Erstellt: 29.01.05, 07:52 Betreff: Verrat der Gewerkschaftsfunktionäre angeprangert
Redebeitrag auf der Auftaktkundgebung der Kölner Montagsdemo am 24. Januar 2005 / von Gunnar Stache:
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe Freundinnen und Freunde!
Unser heutiges Schwerpunktthema heißt „Gewerkschaften und Hartz IV “. Das ist ein ziemlich düsteres Kapitel, und vor allem besteht zu diesem Thema ein ganz enormer Handlungsbedarf. Es muß etwas geschehen, es muß sich etwas ändern.
Wir sind gefordert, wir selber müssen aktiv werden, um etwas zu ändern!
1. Die Gewerkschaftsführungen sind mit verantwortlich für die Hartz-Gesetze! Wenn jetzt die Arbeitslosenhilfe gestrichen ist, wenn Millionen von Menschen weniger Geld als zuvor bekommen, wenn auf einmal statt eineinhalb Millionen jetzt zweieinhalb Millionen Kinder in Armut aufwachsen müssen, dann sind die Gewerkschaften aktiv daran beteiligt. Statt Widerstand zu organisieren, haben diese Gewerkschaften mitgewirkt am Sozialkahlschlag!
Die Gewerkschaften haben mit in der Hartz-Kommission gesessen, die Gewerkschaften rechtfertigen die Hartz-Gesetze immer noch. Die Großdemos vom April vergangenen Jahres waren nichts als Theaterdonner, Kulissenzauber und mehr nicht. Mit unseren regelmäßigen Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV bewirken wir weitaus mehr als die großen Demonstrationen der Gewerkschaften!
2. Als Reaktion auf Globalisierung und Internationalisierung kennen die jetzigen Gewerkschaften nur Anpassung und Abbau von Rechten der Beschäftigten; die mühsam erstrittenen Löhne und Gehälter geben die Gewerkschaften willig preis.
3. Die Zustimmung der Gewerkschaften zu den Hartz-Gesetzen zeigt deutlich, daß die Gewerkschaften die Interessen von Arbeitslos gemachten in keiner Weise vertreten; und das ist nicht erst seit heute so, sondern schon seit über 10 Jahren werden in einer Art Salamitaktik die Rechte und berechtigten Ansprüche der arbeitslos gemachten abgebaut und zerschlagen.
4. Bei den noch-Beschäftigten das gleiche Bild: Ver.di etwa handelt Vereinbarungen aus, die Lohnsenkungen oft von 10% und mehr für die Beschäftigten oder besser gegen die Beschäftigten bedeuten. Schlimmer noch: ver.di ist dabei, den bisherigen Bundes-Angestellten-Tarif, Richtschnur und Maßstab für die Bezahlung praktisch aller im öffentlichen Dienst beschäftigten, zu liquidieren.
Das läuft unter dem verharmlosenden Etikett „Prozeßvereinbarung“ und bedeutet im Ergebnis, wenn es nicht verhindert wird, enorme Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Bezahlung für alle im öffentlichen Dienst beschäftigten Menschen! Wenn die Beschäftigten von sich aus aktiv werden, wie bei Opel oder bei Mercedes, werden die Gewerkschaften aktiv. Leider aber auf der falschen Seite, indem sie solche Aktivitäten systematisch abwürgen und nach Möglichkeit von vornherein verhindern!
5. Die Gewerkschaftsspitzen nehmen den Sozialabbau tatenlos hin: Sie haben die sogenannten Renten„reform“ hingenommen, sie haben die sogenannte Gesundheits„reform“ hingenommen, bei der die Versicherten mit vielen Milliarden Euro zusätzliche belastet und die Betriebe und ihre Eigentümer, die Reichen und Vermögenden, um viele Milliarden Euro entlastet wurden. Solche Beispiele ließen sich noch viele bringen. Durch diese Politik verlieren die Gewerkschaften ständig an Mitgliedern und an politischem Einfluß. Sie werden von der Politik schon garnicht mehr ernst genommen; auch das wollen wir ändern!
Die derzeitigen Gewerkschaftsführungen sind personell und politisch viel zu sehr mit der SPD, der Partei des Sozialkahlschlags, verbunden, und darum ist es nötig, die derzeitigen Gewerkschaftsführungen zum Rücktritt aufzufordern! Wir brauchen bessere Gewerkschaften als diese!
Hier unter uns sind viele Gewerkschaftsmitglieder, wir finanzieren die Gewerkschaften mit unseren Beiträgen, und gerade wir fordern unsere Rechte als Gewerkschaftsmitglieder ein! Wir fordern, daß die Gewerkschaften eine Politik im Interesse der Mitglieder machen, im Interesse der Beschäftigten genauso wie der arbeitslos gemachten Mitglieder! Und insgesamt fordern wir von den Gewerkschaften eine Politik im Interesse der abhängig Beschäftigten, der Arbeiter, der Angestellten, der Beamten, der Arbeitslosen und der Rentner.
Hier skizziere ich einige Anforderungen an Gewerkschaften, wie wir sie brauchen:
Wir brauchen Gewerkschaften, bei denen die Tarifverhandlungen nicht in Nobelhotels, sondern in den Werkhallen der Fabriken, in den Kantinen der Verwaltungen stattfinden! Öffentlich und unter Kontrolle der Beschäftigten!
Wir brauchen Tarifverhandlungen, wo nichts ausgemauschelt wird, sondern wo die Beschäftigten direkt mitkriegen, was läuft, und schnell und spontan darauf reagieren können!
Wir brauchen Gewerkschaften, wo die Bezahlung der Beschäftigten sich am Facharbeitergehalt orientiert! Denn dann haben auch diese Leute selber ein Interesse, daß die Löhne der Arbeiter steigen!
Und wenn all dies Realität wird, dann werden die Gewerkschaften auch wieder viel mehr Einfluß in der Gesellschaft haben! In solchen Gewerkschaften werden viel mehr Menschen als heute bereit sein, Mitglied zu werden und sich in der Gewerkschaft zu engagieren!
In diesem Sinne möchte ich eine Resolution vorlesen und zur Verabschiedung vorschlagen, mit dem Ziel einer Erneuerung und eines Wechsels der Personen und der Politik der Gewerkschaftsspitzen! Ich lese diese Resolution jetzt vor, und wir können dann darüber abstimmen!
Resolution der Kölner Montagsdemonstration vom 24. Januar 2005:
1. Wir brauchen Gewerkschaften, die engagiert und aktiv die Interessen ihrer Mitglieder, die Interessen der Beschäftigten, der arbeitslos gemachten, der Rentnerinnen und Rentner vertreten! Wir brauchen Gewerkschaften, sich für drastische Arbeitszeitverkürzung einsetzen! Wir brauchen Gewerkschaften, die sich für einen Mindestlohn von 10 Euro einsetzen! Wir brauchen Gewerkschaften, die die Hartz-Gesetze ablehnen und bekämpfen und ihre Rücknahme erstreiten! All diese Anforderungen erfüllen die Gewerkschaften und der DGB unter ihrer jetzigen Führung nicht!
2. Daher fordern wir die derzeitigen leitenden Gewerkschaftsfunktionäre zum Rücktritt auf! Eine Erneuerung der Gewerkschaften auf allen Ebenen ist nötig, und das bedeutet auch und vor allem eine personelle Erneuerung.
3. Wir rufen die Mitglieder aller Gewerkschaften auf, für grundlegende personelle und politische Änderungen in ihren jeweiligen Gewerkschaften einzutreten. Wir rufen die Mitglieder aller Gewerkschaften auf, unsere Rücktrittsforderungen an die leitenden Gewerkschaftsfunktionäre zu unterstützen und aktiv dafür einzutreten. Ohne personellen Wechsel an den Spitzen der Gewerkschaft ist eine andere Politik der Gewerkschaften nicht möglich.
4. Wenn die personelle Erneuerung der Gewerkschaften scheitert, wenn die Gewerkschaftsspitzen an ihren Sesseln kleben, wenn die Gewerkschaften den bisherigen Kurs der Selbstliquidierung beibehalten: Dann werden wir in sehr kurzer Zeit planen und angehen müssen, wie neue Gewerkschaften geschaffen werden können; Gewerkschaften, die konsequent die Interessen ihrer Mitglieder vertreten; Gewerkschaften, die bereit und fähig sind, auch Mittel wie Streik und Generalstreik gegen die herrschende Profitlogik und gegen den herrschenden Sozialkahlschlag einzusetzen.
5. Wir rufen die Montagsdemos und die sozialen Bewegungen bundesweit auf, diese Resolution zu unterstützen!
Beschlossen von der Kölner Montagsdemonstration vom 24. Januar 2005!
Redebeitrag auf der Abschlußkundgebung der Kölner Montagsdemo am 24.1.2005 von Gunnar Stache:
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe Freundinnen und Freunde!
Wir stehen hier jetzt auf dem Hans-Böckler-Platz vor dem Kölner Gewerkschaftshaus, und ich möchte noch einmal daran erinnern, warum wir heute gerade hierhin gegangen sind: Wir sind hier wegen des empörenden Verrats der Gewerkschaftsspitzen an den Interessen der Mitglieder, und wir sind hier, um die leitenden Gewerkschaftsfunktionäre zum Rücktritt aufzufordern!
Dafür haben wir viele gute Gründe: Zum Beispiel der DGB in Köln hat einmal eine sogenannte Informationsveranstaltung zu den Hartz-Gesetzen gemacht, da saßen dann ein ehemaliger Sozialamtsleiter und ein IG-Metall-Chef von NRW, Peter Gasse, der auch Mitglied in der Hartz-Kommission war, und beide fanden die Hartz-Gesetze ganz prima!
Die Gewerkschaft ver.di ist aus dem Zusammenschluß von 5 kleineren Gewerkschaften entstanden und nach Zahlen die größte Gewerkschaft der Welt. Nach Taten allerdings kann man ver.di nahezu vergessen. Eine einzige bemerkenswerte Verbesserung der Bezahlung gab es durch ver.di, und zwar für die ver.di-Spitzenfunktionäre: Deren bisherige Gehälter, die sie bei den Gewerkschaften bekamen, wo sie bisher beschäftigt waren, wurden nahezu verdoppelt!
Um mal die Dimension deutlich zu machen, in der die Gehälter von leitenden Gewerkschaftsfunktionären sich bewegen. Als Walter Riester, vorher in der Spitze der IG Metall, Sozialminister wurde, bedeutete das für ihn einen Einkommensverlust! Die führenden Gewerkschaftsfunktionäre bekommen mehr Geld als ein Ministergehalt! Wenn sie wenigstens dafür die Interessen ihre Mitglieder vertreten würden; aber sie verraten die Interessen der Mitglieder, sowohl die der Beschäftigten wie die der Arbeitslos gemachten!
Die ver.di Gründung wurde nicht von den Mitgliedern gewünscht, sondern von oben, von den Funktionären her betrieben. Da kann da doch glatt der Verdacht aufkommen, daß ver.di vor allem deshalb gegründet worden sei, damit die 100 obersten verdi-Funktionäre fast doppelt so hoch bezahlt werden wie zuvor!
Das war jedenfalls die bedeutendste von ver.di erreichte Verbesserung der Bezahlung, und sie ist bis heute ein Skandal!
Die Gewerkschaften haben Blüm als Redner eingeladen zu der Demonstration am 3.April 2004. Genau den Blüm, der als Arbeitsminister Gesetze gemacht hat, mit denen den Arbeitslosen und den Rentnern viele Milliarden DM und viele Milliarden Euro genommen wurden – denn diese Gesetze und Kürzungen durch Blüm wirken ja bis heute.
Mit Blüm als Redner haben die Gewerkschaften einmal deutlich gemacht, daß der ganze Protest von ihrer Seite aus eine Farce ist, und Blüm als Redner war gleichzeitig eine Verhöhnung der Gewerkschaftsmitglieder. Nicht zuletzt: Die Gewerkschaft ver.di hätte Hartz IV verhindern können! Allein schon wenn ver.di die Beschäftigten in den Arbeits- und Sozialämtern aufgerufen hätte, nicht daran mitzuwirken oder auch nur „Dienst nach Vorschrift “ zu machen, wäre Hartz IV nicht umzusetzen gewesen.
Wir haben viele gute Gründe, warum wir heute hier stehen!
Dann noch eine Sache: Heute findet hier eine Veranstaltung der sogenannten Gewerkschaftlinken statt. Es ist eine gute und interessante Veranstaltung. Aber daß diese Veranstaltung gerade an einem Montag um 19 Uhr beginnt, zeigt leider, daß diejenigen, die sich als Gewerkschaftslinke verstehen, die Bedeutung und das politische Potential der Montagsdemonstrationen nicht wahrnehmen, und daß sie den Montagsdemos nicht nahestehen.
Nüchtern muß man feststellen, daß die Versuche der Gewerkschaftslinken, innerhalb der bestehenden Gewerkschaften und ihrer Strukturen Einfluß zu gewinnen, gescheitert sind. Wir rufen die Gewerkschaftslinken auf, sich der Forderung nach Rücktritt der leitenden Gewerkschaftsfunktionäre anzuschließen. Wir fordern die Gewerkschaftlinken zur Unterstützung der Montagsdemonstrationen auf!
-------------------- Copyright-Hinweis:
Die Redebeiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte beim Urheber
Veröffentlichung und Weiterverbreitung sind ausdrücklich erwünscht. Forderungen von Mailservices und Internet-Providern, die Rechte an den von Ihnen übertragenen Texten und Daten beanspruchen, werden zurückgewiesen.