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»Ich will da sein«

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 18.06.08, 06:36  Betreff: »Ich will da sein«  drucken  weiterempfehlen

kopiert aus: http://www.neues-deutschland.de/artikel/130529.lebensblut-im-sande.html



»Lebensblut im Sande«

Ein Dokumentarfilm über Jenny Gröllmann: »Ich will da sein«


Von Gunnar Decker


Es macht so hilflos. Da urteilt im April dieses Jahres ein Gericht, Jenny Gröllmann darf nicht als »IM« bezeichnet werden und tags darauf schreibt der »Tagesspiegel«, die Schauspielerin sei »von ihrer Vergangenheit eingeholt« worden. Da wird jemand denunziert, nachgewiesener Maßen zu Unrecht, aber die Vergangenheit holt ihn trotzdem ein. Da soll jemand die Rolle des Täters spielen, aber die Schuldfrage spielt keine Rolle dabei. Was ist das für eine üble Inszenierung?

Ich denke an Hölderlins »Hyperion«, in dem es über die Deutschen heißt: »... ich kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen. Herrn und Knechte, Junge und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Gliedmaßen zerstückelt untereinanderliegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?« Ein Schlachtfeld, auf dem keine Sieger zurückbleiben, nur Besiegte. Ein sinnloser Krieg, in dem es längst nicht mehr darum geht, die Wahrheit herauszufinden.

Dabei, welch großartiges Paar waren sie, Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann in Herrmann Zschoches »Hälfte des Lebens« von 1984. Hölderlin er, Susette Gontard sie. Eine unlebbare Liebe. Privat trennte sich das Ehepaar nach der Wende – und ein Ex-Ehemann ist wahrscheinlich nicht der beste Zeuge für seine vormalige Ehefrau. Das aber ist privat, das sollte uns gar nichts angehen – doch dann war der Vorwurf in der Welt, vorangestoßen von der Bugwelle, die Henckel von Donnersmarcks »Das Leben der anderen« machte: Jenny Gröllmann sei IM der Staatssicherheit gewesen. Mühe hatte diese Auskunft von der Birthler-Behörde bekommen und ihr geglaubt. Jenny Gröllmann, schwer krebskrank, kämpfte die letzten Monate ihre Lebens um ihren Ruf. Fast zwei Jahre nach ihrem Tod bekam sie recht vor Gericht. Da war auch Ulrich Mühe beinahe schon ein Jahr tot. Für Mühe, den ich als nachdenklichen, zurückhaltenden, fast scheuen Menschen kennenlernte, muss es eine furchtbare Vorstellung gewesen sein, er könnte einen falschen Verdacht in die Welt gesetzt haben ...

Man hoffte, die Erschütterung über den Tod dieser zwei Menschen hätte die Absurdität der herrschenden Verdächtigungsunkultur jedem vor Augen geführt. Falsch! Die Vergangenheit habe Jenny Gröllmann eingeholt, lesen wir. Vorurteile, egal wie sie in die Welt kamen, erweisen sich als haltbar. Und versuche einmal einer sich selbst gegen ungerechte Vorwürfe zu verteidigen! Er steht am Ende in immer neue Widersprüche verstrickt da, verdächtig für die mit dem »blauen Blick der Gerechten«, wie Volker Braun diesen nicht aussterbenden Typus Mensch in anderem Zusammenhang einmal nannte. Der Mensch in den Apparat gestürzt, der Verdächtigungen reproduziert, hat keine Chance. Wie er lebte, was er tat, alles egal – Hauptsache das simple Opfer-Täter-Schema bleibt intakt, damit lässt sich die Welt so schön übersichtlich aufteilen. Es ist zum Schreien und oft auch zum Speien! Oder wie es Henry Hübchen markant formuliert: Das Fatale an dem, was die »Journaille so in den Äther pinkelt«, sei der üble Geruch, der bleibt.

Petra Weisenburger, in Karlsruhe geboren, erzählt mit ihrem Film »Ich will da sein« Jenny Gröllmanns Leben auf andere Weise. Nicht als »Fall«, der sich aus der Rekonstruktion dubioser Akten ergibt, nicht sich selbst als Instanz einsetzend, um zu richten – sondern in der Hinwendung zu einem Menschen, für den man sich interessiert. Betont subjektiv, die eigene Sympathie dabei nicht verbergend. Zwei Jahre vor ihrem Tod begann die Regisseurin die Freundin mit der Kamera zu begleiten, mit ihr über ihr Leben zu sprechen, über ihre Filme, ihren Zorn, ihre Liebe, den Tod. Jenny Gröllmann wusste da schon, dass sie bald sterben würde.

Die erste Szene des Films zeigt die Beerdigung Jenny Gröllmanns. Was folgt, wird zur Rückblende auf ein reiches Leben. Filmszenen, Gespräche mit ihr und Freunden – Männer, die sie einst liebte und die heute noch mit Liebe von ihr sprechen. Das ist nicht distanziert, nicht objektiv erzählt. Soll man das dem Film vorwerfen? Nein, man soll es nicht, denn was wir so erfahren, ist nur in einer Atmosphäre der Zuwendung erzählbar. Eine Frau, die Männer beeindruckte, die sich schnell verliebte. Jaecki Schwarz, ihr Partner in Konrad Wolfs »Ich war neunzehn« sagt, sie trat nie auf, »sie erschien«. Michael Gwiskek nennt sie eine Mischung aus »Biene Maja« und der »Inkarnation der Sünde«

Mit Uwe Kockisch, ihrem Kollegen vom Gorki-Theater, und Michael Gwisdek drehte sie einen ungewöhnlichen Film: »Dein unbekannter Bruder« (1981) von Ulrich Weiß, dem großen Regietalent der DEFA. »Kennt heute kein Mensch mehr«, beklagen sie, eine vergessene DEFA-Kostbarkeit. Eine Geschichte aus dem kommunistischen Untergrundkampf gegen die Nazis, Kollaborateur inklusive. Ein Politikum, weil der Verräter in den eigenen Reihen nicht dem Selbstbild der Politbürokraten entsprach. Ulrich Weiß wurde bei der Kampagne gegen ihn und seinen Film psychisch so beschädigt, dass er nie mehr einen Film drehen konnte. So scheinen immer die gleichen Mechanismen der Menschenzerstörung am Werk zu sein.

Jenny Gröllmann ist selbst das Kind zweier Kommunisten. Ihr Vater Otto Gröllmann war Bühnenbildner am Hamburger Thalia Theater und saß bei den Nazis nach Folter und KZ schon in der Todeszelle, als er nach einem Bombenangriff fliehen konnte. Gründe, Denunzianten zu verachten, gab es in der Familie viele. Ein Maßstab für persönliche Integrität waren ihr die Eltern immer – doch selbst war sie nie in einer Partei. Diese Frau, das ist klar, war zu allererst Künstlerin und liebende Frau – keine Dienerin einer Ideologie. Die einfachen Erklärungen sind eben fast immer die falschen.

»Ich will da sein« zeigt eine sterbende Frau, die ihren Optimismus und ihre Lust am Leben bis zum Schluss verteidigt. Als wir sie bei der von ihr mit großer Liebe zum schönen Detail vorbereiteten Hochzeit mit ihrem letzten Mann, dem Szenenbildner Claus Jürgen Pfeiffer sehen, sagt sie: Schade, dass er bald schon Witwer werden wird. Und als die Vorwürfe gegen sie von Leuten laut wurden, die sie gar nicht kannten, spürt sie die Metastasen in sich wachsen.

Nein, keine Abrechnung mit Ulrich Mühe oder der Birthler-Behörde, trotz aller Bitterkeit nicht, es ist kein neues Aufrechnen von Schuld. Dieser Film besticht durch seine menschliche Dimension. Er will versöhnen.

Für die Tochter Anna Maria Mühe, die in kurzer Zeit Vater und Mutter verloren hat, ist das wichtig. Aber nicht nur für sie.



Es ist allerhöchste Zeit, Art. 1, Abs. 1 und Art. 20, Abs. 4, GG, Geltung und Wirkung zu verschaffen!
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