Grausame Realität
Ich kann nicht mehr! Es sind nur noch wenige Stunden, dann werde ich ihn wieder sehen. Es tut so weh, wenn ich nur daran denke, was er mir angetan hat. Ich hasse ihn so! Nein, ich hasse mich. Wie konnte es nur soweit kommen? Ich kann es immer noch nicht glauben. Wieso? Wieso musste er das tun? Es hat doch alles keinen Sinn mehr. Gedanken verloren starre ich in den leeren Raum. Er spiegelt eine Umgebung des Grauens wieder. Plötzlich schwirren mir die Bilder von letzter Woche durch den Kopf, wie ich da saß, er mich ansah und langsam aber doch zielsicher auf mich zukam. Er drückte mich zu Boden. Fasste mich an. Alles gegen meinen Willen! Ich konnte mich nicht wehren. Ich spürte, wie sich seine Hände von meiner Brust weg bewegten. Über meine Haut hinabglitten, über den Bauch und weiter hinunter. Seine Nase kam so nah an meine heran, dass ich ihn ansehen musste. Ich versuchte ihn wegzudrücken, doch es gelang mir nicht. Stattdessen kam er mir noch näher und ich merkte wie das Gummiband meines Slips sich dehnte. Das war der Moment, als er mich berührte. Ich versuchte nicht hinzusehen und schloss meine Augen. Doch sobald ich meine Augen wieder öffnete, sah ich seine großen, dunklen, braunen Augen. Und wenn ich ganz genau hinsah, ganz tief, ohne zu blinzen, konnte ich mein eigenes Spiegelbild erkennen. Es war ein grässlicher Anblick! Ich wäre so gerne zurück gewichen. Ich wollte ihn nur von mir runter haben. Wollte dass er aufhörte! Ihn aus mir raus haben. Ich wollte einfach nur weg, doch ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich versuchte flach zu atmen, langsam zu atmen. Luft in mich hinein zu saugen. So dachte ich, könnte ich mich ablenken. Doch es gelang mir nicht. Der Schmerz war zu groß! Ich bewegte mich nicht. Ich lag ganz verkrampft da, jeden einzelnen Muskel angespannt. Während er mir wehtat und wartete, dass es vorüber sein würde.
Wieder ein Stöhnen.
Ein Fluchen.
Hass!
Dann war es endlich vorbei. Doch ich fing erst an zu weinen, als ich hörte wie sich die Tür zum Wohnzimmer schloss. Ich konnte es immer noch nicht fassen, was er mir da angetan hatte. Ich dachte darüber nach, mit welchem Gesichtsausdruck er nun dort saß, umgeben von dem ganzen Mist. Indem Moment erblickte ich den Kompass. Er war aus rotem Plastik und hatte einen blauen Zeiger. Er konnte keine ganze Drehung mehr machen, weil der Zeiger lose war. Ich wollte sehen, ob ich mein Spiegelbild darin erkennen konnte. Denn ich wollte es sehen, ich wollte mich sehen wenn ich weinte. Ganz schwarz und glänzend war es dort zu sehen, wie in den Augen meines Stiefvaters. Das Plastik lag ganz ruhig in meiner Hand, doch meine Finger ringsrum zitterten. Ich hielt ihn mit der Spitze nach unten, rollte ihn zwischen meinen Fingern hin und her. Ich fand, dass er für ein einfaches Stück bunten Plastiks sehr hübsch aussah.
Plötzlich erschrecke ich und höre wie die Tür unten ins Schloss fällt. Ich bewege mich nicht, stehe ganz allein im Dunkeln. Sehe in den Spiegel und sehe mich, mich und meine Tränen, die unentwegt über meine Wangen laufen. Ich sehe an mir herunter, sodass meine Wunden mir ins Auge stechen. Ich halte diesen Druck nicht mehr aus! Zu gerne würde ich aufgeben, mich selbst umbringen. Dann wäre ich dieses elende Gefühl los, wäre meine Probleme los. Doch ist es das wert? Das „Wertvollste“ was ich besitze weg zu werfen? Ich habe Angst, Angst davor was kommt! Ich kann nicht mehr. Noch habe ich die Chance Hilfe zu bekommen, doch sie ist so groß wie eine Schneeflocke zwischen Millionen zu finden. Meine größte Angst ist es, das das Gefühl nicht mehr leben zu wollen, irgendwann so groß ist, dass ich sterbe, bevor ich wieder begonnen habe zu leben. Draußen sehe ich den Regen an meinen Fensterscheiben abperln. Ich höre Schritte, Schritte die langsam näher kommen. Doch ich kann sie nicht richtig wahrnehmen. Bin mit meinen Gedanken noch bei der letzten Woche.
Ich kam mir so allein gelassen vor. Ich war doch grade erstmal 14! Ich konnte es immer noch nicht fassen. Ich sah auf meinen Arm, er wirkte plump. Und der Kompass machte mich ruhig. Ich bewunderte ihn noch eine ganze Zeit. Dann presste ich die Spitze vom Kompass zum ersten Mal in meinen Arm. Ich war ziemlich enttäuscht, denn ich verletzte die Haut nicht. Die Kompassnadel hatte nur einen kleinen Kratzer hinterlassen. Ich musste einfach fester drücken. Ich drückte die Nadel erneut in die Haut. Dieses Mal tat es etwas weh, und so floss das Blut hervor. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit bis endlich das Wort „ HASS“ auf meinem Arm zuerkennen war. Ich betrachtete die rosafarbende, geschwollene Haut und konnte nicht sagen, dass ich vielleicht nicht gelächelte habe.
Die Schritte werden immer lauter und mein Herz schlägt immer schneller. Ich traue mich nicht zu atmen, stehe hier wie erstarrt. Auf einmal öffnet sich die Tür und meine Mutter kommt herein. Sie kommt auf mich zu und nimmt mich ganz fest und lange in den Arm. Es ist schön zu wissen, das es jemanden gibt der mich liebt, der mir Aufmerksamkeit und Geborgenheit schenkt. Ich spüre wie ihre Tränen mir in den Nacken laufen und höre sie leise sagen:
„Es tut mir so leid! Ich hatte doch keine Ahnung, was er dir angetan hat. Es wird alles wieder gut, glaube mir! Du musst wissen, ich stehe hinter dir! Ich bin immer für dich da…..“
~Wir sind alle Engel
mit nur einem Flügel...
Tuen wir uns zusammen
so können wir fliegen!!!~