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Freies Politikforum für Demokraten und Anarchisten
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Jessi Ka
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Erstellt: 22.07.03, 20:50 Betreff: Re: Die Lyrikecke |
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Meine Tage in der PDS Von Wrangel WeichWahnitzky
In Deutschlands schicksalsschwerer Nacht vom 22. auf den 23. September war ich nach einer Odyssee durch Mittelamerika mit dem Bananenfrachter Granpà in Hamburg gelandet. Am Pier warteten Ronaldo Brodersen und Max Markenschuh auf mich. Ich hatte den Kommilitonen aus den 60ern per SMS meine Ankunft mitgeteilt. Die beiden betrieben in St. Pauli das Lokal „Zur Roten Laterne“ und boten mir eine erste Notunterkunft an.
Es herrschten die alten unhaltbare Zustände und eine depressive Stimmung in Deutschland. Alle hatten mit Stoibers Sieg gerechnet, auf Jubelszenen gehofft mit Posaunenschall und Einzug auf Kampfelefanten – und nun das.
Ich machte mir keine Illusionen. Als Selbständiger hatte ich unter den Sozen kein Recht auf Leben, Würde, Arbeitslosengeld oder Rente. Dass es auch den Gewerkschaftsmitgliedern bald an den Kragen gehen würde, war für mich, der ich von Natur aus nicht nachtragend oder schadenfroh bin, kein Trost.
Ronaldo, Max und ich diskutierten nächtelang über die Zukunft Deutschlands. Die beiden waren überzeugte Marxisten. Nicht nur Stoiber hatte verloren - auch die PDS war in der Realität angekommen. Vor allem Max machte das schwer zu schaffen. Seine heissgeliebte PDS war zum Sanierungsfall geworden. Max dauerte mich, und ich beschloss, der Partei des demokratischen Sozialismus unter die Arme zu greifen. Ich hatte in meinen besten Jahren schon einigen Unternehmen aus der Klemme geholfen, zum Beispiel Borgward, Nixdorf und Drei-Glocken Eiernudeln, ich hatte Bayer vor dem Abstieg bewahrt und Calmund vor dem Herzinfarkt, warum nicht auch die PDS. Wenn es klappte, konnte ich meinen Ruf aufpolieren, wenn es schiefging, merkte das eh keiner.
Ausserdem brauchte ich eine neue Bleibe. Nichts gegen die Kneipe von Ronaldo und Max, aber was sich dort tummelte, hatte absolut fertig. Unter Hinz und Strunz wollte ich nicht untergehen. Die Nächte im Schlafsack unterm Tresen waren kein Dauerzustand, vor allem deshalb nicht weil der lange Carsten im Schlaf ständig „Tooor!“ schrie und der dicke Mario “Schwarze Sau!“ brüllte. Auch die kesse Jessika, die abends immer auf den Tischen tanzte, konnte mich nicht halten.
Aber wo sollte ich hin?– Ausser Ronaldo und Max, einem halben Dutzend Konkursbeamter und einer Gerichtsvollzieherin mit Dutt war niemand wirklich interessiert an mir in diesem Land.
Ich fasste einen Plan. Hamburg war sowieso nicht der richtige Ort, ich musste in die Bundeshauptstadt – dort spielte die Musik. Ich besorgte mir eine Mitfahrgelegenheit nach Berlin, Ronaldo gab mir die Adresse einer orthodoxen WG der PDS und an einem herrlichen Oktobermorgen machte mich auf den Weg..
Es war schon fast 10 Uhr nachts, als ich vor dem Plattenbau in Marzahn ankam und klingelte. Ich war nervös wie bei meinem ersten Staubsaugerverkauf. Doch dann fügte sich eins ins andere. Eine warme Frauenstimme erklang aus den Lamellen der Gegensprechanlage und bat mich nach oben. Ein freundliches Summen öffnete mir die Tür. Ich stieg hinauf in den fünften Stock. Oben erwartete mich - Sarah. „Willkommen, Genosse Wrangel. Schön, dass du da bist“. begrüsste sie mich. Das Leuchten in den dunklen Augen unter den sichelförmigen Brauen verhiess slawische Nächte an wendischen Lagerfeuern, ihre gerade Stirn, das straff zurückgekämmte Haar verriet Klarheit und Linientreue. Alle Bangigkeit verflog. Wir fassten sofort Vertrauen zueinander.
„Das da ist Holger“ sagte sie, als ich die Wohnung betrat. Ein bebrillter Enddreissiger ballte die Akademikerfaust zum Gruss „und der da hinten ist Gerd-Frederic.“ Aus dem Bad trat ein Mittzwanziger mit Gebetsriemen. „Und ich bin Petra“ rief mir eine pummelige Punklady mit Teller und Geschirrtuch in den Händen, aus der Küche zu.
Nach einer Tasse Kaffee trat ich kurz und schmerzlos in die PDS ein und schon am zweiten Abend nahm Sarah mich mit zur Ortsgruppe. Das war kein müder Seniorenverein mit Schalmeiengruppe, die Mitglieder gehörten alle zur Kommunistischen Plattform und waren gestählt im Kampf gegen die Reaktion.
Völlig ahnungslos war ich in marxistischen Dingen nicht. Ich hatte den Brezelstreik am Darmstädter Meumel-Gymnasium organisiert und später Mao-Bibeln und Guevara-T-Shirts verkauft, weil ich ein Mokick brauchte. Lange war das her. Um ein Haar wäre damals ich statt Joschka Fischer von der Schülerunion Hessen-Süd auf den Algerienkongress entsandt worden, aber mein Blinddarm musste raus. Ohne diesen Blinddarm sähe Deutschland heute anders aus. Ich musste bei meinem Blinddarm unwillkürlich an Edmund Stoiber denken. „Verpasste Chancen, Blinddarm und Jahrhundertflut“, dieser Titel hätte auf unser beider Biographie gepasst. Keiner wusste besser als ich, wie es in dem verhinderten Bayern aussah.
Die Versammlungen unserer Ortsgruppe fanden im Parteibüro, zwei Blöcke von unserer WG entfernt, statt. Sarah und ich waren an diesem Abend die ersten. Nach und nach trudelten die anderen ein, zuerst Petra, die Genossin aus unserer WG, sie hatte noch den Abwasch erledigt, dann Tanja, eine temperamentvolle Levantinerin im kleinen Schwarzen mit roter Stola und Netzstrümpfen. Mit einem zackigen „Rotfront!“ stürmte Jonny Doldenstaub ins Zimmer und setzte sich links neben mich. Dann erschien ein schlaksiger Typ um die Vierzig mit Schiebermütze und rissigem Gesicht in der Tür und knallte seine Aktentasche mit „Proletarischer Gruss!“ auf den Tisch. „Das ist Winfried Schuldturm-Kegelheim“, flüsterte Sarah mir zu. „er war Vorsitzender der VWKPD/IBMSAP (Vereinigte Wahre KPD /Im Bündnis Mit Sozialistischer Arbeiter-Partei), ehe er zu uns stiess.“ Ich schluckte trocken, kurz und andächtig. Meine Theoriedefizite fielen mir ein. Hinter Kegelheim tauchten Gerd-Frederic und Holger auf. Man sah allen an, hier wurde nicht gefackelt. Johnny meinte zu mir gewandt: „Wir sind das Dynamit unterm Hintern der Bourgeoisie!“. „Prima“ antwortete ich und hoffte im stillen, dass wir uns dort nicht allzu lange aufhielten.
Schliesslich tauchte Willi Dschugasch auf, unser Ortsgruppenleiter, ein Zwei-Zentner-Nilpferd im viel zu engen NVA-Parka. „Hoch die Internationale!“ brummte er. „Solidarität!“ kam im Chor die Antwort. Ich hängte noch ein „In Ewigkeit Amen“ hinterher, doch der erwartete Lacherfolg blieb aus.
Sarah stellte mich kurz vor, alle schüttelten mir die Hand oder klopften mir auf die Schulter, dann begann die politische Arbeit. Willi Dschugasch hielt ein Grundsatzreferat zum Thema „Die kapitalistische Dauerkrise und die sozialverräterischen Pläne der SPD-Führung“, dann meldete sich Schuldturm-Kegelheim zu Wort. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was er sagte, aber es war eine gute Zusammenfassung.
Schliesslich meldete sich Tanja Käsekreiner zu Wort und brandmarkte die völlige Verkommenheit der SPD. Nach einer gelungenen Passage ihres Vortrags, als sie eine Broschüre der Schröder-Partei in tausend Fetzen zerriss, ihre rote Stola zusammenknüllte und in den Staub warf, applaudierte ich auf offener Szene und gönnte mir, wie vom Parkstadion her gewohnt, einen Schluck Escorial aus dem Flachmann.
Das trug mir erste herbe Kritik ein. Mein Schluck aus der Pulle wurde von Willi Dschugasch als Linksabweichlertum und Proletkult gebrandmarkt. Betreten und schuldbewusst steckte ich den Flachmann weg. Prolet wollte ich keiner sein. Eines war klar, das hier war kein Bierzelt und kein Betverein, hier wehte ein scharfer revolutionärer Wind und ich nahm mir vor, ihn mit ganzer Disziplin zum Sturm auszuweiten.
Gegen 23 Uhr war die Sitzung zu Ende. Wir standen alle auf. Schlussgesang. Internationale.
Als ich nach diesem ersten politischen Abend im Bett lag, ging mir einiges durch den Kopf. Nichts gegen Willi Dschugasch und die anderen, aber was der PDS fehlte, waren knallharte Verkäufertypen. Die Parteimitglieder meinten allen Ernstes, die Kunden, sprich Ausgebeuteten, müssten zu ihnen auf Knien rutschen. Das war ein Irrtum. Die PDS, mein Sanierungsobjekt, war nicht die Deutsche Bahn. Die Sozialisten hatten kein Ticket-Monopol wie Mehdorn, sie mussten sich noch um die Menschen bemühen, aber ich hatte schon eine Idee, wie ich ihnen das beibringen wollte.
Glückskekse und Mutterwitz - Teil 2
Der erste Schritt in meinem Sanierungsplan waren ganz persönliche Vorkehrungen, die meine aufzubauende Autorität sichern sollten. Ich versteckte meine Perry-Rhodan-Bände unter dem Bett, sie hätten Sarah oder Holger vielleicht irritiert. Dann riss ich die Einlagen aus meinen Lieblings-CDs. „Santa Maria – Insel der Sehnsucht“ sowie „Träume nicht, Manuela“ und ersetzte sie durch selbstkopierte Beipackzettel mit der Aufschrift „Zupfgeigenhansel“ und „Hannes Wader“. Meine vertraute gute Musik hörte ich natürlich nur noch mit Kopfhörer. Ich wollte niemandem Anlass zur Besorgnis geben.
Die Dinge entwickelten sich sehr positiv, ich wuchs langsam in die Partei hinein.
Jeden Dienstag hatten wir politische Schulung, am Donnerstag Agit-Prop-Sitzung und am Freitag war organisatorisches Treffen mit Lagebesprechung. Am Samstag morgen stand ich mit Sarah vorm KdW, am Sonntag vor der Gedächtniskirche. Hinzu kamen Sondersitzungen, wenn die neue Bezirkszeitung herauskam oder Flugblätter zu Arbeitslosen-Aktionen erstellt wurden.
So vergingen die Tage.
Jeden Montag- und Mittwochabend weichte ich auf dem Fensterbrett meine Magnum-TOBLERONE in Escorial ein. Schokolade war bei den Sitzungen erlaubt. Wenn das Ganze die Nacht über gut durchtränkt war, härtete ich das Felsmassiv im WG- Kühlschrank. So gewappnet ging ich am Dienstag oder Donnerstag mit genügend Reserven in die politischen Debatten, ja, sie bekamen eine geradezu beschwingte Note. Wie Dominosteine reihte ich die inspirierten Matterhörner vor mir auf. Jedesmal wenn ich zu einer Replik ausholte, nahm ich mir ein Stückchen und legte los. Die Ideen der anderen und meine eigenen hörten sich, wenn ein kakaoumschlossenes Tröpfchen Escorial durch die Magenwände diffundierte, melodiöser an, sie bekamen den zarten Schmelz der Alpenwelt. Selbst die Ansprachen Willis und die Wortmeldungen von Winfried Schuldturm-Kegelheim klangen nach dem siebten oder achten Rippchen Toblerone-Escorial so enzianfrisch und nahezu erotisch wie die rätoromanischen Frühlingsgedichte von Bertie Jo Kallnischkies.
Meinen Lebensunterhalt verdiente ich mir nachts als Aushilfstankwart, hin und wieder kellnerte ich im „Zehlendorfer Adler“.
Nicht nur aus revolutionärem Vertriebseifer freute ich mich auf die politischen Abende, sondern auch weil ich dann immer neben Sarah sitzen durfte. Ihr kubanisches Parfum, die gestochen scharf getuschten Wimpern, das intransingente Rouge auf den Wangen, die granatenen Ohrringe, hielten mich auf revolutionärem Kurs und gaben mir das Gefühl: Es lohnt sich, in dieser Welt zu leben - und zu kämpfen, natürlich.
Schon am ersten Abend stutzte ich jedoch über Willi Dschugaschs Verhalten. Mir als ausgewiesenem Demokratieexperten fiel sofort auf, dass er die Sitzungen autoritär und nahezu kommunitätswidrig dominierte. Ausserdem erwies er sich als Hindernis für mein Sanierungsvorhaben und flirtete zuviel mit Tanja. Dagegen musste ich etwas tun, sollte die PDS nicht endgültig als Mauerblümchen verwelken.
Am dritten Abend, Dschugasch hatte gerade ein längeres Referat über die „PDS als Dach für Freiheit und Sozialismus“ beendet, meldete ich mich zu Wort. Ich rang mit den Händen und druckste herum. Dschugasch gab sich, noch emporgehoben von seiner eigenen Ansprache, jovial und gönnerhaft: „Genosse, nur keine Hemmungen, was ist?!“ „Ich trau mich nicht recht, es zu sagen, ich weiss nicht, ob meine Art von Kritik erlaubt ist.“ „Aber Genosse sicher, immer. Sie ist sogar erwünscht.“ „Auch harte Kritik?“ schnaufte ich beklommen. „Natürlich im Unterschied zu den anderen Parteien, herrscht hier echte Demokratie, Gleichheit, Toleranz, Frieden, Solidarität, Respekt und Sozialismus.“ „Na gut, ich sags, also manchmal, ich meine, so ganz manchmal, komm ich mir hier vor wie auf ner FOCUS-Redaktionssitzung. Ihr kennt ja alle den Werbe-Spot aus dem Fernsehen mit dem fetten Markwort, das ist der mit dem Doppelkinn. Der FOCUS-Boss sagt irgendwas und alle Redaktionswürstchen plappern das gleiche mit ihren eigenen Worten nach.“ Stille trat ein. Ich spürte wie die Betroffenheit die Wände hochkroch und versuchte die Schärfe aus meiner Kritik zu nehmen. „Also das mit dem Doppelkinn sollte keine persönliche Kritik an dir sein, Genosse Dschugasch, Übergewicht hat in dieser Debatte überhaupt nichts zu suchen, mir fiel das Bild nur ganz spontan ein, ich weiss auch nicht warum, vielleicht nur wegen dem Doppelkinn. Es geht mir auf jeden Fall einzig und allein um die Art der Diskussionsführung. Ganz objektiv und neutral.“ Eine leichte Röte stieg auf in Willis Gesicht. Gerade die rauhesten Gestalten der Arbeiterklasse hatten doch einen sehr weichen Kern. Niemand sagte mehr viel zum Thema und die Sitzung war rasch zu Ende.
Zuhause angekommen waren meine Wohungsgenossen erstaunlich ausgelassen und heiter, so als hätte mein Auftritt irgendeinen dunklen Bann gebrochen. Auf jeden Fall diskutierten Holger Schmaus und Gerd-Frederic Lummerland sehr offen und intensiv relgiöse Themen, was bisher nicht vorgekommen war. Wie sich im Gespräch herausstellte, schrieb Lummerland an einem Opus zum revolutionären Impetus in der Torah und Schmaus an einer Enzyklopädie atheistischer Denker. Die zwei beharkten sich wie Naphta und Settembrini aus dem Zauberberg. „Sag mal Wrangel, du bist so still, wie hältst du es eigentlich mit Gott?“ meinte Gerd-Frederic schliesslich. Ich stand schweigend auf, ging in mein Zimmer, kramte in meiner Sporttasche und kam mit drei Muscheln und zwei schmalen Traktätchen wieder zurück. „Ich war mal als KBW-Reiseleiter auf Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela unterwegs“ begann ich. „Was? Der KBW hat Pilgerfahrten organisiert?!!“ rief Holger aus. „Er meint das Katholische Bibelwerk.“ klärte Gerd-Frederic ihn auf. „Ja, und von den Pilgerfahrten hab ich mir ein paar Jakobsmuscheln mitgenommen.“ „Ah ja“ meinten beide unisono. „Damals sagte mir ein Franziskanermönch, man sollte mehr mit Gott reden und weniger über ihn.“ Ich nahm die grosse Muschel an mein Ohr und lauschte. „Ja, wenn du meinst .. gut ich glaube, du hast wieder mal recht...“ sagte ich nach einer Weile. „Hä?“ machte Schmaus und sah mich entgeistert an.. „Er hat gemeint: ‚Ludwig geh jetzt lieber ins Bett!‘ “ erklärte ich mein seltsames Verhalten. „Ludwig?“ rätselte Gerd-Frederic. „Ich dachte, du heisst Wsewolod?“ „Er hat mich mit Wittgenstein verwechselt.“ Ich stand auf und verschwand mit einem „Gute Nacht“ in mein Zimmer, liess aber die beiden kleinen Muscheln und die beiden Exemplare meiner selbstverfassten Broschüre: „Gott hebt ab!“ zurück.
Am nächsten Abend brach ich eine Debatte über die Arbeitslosen-Agitation der Ortsgruppe vom Zaun. Und das kam so. Die Genossen waren ratlos, warum nur zwei von rund 10000 gemeldeten Arbeitslosen im Bezirk zu ihrem Treffen gefunden hatten, wo sie doch wochenlang agitiert, Tausende von Flugblättern und zwei Sonderausgaben ihrer Arbeitslosen-Zeitung unters Volk geworfen hatten. Ich sah mir die Dinger mal an - schliesslich war ich 4 Monate lang Marketing-Chef von „Lady Shave“ gewesen - und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Das durfte nicht wahr sein!
Sie hatten das Ding „Arbeitslosenzeitung“ genannt! Ohne Witz: „Ar-beits-lo-sen-zei-tung!“ Dass ihnen das Blatt keiner aus den Händen riss, war klar und wem sie es dennoch aufgenötigt hatten, der hatte es bestimmt verschämt in die Hosentasche gesteckt.
Dann die Beiträge. Schon der Leitartikel verströmte Moder und Katakombenluft. Ich sammelte mich innerlich, denn ich wollte ja niemandem wehtun, dann legte ich los. „Passt mal auf, Jungs und Mädels, ich meine Genossinnen und Genossen! So haut das nicht hin und es ist auch sonnenklar, warum.“ „So, warum denn?“ Petras Frageton klang lauernd. „Die ganzen Aritkel strotzen ja nur so von Wörtern wie Streichung, Ausbildungskrise, Sozialraub, Kahlschlag, Demontage - alles negative Begriffe. Kein Zipfelchen Sonne, kein positiver Held – nichts. Wer vorher noch nicht depressiv war, der wird es beim Lesen. Man könnte meinen, ihr habt bei der CDU abgeschrieben.“
Dschugasch schwieg. Er haderte anscheinend noch über sein Markwortsches Doppelkinn und liess mir freie Hand.
Tanja Käsekreiner hingegen, die die meisten Artikel verfasst hatte, wurde allmählich stinkig. „Genosse, das ist die Realität, die knallharte Realität! Hast du das noch nicht kapiert?“ „Liebe Genossin!“ zwitscherte ich „Die Leute draussen und ich wissen selbst Bescheid, was Realität ist und wie trostlos sie aussieht. Wenn aber die Realität so besch... eiden ist, muss ich sie nicht endlos wiederkäuen und ihnen das Ergebnis noch in die Hand drücken. Dadurch wird nichts besser. Wer den Patienten im Wartezimmer beim Zahnarzt Fotoserien von Kieferoperationen auf den Tisch legt, wird sich keine Freunde machen. Das Ende vom Lied ist, die Leute halten uns für Stimmungskiller und suchen das Weite, wenn die PDS naht.“ Ich nahm mir eins von meinen Matterhörnern und steckte es in den Mund,
„Und – was schlägst du uns denn Tolles vor?“ fragte Jonny reichlich aufmüpfig.
„Erstens darf das Ding nicht Arbeitslosenzeitung oder Arbeitlosen-Info heissen, sondern zum Beispiel „Jetzt geht’s loooos!“, „BOMBENJOB!“ oder „Her mit den Scheinchen!“, dann gehört da vorn ne Karikatur drauf, aber keine fromme, sondern ne pfiffige, professionelle. Die Leute, die da stundenlang auf dem Arbeitsamt herumhocken müssen, brauchen erstmal was zum Lachen. Nur wer über die Mächtigen lachen kann, hat den Mut sie abzuschaffen. Ihr müsst ein intelligentes Quiz reinsetzen, wos was zu gewinnen gibt, zum Beispiel ein Candle-Light-Dinner mit Tanja, Sarah, oder – naja - Petra. Das gehört rein, damit sie erst mal anfangen zu lesen. Dann brauchen wir im Mittelteil ne Menge Sport mit Erlebnisberichten von alten Spielen und Siegen, so wie beim 3:2 gegen England in Mexiko. Drumherum rankt man Geschichte und wirtschaftliche Daten. Lest mal Galeanos „Der Ball ist rund“!. Dann auf der letzen Seite was zum Nachdenken, Wissenschaft mit Schwarzen Löchern, damit man auch mal über den tristen Tellerrand hinaussieht und maximal ne halbe Seite Politik. Und immer immer eine Einladung zu ner Fete. Die neue PDS feiert immer! Prinzipiell!. Egal was passiert. So wie die Schalker auch.“
Tanja unterbrach mich: „Deine Vorschläge sind doch purer Boulevard. Opium fürs Volk. Wir brauchen nicht noch mehr Verblödung, sondern Aufklärung.“
„Die Menschen sind seit Langhans, Kolle und Co mehr als nur aufgeklärt. Über-aufgeklärt sind die. Bis zur Halskrause sind die aufgeklärt. Jeden Tag kommt irgendein Klugxxxxxer, Scholl-Latour oder Bribbelbra daher und klärt sie auf.“ Dschugasch begann sich zu regen und hob die Hand. Ich erstickte die Renitenz des Funktionärs im Keim und fuhr fort: „Und was ist die Folge dieser permanenten Bevormundung? Die Menschen stopfen sich mit Schokolade voll und sterben an Übergewicht.“ Dschugasch liess mit unhörbarem Seufzer die Hand wieder sinken und ich machte unbeirrt weiter: „Was die Menschen brauchen, ist ne Harke, keine neuen Oberlehrer. Und was sie noch mehr brauchen, ist Schwung. Schwung, Musik und nicht Askese. Heute fangen wir an zu leben. Das ist Sozialismus.“
Ich kam in Fahrt.
Schuldturm-Kegelheim notierte alles, was ich sagte. Nur Tanja leistete noch offenen Widerstand. Irgendwann hatte sie ein Laster mit arabischem Nummernschild angefahren und seither war jeder, der ihr widersprach, ein Antisemit. Aber den Giftzahn zog ich ihr, bevor sie damit zubeissen konnte.
Sie funkelte mich an und wollte mir in die Parade fahren. Aber ich war vorbereitet. Ohne Punkt und Komma übergoss ich sie mit meinen Ausführungen.
„Man merkt es an allen Ecken und Enden. In Deutschland wurde mit den jüdischen Menschen auch der jüdische Humor ausgerottet. Tucholsky nahm sich aus Verzweiflung über den humorlosen Sozialismus das Leben. Walter Benjamin ist letztlich am mangelnden Esprit der Linken zugrunde gegangen. Man verwechselt in den deutschen politischen Zirkeln von links bis rechts Satire immer noch mit Scherzchenmachen. Nur ein Sozialismus mit jüdischem Mutterwitz von Heinrich Heinescher Heiterkeit hat Lebenskraft, verdient überhaupt den Namen „Sozialismus“, und das müssen wir den Menschen vor-LEBEN, nicht vorlabern.“
Das Funkeln in Tanjas Augen verwandelte sich bei meinen Worten in ein Staunen, dann Schimmern, sie presste die Augen zusammen wie eine schnurrende Katze und als sie sie wieder öffnete, sah sie mich wie ein Lämmchen mit tollkirschengrossen Pupillen gehorsam und erwartungsvoll an. „Kämpferisch wie Moses, musikalisch wie David und verständnisvoll wie Jesus. Das ist das menschliche Antlitz des Sozialismus!“ Tanja schmolz dahin, ich hörte wie ihr Götze Nietzsche vom Sockel fiel und am Boden zersprang, Gerd-Frederic rief „Bravo!“, Holger nickte, Sarah streifte meine Hand, Dschugasch war in sich zusammengesunken, nur Schuldturm-Kegelheim stenografierte eisig mit.
Ich holte zum letzten Schlag aus. „Wenn jemand am Ende ist, dann zeigt man ihm keine Bilder vom Elend der Welt oder liest ihm die Honecker-Memoiren vor! Das macht trüb-sin-nig und das ist re-ak-tio-när!“ Sie hatten in ihrer letzten Arbeitslosenzeitung tatsächlich einen Auszug aus Margot Honeckers Memoiren abgedruckt. Ich holte tief Luft. „Wer weiter schlechte Laune verbreiten will, der kann sein Bündel schnüren und zur CDU abwandern. Dort passt er hin!“ Wie Gottvater zeigte ich mit dem Finger auf die Tür, aber keiner wollte das Paradies der PDS verlassen. „Der Grufthauch muss raus aus unsern Schriften!“ rief ich aus und setzte mich.
Bravorufe, fast alle klopften auf die Tische, einige klatschten sogar Beifall.
Sarah warf mir einen bewundernden Blick zu. Das bestärkte mich.
Sofort legte ich nach und machte konkrete Aktionsvorschläge. „Tanz in den Mai vor der Gedächtniskirche“, „Song Contest vorm Arbeitsamt“ und am Wochenende sollte es eine „Fiesta Hexicana“ auf dem Rasen vor den Platten geben. Alles ohne polizeiliche Anmeldung und langes Larifari. Als mir Dschugasch widersprechen wollte, sagte ich nur „Bahnsteigkarte!“ und er verstummte. Sie wussten, was ich meinte.
Alle stimmten zu, nur Dschugasch enthielt sich der Stimme und Schuldturm-Kegelheim war sowieso gegen alles, was zu phantasievoll oder erfolgversprechend aussah.
Ich hatte die erste wichtige Sanierungsschlacht gewonnen. Zuhause angekommen machten wir uns sofort an die Arbeit. Petra und Sarah durften Glückskekse backen und Transparente bügeln für den Sonntag vor der Gedächtniskirche. Gerd-Frederic und Holger sorgten für den Inhalt, Holger für die Marx-, Gerd-Frederic für die Bibel-Zitate. Ich suchte in den Gelben Seiten und im Internet nach einer Karaoke-Maschine.
Am nächsten Sonntag vor der Gedächtniskirche rissen uns die Kirchenbesucher die Glückskekse wie warme Semmeln aus den Händen. Manche merkten leider zu spät, dass die Kekse revolutionäre Sinnsprüche enthielten, aber das machte nichts, das von uns verwendete Papier haftete an praktisch keinem Zahnersatz. Nach dem Gottesdienst drehten wir die Musik auf.
„Du bist nicht allein, wenn du kämpfst um die Miete Du bist nicht allein, wenn du träumst von der Rente“ hauchte ich voll Zärtlichkeit ins Mikro und ging auf die alten Damen zu. Ich schnappte mir eine und tanzte ein paar Walzerschritte mit ihr. Sie spürten instinktiv: Wer Glückskekse verteilte, konnte kein schlechter Mensch sein.
„Du bist nicht allein, denn die PDS steht hinter Dir ! Oh Darling, du bist nicht allein, denn wir stehn hinter dir.“ Sie war gerührt und steckte Sarah 10 Euro zu.
„Sie sind doch der Peter Alexander?“ meinte eine robustere, so um die 80 und kam mit Zettel und Kuli auf mich zu. „Ja, der vom Alexanderplatz“ gab ich ihr Recht und einen Kuss auf die Wange und wir tanzten hinüber zu Holger und Petra. Dort tauschten wir die Unterschriften aus.
Gelt, ihr seid von der CSU!?“ meinte die Freundin meiner Tanzpartnerin, als wir zurückkehrten. „Nur die Bayern können so feiern.“ „Ja“, sagte ich, „wir sind die CSU des Ostens, bitte unterschreiben auch Sie.“ „Tanzen sie dann auch einmal mit mir?“ fragte sie. „Klar“ sagte ich. Sie unterschrieb und wir tanzten. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, wegen dem, was ich ihr gesagt hatte, denn die CSU stand ohnehin links von CDU und SPD und würde irgendwann mit uns fusionieren.
Eine andere meinte: „Sie sind bestimmt Roland Kaiser.“ „Nein, liebe Dame, ich bin Roy Black“ gab ich zur Antwort.. „Aber der ist doch schon lange tot!“ rief sie aus. „Pssssssst!“ machte ich, schaute mich verschwörerisch nach allen Seiten um und entführte die Zweifelnde mit der Gerhard-Wendtland-Weise „Tanze mit mir in den Morgen...“ Im Tangoschritt gings zum Unterschreiben. Als ihr Mann, ein Herr in den 70ern, der sie suchte, sie endlich entdeckt hatte und sie mit den Worten „Berta, das sind doch Kommunisten!“ von mir wegzog, war es zu spät. Hinter seinem Rücken winkte sie mir noch ein letztes Mal zu.
An diesem Sonntag brachen wir im Westen der Stadt eine Bresche in die Rentnerfront der CDU.
Auch vor dem Arbeitsamt hatten wir am darauffolgenden Montag einen Bombenerfolg. Wir veranstalteten einen Song Contest mit leicht umgedichteten Schlagern wie „Du bist reif für die Insel!“ Gemeint war Schröder. Unsere Plakate waren da eindeutig.
Als Preise winkten den Gewinnern drei Hertha-Abos in der Ostkurve. Tanja und ich traten im Outfit von Icke und Tanja Turner auf und nahmen bei den härteren Songs die Kandidaten in die Mitte. Der erste und mutigste war Spike. Er liess es brummen mit „Arrividerci Hans!“ Wir blendeten Eichel dazu ein. „Arrividerci, Hans, das war der letzte Tanz ...!“ Gute Laune kam auf. Am Ende schrien alle Arrividerci. Als zweiter sang Klleroz vom Taxistand „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ Für die Softsongs und Zartbesaiteteren war Sarah zuständig, für die Punks Petra. Dann kam Ulf der Hammer auf die Bühne und sang das Lied „Wir lagen vor Madagaskar und hatten den Gerd an Bord!“ So ging es Schlag auf Schlag. Die Stimmung war grossartig, sogar die Arbeitsamtstanten kamen aus ihren Kabuffs und klatschten Beifall. Ein paar Frauen mit Kindern hatten sich direkt vor unserer kleinen Bühne aufgestellt und ihre Kleinen auf die Schulter genommen. „Was macht denn der Onkel da? „ fragte eine Dreijährige ihre Mutter „Revolution, Vera!“ antwortete die kluge Mama.
„Wir alle sind das Volk und keine Weihnachtsgänse!“ rief ich ins Mikro. Und jetzt singt Niko das Lied „He, He Gerd, wo ist mein Geld!“
Eine Omi, die mich von der Gedächtniskirche her kannte, drängelte sich nach vorn, ich entdeckte sie und hievte sie samt ihrem Einkaufsnetz auf die Bühne: „Herr Black, ich finde das ist richtig gut, was sie da machen. Bravo!“
Niko sang und alle sangen mit. Es gab einen richtigen Auflauf vor dem Arbeitsamt, aus dem Einkaufszentrum nebenan, aus den Arztpraxen und Apotheken strömten die Leute herbei, die Ideen sprühten. Von der Imbissbude nebenan stiessen ein paar Penner zu uns und brachten ihre halbleeren Dosen mit.
Ich sagte jeder, der mitsingt kriegt ne Büchse Bier von der PDS und wenn wir die ausgetrunken haben, dann hängen wir , -jeder von uns -, die Büchse ans Fahrrad, Auto oder Dreirad und ziehn vors Kanzleramt.
Ich machte klar, was ich von Schröder hielt und zerdrückte eine davon.
Spike bot sofort die Hilfe seiner Motorradgang an und Klleroz vom Taxistand sagte, seine Kumpels seien bereit. Ulf, der Hammer schrie ins Mikro: „Wir brauchen Panzer!“ aber als alter Gandhi-Fan beruhigte ich die Gemüter: „Er erst mal versuchen wirs mit leeren Dosen, die schmeissen wir den Verbrechern im Kanzleramt vor die Füsse. Und wenn wir mit Schröder fertig sind, dann ist die CDU dran, denn die wollen uns genau so ausnehmen.“ Alles schrie „Jawoll!“ und jubelte. „Weg mit den Verbrechern!“ Nur einige zauderliche Genossen aus der PDS, die ödesten aller öden Langweiler wie Dschugasch und Schuldturm-Kegelheim, wollten uns noch mit so lächerlichen Einwänden wie „Das schadet der Partei“ oder „Das ist ungesetzlich!“ zurückhalten. Ich wischte ihre Einwände weg. „Rentenklau und Wahlbetrug sind ungesetzlich, nicht, was wir hier machen. Wir lassen uns nicht bis 70 versklaven! Und ansonsten sag ich euch bloss eins: Bahnsteigkarte. Ich nehm die fünfzig, ihr nicht mal die 5-Prozent-Hürde!“ Tanja stand voll auf hinter mir. Sie war in ihrem Element und brachte auf ihre Art die Volksseele zum Kochen. Unter dem Johlen der Menge riss sie sich ihr weisses Brusttuch vom Leib, schrieb mit dickem Filzstift „Stoppt die Plünderer!“ auf den Stoff und hielt die Losung in die Menge. Spontan rissen die aktivsten unter unseren Zuhörern die Arbeitsmarktplakate in den Wartesälen von den Wänden und schrieben unsere Parolen auf die Rückseite. „Plünders.chweine, haut ab!“ „Gerd, wo ist unser Geld!“ „Arrividerci, Hans!“ Eine Verrrückte, die alle nur „Ilse“ nannten, hatte Aktenstapel aus den Büros des Arbeitsamts entwendet und zündete sie unter dem Beifall der Menge auf der Strasse an. Es war wie beim Sturm auf die Stasi.
Als wir eben mit „Oh When the Saints go marching in“ zum Kanzleramt losmarschieren wollten, hörten wir vom Ende der Strasse her das hässliche Lalü der Polizeifahrzeuge...
Irrtümer haben ihren Wert, jedoch nur hier und da, Nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika. (E.K.)
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