Serbien: Unabhängigkeit des Kosovo „in nächsten Tagen“ 03.02.2008 | 18:24 | Von THOMAS ROSER (Die Presse)
Wahlausgang hat keinen Einfluss auf Erklärung der Eigenstaatlichkeit.
BELGRAD. Serbiens Wähler strömten am Sonntag in Scharen zu den Urnen und die eindrucksvolle Wahlbeteiligung bewies, dass sie die Bedeutung dieser Stichwahl für die Zukunft des Landes sehr wohl verstanden hatten. Die erbitterten Kontrahenten des sonntäglichen Duells hatten dabei im Wahlkampf zumindest in einem Punkt auffällige Einigkeit demonstriert: Sowohl der pro-westlich orientierte Amtsinhaber Boris Tadic als auch sein nationalistischer Herausforderer Tomislav Nikoliclehnen eine Unabhängigkeit der abtrünnigen südlichen Provinz Kosovo einmütig ab. Einfluss hat der Ausgang des serbischen Präsidentenwahl auf den künftigen Status des zu über 90 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo freilich kaum. Die seit 1999 international verwaltete Region steht unmittelbar vor der lang ersehnten Eigenstaatlichkeit – egal, wer künftig im Belgrader Präsidentenpalast residiert.
Vorbereitungen abgeschlossen
Die Bekanntgabe des Datums der Unabhängigkeitserklärung hat Kosovo-Premier Hashim Thaçi für „die nächsten Tage“ angekündigt. Die künftige Verfassung sei geschrieben, die Ausarbeitung neuer Staatssymbole „nahezu abgeschlossen“. „Wir sind schon heute für die Unabhängigkeit bereit.“ Auch die in der Frage der Anerkennung der Unabhängigkeit keineswegs an einem Strang ziehende EU hat sich zumindest auf die Einsetzung einer Zivil-Verwaltung im Kosovo verständigt. Die „Eulex“-Mission, bestehend aus 1800 Polizisten und Rechtsexperten, soll nach einer mehrmonatigen Übergangszeit die bisherige UN-Verwaltung UNMIK ablösen. Die EU-Botschafter einigten sich zudem auf die Einsetzung eines Sonderbeauftragten, der nach der offiziellen Unabhängigkeitserklärung bestellt werden dürfte. Der Anerkennung eines unabhängigen Kosovo stehen aber weiterhin mehrere EU-Staaten skeptisch gegenüber. Zypern und Rumänien haben ihre Ablehnung bekräftigt. Auch Spanien, Griechenland und die Slowakei haben Befürchtungen geäußert, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo separatistische Bewegungen in anderen Ländern stärken könnte. In Diplomaten-Kreisen in Belgrad kursieren Berichte, dass die wichtigsten EU-Staaten Kosovo „gemeinsam im Block“ anerkennen werden: So solle der erwartete Druck Belgrads auf die kleineren Staaten der Region nach einer Anerkennung des Kosovo gemildert werden. Bei einer nationalistischen Wende in Belgrad ist von den Westmächten wohl keinerlei Rücksicht mehr auf serbische Empfindlichkeiten zu erwarten – und eine sehr rasche Absegnung der Unabhängigkeit zu erwarten. Halten sich in Belgrad die westlich orientierten Kräfte, dürfte die Unabhängigkeit vermutlich etwas später – in der zweiten Februarhälfte oder Anfang März – proklamiert werden. Der Wahlausgang könnte auch die Art der Belgrader Reaktion auf die Abspaltung Kosovos beeinflussen. Die von serbischen Regierungspolitikern angedrohte Wirtschafts- oder Energie-Blockade des Kosovo würde allerdings auch die dort lebende serbische Minderheit treffen.
Quelle ("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2008)