Kinderbetreuung *Volksentscheid-Initiatoren wollen weiter machen
*Die Initiatoren des Volksentscheids vom Sonntag, das "Bündnis für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt", wollen auch nach dem Scheitern nicht aufgeben. Sprecherin Katrin Esche kündigte an, dass das Bündnis in den nächsten Tagen darüber beraten wird, "auf welchen Feldern der Kinder- und Jugendpolitik wir weiter arbeiten können". Die Hürden eines Volksentscheides schätzte sie im Nachhinein als angemessen an. Schließlich müsse ein Gesetz von einem großen Teil der Bevölkerung getragen werden. In dem Bündnis haben sich Eltern, Verbände, Gewerkschaften sowie PDS und Grüne engagiert.
Das erste Volksbegehren in Sachsen-Anhalt war am Sonntag wegen zu geringer Wahlbeteiligung gescheitert. Nur rund 27 Prozent der Wahlberechtigten hatten abgestimmt. Davon hatte die Mehrheit für eine Rückkehr zum Rechtsanspruch für alle auf Ganztagsbetreuung gestimmt. Für den Erfolg des Plebiszits hätten aber mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten mit "Ja" stimmen müssen.
*Böhmer spricht von "Erfolg für die Kinder"* Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) bewertete den Ausgang des Volksentscheides zur Ausweitung der Kinderbetreuung positiv und als Erfolg für seine Regierung und für die Kinder. Böhmer sagte MDR INFO, wenn Kinder einen Teil des Tages bei den eigenen Eltern verbringen müssen, könne man nicht von einer Benachteiligung sprechen. Dies komme einer Beleidigung der Eltern gleich.
*Grüne: Regierung punktete durch Neiddebatte* Die Grünen hingegen kritisierten, Böhmer könne das Votum keinesfalls als Erfolg verbuchen. Viele seien der Abstimmung ferngeblieben, weil sie das Thema nicht tangierte. Außerdem hätten sich die Nein-Stimmer von der vorangegangenen Neiddebatte beeinflussen lassen.
*FDP: Votum macht Sachsen-Anhalt verlässlich* Auch die FDP sprach von einem Erfolg. Fraktionschef Veit Wolpert sagte: "Sachsen-Anhalt ist verlässlich geworden." Die Bevölkerung sei verantwortungsbewusst mit dem Thema umgegangen. Der große Nein-Anteil habe gezeigt, dass die Wähler mit dem Kinderbetreuungsgesetz zufrieden seien.
SPD-Chef Holger Hövelmann erklärte: "Wir können mit dem Ergebnis leben. Die große Zahl der Nein-Stimmen hat mich allerdings überrascht". Das Ergebnis zeige, dass die Menschen mit der Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt zufrieden seien. Außerdem hätten wahrscheinlich die Debatten über Kürzungen etwa im Kulturbereich zu dem Ergebnis beigetragen.
Nach Ansicht des FDP-Bundesvorstandsmitglieds Daniel Bahr braucht Deutschland mehr Kinder aus Akademiker-Familien. "In Deutschland kriegen die Falschen die Kinder. Es ist falsch, dass in diesem Land nur die sozial Schwachen die Kinder kriegen", sagte Bahr der "Bild am Sonntag". Deutschland gebe viel Geld aus, um sozial schwachen Familien zu helfen. Die Politik habe dagegen versagt, Akademiker bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches zu unterstützen.
Berufstätige Mütter nicht benachteiligen
Der 28-jährige Bundestagsabgeordnete verwies auf Studien, nach denen sich rund 80 Prozent der deutschen Studentinnen mindestens ein Kind wünschen. Dennoch seien 44 Prozent der Akademikerinnen zwischen 35 und 39 Jahren in Westdeutschland kinderlos. Um Anreize für Akademikerinnen zu schaffen, solle sich die Steuerpolitik künftig an der Familie ausrichten, forderte Bahr. So gehöre die Steuerklasse Fünf abgeschafft, "damit berufstätige Ehefrauen wirklich Geld auf dem Konto haben".
Kosten für Haushaltshilfen absetzen
Statt des bisherigen Ehegattensplittings schlägt Bahr ein "Familienrealsplitting" vor. Damit würden alle entlastet, die Kinder haben - auch Alleinerziehende. Zudem verlangt der Ex-Vorsitzende der Jungliberalen, dass die Kosten für Haushaltshilfen in Deutschland bis 12.000 Euro im Jahr absetzbar sein müssten. In Frankreich sei dies der Fall und dort bekämen sehr viel mehr Frauen mit Hochschulabschluss Kinder.
Mehr Akademikerkinder = bessere Pisa-Ergebnisse
Eine allgemein steigende Geburtenrate allein helfe nicht weiter, begründete Bahr seinen Vorstoß. Dass so wenig Kinder in Akademikerfamilien aufwüchsen, ziehe weitere Probleme nach sich. So hänge laut Pisa-Studie in Deutschland der Lernerfolg eines Kindes stark vom Bildungsniveau der Eltern ab. Wenn Hochschulabsolventinnen künftig mehr Kinder bekämen, stünde Deutschland auch bei der Pisa-Studie besser da.
Erstellt: 27.01.05, 00:16 Betreff: Re: Volksentscheid in Sachsen-Anhaltdruckenweiterempfehlen
Leipziger Volkszeitung
*** Leserbrief ***
Leipzig, den 27. Januar 2005
Kopfschütteln
Sehr geehrte Redakteure, liebe Leser.
Mit großer Verwunderung habe ich die Ergebnisse des Volksentscheides zur KiTa-Betreuung in Sachsen-Anhalt und die darauf folgenden Äußerungen von Politikern und Mitbürgern auch in Leipzig wahrgenommen.
Um was geht es eigentlich bei der Bestrebung Zugangsbeschränkungen in Krippe, Kindergarten und Hort einzuführen? Um die Kinder?
Stellen Sie sich folgende Situation vor. In einer Kindergartengruppe lernt und spielt Ihr Kind seit dem frühen Morgen mit seinen Freundinnen und Freunden. Nach dem Mittag kommt die Leiterin in die Gruppe und schickt Kinder nach Hause. Was geht wohl in den Kindern vor, wenn sie merken, dass nicht nur das Geld zu Hause knapp ist, sondern sie auch deshalb nicht mit den Spielgefährten zusammen sein dürfen?
Na gut, sagen Sie, betrifft mich ja nicht. Ist Ihr Arbeitsplatz wirklich so sicher?
Und was erzählen die Mütter und Väter jetzt beim Arbeitsamt? Stehen diese wirklich dem Arbeitsmarkt vollumfänglich zur Verfügung oder liegt Leistungsmissbrauch vor? In welche Einrichtung geht eigentlich Ihr Kind, wenn Sie plötzlich wieder Arbeit finden?
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Kfm. Thomas Kujawa Pressesprecher GesamtElternRat Leipziger Kindertageseinrichtungen
Erstellt: 27.01.05, 14:25 Betreff: Re: Volksentscheid in Sachsen-Anhaltdruckenweiterempfehlen
Sehr geehrter Herr Kujawa,
die von Ihnen konstruierte Situation im Kindergarten ist echt haaresträubend und ich bin enttäuscht von Ihnen eine derart meinungsverbildende Konstruktion dargeboten zu bekommen. Dem muß ich hier einfach mal widersprechen!
Zuallererst finde ich es einer Diskussion sehr abträglich, wenn man dem Kritisierenden vorwirft, daß er sich nicht in dieser "Not?lage" befindet und deshalb nicht wüßte, worüber er erzählt.
Worum geht es den Befürwortern der Ganztagesbetreuung für Eltern (warum auch immer und dies ist nicht negativ oder diskriminierend gemeint) ohne Beschäftigung/Arbeit? So wie ich es verstanden habe, in erster Linie darum, den Kindern den Zugang zur "Bildungseinrichtung" Kindertagesstätte zu gewähren. Dies ist mit einem Halbtagesanspruch abgegolten. "Bildung" in der Kita soweit möglich bei ... Erziehern auf ... Kinder, ... m² für ... Kinder, altersgemischte Gruppen, in sanierungsbedürftigen alten Häusern, denen die Funktionalität meist völlig abgeht ... findet zumeist vormittags statt. Nachmittags ist, ob des Abholvorganges und der wenigen Erzieher, eine Gruppenarbeit meist nicht mehr möglich und die Kinder, die wirklich länger bleiben "müssen", sind froh, wenn in den kleinen Gruppenräumen auch mal etwas Ruhe einzieht, um den langen Tag zu überstehen. Das 2. Argument ist der soziale Kontakt, der auch am Vormittag ausreichend vorhanden ist. Warum kann nicht das Mittagskind, das befreundete in der Kita bleibende zum Spielen mit nach Hause nehmen? Warum begreifen diejenigen, die das "Los" (selbstgewählt oder nicht) haben, zu Hause zu sein, dies nicht auch einmal als Vorteil gerade in der Zeit, wo die Kinder klein sind? In unserem Viertel ist das gegenseitige Abholen sehr üblich und sehr beliebt und es hilft beiden Seiten. Zum anderen wäre es wichtiger, den Kindern auch außerhalb der Kitas Sport- und Spielmöglichkeiten im Freien und in Vereinen zu schaffen. Da kann man soziale Kontakte ohne Zwang pflegen. Wenn unsere Kitas, Horte und Schulen einmal den Standard erreicht haben, den wir uns alle wünschen, werde ich die erste sein, die den Zugang für alle fordert. Solange aber kaum Geld (übrigens Steuergelder - deshalb darf ich auch niemanden aus der Diskussion ausschließen) für die Kinder- und Jugendarbeit ausgegeben wird, wird der Luxus Ganztagesbetreuung zum Horror für die, die den Anspruch versuchen zu erfüllen, der an sie gestellt wird.
Erstellt: 27.01.05, 23:43 Betreff: Re: Volksentscheid in Sachsen-Anhaltdruckenweiterempfehlen
Liebe Frau Löbner,
etwas liegt mir ganz besonders am Herzen und dies habe ich in 'meinem' Leserbrief sicher nicht konsequent ausgedrückt.
Es geht nicht darum, dass alle Kinder von früh bis spät in die Kita müssen. Ich bin lediglich dagegen, bestimmte Kinder aufgrund irgendwelcher Kriterien gegenüber anderen Kindern auszugrenzen.
Sicher bin ich in meiner Argumentation sehr schwarz/weiß - habe jedoch in den vergangenen Jahren meiner ehrenamtlichen 'Arbeit' gelernt, dass nur drastische Beispiele auch Nachdenken und später Taten bei meinem Gegenüber auslösen.
Mir ist wichtig, dass Jeder, der sich zu einem bestimmten Thema äußert, auch mit den Konsequenzen auseinandersetzt. Glauben Sie mir, Frau Löbner, mir ist sehr wohl bewusst, welche finanziellen Folgen für Leipzig (und mich) eine Bereitstellung von 100% Betreuungskapazität bedeuten würde. Ich nehme dieses Risiko in Kauf, um Kindern, denen es durch das Fehlen eines solchen Angebotes 'schlechter' gehen könnte, selbiges zu ersparen.
Aus Ihrem Beitrag lese ich auch, dass Sie an einem der nächsten Elternstammtische vorbeikommen, um zu erfahren, wie die Leipziger Eltern gemeinsam die stadtweite Qualität für die Kinder anheben können.