|
|
Freies Politikforum für Demokraten und Anarchisten
PLATTFORM FÜR LINKE GEGENÖFFENTLICHKEITEN
Beiträge können nicht (mehr) eingestellt oder kommentiert werden!
|
|
|
|
|
Anfang
zurück
weiter
Ende
|
Autor |
Beitrag |
Baba Yaga
|
Erstellt: 21.09.03, 12:53 Betreff: Tucholsky: "Der Verkehr"
drucken
Thema drucken weiterempfehlen
|
|
|
Typenbeschreibung oder Karikaturenparade?
Der Verkehr
(...) Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um recht zu haben. Dem Polizisten gegenüber; dem Fußgänger gegenüber, der es übrigens ebenso treibt - und vor allem dem fahrenden Nachbar gegenüber. Rücksicht nehmen? um die entscheidende Spur nachgeben? auflockern? nett sein, weil das praktischer ist? Na, das war ja... Es gibt bereits Frageecken in den großen Zeitungen, wo im vollen Ernst Situationen aus dem Straßenleben beschrieben werden, damit nun nachher wenigstens theoretisch die einzig "richtige Lösung gestellt" werden kann - man kann das in keine andere Sprache übersetzen. Als ob es eine solche Lösung gäbe! Als ob es nicht immer, von den paar groben Fällen abgesehen, auf die weiche Nachgiebigkeit, auf die Geschicklichkeit, auf die Geistesgegenwart ankäme, eben auf das Runde, und nicht auf das Viereckige! Aber nichts davon. Mit einer Sturheit, die geradezu von einem Kasernenhof importiert erscheint, fährt Wagen gegen Wagen, weil er das "Vorfahrrecht" hat; brüllen sich die Leute an, statt sich entgegenzukommen - sie haben ja alle so recht! Als Oberster kommt dann der Polizeimann dazu, und vor dem haben sie alle unrecht.
Die feinen Leute in Berlin sind sehr stolz darauf, dass die "beliebtesten" Polizisten zu Weihnachten von den Autofahrern so viel Geschenke bekommen, wie die für arme Kinder niemals übrig hätten - wieviel Anmeierei ist darin, Untertanenhaftigkeit, Feigheit, Angst und Anerkennung der Obrigkeit; denn Ordnung muß sein, und anders können sie sich Ordnung nicht vorstellen.
Es ist keine Ordnung. Es ist organisierte Rüpelei.
Daher ihre völlige Ohnmacht, wenn sie in Paris fahren sollen, wo die Fahrer einen einzigen Strom bilden, im dem jeder falsche Individualismus völlig verschwindet, in dem es wenig Regeln, aber sehr viel Entgegenkommen gibt, sehr viel Rücksicht auf den Fußgänger, sehr viel Fluidum zwischen den Fahrenden - kurz, trotz aller Polizeivorschriften des eifrigen Herrn Chiappe, lauter Dinge, die nicht in den Lehrbüchern stehen. Wie kommt das -?
Das kommt daher, dass die Deutschen sich einbilden, man könne eine Sache zu Ende organisieren. Das kann man eben nicht. Man kann eben nicht alles kodifizieren, vorher bestimmen, ein für allemal voraussehen, alle jemals vorkommenden Lagen bedenken, sie "regeln" und dann keinen Einspruch mehr gelten lassen... so sieht die Justiz dieses Landes aus, und sie ist auch danach. Auf den Straßen aber ergibt sich das groteske Zerrbild, dass der Fußgänger der Feind des Autos ist, das er neidisch und verächtlich ignoriert - er wird es den Brüdern schon zeigen -; der Fahrer Feind des Fußgängers - wo ick fahre, da fahre ick - ums Verrecken bremst er nicht vorsichtig ab, fährt nicht um den Fußgänger herum, weil "der ja ausweichen kann"... und aller Feind ist der regelnde Mann: der Polizist.
Das Ideal dieses Verkehrs sieht so aus, dass vom Brandenburger Tor herunter alle Städte des Reichs durch einen Reichsverkehrswart geregelt werden, überall hat zu gleicher Zeit ein grünes Licht aufzuleuchten, und gehorsam und scharf anfahrend, setzen sich 63 657 Wagen in Fahrt. Das wäre ein Fest...
Schade, dass es nicht geht. Aber er ist auch so schon ganz hübsch, der deutsche Verkehr. Man fährt am besten um ihn herum.
(aus K.T. Gesammelte Werke, rowohlt, Hamburg 1960)
[editiert: 21.09.03, 13:01 von Baba Yaga]
|
|
nach oben |
|
|
bjk
Beiträge: 7353 Ort: Berlin
|
Erstellt: 30.09.03, 07:02 Betreff: in der Weimarer Republik gab's noch mehr Vergnügliches
drucken
weiterempfehlen
|
|
|
zitiert aus: http://www.erich-schairer.de/maa/kap007.html
Wir Nörgler
Eines schönen Abends, mitten in der Uraufführung eines Stückes, das er herrlich zu verreißen gedachte, traf den angesehenen Kritiker Theobald Tatüterich ein sanfter Schlag. Pfeilgerade, direkt durch den elektrischen Kronleuchter über seinem Platz, fuhr die arme Seele gen Himmel und stand vor Gottes Thron.
"Was", so lautete gleich die erste Frage, "hast du nun eigentlich geschaffen, mein Sohn?" Ja, das war nun eine Frage, die man drunten auf Erden Tatüterich schon öfter vorgelegt hatte, und die Antwort darauf wußte er auch gleich. "Soll das heißen," erwiderte er reichlich bissig für diesen Ort, "daß wir Kritiker etwa nicht schöpferisch seien?" "Bitte", meinte der gütige Greis, "ich wollte dich nicht kränken, aber nun schaffe mir mal — z. B. eine Maus."
"Dies gerade", kam es noch gereizter zurück, "ist nicht meine Art zu schaffen, aber ich kann dir dafür sagen, was du an dem Kamel da drüben gründlich falsch gemacht . . ." Aber da blitzte, da donnerte es schon, und die letzten Spuren von Tatüterichs Überresten lassen sich heute nur noch mit den feinsten astronomischen Methoden auf der Milchstraße nachweisen.
und weiter geht's in http://www.erich-schairer.de/maa/kap007.html
schmunzelt bjk
Reife ist schärfer zu trennen und inniger zu verbinden
|
|
nach oben |
|
|
Baba Yaga
|
Erstellt: 10.10.03, 00:25 Betreff: Tucholsky so zeitgemäß: LIED VOM KOMPROMIß
drucken
weiterempfehlen
|
|
|
LIED VOM KOMPROMIß Manche tanzen manchmal wohl ein Tänzchen immer um den heißen Brei herum. Schweine mit dem kleinen Ringelschwänzchen brüllen mit erschrecklichem Gebrumm. Freundlich schaun die Schwarzen und die Roten, die sich früher feindlich oft bedrohten. Jeder wartet, wer zuerst es wagt, bis der eine zu dem anderen sagt:
Schließen wir 'nen kleinen Kompromiß davon hat man keine Kümmernis, einerseits und andererseits so ein Ding hat manchen Reiz. Sein Erfolg in Deutschland ist gewiß schließen wir' nen kleinen Kompromiß.
Seit November klingt nun dies Gavottchen. Früher tanzte man die Carmagnol. Doch Germania, dies Erzkokottchen, wünscht, daß diesen Tanz der Teufel hol. Rechts wird ganz wie früher lang gefackelt, links kommt Papa Ebert angewackelt. Wasch den Pelz, doch mach mich bloß nicht naß. Und man sagt: Du Ebert, weißt du was?
Schließen wir 'nen kleinen Kompromiß davon hat man keine Kümmernis, einerseits und andererseits so ein Ding hat manchen Reiz. Sein Erfolg in Deutschland ist gewiß schließen wir' nen kleinen Kompromiß.
Seit November tanzt man Menuettchen wo man schlagen, brennen, stürzen sollt‘:. Heiter liegt der Bürger in dem Bettchen, die Regierung säuselt gar so hold. Sind die alten Herrn auch rot bebändert, deshalb hat sich nichts bei uns geändert. Kommt’:s, daß Ebert mal nach Holland geht spricht er dort zu einer Majestät:
Schließen wir 'nen kleinen Kompromiß davon hat man keine Kümmernis, einerseits und andererseits so ein Ding hat manchen Reiz. Und durch Deutschland geht ein tiefer Riß dafür gibt es keinen Kompromiß.
|
|
nach oben |
|
|
|
powered by carookee.com - eigenes profi-forum kostenlos
Layout © subBlue design
|