsamt.«


Du bist zu alt, heißt: Du bist Schuld

Jürgen Hensch, Sven Martinez, Peter Wagner und Karl-Heinz Wolter haben noch keinen einzigen Tag gefehlt. Nicht mal entschuldigt. Wären sie ja blöd. Erstens brauchen sie das Geld, zweitens konnten sie sich den Job hier noch aussuchen, was ab Januar kaum noch möglich sein wird, drittens sind sie froh, »endlich mal wieder rauszukommen«. »Zu Hause ist mir die Decke auf den Kopf gefallen«, sagt Martinez. Die anderen drei nicken. »Man kann nicht den ganzen Tag auf der Couch hocken und fernsehen«, meint Hensch, »da läuft sowieso nur Werbung, und du hast ja kein Geld.« Wolter fügt hinzu: »Es macht auch keinen Spaß rauszugehen, du kannst nichts kaufen.«

Nein, sie sind ganz und gar nicht blöd. Alle haben eine Ausbildung genossen. Und obwohl sie sehr verschieden sind, verstehen sie sich gut, noch. Noch haben sie sich viel zu erzählen. Wer sie sind, was sie gearbeitet haben, über Gott und die Welt, ihre Familien. Wenn man lange nicht mehr gearbeitet hat, hat einem schon lange keiner mehr zugehört. Auch die eigene Frau nur noch selten.

Wagner erzählt, dass er Bäcker und Konditor ist. Er war in einem Mehlgroßhandel beschäftigt. Als der aufgekauft wurde, ist er entlassen worden. Arbeitslos ist er seit sieben Jahren. Er knurrt: »Alte Männer nimmt man nicht mehr.« Als er entlassen wurde, war er 52. Mit 52 ist man nicht alt. Auch mit 59 noch nicht. Doch inzwischen sieht Wagner so aus.

Wolter ist sogar schon 60. Keine Chance mehr. Vor zwei Jahren hat er sich mit dem Arbeitsamt auf die »58er-Regelung« geeinigt. Das heißt, er muss nicht mehr nachweisen, dass er sich irgendwo beworben hat, und er wird auch nicht mehr vermittelt.Er lächelt gequält: »Der Jugendwahn.« Wolter, Kaufmann wie Martinez, hat zuletzt in einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet. Für 100 Mitarbeiter ist er dort verantwortlich gewesen. Daher weiß er, dass Jugend allein keine Garantie für Können ist. Mancher, der jünger ist als er, wird niemals leisten, was er leisten könnte. Doch indem man sagt, jemand sei zu alt, schiebt man ihm die Schuld dafür zu, dass er keine Arbeit mehr findet. Dabei gibt es einfach keine Arbeitsplätze mehr. Er sagt: »Auch Hartz IV schafft keine, wie denn? Im Gegenteil, wenn die Ein-Euro-Jobs in die private Wirtschaft gehen, werden weitere abgebaut.« Wolter kommt aus dem Westen. Er hat längere Erfahrung mit der Marktwirtschaft als die anderen hier. So weiß er, dass »das alles ja nicht erst heute losgeht. Schon früher sollten mit flexiblen Arbeitszeiten mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Es wurden immer weniger.«

Auch Hensch, der Mann im grünen Overall, glaubt, dass die Ein-Euro-Jobs, »so gut sie für uns sind«, reguläre Arbeitsplätze vernichten werden. Wobei er seinen Arbeitsplatz gar nicht mehr vernichten kann, weil der schon vernichtet ist. Der 54-Jährige Schlosser war nämlich Hausmeister, und zwar einer von denen, die heute an den Schulen fehlen und deren Arbeit sie nun für einen Euro fünfzig pro Stunde verrichten. Die Betriebsschule »Waren täglicher Bedarf« bedurfte seiner nicht mehr. Später hatte er für zwei Jahre mal eine Hausmeister-ABM an einem Gymnasium. Jetzt hat das Arbeitsamt für ihn eine Hausmeisterstelle in einem Dorf bei Köln ausgegraben. Dort soll er sich bewerben. Das hat er noch nicht getan. Er könnte den Umzug gar nicht bezahlen. Wenn das Amt ihn bezahlen würde, steckte er immer noch in den roten Zahlen. Hensch lacht und zeigt auf seine Zähne: »Die hab’ ich komplett machen lassen, als ich die ABM hatte. Wenn du arbeitslos bist, kriegst du keinen Kredit. Also, dachte ich, jetzt oder nie. Denn wenn du dich irgendwo bewirbst, und die sehen deine Zähne, dann bist du ja gleich aus dem Rennen. Jetzt habe ich neue Zähne, aber noch 2000 Euro Miese. Die Raten muss ich bezahlen, ich muss. Irgendwie muss ich das auf die Reihe kriegen.«


Colucci im Schrank, Schmerz in der Seele

Während er an einem Schrank leimt, erzählt der Bäcker und Konditor Wagner, dass er letzten Sonntag einen Schnitzelauflauf ins Rohr geschoben hat. Sven Martinez spitzt die Ohren, vielleicht kann er das Rezept ja auch mal ausprobieren. Er hat eine Freundin und ein Baby. Für das Baby ist so ein Auflauf noch nichts, aber seiner arbeitslosen Freundin könnte er damit eine Freunde bereiten. Oder sie ihm. Die Freundin hat ihre Ausbildung wegen des Babys abgebrochen und sitzt den ganzen Tag zu Haus. Das ist auch für Martinez nicht einfach. Deshalb ist er froh, hier ein paar Stunden am Tag mit anderen zusammen sein zu können. Eine Zukunft für den 28-Jährigen ist das nicht. Er könnte nach Polen ziehen, dort leben und arbeiten, doch seine Freundin will nicht mit. Er ist kein Lump, der sie sitzen lässt.

Für den Schnitzelauflauf hat Wagner Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln, Käse und natürlich Schnitzel gebraucht. Gar nicht schlecht. Er erklärt: »Man kauft nur bei Aldi oder, was im Angebot ist«. Aber mal müsse auch was Richtiges auf den Tisch. Er regt sich auf: »3.99 Euro das Kilo Schnitzel, acht Mark! Das hat es zu DDR-Zeiten nicht gekostet.« Die Preise hat er im Kopf. Das kommt ganz von selbst, wenn man hinschauen muss.

Für den Kaufmann Wolter ist es ein Albtraum, immer nur Angebote kaufen zu müssen. Er ist es nicht gewöhnt. »Ich habe viel verdient, 8000 Euro brutto.« Als er seinen Job verlor, habe er zunächst gutes Arbeitslosengeld erhalten. Das wurde mit der Zeit weniger, jetzt ist er bei 800 Euro angelangt. Ab Januar werden es 300 sein, wenn er Glück hat. Schon mit 800 auszukommen, schafft er kaum. »Sehen Sie«, sagt er, »ich habe Antiquitäten – Meißner Porzellan, Hutschenreuter – besessen, die musste ich Stück für Stück verkaufen. In meinem Schrank hängen noch Anzüge von Colucci und mindestens zehn Lagerfeldjacken, die bis zu 4000 Mark gekostet haben! Und ich wohnte in einer Wohnung mit Sauna, Schwimmbad und Dachgarten. Jetzt muss ich wie ein Sozialhilfeempfänger leben. Obwohl ich 40 Jahre lang eingezahlt habe...«

Plötzlich wird Wolter blass. Ihm ist gerade bewusst geworden, was es bedeutet, wenn er hier fotografiert wird. Er will nicht, dass seine alten Freunde erfahren, wie es um ihn steht. »Du bist doch nicht Schuld«, sagt Wagner. Wolter weiß das, er schämt sich trotzdem. Er stürzt aus der Werkstatt, um nachzudenken.

Als er zurückkommt, hält er einen Briefumschlag in der Hand. Den hat er aus seiner Jacke geholt. In dem Umschlag stecken seine Zeugnisse, offenbar trägt er sie stets bei sich. So kann er jedem zeigen, dass seine früheren Arbeitgeber »mit den Leistungen von Herrn Wolter immer außerordentlich zufrieden« waren. Dass er nun selbst im Angebot ist, empfindet er als Schlag ins Gesicht. Der Schlag brennt nicht nur auf der Haut, Wolter verwindet die Kränkung nicht – keine Gewalt? Dann entschließt der Kaufmann sich doch, zu seiner Situation zu stehen. Für das Foto will er aber wenigstens die Schürze abbinden.

Ein Mann mischt sich in das Gespräch, der bisher an einem Schreibtisch saß. Ja, es gibt einen Schreibtisch in der Werkstatt. Er gehört Teamleiter Wolfgang Naumann, einem gelernten Elektroniker. Naumann hat freundliche braune Augen und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Er will kein Aufpasser sein, doch natürlich ist er einer. Bei ihm liegt die fachliche Kontrolle, und er passt auf, dass sich kein Frust anstaut. »Das kommt vor«, sagt er, »dann muss ich schlichten. Aber eigentlich arbeiten wir hier so ein bisschen wie früher, wo man bei der Arbeit auch immer miteinander geredet hat. Wir machen das, um Frust abzubauen.« Ob das noch gelingt, wenn im Januar auch Leute Ein-Euro-Jobs annehmen müssen, die das gar nicht wollen, weiß er nicht. Naumann hat Bedenken: »Wer gezwungen wird und die Arbeit, die ihm zugewiesen wird, nicht mag, der wird Schwierigkeiten machen.«

Später bringen die Männer die reparierten Möbel in die Kita zurück. Um 14 Uhr ist Feierabend. Sie haben sich nicht nur unterhalten, sondern etwas Sinnvolles getan. »Wir scheuen keine Arbeit«, lacht Hensch und zeigt dabei die neuen Zähne. »Eine gewisse Befriedigung hat man schon«, sagt Wolter, »eine gewisse.« Als er die Goldrandbrille abnimmt, sieht man tiefe Augenringe.

(ND 20.11.04)





Was für eine Verhöhnung der Arbeitslosen

- und das im sozialistischen ND !!!


[editiert: 21.11.04, 20:04 von bjk]
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