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Der Prager Vertrag - Anmerkungen insbesondere
aus strafrechtlicher Sicht
Von Dr. jur. Hermann Nadler
Richter und Ministerialrat a. D.
Im Mittelpunkt dieses Vertrages müßte bei objektiver Betrachtung die Regelung der durch die Vertreibung und entschädigungslosen gewaltsamen Enteignung der Sudetendeutschen geschaffene Lage stehen.
Der Vertragstext enthält aber ausschließlich Absichtserklärungen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, finanziellem, kulturellen, kurz auf allen Gebieten bis hin zur Denkmals- und Friedhofspflege. Wiederholt wird auf multilaterale Abkommen und Grundsätze (KSZE, UN-Charta) zwecks entsprechender Anwendung Bezug genommen. Doch zur Anwendung auf die sudetendeutsche Frage ist selbst da nicht die Rede, wo es der Sachzusammenhang geradezu aufdrängt, z. B. wo erklärt wird (Art. 1 Abs. 2), ein Europa anzustreben, in dem die Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit geachtet werden. Auch da nicht, wo die Vertragspartner erklären (Art. 3 Abs. 4), den Menschen, seine Würde und seine Rechte in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht (!) zu handeln.
Wer daraus den Schluß ziehen wollte, die sudetendeutsche Frage (das Recht auf Rückkehr in das Siedlungsgebiet und auf Rückgabe des Eigentums) sei ausgeklammert und einer späteren Regelung vorbehalten worden, wird durch den Briefwechsel der Außenminister eines anderen belehrt. Aus ihm wird klar, daß
1. das Recht auf Rückkehr, das Recht auf die Heimat stillschweigend aufgegeben werden soll. An seine Stelle soll eine von der CSFR erklärte Möglichkeit treten, wonach im Zuge einer künftigen Eingliederung in die Europäische Gemeinschaft sich auch Bürger der Bundesrepublik Deutschland in wachsendem Maße niederlassen können.
2. Die Bundesrepublik Deutschland als Schutzmacht der Sudetendeutschen auf die völkerrechtliche Geltendmachung der vermögensrechtlichen Ansprüche der Sudetendeutschen verzichtet hat. Die letzten Zweifel hieran hat der Bundeskanzler (Kohl) bei der Unterzeichnung des Vertrages beseitigt, als er sich nicht gegen die gleichzeitig angelaufene Versteigerung des sudetendeutschen Besitzes durch die tschechischen Behörden verwahrte, sondern sich im Gegenteil dafür einsetzte, daß an der Versteigerung auch Ausländer sollten teilnehmen dürfen, also auch Sudetendeutsche. Rechtlich gesehen heißt das, der Räuber solle dem Beraubten erlauben, an der Versteigerung des Raubgutes teilzunehmen. Neben dem völkerrechtlichen Verzicht hat die Bundesregierung auch nicht unternommen, um den Sudetendeutschen selbst die Verfolgung ihrer Ansprüche durch Eröffnung eines Rechtsweges zu ermöglichen.
Völkerstrafrechtlich stellt die Vertreibung und Beraubung der Sudetendeutschen Völkermord dar. Aufrufe zu Mord und Vertreibung erließen tschechische Exilpolitiker wiederholt von London aus. Schon im Jahre 1939 wurde der Plan zur Beseitigung der Sudetendeutschen aus ihrem Siedlungsgebiet erstmals erörtert.
Professor Ermacora kommt (Rechtsgutachten über die sudetendeutschen Fragen, 1991, S. 260) zu dem Ergebnis, daß die Tatbestadsmerkmale des Völkermordes sich so zu einem Maße verdichten, daß eine andere Interpretation des Komplexes der Vertreibung der Sudetendeutschen wie in diesem Gutachten angeführt - zumindest von der heutigen Warte aus gesehen - bei bestem Wissen und Gewissen nicht denkmöglich ist.
Das Verbrechen des Völkermordes ist aus dem Internationalen Abkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ins innerstaatliche deutsche Strafrecht übernommen, siehe § 220a Strafgesetzbuch. Auf ihn ist das Weltrechtsprinzip anzuwenden, d. h. das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig vom Recht des Tatortes, auch für Taten, die im Ausland begangen werden.
§ 220a lautet in dem hier in Betracht kommenden Teil:
"Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
1. Mitglieder der Gruppe tötet,
2. Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 224 bezeichneten Art, zufügt,
3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft."
Das Verbrechen des Völkermordes ist unverjährbar, § 78 Abs. 2 Strafgesetzbuch.
§ 220a ist zwar erst am 22. Februar 1955 in Kraft getreten; er kann also nicht auf die vor diesem Zeitpunkt begangenen Straftaten angewendet werden (Rückwirkungsverbot). Aber soweit die strafbaren Handlungen über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt wurden, so in den Zwangsarbeitslagern (z. B. im Uranbergbau in St. Joachimsthal), greift die Strafvorschrift ein. Die letzten überlebenden Opfer wurden im Jahre 1968 freigelassen.
Die Vertreibung für sich genommen stellt einen besonders schweren Fall der Nötigung i. S. des § 240 StGB dar, (Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, die Heimat zu verlassen). Sie stellt ein Dauerdelikt dar, das erst beendet ist, wenn der Täter den rechtswidrigen Zustand nicht mehr aufrechterhält, d. h. die Rückkehr in die Heimat freigibt.
Die rechtswidrige Inbesitznahme des beweglichen Vermögens ist als Raub i. S. des § 249 StGB zu werten (Räuber ist, wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig anzueignen).
Daraus folgt für das Verhalten des deutschen Vertragspartners:
a) Soweit er im Vertrag das Recht der Vertriebenen auf Rückkehr preisgibt, steht er im Verdacht der Beihilfe nach § 27 StGB zum besonders schweren Fall der fortdauernden Nötigung, zumal ihm eine erhöhte Pflicht zur Wahrnehmung der Rechte der Vertriebenen obliegt;
b) Soweit in dem Vertrag die vermögensrechtlichen Ansprüche völkerrechtlich nicht geltendgemacht und die Einrichtung eines Rechtsweges für deren privatrechtliche Geltendmachung nicht angestrebt wurde, besteht der Verdacht der Begünstigung, § 257 StGB. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der Absicht Hilfe leistet, ihm die Vorteile der Tat zu sichern.