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Einzelkinder sind keine sozialen Versager

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Jens Rehde
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New PostErstellt: 03.04.04, 14:33  Betreff: Einzelkinder sind keine sozialen Versager  drucken  weiterempfehlen Antwort mit Zitat  

Quelle:http://portale.web.de/Schlagzeilen/News/?msg_id=4547742

Einzelkinder sind keine sozialen Versager

München (dpa/gms) - Ihr Image ist nicht gerade das beste. Einzelkinder gelten als verwöhnt, verzogen und egoistisch. Das Klischee ist alt und hatte vielleicht sogar einmal seine Berechtigung.

In längst vergangenen Zeiten waren Einzelkinder tatsächlich etwas Besonderes und nicht selten Mamas verhätschelte Lieblinge. Inzwischen sind sie der Normalfall - und Experten bescheinigen ihnen, nicht weniger umgänglich zu sein als Kinder mit Geschwistern.

Dass die Zahl der Einzelkinder ständig weiter zunimmt, ist allerdings ein Vorurteil: «Da hat es über die Jahrzehnte wenig Bewegung gegeben», sagt Harald Rost vom Staatsinstitut für Familienforschung in Bamberg. «Die Zahl der kinderlosen Frauen hat zwar deutlich zugenommen, und die Zahl der Familien mit vielen Kindern ist stark rückläufig», so der Soziologe. «Aber bei den Familien mit ein oder zwei Kindern gibt es keine rapiden Veränderungen.»

Die Geburtenrate in Deutschland sei allerdings im europäischen Vergleich sehr niedrig und somit auch die absolute Zahl der Geburten. So entstehe der Eindruck, immer mehr Kinder wüchsen ohne Geschwister auf. «Aber die Zahl der Einzelkinder ist seit 15 Jahren konstant», sagt Hartmut Kasten, Psychologieprofessor am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München.

Allerdings sind Familien in Deutschland inzwischen in der Minderheit: Sie stellen nur noch 40 Prozent der Haushalte. Ebenso hoch ist die Zahl der Haushalte, in denen Singles leben. Die restlichen 20 Prozent machen kinderlose Paare aus. Von den Familien hat mittlerweile die Hälfte nur noch ein Kind.

Dennoch müssen sich Einzelkinder immer noch unterschwellige Vorwürfe gefallen lassen: «Da heißt es dann, der kriegt alles, der darf alles», sagt Kai Kaye, ein Arzt aus Berlin, der selbst als Einzelkind groß geworden ist. Selbst von Freunden sei zu hören, Einzelkinder seien arrogant, strebten stets nach der Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen und könnten nicht teilen. «Sowas nervt», sagt Kaye, der Ende vergangenen Jahres die Website www.einzelkinder.de gestartet hat.

Das Portal dient der Kommunikation zwischen Einzelkindern - allerdings eher mit selbstironischem als mit selbstmitleidigem Unterton. «Wir haben kein wirkliches Problem damit, Einzelkinder zu sein», betont Kaye. «Aber wir sind anders - irgendwie.»

Das ist auch das Ergebnis einer Studie von Jill Pitkeathley und David Emerson, die in Großbritannien Einzelkinder befragt haben: Einhellig gaben die «Onlys» an, sich von Kindern mit Geschwistern durchaus zu unterscheiden. Die Autoren, beide selbst Einzelkinder, stellten eine Reihe von Übereinstimmungen bei den Befragten fest: Einzelkinder sind demnach überdurchschnittlich verantwortungsbewusst, pünktlich, gut organisiert, aber auch frühreif, konfliktscheu und eher zugeknöpft.

Die Untersuchung ist nach Einschätzung von Professor Kasten zwar nicht einfach auf Deutschland übertragbar. Dass es Unterschiede gibt, bestätigt allerdings auch der Wissenschaftler aus München: Weil Einzelkinder Verantwortung nicht auf Geschwister abwälzen können, seien sie zum Beispiel eher bereit, sich selbst in die Pflicht zu nehmen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Aussicht auf einen höheren Schulabschluss: Einzelkinder gehen häufiger zum Gymnasium als Geschwisterkinder.

In Studien haben sich weitere, zum Teil überraschende Eigenschaften gezeigt: «Einzelkinder sind zum Beispiel weniger gefährdet, alkohol- oder nikotinabhängig zu werden», sagt Professor Kasten. «Das liegt möglicherweise daran, dass ihnen das eventuell schlechte Vorbild älterer Geschwister fehlt.»

Recht häufig kommt es auch vor, dass auf Einzelkindern ein besonderer Erwartungsdruck seitens der Eltern lastet. «Sie müssen alle Hoffnungen und Sehnsüchte alleine schultern. Das kann schon eine schier unerträgliche Bürde sein», betont der Psychologe.

Aber auch bei Problemen in der Familie haben es Einzelkinder unter Umständen schwer: «Geschwister bieten die Möglichkeit, sich auszutauschen», sagt Andreas Kopp, Familientherapeut in der Caritas-Beratungsstelle Garmisch-Partenkirchen. Falls sich die Eltern trennen, sei das für Einzelkinder oft viel schwieriger. Sogar Konflikte unter Geschwistern haben aus Kopps Sicht Vorteile: «Kinder mit Geschwistern können leichter lernen, mit Streit umzugehen.»

Eine Legende sei allerdings die Vorstellung, Einzelkinder wüchsen einsam und isoliert aus. «Moderne Mütter sorgen schon dafür, dass sie früh mit anderen Kindern in Kontakt kommen», sagt Kasten. Und das sei auch gut so: «Sozialkontakte zu ungefähr Gleichaltrigen sind in jedem Fall positiv», betont der Wissenschaftler. Einzelkinder profitieren nach seiner Einschätzung auch spürbar vom Zusammensein in der Gruppe: «Manche blühen im Kindergarten richtig auf.»

Dass es in der Hälfte der Familien nur noch ein Kind gibt, ist nicht unbedingt gewollt: «Befragungen junger Paare zeigen, dass sich die Mehrzahl zwei oder sogar drei Kinder wünscht», sagt Professor Kasten. Nur lässt sich das aus Sicht der Familien nicht realisieren. «Und das liegt zuallererst daran, dass die Betreuung von Kleinkindern in Deutschland so miserabel ist.» Literatur: Jill Pitkeathley, David Emerson: Einzelkinder - Ein Wegweiser für Eltern und Kinder, Klampen Verlag, ISBN 3-934920-29-2, 19,80 Euro; Hartmut Kasten: Einzelkinder, Springer Verlag, ISBN 3-540-59020-X, 16,95 Euro.

Internet-Angebot für Einzelkinder: www.einzelkinder.

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