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Hier könnt Ihr eure Geschichte posten und Fortsetzungsgeschichten schreiben oder lesen was euch Spass macht , freue mich über jede neue Members =) ! !
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Melanie
![](http://file2.carookee.com/forum/Foreneinrichtung/file/821004/admin.gif?w) Administrator
Beiträge: 75 Ort: schwarzenbek
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Erstellt: 29.10.06, 21:21 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen
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und auch Paddy, der sich jetzt seinen Laptop geholt hat und sich ebenfalls eingeloggt hat, grinst vor sich hin. „Pass auf, ich werde dieses Huhn mal durcheinander bringen!“
PaddyKelly: Hi Paddylove! Interessant zu hören, dass wir mal zusammen gewesen sein sollen.
Kann mich allerdings nicht an eine Freundin mit so einem komischen Namen
erinnern.
Honeygirl: Ist da wirklich der echte Paddy oder will uns nur mal wieder jemand verarschen?
PaddyKelly: Kein Joke, ich bin's wirklich!
Honeygirl: Dann mal ein herzliches Willkommen! Hast du schöne Ferien?
PaddyKelly: Danke der Nachfrage. Die habe ich wirklich. Mache ein bisschen Urlaub!
Paddylove: Hey Honeygirl, du fällst doch nicht wirklich auf diesen miesen Trick rein! Wo ist
eigentlich unsere Smiley geblieben?
Smiley: Keine Angst, ich bin noch hier, aber was soll ich dazu noch sagen? Ich kann nur
bestätigen, dass es wirklich Paddy ist, der hier schreibt, denn er sitzt neben mir.
Paddylove: Hey Smiley, komm mal wieder runter! Erst mich anmeckern und nun so was! Du
spinnst doch vollkommen! Du olle Schnepfe!
PaddyKelly: Paddylove, hör gefälligst auf meine Freundin zu beleidigen! Langsam reichts!
Und behaupte nie wieder, dass du jemals meine Freundin gewesen bist! Ist das Hella sabbelt mal wider nur Blödsinn.HellaH
klar?
Paddylove: Das wird ja immer schöner, erst sitzt du neben ihr und nun ist sie auch noch deine
Freundin. Als wenn der echte Paddy eine Freundin hätte!
Honeygirl: Ach ja und woher willst du das so genau wissen? Und wenn schon, er ist doch auch
nur ein Mensch und wenn du ihn wirklich lieben würdest, wärst du glücklich, wenn
er glücklich ist.
Paddylove: Aber niemand hat das Recht mir meinen Paddy wegzunehmen!
Honeygirl: Du spinnst doch. Paddy gehört weder dir noch irgendeinem anderen Fan, also halt
gefälligst mal die Luft an. Du gehst mir echt auf den Senkel!
Paddylove: Ich glaube ich bin hier nicht mehr erwünscht, ich gehe jetzt!
Honeygirl: Na endlich ist sie weg! Die war ja echt mies drauf! Aber nun mal im Ernst seit ihr
wirklich die für die ihr euch ausgebt?
PaddyKelly: Jupp! Kannst uns glauben, kein Joke!
Honeygirl: Dann wünsche ich euch beiden alles Gute! Und Smiley, vielen Dank!
Smiley: Wofür?
Honeygirl: Dafür das du ihn glücklich machst! Pass gut auf ihn auf, er hat es verdient, dass ihn
jemand liebt.
PaddyKelly: Das hast du schön gesagt. Und schön mal jemanden zu treffen, der mir mein
Glück gönnt.
Smiley: Vielen Dank Honeygirl, endlich mal jemand, der normal reagiert.
Honeygirl: Nichts für ungut. Ich wünsche euch beiden noch nen schönen Abend!
Ich logge mich wieder aus und fahre den Computer runter. Einen Augenblick starre ich stumm auf den schwarzen Bildschirm. „Weißt du was du eben getan hast? Du hast uns geoutet! Ich fass es nicht!“ Ich beginne zu zittern und Paddy nimmt mich in den Arm. „Hey Schatz, ganz ruhig! Diese angebliche Paddylove hat uns eh nicht geglaubt und Honeygirl gönnt uns unser Glück. Was meinst du, wie viele Fans schon von uns Wind bekommen haben. Uns weißt du was, es ist mir egal was sie sagen! Ich lasse mir mein Leben nicht mehr von ihnen vorschreiben. Ich will endlich so leben können, wie ich es will und nicht so wie die Fans meinen, dass ich leben sollte! Und ich glaube ganz fest daran, dass es jemanden gibt, der uns beschützt.“ Trotzdem habe ich Angst vor dem was kommt. Bis jetzt haben wir krampfhaft versucht, unsere Beziehung geheim zu halten und es ist uns auch mehr oder weniger geglückt. Klar, ein paar von den ganz hartnäckigen Fans haben mal was spitzgekriegt, aber es war nie so, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen sind und gesagt haben: Hey, schaut her, wir sind ein Paar! Es ist ein großer Schritt den er gegangen ist und wenn er meint, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, dann ist es ok. „Geht schon wieder. Es ist nur ein komisches Gefühl zu wissen, dass es jetzt öffentlich werden könnte. Was ist, wenn mir auch jemand an die Wäsche will, so wie Stefanie?“ Ernst schaut er mich an. „Das werde ich zu verhindern wissen. Keiner wird dir wehtun! Das habe ich dir versprochen und ich werde alles dafür tun. Es wird schon gut gehen!“
Ich nicke, er hat ja Recht. Es ist zwar noch nicht allzu spät, aber da es morgen ein anstrengender Tag wird, beschließen wir ins Bett zu gehen. Ich kuschele mich ganz eng an ihn und lausche ruhig seinem Herzschlag. Durch das monotone „bumm bumm“ schlafe ich bald ein. Am nächsten Morgen klingelt um 8°° Uhr der Wecker und ich murmele verschlafen: „Paddy, schalte dieses verdammte Ding endlich aus! Ich will weiterschlafen.“ Doch ich bekomme keine Reaktion und als ich auf die andere Seite des Bettes greife ist sie leer. Sollte mein kleiner Morgenmuffel etwa schon wach sein? Und richtig. Ich will mich gerade aus dem Bett quälen, als die Tür aufgeht und Paddy vorsichtig ein Tablett hereinbalanciert. „Guten Morgen! Hast du schön geschlafen?“ Ich nicke, zum Sprechen bin ich irgendwie noch nicht fähig. Paddy grinst und setzt sich neben mich. „Na, so richtig wach bist du ja noch nicht, lass uns erst einmal frühstücken. Vielleicht wirst du danach ja richtig wach.“ Ich muffele etwas an meinem Brötchen, so wirklich will ich aber noch nicht wach werden. Erst nach einer ausgiebigen Dusche fühle ich mich wieder halbwegs menschlich. Und spätestens beim Kampf mit meinen Haaren werde ich richtig wach. Mittlerweile gehen sie mir fast bis zum Hintern und verknoten sich ständig. Ich habe schon oft daran gedacht, sie abschneiden zu lassen, kann mich aber nicht so wirklich überwinden. „Paddy, hilfst du mir mal bitte? Ich komme nicht durch meine Harre durch.“ Breit grinsend kommt er ins Bad. „Na, der allmorgendliche Kampf? Was machst du eigentlich, wenn ich mal nicht da bin?“ „Ganz einfach, Kapuzenpulli an und ab. Und außerdem geh ich normalerweise nur mit Zopf ins Bett, das erspart mir dann morgens den Kampf mit der Bürste.“ Nachdem er fertig gebürstet hat, bekomme ich noch nen ordentlichen Zopf verpasst, damit ich mich wieder unter Menschen blicken lassen kann. Auch Nadine ist schon wach um die letzten Dinge für Paulas Ankunft vorzubereiten. „Guten Morgen
ihr beiden. Schön das ihr schon wach seid, ihr könnt mir gleich helfen. Das Bett in deinem alten Zimmer müsste noch bezogen werden und ich muss gleich noch einkaufen und um halb zwölf kommt Paula am Bahnhof an. Und könntet ihr eventuell auch was zum Mittag kochen?“ Ich nicke und Paddy guckt mich skeptisch an. „Wie? Du willst kochen? Ob das gut geht?“ Ich strecke ihm die Zunge raus. „Willst du damit behaupten, ich könnte nicht kochen?“ Er grinst hinterhältig, versteckt sich hinter Nadine und meint: „Ach, so würde ich das jetzt nicht sagen, aber sagen wir mal so, eine kleine Grundskepsis bleibt doch.“ Lachend springe ich auf ihn zu und Nadine kann gerade noch ausweichen. „Ich hoffe ich kann euch Kindergartenkinder alleine lassen, ich muss nämlich jetzt los.“ Das Nächste was wir von ihr hören ist die zuknallende Haustür. „Abwasch oder Bett?“ Er grinst und greift mir um die Hüften. „Wie darf ich das mit dem Bett verstehen? So früh am Morgen schon?“ Sanft schiebe ich ihn zur Seite. „Du weißt genau, wie ich das meine! Willst du den Abwasch machen oder das Bett beziehen? Nichts anderes habe ich gemeint! Alles andere verschieben wir auf später!“ Er seufzt. „Na gut, dann mach ich mal den Abwasch.“ Ich verschwinde in mein altes Zimmer und blicke mich um. Es hat sich einiges verändert. Ne neue Tapete ist an der Wand, die Poster fehlen und die Möbel stehen anders. Ich nehme einen Satz Bettwäsche aus dem Schrank und mache mich daran, das Bett zu beziehen. Wie Paula wohl so ist? Ob sie mir ähnlich sieht? Langsam werde ich echt nervös. Ich gehe zurück in die Küche um zu gucken, was es zum Mittag geben könnte. Es ist jetzt schon ziemlich heiß, ich beschließe also, nur einen Salat zu machen. „Kannst du mal bitte im Kühlschrank nachschauen, ob wir noch Ciabattabrot haben.“ Paddy brummelt etwas Unverständliches vor sich hin, was sich verdammt nach: „Und das nennt sie also kochen!“, anhört. „Du hast doch bei dem Wetter nicht wirklich Hunger auf Schweinebraten und Knödel oder etwa doch? Du musst es nur sagen, dann koch ich welchen für dich.“ „Hey mein Schatz, ganz ruhig. War doch nur n´ Scherz. Sag mal bist du irgendwie nervös?“ Entgeistert schaue ich ihn an. „Wie würdest du denn reagieren, wenn du gleich deinen Bruder kennen lernen würdest, den du das letzte Mal als Baby gesehen hast. Natürlich bin ich nervös! Was denkst du denn?“ „Das wird schon. So schlimm kann sie gar nicht sein, ihr habt doch schließlich die gleichen Erbanlagen.“ Jetzt muss ich doch wieder lachen, er hat ja Recht. Als ich Nadines Auto auf der Auffahrt höre sprinte ich so schnell ich kann zur Haustür. Als erstes sehe ich Nadine und ihr gequälter Gesichtsausdruck spricht eigentlich Bände. Trotzdem stürme ich auf Paula zu umarme sie und meine: „Hallo Paula, schön dich endlich wieder zu sehen!“ Energisch schiebt sie mich zur Seite. „Erstens heiße ich Paula-Lynn und zweitens möchte ich jetzt in mein Zimmer!“ Entsetzt schaue ich sie an, was ist das denn für ne Begrüßung? „Also? Wo soll ich schlafen? Ich würde mich gerne etwas hinlegen, die Reise hat mich doch ziemlich geschafft!“ Ich stehe immer noch wie gelähmt im Flur und kann gar nicht fassen, was da vor sich geht. Nadine seufzt und bringt die zu ihrem Zimmer. Paddy, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hat, kommt zu mir und legt den Arm um mich. „Hey, nicht traurig sein. Paula ist bestimmt nur müde. Pass auf, nachher ist sie wahrscheinlich verträglicher.“ Ich zucke mit den Schultern, wer´s glaubt. Auch Nadine kommt zurück in die Küche und lässt sich auf den nächstbesten Stuhl fallen. „Oh mein Gott ist dieses Gör verwöhnt! Das kann ja echt heiter werden. Das Auto zu klein, die Gegend zu kaffig, zu wenig los und überhaupt is alles scheiße!“ Ich habe mir das Wiedersehen mit meiner Schwester doch etwas anders vorgestellt und verziehe mich in mein Zimmer. Ich igele mich auf meinem Schaukelstuhl zusammen und versuche vergeblich mir das Weinen zu verkneifen. Paddy kommt leise ins Zimmer und nimmt mich in den Arm. „Wieso läuft das nur so blöd? Ich meine, da haben wir uns seit 14 Jahren nicht mehr gesehen und ich hatte gedacht, sie würde sich jedenfalls ein bisschen freuen.“ „Pscht, lass dir von ihr nicht die Ferienlaune vermiesen. Vielleicht fängt sie sich ja noch und wenn nicht, dann ignoriere sie halt. Ich weiß, es ist schwierig, sie ist deine Schwester, aber du kannst sie nicht zwingen, dass sie das genauso sieht. Es wäre zwar schade, aber wenn sie nicht will, dann kann sie keiner dazu zwingen. Vielleicht kommt sie einfach nur mit der Situation nicht so gut klar und dazu kommen noch die Sorgen um euren Vater. Gib ihr einfach noch etwas Zeit.“ Schwach nicke ich. Wenn ich 14 Jahre warten konnte, werde ich es auch noch zwei, drei Tage länger aushalten. „Lässt du mich bitte noch ein paar Minuten alleine. Ich komme gleich runter zu euch.“ Er nickt und geht wieder runter. Ich sitze noch einen Moment stumm da und schaue aus dem Fenster, dann raffe ich mich auf und gehe runter in die Küche.
„Sagt mal, bevor ihr heute Abend hier blöde rumhockt, habt ihr nicht Lust nach Schleswig ins Kino zu fahren?“ Überrascht blicke ich auf, will sie uns loswerden oder wieso kommt sie auf einmal auf so eine Idee? Paddy nickt. „Das hört sich gut an. Erst gehen wir ins Kino und dann was essen. Hast du ne Idee, wo man gut Pizza essen kann?“ Nadine überlegt einen Moment. „Also, wenn euch wirklich ne Pizza langt und ihr nicht unbedingt auf französische Superköche steht, dann ist das Maximilian wohl das Richtige. Weißt du wo das ist?“ Ich nicke, die Aussicht auf einen gemütlichen Abend mit Paddy lässt meine Laune wieder erheblich steigen. Ich greife mir die Zeitung um zu schauen, was im Kino läuft. Während Paddy und ich über der Zeitung hocken kommt Paula in die Küche. „Bekomme ich hier auch mal was zu trinken? Ich hab Durst! Und überhaupt, wann bekomme ich mal was zu essen?“ Jetzt platzt Nadine der Kragen und ich erlebe sie zum ersten Mal richtig laut. „So nun reicht es mir! Du bist hier weder im Hotel noch sind wir deine Bediensteten. Wenn dir irgendwas nicht passt, dann sag es und zieh nicht ein Gesicht, als würdest du hier irgendeine Strafe absitzen müssen. Ich weiß, dass momentan viel Neues auf dich zukommt, aber das ist trotzdem kein Grund sich so zu benehmen!“ Entgeistert schaut Paula Nadine an und meint verächtlich: „Wer bist du? Es hat mir keiner mehr was zu sagen, selbst mein Vater redet nicht mehr so mit mir!“ Nadine schnappt nach Luft. „Jetzt ist aber Schluss, diesen Ton verbitte ich mir! Welche Regeln bei dir Zuhause gelten ist mir egal, hier gelten meine Regeln! Und ich bin für euch zwei verantwortlich und deswegen gilt mein Wort! Wir müssen versuchen hier zusammen zu leben und das geht nur, wenn sich jeder anpasst. Komm mal von deinem Thron runter und werde mal normal.“ Die zwei stehen sich gegenüber und blitzen sich wütend an. Paula kapituliert als erstes, dreht sich um, verschwindet in ihr Zimmer und das Letzte was wir hören ist die knallende Tür. „Die spinnt doch! Die spinnt doch komplett! Also wenn das so weitergeht, dann streike ich! Lange mache ich das nicht mehr mit! Entweder sie oder ich! Tut mir leid!“ Betroffen schauen Paddy und ich uns an. So haben wir Nadine noch nie erlebt. „Die tickt doch nicht richtig! Hast du schon jemals so etwas Hochnäsiges gesehen?“ Paddy zuckt mit den Schultern. „Ich kenne solche Leute zur Genüge, aber in diesem Fall tut es mir besonders leid.“ Was soll ich dazu noch sagen? Es ist halt alles anders gelaufen, ich habe an einem Tag meine Schwester gefunden und wieder verloren. „Ich werd mal schauen, was ich heute Abend anziehen kann. Willst du mitkommen?“ Ich warte seine Antwort erst gar nicht ab, sondern ziehe ihn hinter mir die Treppe hoch. „Du willst doch jetzt nicht mit mir Klamotten angucken! Also ich wüsste da ja was Besseres!“, er schlingt seine Arme um mich. Ich drehe mich um und meine: „Seit wann bist du so ein kleiner Nimmersatt? Das kenn ich gar nicht von dir!“ Er grinst. „Bei dir kann ich einfach nicht anders. Ich bin halt verrückt nach dir!“ „Na dann...“, ich schließe die Tür hinter mir ab und drehe mich zu ihm. „ ...dann muss ich dir wohl helfen, nicht dass du noch vollkommen verrückt wirst.“ Meine Hände gehen auf Wanderschaft und Paddy schnurrt wie ein Kätzchen.
Am nächsten Tag ist es schon fast Mittag als wir aufwachen. Es ist echt spät geworden und ich habe ehrlich gesagt noch gar keine Lust aufzustehen. Nadine ist zur Arbeit und meine Lust auf Paula zu treffen hält sich ehrlich gesagt in Grenzen. Doch irgendwann muss auch ich aufstehen, noch im Nachthemd tapse ich in die Küche und stoße auf ein Schlachtfeld. Die Kühlschranktür steht offen und auf dem Tisch stapelt sich dessen Inhalt und auf dem Boden vor der Kaffeemaschine scheint sich das gesamte Kaffeepulver unseres Haushalts zu befinden. „Paula!!!“, ich schreie fast die gesamte Nachbarschaft zusammen, aber das ist mir jetzt auch egal. Als erstes kommt Paddy in die Küche gestürzt und bleibt starr stehen, als er das Chaos bemerkt. „Was...?“, mehr bekommt er nicht heraus. „Paula! Wer sonst!“ Nach endloser Zeit erscheint auch endlich Paula in der Küche. „Was brüllst du hier so rum? Ich bin nicht taub!“ Alleine der Unterton ihrer Stimme macht mich verrückt, aber ich zwinge mich ruhig zu bleiben. „Sag mal Paula, was hast du hier veranstaltet?“ Mit ihren unschuldigen großen Augen schaut sie mich an und meint: „Ich hab gefrühstückt. Hast du da irgendwas dran auszusetzen?“ „Ja! Schau dir mal die Küche an! Erzähl mir nicht, dass die schon so aussah, als du sie betreten hast. Wenn du hier schon so ein Chaos veranstalten musst, dann kannst du hinterher jedenfalls aufräumen. Ist das klar?“ Sie guckt mich an, als würde ich von ihr verlangen, sich beide Hände abzuhacken und eine Antwort bekomme ich nicht. Also gut, anscheinend scheint sie doch schwerhörig zu sein und so werde ich wieder lauter. „Liebe Paula, wenn du dich schon hier
breit machen musst uns überall deine schlechte Laune versprühst, dann sei jedenfalls so nett, deinen Müll und Dreck wegzuräumen. Und damit auch du es verstehst: Mach hier sauber!“ Ich mache auf dem Absatz kehrt und verschwinde in mein Zimmer. Ich höre Paula zwar in der Küche toben, aber das ist mir ehrlich gesagt scheiß egal! Und wenn sie die gesamte Einrichtung demoliert, soll sie doch! Ich werfe mich in die nächstbesten Klamotten und stürme aus dem Haus. Bloß raus da, vielleicht geht's mir ja nach einem ausgedehnten Spaziergang besser. Unterwegs treffe ich auf Nina-Mie, auf sie und ihren Bruder Piet-Ole passe ich ab und zu mal auf. Ich hab sie vor den Sommerferien das letzte Mal gesehen und nun muss ich mich mal informieren, was so los ist. „Hallo Nina! Na, wie geht's?“ Als sie mich erkennt kommt sie auf mich zugelaufen und umarmt mich. „Hey, wo hast du Piet gelassen? Man trifft euch doch sonst nur im Doppelpack.“ Ihre Miene verdunkelt sich schlagartig. „Piet ist im Krankenhaus. Schon ganz lange!“ „Oh, was hat er denn?“ Im ersten Moment mache ich mir keine weiteren Gedanken darüber, Piet ist auf Grund seiner Neurodermitis und seines Asthmas öfter mal im Krankenhaus. „Piet hat Diabetes. Das heißt, er darf nicht mehr naschen! Auch nicht, wenn er wirklich möchte.“ Nun mach ich mir doch Sorgen, Piet ist erst sechs, bis vor zwei Jahren durfte er aufgrund seiner Neurodermitis kaum Zucker essen, in letzter Zeit hatte es sich etwas normalisiert und nun so was. „Ist deine Mama zu Hause? Oder ist die im Krankenhaus?“ Nina schüttelt den Kopf. „Mama ist zuhause, Lars hat Hunger.“ Ach ja, Lars-Johan ist ja auch noch da, der ist ja auch erst drei Monate alt. Na dann werde ich mal Christa einen Besuch abstatten, vielleicht kann sie ja meine Hilfe gebrauchen. Als Christa mich sieht sagt sie nur: „Dich schickt der Himmel!“, das sagt dann alles. „Was gibt’s zu tun?“ Sofort werde ich mit Beschlag belegt. Nina soll sich umziehen und braucht Hilfe und für Piet müssen neue Klamotten zusammengepackt werden. Kaum ist das fertig kommt Christa total im Stress die Treppe runter. „Ich muss gleich wieder in die Klinik, könntest du Nina um halb drei zu Lasse bringen, mit dem ist sie zum Spielen verabredet. Und, ich frag ja ungern, aber könntest du dich heute Nachmittag um Lars kümmern? Ich möchte ihn ungern mit ins Krankenhaus nehmen und Holger muss sich um den Laden kümmern.“ „Klar, das mach ich doch gerne. Irgendwas worauf ich bei Lars achten muss?“ „Eigentlich schläft er die meiste Zeit. Wenn er Hunger hat, ist Milch in seiner Flasche, die machst du einfach im Wasserbad warm, Windeln sind in seiner Tasche und sein Kinderwagen ist hier. Ich hole ihn dann heute Abend bei dir ab. Nina geht nachher zu ihrer Oma, das ist alles geregelt.“ Ich nicke und kurz darauf ist Christa auch schon weg. Ich rufe nach Nina, lasse sie noch einige Spielsachen einpacken, damit ihr nicht allzu langweilig wird und mache mich auf den Weg nach Hause. Paddy wartet schon auf mich und schaut mehr als entgeistert auf Nina und den Kinderwagen. „Da bin ich wieder und ich habe Arbeit mitgebracht. Das sind Nina und Lars und die bleiben erst mal hier.“ „Aber, warum? Was ist los?“ Während Nina schon mal in den Garten geht um zu spielen, erzähle ich Paddy die Kurzversion dessen, was in der letzten Stunde passiert ist. „Naja, ein Baby mehr oder weniger, mir soll's egal sein.“ Ach ja Paula, die hatte ich ja ganz vergessen. „Was hat unsere Diva denn noch so angestellt während ich weg war?“ Er seufzt. „Frag lieber nicht. Die hat noch ne ganze Weile rumgewütet und war heftigst am schimpfen, hat dann aber wohl doch aufgeräumt. Zumindest ist die Küchen wieder einigermaßen begehbar.“ Na jedenfalls etwas. „Nina, was möchtest du zum Mittag essen?“ Sie überlegt einen Moment und schaut mich dann schief an. „Kannst du Nudeln mit Tomatensauce?“ Ich muss lachen. „Klar kann ich das. Gehst du dann noch ein bisschen mit Patrick spielen, dann koche ich in der Zeit Mittag.“ Brav trottet sie an Paddys Hand in den Garten und ich mache mich ans Kochen. Schon nach ein paar Minuten höre ich von draußen lautes Lachen. Ich schaue durchs Fenster und sehe Paddy und Nina über den Rasen toben. Ich muss schmunzeln, er benimmt sich wieder wie ein kleiner Junge und rollt grade mir Nina den Abhang runter. Das Essen ist schnell gemacht und Nina haut rein, als hätte sie seit Tagen nichts mehr gegessen. Wie sie es auch noch schafft, nebenbei die ganze Zeit zu reden ist uns unverständlich. Paddy und ich grinsen uns an, sie ist aber auch zu süß, mit ihren vier Jahren will sie versuchen uns die Welt zu erklären. Nach dem Essen gucke ich noch kurz nach Lars, aber der schlummert immer noch friedlich. Auch Nina sieht ziemlich müde aus und so packe ich sie kurzerhand in mein Bett, damit sie noch ein bisschen schlafen kann. Paula hat sich bis jetzt noch nicht wieder blicken lassen und es ist mir ehrlich gesagt auch egal, ob sie was gegessen hat oder nicht. Nachdem ich abgewaschen habe, mache ich mich auf die Suche nach Paddy, ich finde ihn leise schnarchend neben Nina. Ich schüttele
den Kopf, lege mich aber dazu, zum Glück ist das Bett breit genug. Doch lange schläft sie nicht, nach einer knappen Stunde tobt sie durchs Bett und will wieder raus in den Garten. Paddy geht schon mal mit ihr raus und ich hole Lars mit seinem Kinderwagen in den Garten. Es ist doch echt erstaunlich, wie lang der schläft, nur ab und zu zuckt er im Schlaf. Aber jetzt ein eigenes Baby? Nein danke! Ich sehe ja bei Stefanie, dass nicht immer nur eitel Sonnenschein ist und ich bin ganz froh, dass ich Lars heute Abend wieder „abgeben“ kann. Um viertel nach zwei rufe ich Nina, um sie zu Lasse zu bringen. „Sag mal Paddy, kann ich dich mit Lars alleine lassen oder soll ich ihn lieber mitnehmen?“ Entrüstet guckt er mich an. „Also ich werd ja wohl noch mit nem Säugling fertig werden. Was meinst du, wie oft ich bei Angelo die Windeln gewechselt habe?“ Abwehrend hebe ich die Hände. „Ok, ok, ist ja schon gut, ich sag ja gar nichts mehr. Bis gleich dann, es dauert auch nicht lange.“ Ich schnappe mir Nina und mein Fahrrad und mache mich auf den Weg. Nina schnabbelt die ganze Zeit und so bin ich echt froh, als wir bei Lasse ankommen. Wieder zu Hause finde ich Paddy, der im Schatten sitzt und Lars füttert. Leise schleiche ich mich ran und beobachte die beiden einen Augenblick. Eigentlich ist es ja ein schönes Bild, vorsichtig hält Paddy Lars im Arm und redet die ganze Zeit mit ihm. Ab und zu gibt der ein zufriedenes Glucksen von sich und strampelt mit seinen kleinen Beinchen. „Na, entwickelst du schon Vatergefühle?“ „Och, sagen wir mal so, ich könnte mich an so ein Würmchen gewöhnen!“ „Ja dann such dir schon mal die passende Frau dazu!“ Erschrocken guckt er mich an und fragt mit leiser Stimme: „Willst du keine Kinder? Ich meine, ich würde es respektieren, aber...“ Energisch schüttele ich den Kopf. „Keine Angst! Klar will ich Kinder, nur halt jetzt noch nicht. Ich will erst meinen Abschluss in der Tasche haben und am liebsten auch ne Ausbildung haben. Ich meine, wer weiß was in zehn Jahren ist? Wer kann mir garantieren, dass wir dann noch zusammen sind? Ich brauche einfach das Gefühl, dass ich theoretisch auf eigenen Beinen stehen könnte.“ „Naja, ich hab ja gar nicht gesagt, dass ich in den nächsten neun Monaten Papa werden möchte. Aber irgendwann möchte ich gerne eine eigene Familie haben und weißt du was, ich glaube, du wärst eine tolle Mama!“ „Hey und wärst n´ toller Vater. Schau mal, Nina liebt dich. Und darauf kannst du dir echt was einbilden, sie lässt nicht jeden an sich ran. Aber wen sie in ihr Herz geschlossen hat, der wird heiß und innig geliebt.“ Er grinst. „Siehst du, ich bin halt ein Frauentyp, sogar Vierjährige fliegen schon auf mich!“ „Puh, bilde dir nur nicht zu viel darauf ein. Auch Vierjährige können irren.“ Lachend renne ich vor ihm weg und lande holterdiepolter im Gartenteich. Nun kann Paddy sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten, es muss ja auch zu komisch aussehen, wie ich da klatschnass im Wasser sitze und im ersten Moment gar nicht weiß, wie mir geschieht. Paddy reicht mir seine Hand und meint: „Komm, ich helf dir raus!“ Tropfend stehe ich vor ihm und kann nicht anders, als ihn zu umarmen. „Hey, das war aber nicht abgemacht!“ „Tja, jetzt müssen wir uns wohl umziehen, nicht das wir uns erkälten!“, meine ich grinsend und ziehe ihm sein T-Shirt über den Kopf. „Was soll das denn jetzt werden? Willst du mich etwa verführen? Was soll denn Kleine dazu sagen?“ „Der wird uns schon nicht verraten. Aber hast Recht, lass uns mal lieber rein gehen, ich habe keinen Bock, von Paula erwischt zu werden.“ Aber die lässt sich den Rest des Tages nicht mehr blicken, meine Standpauke scheint gewirkt zu haben. Am späten Nachmittag wird Lars von Christa abgeholt und ich erkundige mich erst einmal nach Piet. Dem geht es so schon wieder ganz gut, langweilig ist ihm und er will unbedingt in die Schule. Zum Glück hat er es bald geschafft und wird in zwei Tagen entlassen. Bevor sie geht fragt Christa: „Sag mal, kann ich dir Lars morgen Nachmittag noch mal aufs Auge drücken? Nina nehme ich mit ins Krankenhaus, Piet möchte sie gerne sehen. Aber nur, wenn du wirklich möchtest. Ich will dir ja nicht den Urlaub versauen.“ Ich schaue Paddy fragend an, der zuckt nur mit den Schultern und meint: „Von mir aus. Der Kleine ist ja pflegeleicht.“ „Gut, dann bringe ich ihn morgen so gegen 14°°Uhr vorbei. Das mit dem Geld regeln wir dann auch morgen. Ok?“ Kurz darauf kommt auch Nadine von der Arbeit. Auf ihre Frage, was Paula den Tag über so angestellt hat, zucke ich bloß mit den Schultern. Den Vorfall von heute Mittag erwähne ich lieber nicht. Nicht Paula zuliebe, sondern weil Nadine ziemlich müde aussieht. „Naja, heute Abend wollte eure Mom anrufen und mal ein ernstes Wörtchen mit ihr reden. Vielleicht hilfts ja.“ „Na hoffen wir es mal. Aber viel Hoffnung hab ich ja nicht. Als wenn Paula auf eine für sie wildfremde Frau hören würde. Angeblich hört sie ja noch nicht mal auf unseren Vater.“ „Naja, wie gesagt, lange mache ich das nicht mehr mit. Entweder
Paula kommt mal runter von ihrem hohen Ross oder einer von uns muss gehen!“ Erschrocken schaue ich sie an. „Aber du gehst auf keinen Fall! Vorher verschwindet Paula!“ Nadine zuckt mit den Schultern und meint: „Ist eh nicht realisierbar. Wohin solltet ihr zwei sonst?“ In diesem Moment klingelt das Telefon und ich sprinte hin. Wie erwartet ist es meine Mom, die ziemlich entsetzt über das Verhalten von Paula ist. „Wenn sich die Situation bei euch nicht ändert wird Nadine irgendwann streiken. Und dann bleibt mir leider nichts anderes übrig, als euch nach Schottland zu holen.“ Ich zucke zusammen, nach Schottland will ich auf keinen Fall! Ich rede noch einige Momente mit meiner Mom, dann ist Paula an der Reihe. Ich verziehe mich in mein Zimmer. Später am Abend gehe ich dann doch och mal zu Paula. Leise klopfe ich an ihre Zimmertür. „Paula, wir müssen uns ganz dringend unterhalten!“ Sie schaut auf und fragt gereizt: „Was hab ich nun schon wieder angestellt?“ Beschwichtigend meine ich: „Gar nichts, aber wenn sich an der Stimmung hier nicht bald was ändert, dann sitzen wir zwei schneller als uns lieb ist im Flieger nach Edinburgh. Ist es das was du willst?“ Sie zuckt mit den Schultern. „Das ist mir herzlich egal. Ob ich in diesem Kaff sitze oder in Schottland, das ist doch egal! Meine Freunde sind Kilometer weit weg und ich werde sie ewig nicht mehr sehen!“ Das ist es also, Paula ist so grantig, weil sie ihre Freunde nicht mehr sehen kann. „Aber schau doch mal, solange wir noch in Deutschland sind, hast du jedenfalls die Chance sie in den Ferien zu sehen. Versuch doch einfach mal uns ein bisschen entgegen zu kommen. Ich meine, ich hab mich echt darauf gefreut dich endlich wieder zu sehen und nun so was!“ „Es hat mich keiner gefragt, ob ich herkommen will. Ich bin aus der Schule gekommen und es hieß: Paula, dein Vater hatte einen Unfall und du musst zu deiner Mutter nach Schleswig-Holstein. Ach ja außerdem wartet da noch eine Schwester auf dich. Was meinst du, was das für ein beschissenes Gefühl ist. Von heute auf morgen musste ich alles in München zurücklassen, Freunde, Schule, Hobbies, meinen Vater, einfach alles! Und ich hab wirklich nicht das Gefühl, das ich hier erwünscht bin.“ „Ja, was denkst du denn woran das liegt? Du ziehst ein Gesicht, als würden wir dir irgendwas Böses wollen. Du meckerst nur rum und bist ehrlich gesagt unausstehlich. Wir haben uns wirklich auf dich gefreut, aber so wie du hier rumzickst ist es doch nicht zum aushalten. Wenn du es zulässt, dann würden wir dir alle helfen dich hier einzugewöhnen und glaub mir, wir sind alle gar nicht so böse!“ Zum ersten Mal macht sich ein kleines Lächeln auf Paulas Gesicht breit. Erleichtert atme ich auf, sollte es mir wirklich gelungen sein Paula zu erreichen? Sie zögert einen Moment und meint dann: „Ok, fangen wir von vorne an. Hallo, ich bin Paula!“ Nadine und Paddy trauen ihren kaum, als wir 20 Minuten später lachend aus ihrem Zimmer kommen. „Sag mal, was hat sie mit Paula angestellt? Gehirnwäsche?“, flüstert Nadine. Paddy zuckt mit den Schultern, er versteht es ja selber nicht. „Na ihr beiden, was guckt ihr so komisch?“ Kleinlaut geht Paula zu Nadine, streckt ihr die Hand entgegen und meint: „Entschuldige bitte, dass ich mich in den letzten Tagen so blöde benommen habe. Es war nicht so gemeint.“ Jetzt schaut Nadine wie eine Kuh wenn es donnert. Total perplex ergreift sie Paulas Hand und meint: „Ist schon gut! Aber wie kommt die plötzliche Sinneswandlung?“ „Naja, mir sind einfach die Augen geöffnet worden und ich verspreche hoch und heilig, dass ich versuchen werde, mich zu bessern.“ Fragend sieht Paddy mich an und leise sage ich zu ihm: „Es war einfach nur mal ein klärendes Gespräch unter Schwestern notwendig!“ Als ich später am Abend neben Paddy im Bett liege frage ich: „Sag mal, ist es wirklich ok das Lars morgen noch mal kommt? Ich meine, du hattest dir die Ferien bestimmt anders vorgestellt.“ Er nimmt mich in den Arm und meint: „Ach Quatsch! Es ist doch eh viel zu heiß um irgendwas zu machen. Und ob wir beide nun alleine im Garten liegen oder Lars schläft im Hintergrund. Und er ist ja wirklich pflegeleicht. Außerdem können wir noch mal ein bisschen Familie spielen. Ich muss ja wirklich sagen, es hat mir gefallen.“ Ich piekse ihn in die Seite. „Mag ja sein, aber du kennst meine Meinung und die hat sich auch in den letzten Stunden nicht geändert!“ „Ich sag ja schon gar nichts mehr! Hast ja auch Recht, aber schön wär's trotzdem, lass mich doch mal träumen!“ „Dann träum du mal von den Babys, die wir später mal haben, ich werd jetzt schlafen. Gute Nacht!“
Die letzten Ferientage vergehen wie im Flug. Wir unternehmen viel mit Paula, gehen schwimmen, ins Kino oder liegen einfach nur in der Sonne. Aber irgendwann heißt es Abschied nehmen, Paddy muss zurück nach Köln ins Studio und für Paula und mich beginnt das letzte Schuljahr. Am ersten Schultag nach den Ferien gibt es in der Klasse erst einmal ein großes Hallo. Jeder erzählt, was er gemacht hat, wo er im Urlaub war. Als Carsten Paula und
mich entdeckt zieht er mich zur Seite und fragt: „Na, wie war dein Urlaub? Was macht die Liebe?“ Ich strahle ihn an und meine: „Alles wieder klar! Mein Urlaub war einfach nur klasse. Und wie sieht's bei dir aus? Hast du in Berlin endlich deine Traumfrau gefunden?“ Er seufzt. „Schön wär's, ich habe einfach kein Glück bei Frauen! Aber sag mal, wen hast du denn da mitgebracht?“ „Oh, das ist Paula, meine Schwester.“ Erstaunt guckt er mich an. „Ich dachte, du kennst deine Schwester nicht. Wie kommt sie denn hierher?“ Ich erzähle die Kurzversion und Carsten kann nur ungläubig den Kopf schütteln. Auch Stefanie ist wieder da und wird mit lautem Hallo von allen begrüßt. Gut sieht sie aus, braun gebrannt und mit strahlenden Augen. „Hi Stefanie! Sag mal, wo hast du Urlaub gemacht? Du bist ja super braun geworden!“ Lachend kommt sie auf uns zu und sagt gut gelaunt: „Ihr werdet es nicht glauben, Angelo und ich waren mit den Kindern für zwei Wochen in Irland. Es ist einfach traumhaft, da müsst ihr unbedingt auch mal Urlaub machen.“ Bevor sie weitere Einzelheiten erzählen kann, kommt Herr Staritz in die Klasse gestürmt und knallt seine Tasche auf den Tisch. „Guten Morgen liebe R10a! Jetzt beginnt also endgültig der Ernst des Lebens!“, dröhnt seine laute Stimme durchs Klassenzimmer und seufzend lasse ich mich auf meinen Platz neben Carsten fallen. Am Anfang jeden Schuljahres sitzen wir nebeneinander, aber spätestens zu Beginn der Herbstferien werden wir auseinander gesetzt. Angeblich würden wir den Unterricht stören. Paula steht noch etwas unschlüssig im Raum und weiß nicht genau wo sie sich hinsetzen soll, aber bevor ich ihr den Platz neben mir anbieten kann ruft Carsten: „Paula, neben mir ist noch ein Platz frei.“ Erstaunt lässt Paula sich neben ihn fallen und wird gleich vollgetextet. „Hi, ich bin Carsten, der beste Freund deiner Schwester. Wenn du Fragen hast, kannst du ruhig mich fragen.“ „Carsten, wärst du wohl so freundlich, deine Aufmerksamkeit auf meinen Unterricht zu lenken. Du bist einer der Kandidaten, die sich in den nächsten Monaten echt anstrengen müssen, um ihren Abschluss zu bekommen. Also streng dich gefälligst an und hör zu.“ Kleinlaut nickt Carsten, so habe ich ihn ja noch nie erlebt, aber sein Zeugnis war wirklich nicht der Hit. Obwohl heute der erste Schultag ist, beginnt Herr Staritz gleich mit seinem normalen Unterricht. Wahrscheinlich bekommt er langsam Panik, dass er den Stoff nicht mehr bis zum Schuljahresende durchkriegt. Aber auch kein Wunder, er hat im letzten Schuljahr lieber über die Feuerwehr geredet, als über Satzbau, Kurzgeschichte und Lyrik. In Erdkunde und Geschichte sieht es auch nicht viel besser aus. Langsam habe ich echt Angst um meine Allgemeinbildung. Nach dieser mehr als miesen Deutschstunde stürmt eine ziemlich verwirrte Frau Kreuder in die Klasse. Ich verdrehe die Augen, mit Frau Kreuder in Mathe habe ich schon fast verloren. Ich bin nun wirklich kein Mathe-Genie, aber ihren Unterricht versteht man wirklich nicht. Aber jedenfalls hat sie Erbarmen mit uns und lässt uns von unseren Ferien erzählen. Carsten unterhält sich angeregt mit Paula und sein Blick klebt geradezu an ihren Lippen. Was bahnt sich da denn an? Ich muss lächeln, ich gönne Carsten sein Glück, er hat schon ewig keine Freundin mehr gehabt und ist mehr als frustriert. Stefanie schaut immer wieder nervös auf ihre Uhr, sie lässt heute zum ersten Mal ihre Babys alleine und würde am liebsten sofort nach Hause. „Ich hoffe, es geht alles gut. Es ist ein komisches Gefühl, sonst war zumindest Angelo noch da, aber heute ist nur das Kindermädchen da.“ Mittlerweile kriecht Carsten fast bei Paula auf den Schoß. Ich stoße Stefanie vorsichtig an und zeige auf Carsten und Paula. Auch sie muss grinsen und flüstert: „Es sei ihm gegönnt. Ich meine, nach der Pleite mit Jana hat er es verdient mal wieder ne normale Freundin zu bekommen.“ „Naja, schauen wir mal was bei rumkommt. Aber sag mal, wo genau habt ihr denn Urlaub gemacht?“ „Wir waren in Cork, das liegt im Süden von Irland. Ich sage dir, einfach traumhaft!“ Ich nicke, vielleicht haben Paddy und ich in den Weihnachtsferien ja mal Zeit rüber zu fliegen. In den Herbstferien wird meine Mom nach Deutschland kommen, um Paula und mich zu besuchen und Paddy wird zu mir kommen. Damit ich mich dieses Jahr wirklich auf die Schule konzentrieren kann, wird er mich nur in den Ferien besuchen. Ich seufze, zweieinhalb Monate alleine, das wird eine harte Zeit, aber gut, wenn ich einen einigermaßen guten Abschluss hinbekomme, werde ich in einem Jahr jeden Tag mit ihm zusammen sein können. Ach ja, meine Noten, ich muss ja noch mit Nadja unserem naturwissenschaftlichen Genie reden. „Sag mal Nadja, steht dein Angebot noch, dass du mir Nachhilfe geben willst?“ Erstaunst schaut sie mich an, sie hatte mir im letzten Schultag schon das Angebot gemacht mir in Mathe, Chemie und Physik zu geben, aber da hatte ich ihr deutlich gemacht, dass ich kein Interesse daran habe. „Klar, habe ich Lust. An
wie viele Stunden in der Woche hast du denn gedacht?“ Ich zucke mit den Schultern, ich habe
in Sachen Nachhilfe überhaupt keine Ahnung. „Nun gut, da es drei Fächer sind und du in allen drei auf fünf stehst, denke ich wir fangen mit zweimal zwei Stunden an.“ Ich seufze, zusätzlich zu meinem vollen Stundenplan noch einmal vier Stunden mehr. Aber nun gut, was sein muss, muss sein! Wir verabreden uns für morgen gleich nach der Schule, nun bleibt nur noch Biologie, aber das bekomme ich auch alleine hin. Frau Kreuder ist mittlerweile gegangen, da sie bemerkt hat, dass sie es heute sowieso nicht schaffen würde zu unterrichten. „Hey Andrea, wie war's in Griechenland?“ Andrea war zwei Wochen mit ihren Eltern in Griechenland und quasselt gleich drauf los. Als Paula und ich mittags nach Hause kommen, ist Nadine nicht da. Sie hat diese Woche Spätdienst und kommt erst gegen 18.30 Uhr von der Arbeit. Ich nehme mir einen Joghurt aus dem Kühlschrank und setze mich erstmal ins Wohnzimmer. Am ersten Tag haben wir zwar noch keine Hausaufgaben aus, aber ich will gleich trotzdem in mein Biobuch gucken. Schaden kann es ja nicht. Paula lässt sich neben mich fallen und fragt: „Sagt mal, kannst du mir ein bisschen was über Carsten erzählen?“ Ich grinse sie an: „Sag mal, bahnt sich da was zwischen euch an?“ „Quatsch! Ich find ihn halt einfach nur nett, mehr nicht.“, dabei läuft sie rot an und dreht sich schnell weg. Ich denke mir meinen Teil und gehe erstmal Bio lernen. Am späten Nachmittag klopft es und Paula kommt rein. Sie setzt sich und fragt: „Und?“ Fragend schaue ich sie an. „Was und?“ „Erzählst du mir nun was über Carsten? Hat er eine Freundin?“ „Also doch! Aber ich kann dich beruhigen, er hat keine Freundin. Ansonsten gibt es eigentlich nicht viel, was ich dir erzählen könnte. Frag ihn doch am besten selber.“ Sie murmelt etwas Unverständliches und schnappt sich ein Buch. Nach einiger Zeit fragt sie: „Sag mal, wie ist das eigentlich mit jemandem wie Paddy zusammen zu sein?“ „Das ist eine gute Frage. Ich glaube es ist genauso wie mit jedem anderen Freund! Ich meine, wir sind froh, wenn wir uns sehen, aber wir zoffen uns genauso wie jedes andere Pärchen auch. Ich sehe in ihm nicht den Star Paddy Kelly, sondern den Menschen Paddy Kelly. Klar ist es manchmal schwierig zu wissen, dass es da tausende junge Mädchen und Frauen gibt, die sich nichts sehnlicher wünschen, als mit meinem Freund zusammen zu sein, aber gut, man lernt damit umzugehen.“ „Also ich weiß nicht, ob ich so was könnte. Ich meine, hast du keine Angst, dass er dich betrügen könnte?“ „Nein! Ich vertraue ihm hundertprozentig! Ich weiß das er mich liebt und das er mich nie betrügen könnte.“ Paula zuckt mit den Schultern. „Naja, ich weiß ja nicht!“
Die nächsten Wochen vergehen zum Glück fast wie im Flug. Nadja kommt zweimal die Woche vorbei um mir Nachhilfe zugeben und ich muss sagen, es klappt besser als ich gedacht hatte. In Sachen Paula und Carsten hat sich nicht viel getan und so beschließe ich mal wieder Schicksal zu spielen und lade Carsten für das Wochenende zu mir ein. Erstaunt blickt er mich an. „Wie, ich soll das ganze Wochenende zu dir nach Tolk kommen? Wie komme ich denn zu der Ehre?“ „Och ich hab gedacht wir beide könnten mal wieder richtig miteinander schnacken. Ich finde in letzter Zeit ist das viel zu kurz gekommen.“ „Also Lust hätte ich schon, aber was sagt Paddy dazu?“ „Der hat nix dagegen. Er hat endlich kapiert, dass wir nur gute Freunde sind. Hast du noch gute Videos die du mitbringen könntest?“ Er scheint meine Frage völlig überhört zu haben und fragt nur: „Sag mal, ist Paula auch da?“ Ich habe echt Mühe mir das Lachen zu verkneifen, eigentlich ist es kaum zu übersehen, dass die beiden total aufeinander fliegen, aber es traut sich mal wieder keiner den ersten Schritt zu machen. Freitagabend rückt Carsten mit seinen Klamotten inklusive Schlafsack bei mir an. „Sag mal, denkst du nicht, dass es zum zelten n´ bisschen zu kalt ist?“ Verständnislos guckt er mich an. „Hä, wieso zelten? Ich wusste nur nicht, ob du nen Schlafsack für mich hast.“ „Ach komm Carsten, du willst doch nicht ehrlich die nächsten zwei Nächte auf´m Boden pennen, wenn in meinem Bett massig Platz ist!“ Er beginnt zu stottern: „Aber ich kann doch nicht mit dir in einem Bett schlafen, das geht doch nicht!“ „Wo ist das Problem? Wir sind beide erwachsen, na gut, fast erwachsen und uns einig, dass da außer guter Freundschaft nix zwischen uns ist. Und außerdem stehst du doch eh auf Paula!“ „Äh, woher...?“ Ich winke ab. „Also um das zu übersehen muss man schon blind sein. Wie du sie immer anschmachtest, du verschlingst sie ja fast mit deinen Blicken!“ „Und sie? Hat sie mal was verlauten lassen?“ „Nun ja, sie hat versucht mich über dich auszufragen.“ Seufzend lässt er sich auf mein Bett fallen. „Ich hab einfach kein Glück mit den Frauen. Weißt du wie peinlich das ist wegen einem Popstar verlassen zu werden? Ich hab gedacht, ich hör nicht richtig, als Jana gesagt hat, sie könne nicht mit mir zusammen sein, weil sie Nick Carter liebt! Das ist so frustrierend! Und dann um mich rum nur glückliche Paare. Langsam hab ich echt die Hoffnung aufgegeben!“ Ich nehme ihn in den Arm und meine
tröstend: „Kopf hoch, das mit Paula und dir klappt schon, da bin ich mir ganz sicher!“ Skeptisch blickt er mich an. „Na wenn du meinst. Ich hab da so meine Zweifel. Sie ignoriert mich doch komplett. Manchmal habe ich das Gefühl gar nicht für sie zu existieren, sie scheint einfach durch mich durchzuschauen.“ „Hey, Paula ist immer noch meine Schwester, wir haben die gleichen Gene und selbst wenn wir uns noch nicht solange kennen weiß ich doch schon wie sie tickt. Und glaube mir, so wie die momentan drauf ist, ist sie garantiert in dich verschossen. Und außerdem finde ich, dass ihr ein gutes Paar sein würdet. Und damit basta!“ Jetzt musst er doch lachen und meint: „Aha und weil du jetzt meinst, dass wie ein gutes Pärchen abgeben würden, müssen wir auch zusammenkommen oder wie? Das ist ja ne klasse Logik!“ „Ja, find ich auch. Aber nun ist Schluss mit Trübsal blasen, lass uns mit dem gemütlichen Teil beginnen. Nadine ist nicht da, wir haben also in der Küche freie Bahn. Also, was hältst du von Pizza?“ Fünf Minuten später stehen wir zu dritt in der Küche und schnippeln erst einmal Gemüse. Das kann natürlich nicht gut gehen und schon bald beginnen Paula und Carsten sich mit Paprikastücken zu bewerfen. „Hallo?! Ich wollte eigentlich noch etwas Paprika auf der Pizza haben. Könntet ihr also so freundlich sein und das Gemüse zufrieden lassen?“ Die beiden beginnen lauthals zu lachen und kriegen sich kaum wieder ein. Ich seufze und lasse sie machen, denn wenn Carsten erstmal seinen „Lachflash“ bekommt ist es eh zu spät. Irgendwie schaffen wir es dann doch noch die Pizza aufs Blech und in den Ofen zu bekommen und eine halbe Stunde später sitzen wir auf meinem Bett, essen Pizza und gucken „Scary Movie“. Die Schnulzenfilme halte ich lieber erstmal unter Verschluss, wir wollen ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Paula und Carsten verstehen sich zusehends besser und rücken immer mehr zusammen. Irgendwann wandert Carstens Hand zu Paulas und lässt diese auch nicht mehr los. Nach zwei weiteren Filmen werden wir alle langsam müde. Obwohl ich ihr anbiete, sie könne auch bei mir im Zimmer schlafen, geht Paula runter in ihr eigenes Zimmer. Als Carsten und ich im Bett liegen frage ich ihn: „Und, was ist nun los?“ Einen Moment herrscht Schweigen, dann meint er: „Tja, hoffen wir mal das Beste. Der heutige Abend hat mir wieder Hoffnung gemacht.“ Im Dunkeln taste ich nach seiner Hand, drücke sie noch einmal und wünsche ihm eine gute Nacht.
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Melanie
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Erstellt: 29.10.06, 21:22 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen
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Am nächsten Morgen beim Frühstück sitzen sich Carsten und Paula gegenüber und werfen sich immer wieder vorsichtige Blicke zu. „Sagt mal, sollen wir nachher noch mal in unser Biobuch gucken?“ Entsetzt gucken mich die beiden an. „Du willst was? Wir haben Samstag, es ist Wochenende!“ „Ja schon, aber falls ihr es vor lauter Flirterei vergessen habt, wir schreiben am Montag Klausur.“ Es ist die erste Bioklausur in diesem Halbjahr und gleichzeitig die letzte Klausur vor unserer Abschlussfahrt. Aber die Gedanken daran habe ich erst einmal ganz weit weg geschoben, denn wir fahren nach Köln, also eine ideale Gelegenheit Paddy zu treffen. Sogar Stefanie kann mit, sie fährt alleine vor und bringt Johanne und Phillip zu Angelo, der sich in den 10Tagen um die beiden kümmert. Tagsüber macht sie bei unseren Aktivitäten mit und abends fährt sie zu Angelo und den Kindern. Herr Staritz hat zwar im ersten Moment ziemlich rumgemuckt, aber als sich Stefanies Oma eingeschaltet hat und ordentlich Stunk gemacht hat, war auf einmal alles in Ordnung. „Also was ist jetzt mit Bio?“ Nach einigem Gemurmel willigen die beiden ein und so findet uns Nadine mittags lernend über unseren Büchern vor. „Huch, was ist denn hier los? Was für ein unbekanntes Bild! Hi Carsten, na schon von den beiden Mädels genervt?“ Er schaut kurz von seinem Heft auf und schüttelt den Kopf. „Na gut, ich werd mich dann mal ums Mittag kümmern. Ich ruf euch, wenn wir essen können.“ Noch bereitet mir das Thema ziemliche Kopfschmerzen, aber Paula hatte es schon im letzten Schuljahr und kann uns so gut helfen. Trotzdem bin ich am Montag tierisch nervös. Zwar haben wir noch den ganzen Samstag gelernt, aber ein kleiner Restzweifel ist doch geblieben. Als wir im Bioraum sitzen wirft mir Paula immer wieder aufmunternde Blicke, sie hat auch gut lachen, sie ist sowieso ein Bio-Ass und kennt das Thema schon. Als ich den Aufgabenzettel vor mir habe atme ich noch einmal tief durch und beginne zu schreiben. Herr Brade hat ständig ein Auge auf mich und Carsten, ich weiß auch nicht wieso die Lehrer immer denken, wir würden voneinander abschreiben, er weiß ja auch nicht viel mehr als ich. Trotz meiner Nervosität schlage ich mich meinem Gefühl nach recht gut, zumindest kann ich alle Fragen beantworten. Nachdem ich abgegeben habe, gehe ich auf den Flur, wo Tanja und Andrea schon sitzen und warten. „Na, wie ist es gelaufen?“ Ich zucke mit den Schultern und meine: „Ich
glaube, es ist ganz gut gelaufen. Oder besser gesagt, ich hoffe es ist gut gelaufen. Genug geübt hab ich auf jeden Fall. Und bei euch?“ Tanja winkt gleich ab, Bio war nie ihr Glanzfach und wird es auch nie werden und auch Andrea kann nur den Kopf schütteln. „Es war halt nicht mein Thema. Außerdem, wenn ich ehrlich bin hab ich von seinem Unterricht nicht wirklich viel mitbekommen.“ Nach und nach kommen auch alle anderen zu uns und bei keinem scheint es wirklich gut gelaufen zu sein. Carsten kommt aus der Klasse, schmeißt seinen Rucksack fluchend in die Ecke und tritt einmal kräftig gegen die Wand. Gut, ihn brauche ich also erst gar nicht fragen, wie es gelaufen ist. In der nächsten Stunde erlaube ich mir dann mal wieder etwas abzuschalten. Eigentlich hätten wir Erdkunde, aber Herr Staritz findet es mal wieder wichtiger über seine Feuerwehr zu reden. Ich blättere in meinem Kalender, nur noch knappe zwei Wochen und dann werde ich Paddy wieder treffen. Aber halt, irgendwas irritiert mich, habe ich vergessen aufzuschreiben, wann ich das letzte Mal meine Tage hatte oder hatte ich sie etwa gar nicht? Angestrengt überlege ich, wir haben jetzt Anfang Oktober, wann hatte ich sie das letzte Mal? Ein Schrecken durchzuckt mich, es ist ewig her, sollte ich etwa...? NEIN, das darf nicht sein! Carsten, der neben mir sitz, fragt: „Sag mal, ist dir nicht gut? Du bist auf einmal so blass.“ Verwirrt schüttele ich den Kopf, den Gedanken muss ich erst einmal selber verdauen. Es kann einfach nicht wahr sein, ich darf nicht schwanger sein! Auch Paula bemerkt jetzt, dass etwas nicht stimmt und fragt: „Hey, was ist los mit dir? Ist irgendwas?“ Wieder schüttele ich den Kopf. Der Rest des Vormittages rauscht an mir vorbei, immer wieder geht mir der Satz durch den Kopf: „Menschenskind, was wäre, wenn du schwanger bist?“ Ja, was wäre wenn? Paddy würde sich bestimmt freuen, aber will ich das schon? Kann ich jetzt schon ein Kind großziehen und vor allem will ich jetzt schon ein Kind großziehen? Zuhause verkrieche ich mich sofort in meinem Zimmer und komme für den Rest des Nachmittages auch nicht mehr raus. Nadine kennt das schon von mir und sie weiß, dass ich zu ihr komme, wenn ich wirklich Hilfe brauche. Und so ist es dann auch, kurz nach dem Abendessen gehe ich zu ihr ins Wohnzimmer. „Du Nadine, hast du mal ein paar Minuten Zeit für mich?“ „Klar, komm setz dich. Was ist denn los mit dir? Du schleichst schon den ganzen Nachmittag durchs Haus.“ Ich muss schlucken und merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen. Mit belegter Stimme flüstere ich: „Nadine, ich glaube ich bin schwanger!“ Sie atmet einmal tief ein, blickt mich an und fragt: „Glaubst du es nur oder weißt du es?“ „Ich glaube es. Ich bin überfällig.“ „Wie lange?“ „Ich weiß es nicht genau, ungefähr sechs Wochen.“ „Weiß Paddy schon Bescheid?“ Ich schüttele den Kopf. „Gut, du fährst morgen nach der Schule sofort zum Frauenarzt und klärst das ab und dann sehen wir weiter. Und wenn du wirklich schwanger bist, dann finden wir schon eine Lösung. Würdest du das Kind denn überhaupt behalten wollen?“ Jetzt ist es um mich geschehen und ich fange hemmungslos an zu weinen. „Nadine, ich weiß einfach nicht weiter! Ich meine, ich will doch meinen Abschluss bekommen, ich muss doch eine Ausbildung haben. Aber ich kann doch mein Kind auch nicht umbringen.“ „Komm, noch weißt du ja gar nicht, ob du wirklich schwanger bist. Was im Einzelnen passieren muss, das können wir immer noch bereden, wenn feststeht, dass du wirklich schwanger bist.“ Ich nicke stumm und meine: „Dankeschön!“ „Wofür?“ „Das du nicht ausgerastet bist und mir keine Vorwürfe machst.“ „Das würde ja auch nichts mehr bringen. Also erspare ich dir und mir den Ärger.“ „Ich geh dann mal ins Bett.“, murmele ich und schleiche im mein Zimmer. Seufzend lässt Nadine sich zurück auf das Sofa fallen. Sie macht sich heftige Vorwürfe, hätte sie besser aufpassen sollen? Hätte sie es verhindern können? Während ich meinen Rucksack für morgen packe, klingelt mein Handy. Ich schaue auf das Display und sehe, dass es Paddy ist, der mich anruft. Ich überlege einige Sekunden ob ich rangehen soll, drücke dann aber auf den OK-Knopf. „Hi mein Schatz, wie geht es dir?“ Soll ich es ihm sagen oder soll ich es für mich behalten? Während ich noch überlege was ich nun sagen soll fragt er: „Sag mal, was ist los mit dir? Geht's dir nicht gut?“ Ich seufze, er bekommt es ja sowieso mit. Leise sage ich: „Paddy, ich glaube ich bin schwanger!“ Am anderen Ende herrscht erstmal Schweigen. „Paddy, bist du noch dran?“ „Ja. Ich muss das nur erstmal verdauen. Warst du schon beim Arzt?“ „Nein, ich gehe morgen nach der Schule hin. Paddy, was würdest du sagen, wenn wir wirklich ein Baby bekommen würden?“ „Ich würde mich freuen, das weißt du doch. Aber wie sieht es mit dir aus?“ „Ach Paddy, ich weiß überhaupt nicht mehr was ich will! Eigentlich war ich mir sicher, dass ich jetzt auf keinen Fall ein Baby haben möchte. Aber wenn ich wirklich schwanger sein sollte, dann
würde ich das Kind auf jeden Fall behalten.“ Ich höre ein Aufatmen am anderen Ende. Hat er
wirklich gedacht, ich könnte unser Baby umbringen. „Soll ich vorbei kommen?“ Ich überlege, es wäre schön ihn wieder zu sehen, nur die Umstände hatte ich mir anders vorgestellt. „Kann ich dir das morgen sagen? Wenn ich wirklich schwanger bin, wäre es schön, wenn du hier sein könntest. Vor allem wenn ich es meiner Mom sagen muss. Paddy ich hab Angst!“ „Hey mein Schatz, wir schaffen das schon! Es gibt immer eine Lösung. Und nun versuch ein bisschen zu schlafen und morgen sehen wir weiter. Ich meld mich bei dir. Schlaf gut und alles Gute!“ Seufzend geht er runter in die Küche um noch etwas zu essen. Er schaut in den Kühlschrank, doch auf einmal bemerkt er, dass er eigentlich keinen Hunger mehr hat. Er lässt sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und starrt aus dem Fenster. Er muss dringend mit jemandem reden, aber mit wem? Angelo, ja der wär der Richtige! Er geht zu Angelos Zimmer, dieser liegt auf seinem Bett und liest. „Angelo, hast du mal einige Minuten Zeit für mich?“ „Klar, komm rein, was ist denn los?“
Am nächsten Morgen werde ich durch meinen Wecker wach, habe aber eigentlich gar keine Lust aufzustehen. Doch Nadine ist da anderer Meinung und scheucht mich aus dem Bett. „Nadine, kann ich nicht schon heute Vormittag zum Arzt? Bitte, ich würde mich dann besser fühlen. Was bringt mir das, wenn ich in der Schule sitze und sowieso nichts mitbekomme? Ich
hol den Stoff auch nach.“ „Na gut, zieh dich an, ich bring dich nach Schleswig. Aber wenn alles in Ordnung ist, gehst du danach zur Schule!“, meint sie seufzend und geht wieder nach unten. Als ich im Wartezimmer sitze werde ich immer unruhiger und rutsche auf meinem Stuhl hin und her und bin heilfroh, als ich aufgerufen werde. Als erstes wird mir Blut abgenommen und ich werde zurück ins Wartezimmer geschickt. Nadine nimmt meine Hand und drückt sie. „Das wird schon, egal was passiert!“ Diese zehn Minuten Wartezeit ziehen sich endlos wie Kaugummi und als ich das zweite Mal aufgerufen werde, gehe ich mit wackeligen Knien ins Wartezimmer. „Ich kann sie beruhigen, sie sind nicht schwanger!“ Erleichtert sacke ich auf meinem Stuhl zusammen und mir fällt ein wahrer Felsbrocken vom Herzen. „Aber bei der Blutuntersuchung haben wir festgestellt, dass sie an Eisenmangel leiden. Ich verschreibe ihnen Eisenpräparate, die sie einmal am Tag einnehmen und in vier Wochen sehen wir uns wieder. Lassen sie sich von der Sprechstundenhilfe einen Termin und das Rezept geben. Und auf Wiedersehen!“ Ich springe Nadine entgegen und sage erleichtert: „Negativ! Nicht schwanger!“ Auch Nadine schaut ziemlich erleichtert drein und bringt mich, nachdem ich mir Rezept und Termin geholt habe, nach Böklund. Dort werde ich schon sehnsüchtig von Carsten, Tanja und Andrea erwartet. „Mensch, wo warst du denn? Wir haben uns schon Sorgen gemacht und Paula ist auch nicht mit der Sprache rausgerückt.“ Vorsichtig guckt Paula mich an und ich schüttele fast unmerklich den Kopf und strahle sie an. „Ich war beim Arzt, ich musste was abklären.“, sage ich und kein Wort mehr. In der Geschichtsstunde liegt auf einmal ein Zettel von Carsten auf meinem Heft. `Und, bist du schwanger? ´ Erstaunt blicke ich zur Seite und schreibe `Woher hast du´s gewusst? ´ `Na so schwer war das ja nicht. Gestern hast du in deinem Kalender geblättert und bist kalkweiß geworden und heute Morgen rennst du zum Arzt. Da liegt meine Vermutung ja nahe. ´ `Das ist ja mal richtig scharf nachgedacht, aber ich muss dich enttäuschen, du wirst in nächster Zeit nicht Patenonkel werden! ´ `Na, dann bin ich aber beruhigt. Was hat Nadine denn gesagt? ´ `Die ist erstaunlich ruhig geblieben. ` Hier werden wir mal wieder von Herrn Staritz unterbrochen, der endlich, nach fast zwanzig Minuten mit dem Unterricht beginnt. Kaum bin ich mittags zuhause rufe ich bei Paddy an. Auch er hört sich ziemlich erleichtert an, was mich eigentlich verwundert. Auf meine Nachfrage meint er: „Naja, was bringt uns ein Kind, wenn du nicht glücklich bist? Damit ist doch keinem geholfen.“ Oho, so weise Worte aus seinem Mund, von wem hat er die denn? „Nun ja, ich habe gestern Nacht noch lange mit Angelo geredet. Und es ist mir klar geworden, dass es uns nichts bringt uns überstürzt ins Familienleben zu stürzen. Selbst wenn es bei Angelo und Stefanie mittlerweile einigermaßen klappt, es ist schwierig, vor allem für Stefanie. Sie ist selbst noch nicht erwachsen und muss so gesehen alleine für zwei Babys sorgen. Und das will ich dir einfach ersparen. Wir haben alle der Zeit der Welt und die sollten wir uns auch nehmen!“ „Ich bin auch echt froh, dass alles nur falscher Alarm ist, obwohl ich die Schule ziemlich lästig finde. Aber in zwei Wochen bin ich ja in Köln, ich freu mich schon!“ „Ich mich auch, wann genau seid ihr denn hier?“ „Wir kommen am Montagabend an, wann genau kann uns noch keiner sagen. Wir fahren um 7°° Uhr in Böklund los, aber weiß schon wie lange wir brauchen.“ „Na gut, meldest du dich dann, wenn du mal Zeit hast?“
Zwei Wochen später stehen Paula und ich ziemlich verschlafen vor der Schule und warten auf den Rest unserer Klasse. Da Nadine Vormittagsschicht hat, sind wir die Ersten, außer uns ist noch niemand zu sehen. Wir setzen uns auf unsere Taschen und warten. Als nächstes trudeln Andrea und Tanja ein, auch die Zwei sind noch ziemlich müde, aber schon total aufgeregt. Zu viert schmieden wir Pläne für unsere freie Zeit in Köln, im Winter als wir in Gymnich waren, haben wir von Köln ja nicht allzu viel mitbekommen. „Also ich will auf jeden Fall auf den Kölner Dom, die Aussicht von da aus soll genial sein.“, sagt Andrea und wippt ungeduldig von einem Bein aufs andere. „Shoppen müssen wir auch unbedingt gehen, ich hab extra noch ein paar Babysitterschichten eingelegt um genügend Geld zu haben.“ Um viertel vor sieben sind endlich alle da und wir können in den Bus einsteigen. Jetzt beginnt der Kampf um die anscheinend besten Plätze. Keiner will vorne bei den Lehrern sitzen, aber R10a und R10b, unsere Parallelklasse, wollen auch nicht zusammensitzen. Her Staritz, Frau Flüh und Frau Günther, unsere Lehrer, sind schon nach den ersten zehn Minuten mit den Nerven fertig und froh, als alle sitzen. Ich mache es mir neben Carsten gemütlich, stecke meine Kopfhörer vom Discman in die Ohren und schlafe erstmal ne Runde. Wer weiß, wann ich mal wieder dazu komme in Ruhe zu schlafen, denn eine Klassenfahrt bedeutet vor allem eines: Schlaflose Nächte! Um mich herum herrscht schon nach der ersten halbe Stunde das totale Chaos, jeder redet mit jedem und jeder macht mit jedem Pläne für die kommenden Tage. Die Lehrer haben sich erweichen lassen, das geplante Programm auf ein Minimum zu reduzieren. Eigentlich war ja eine Klassenfahrt ins Ausland angedacht, aber da Frau Günther sich für so eine lange Reise zu alt fühlt mussten wir in Deutschland bleiben. Die Zimmeraufteilung steht zum Glück auch schon seit gut einer Woche, so dass das Thema jedenfalls geklärt ist. Tanja, Andrea, Paula und ich belegen ein vierer Zimmer, da Stefanie die Nächte bei Angelo und ihren Kindern verbringt passt das ja ganz gut. Die Fahrt zieht sich wie Kaugummi und durch zwei dicke Staus dauert es noch länger. Um 16°° Uhr kommen wir endlich an der Jugendherberge in Köln an und sind ziemlich fertig. Wir wollen nur noch auf unser Zimmer, auspacken und duschen. Doch als wir die Zimmertür aufschließen bekommen wir erstmal einen Schock. Das Zimmer ist echt winzig und ein Badezimmer nicht in Sicht. Wir haben kaum Platz uns alle auf einmal in dem Zimmer aufzuhalten, es stehen wirklich nur zwei Stockbetten und zwei winzige Schränke in dem Raum und zwischen Betten und Wand ist kein halber Meter Platz. Ich lasse meine Tasche fallen und drehe mich entsetzt einmal um mich selbst. „Was für eine Bruchbude!“, mehr sage ich nicht. Und damit habe ich vollkommen Recht. Den Stuhl in der Ecke ignorieren wir gleich, denn er sieht nicht wirklich vertrauenserweckend und auch die zwei Schränke schauen aus, als würden sie sofort zusammenfallen. Wütend dreht sich Paula um und ruft nach Herrn Staritz. „Schauen sie mal, so kann man uns doch nicht wohnen lassen! Wir verlangen ein anderes Zimmer!“ Auch Herr Staritz blickt sich entsetzt in dem Zimmer um und murmelt was von Bruchbude. Dann dreht er sich um und kommt kurz darauf mit einem neuen Schlüssel wieder. „So, ich habe euch ein neues Zimmer besorgt, ihr müsst allerdings eure Taschen bis in den zweiten Stock tragen.“ Aber das nehmen wir gerne in Kauf und das neue Zimmer ist echt der Hit. Ein eigenes Badezimmer und viel mehr Platz. „So, hier lässt es sich doch eher aushalten und nun lasst uns endlich auspacken.“ Eine knappe Stunde später sind alle Klamotten verstaut und wir sind frisch geduscht. Jetzt heißt es erstmal Klassenversammlung im Speisesaal, wir bekommen die allgemeinen Hausregeln gesagt, lange Liste, und die Verhaltensliste der Lehrer, noch viel länger. Wir dürfen dies nicht und das nicht und jenes ist verboten und das ist nicht erwünscht. Und um 23°° Uhr ist Zapfenstreich, heißt um 23°° Uhr müssen wir im Bett sein und es ist Bettruhe. Ein allgemeines Seufzen macht sich breit, vor allem als wir hören, dass um 23°° Uhr der Strom und das warme Wasser abgestellt und erst morgens um 7°° Uhr wieder angestellt wird. „Wo sind wir denn hier? Das ist ja schlimmer wie im Knast!“, meckert Tanja und spricht uns allen aus der Seele. Um 8°° Uhr gibt es Frühstück und um 18°° Uhr Abendbrot, dazwischen wird unser Programm gequetscht und die Nachmittage und Abende haben wir zur freien Verfügung. Ach ja und Tischdienst gibt es auch noch. Unser Zimmer meldet sich gleich für den heutigen Abend, dann haben wir es jedenfalls hinter uns. Das Essen verläuft chaotisch und selbst die Lehrer bekommen keine Ruhe rein. Nachdem wir abgeräumt und gefegt haben ist es fast 19°° Uhr, der Abend ist noch lang, ich könnte ja theoretisch bei Paddy anrufen, damit er vorbeikommt. Zum Weggehen ist es ja schon zu spät, aber es spricht ja nichts gegen einen
gemütlichen Abend hier in der Jugendherberge. Auch Paula scheint so eine ähnliche Idee zu
haben und hat schon mal vorsorglich Carsten zu uns aufs Zimmer eingeladen. Grinsend machen Tanja, Andrea und ich uns auf den Weg zu unserem Zimmer, Paula geht noch mit Carsten bei ihm vorbei um Chips, Cola und seine Gitarre zu holen. Ich greife nach meinem Handy um Paddy anzurufen. Er freut sich, dass ich endlich da bin und verspricht in einer halben Stunde da zu sein. „Sag mal, wo bleiben eigentlich Paula und Carsten? Ich dachte, die beiden wollten nur ein paar Sachen holen?“; meint Tanja grinsend. „Läuft da was zwischen den beiden? Du sitzt doch an der Quelle, hast du irgendwas gehört?“ „Tja, die zwei tänzeln ständig umeinander rum, aber niemand traut sich den ersten Schritt zu machen. Ist schon traurig, aber noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, vielleicht bringt die Klassenfahrt ja was.“ In diesem Moment geht die Tür auf und Paula und Carsten kommen lachend ins Zimmer. „Da seid ihr ja endlich, wir dachten schon, ihr wärt verloren gegangen.“ Die zwei schauen sich an und bekommen mal wieder einen ihrer Kicheranfälle. Seufzend mache ich mich auf den Weg nach draußen um auf Paddy zu warten, es ist schon ziemlich kalt und so hüpfe ich immer im Kreis von einem Bein aufs andere. Paddy, der mich schon von weitem sieht schleicht sich an mich ran und umarmt mich von hinten. Erschrocken drehe ich mich um und schreie: „Sag mal spinnst du? Du kannst mich doch nicht so erschrecken!“ „Sorry, aber du sahst zu komisch aus. Du bist wie Rumpelstilzchen im Kreis gehüpft, es fehlte nur noch das Feuer.“ „Ach du bist doch ein Spinner! Trotzdem schön dich zu sehen!“ Er nimmt mich in den Arm und gibt mir einen langen Kuss. Ein paar Minuten stehen wir einfach nur da und halten uns im Arm, irgendwann meine ich: „Lass uns mal lieber reingehen, langsam wird mir nämlich kalt.“ Bei uns auf dem Zimmer ist schon der Teufel los. Außer Andrea, Tanja, Paula und Carsten sitzen mittlerweile auch noch Jan, Simon, Hella und Jasmin bei uns und es ist wirklich eng. Das allein wäre ja noch nicht schlimm, aber wie es scheint sind Hella, Jan und Simon schon ziemlich angetrunken und lallen eigentlich nur Blödsinn vor sich hin. Bevor Herr Staritz noch was bemerkt, schieben wir die ganze Truppe zurück auf den Flur. Auf Stress gleich am ersten Abend haben wir keinen Bock. Nun kann endlich der gemütliche Teil des Abends beginnen. Carsten hat mittlerweile seine und meine Gitarre gestimmt und Paddy greift sie sich und beginnt zu klimpern. Kurz schauen Herr Staritz und Frau Flüh bei uns rein, sehen aber dass alles in Ordnung ist und gehen wieder. „Man gut wir haben die Idioten vorhin rausgeworfen, sonst würden wir spätestens morgen früh im Zug sitzen. Hat jemand Lust auf ne Runde UNO?“ Viel zu schnell geht dieser Abend zu Ende und auf einmal geht das Licht aus. Erschrocken fragt Paddy: „Was ist denn nun los? Ist Stromausfall?“ Wir anderen wissen ja was los ist und meinen: „Ne, nix Stromausfall, es ist 23°° Uhr, dann wird hier Strom und Warmwasser abgestellt.“ „Puh, das ist ja wie im Gefängnis hier. Ich glaub dann geh ich mal lieber, nicht dass ich hier noch eingesperrt werde. Hast du morgen Nachmittag schon was vor?“ „Nichts bestimmtes, wir wollten uns mal die Kölner City anschauen. Hast du Lust Fremdenführer zu spielen?“ „Klar, gerne. Um 16°° Uhr am Dom?“ Wir nicken und ich bringe ihn noch bis vor die Tür. „Schlaf gut mein Schatz und bis morgen. Ich hab dich lieb.“ Als ich zurück ins Haus gehe muss ich mich an Frau Flüh, Frau Günther und Herrn Staritz vorbeischleichen, die die Zimmer kontrollieren. Ich schüttele den Kopf und sprinte leise nach oben. Kaum liege ich im Bett geht auch schon die Tür auf und Frau Flüh steckt ihren Kopf ins Zimmer: „Alles klar hier? Alle Betten besetzt?“ Als sie wieder draußen ist setzt Tanja sich seufzend auf und meint: „Also morgen in der Stadt besorgen wir uns erstmal ordentliche Taschenlampen, jede Menge Batterien und vor allem Kerzen! Wenn wir schon so früh auf unseren Zimmern sein müssen, dann will ich jedenfalls noch was vom Abend haben.“ Andrea und ich krabbeln hoch zu Paula und Tanja um noch ein bisschen zu schnacken. Thema Nr.1 sind natürlich die momentanen Liebesangelegenheiten. „Sag mal Tanja, was ist eigentlich mit dir und Jimmy los? In letzter Zeit hört man gar nichts mehr von ihm.“ Tanja druckst einen Moment rum und sagt dann: „Wir haben uns getrennt. Schon in den Sommerferien. Es hat einfach nicht mehr zwischen uns gestimmt und so ist es besser.“ „Hey, wieso hast du nie was gesagt?“ Tanja zuckt nur mit den Schultern. „Weiß auch nicht. Vielleicht weil es einfach nicht so wichtig war. Gut, wir waren ein halbes Jahr zusammen, aber zum Schluss waren wir eher gute Freunde als ein Liebespaar. Wir haben uns einfach auseinander gelebt und wussten immer weniger voneinander. Und da war der letzte logische Schritt sich zu trennen. Ganz ohne Streit, ganz friedlich. Lieber jetzt so und friedlich, als später und im Streit.“ „Naja, wenn es wirklich nicht geklappt hat, ist es
wirklich besser so. Schade ist es trotzdem. Und Paula, was ist jetzt mit dir und Carsten? Da muss sich doch endlich mal was tun!“ Paula seufzt. Das Thema Carsten bereitet ihr immer noch Kopfschmerzen. „Ach ich weiß auch nicht. Er traut sich nicht, ich trau mich nicht und so wird das wohl nie was mit uns werden.“ „Hey Kopf hoch, dann werden wir uns mal was ausdenken, damit es endlich klappt. Es ist doch offensichtlich, dass ihr aufeinander fliegt.“
Die nächsten Tage ziehen sich endlos hin und scheinen nicht enden zu wollen. Die ersten zwei Tage sind ja noch einigermaßen spannend, aber spätestens beim sechsten Museum ist auch bei den absoluten Kölnverfechtern die Luft raus. Immer wieder dasselbe, morgens um halb acht aufstehen, frühstücken, irgendein Museum angucken und am späten Nachmittag irgendwo unsere müden und wunden Füße hochlegen. Abends besaufen sich die meisten und die, die es nicht tun, versuchen sich irgendwie anders abzulenken. Am letzten Tag klinke ich mich am Nachmittag aus dem Programm aus und treffe mich mit Paddy. Mit Hella, die im Erdgeschoss pennt habe ich abgemacht, dass ich nachts durchs Fenster rein kann und Paula, Andrea und Tanja decken mich bei Frau Flüh. Wir gehen erst im „La Patata“ essen und danach ins Kino, doch irgendwann geht auch dieser, ausnahmsweise mal schöner Abend zu Ende. Paddy bringt mich noch bis zur Jugendherberge und dann müssen wir uns verabschieden. Doch dieses Mal ist es zum Glück nicht für allzu lange Zeit, denn in zwei Wochen beginnen die Herbstferien und dann kommt er mich besuchen. Leise schleiche ich mich zurück in die Jugendherberge, doch auf dem Flur treffe ich auf Frau Flüh. Erschrocken zucke ich zurück, doch sie winkt mich vorbei und meint nur: „Ich hab dich nicht gesehen.“ Erleichtert atme ich auf und husche in unser Zimmer. Die anderen drei schlafen schon und so ziehe ich mich leise aus und gehe ins Bett. Am nächsten Morgen sitzt 2/3 der Klasse am Tisch und sieht ziemlich verkatert aus. „Sag mal, was war hier gestern Abend los? Hab ich irgendwas Weltbewegendes verpasst?“ Tanja kichert leise vor sich hin. „Oh ja und was du verpasst hast! Gestern Abend ist hier die Party des Jahrhunderts gestiegen. Simon und Jan sind um 23°°Uhr volltrunken über den Flur getorkelt und sind genau in Frau Günthers Arme gelaufen und Björn meinte sich vor Staritz Zimmertür übergeben zu müssen. Der hat einen Aufstand gemacht, komisch das du ihn nicht gehört hast, der hat halb Köln zusammen geschrieen!“ „Oh ja und Hellas Striptease im Vorgarten, der war auch klasse, diese Klassenfahrt wird in die Geschichte eingehen! Ach ja und Paula und Carsten erst...“ Erschrocken blicke ich von meiner Müslischale auf. „Was war mit Paula und Carsten? Haben die auch Scheiße gebaut?“ Andrea grinst und meint: „Die sind nach dem Abendbrot verschwunden und Paula ist erst kurz nach Mitternacht wiedergekommen. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht und dann ist sie ohne ein Wort zu sagen ins Bett gegangen.“ Ich halte Ausschau nach den beiden, doch keine Spur. „Na, es wäre ja schön, wenn es mit den zweien endlich geklappt hätte. Jedenfalls etwas Positives an der Klassenfahrt, der Rest war ja doch ziemlich lahm.“ „Ach komm, der letzte Abend war doch sehr amüsant. Also wir hatten viel Spaß! Oder Andrea?“ Andrea nickt heftig mit dem Kopf. „Ach ja, es war sehr lustig, vor allem Hellas Gesicht, als sie von Frau Günther halbnackt aus dem Blumenbeet gezerrt wurde. Aber dein Glück, in dem ganzen Chaos ist dein Verschwinden gar nicht aufgefallen. Günther und Staritz waren viel zu sehr damit zu beschäftigt Schnapsleichen einzusammeln, als dass sie hätten die Zimmer kontrollieren können. Tanja und ich haben uns den ganzen Abend relativ ruhig verhalten, haben uns ab und zu mal auf dem Flur blicken lassen und um kurz nach zehn in Gegenwart von Frau Flüh verkündet, wir vier würden jetzt zu Bett gehen. Hat anscheinend gewirkt, es hat sich niemand mehr blicken lassen.“ „Dann wundere ich mich aber wirklich, dass Frau Flüh gestern Nacht nichts gesagt hat, als sie mich auf´m Flur erwischt hat. Bei allem was passiert ist, hätte sie doch total ausrasten müssen, es war doch schon nach zwei Uhr.“, meine ich verwundert. „Wie, Frau Flüh hat dich erwischt und nichts gesagt? Alle Achtung, diese Lehrerin imponiert mir!“ Wie zu erwarten lassen sich die Lehrer heute nicht beim Frühstück blicken, wahrscheinlich herrscht noch Kriegsrat. Nach dem Essen gehen wir auf unser Zimmer um unsere letzten Klamotten einzupacken und das Zimmer aufzuräumen. Paula ist immer noch nicht in Sicht und langsam mache ich schon ein paar Sorgen, es wird doch hoffentlich nichts passiert sein? Seufzend räume ich ihre Sachen aus dem Bad zusammen, ziehe ihr Bett ab und packe ihren Koffer. Kurz bevor wir zum Bus müssen, kommt sie total aufgelöst angerannt und keucht: „Sorry, ich hab total die Zeit verpasst, könnt ihr mir beim Packen helfen?“ Grinsend sage ich: „Erstens, gepackt haben wir längst, zweitens, wo warst du und drittens, wir wollen Einzelheiten!“ Paula läuft Knallrot an, scheint jeden Moment zu
explodieren und nuschelt: „Ach, ist nicht so wichtig, da gibt’s nichts zu erzählen, hab mich halt verquatscht.“ Tanja, Andrea und ich beginnen zu lachen. „Ach so nennt man das jetzt... Lass mich raten, ein gewisser Carsten hat jetzt das gleiche Problem mit ungepackten Taschen, denn er hat sicher nicht so nette Freunde wie du. Also nun raus mit der Sprache! Du kannst uns nichts vormachen!“ Doch bevor wir auch nur die klitzekleinste Kleinigkeit aus ihr herauskitzeln können schnappt sie sich ihre Taschen und rennt Richtung Bus. Wir drei natürlich hinter ihr her, aber ihr Vorsprung ist einfach zu groß. Und dann werden wir auf dem Weg nach draußen auch noch vom Hausmeister abgefangen, der grimmig nachfragt, ob wir unser Zimmer denn auch sauber verlassen hätten. Wir versichern ihm zwar, dass wir gefegt haben, die Stühle hochgestellt und die Betten gemacht sind, aber trotzdem müssen wir mit ihm zurück um bei der Abnahme mit dabei zu sein. Er scheint unsere Beschwerde vom ersten Tag wirklich persönlich zu nehmen, denn ich glaube nicht, dass er in irgendeinem anderen Zimmer mit dem Finger über dem Türrahmen langgeht und unter der Matratze nachschaut. Aber leider findet er nichts, was er bemängeln könnte, was ihn noch brummiger werden lässt. Als wir endlich nach draußen kommen ist Paula natürlich nicht mehr zu sehen, nur ihr Koffer und ihr Rucksack stehe einsam vor der Tür. Nun gut, wir werden schon rausbekommen, was wir wissen müssen. Als erstes machen wir uns auf die Suche nach Carsten, wie zu erwarten war ist er immer noch hektisch am Packen. Alle andern aus seinem Zimmer haben sich schon aus dem Staub gemacht. „Na, noch am Packen? Ja, ja, das kommt wenn man halbe Nächte mit meiner Schwester verbringt, dann vergisst man halt das Einpacken.“, sage ich grinsend und hoffe, dass meine Taktik funktioniert. Und wirklich, Carsten springt sofort drauf an und meint: „Woher...? Hat Paula doch was gesagt?“ „Danke, mehr wollten wir gar nicht wissen!“, sagt Tanja und wir drei schauen uns triumphierend an. „Ach scheiße! Ihr seid doch gemein! Das war eine absolut fiese Idee!“ Wir kichern vor uns hin, helfen ihm dann aber beim Packen, damit er noch fertig wird. Pünktlich um halb elf stehen wir alle am Bus, jetzt fehlen nur noch die Lehrer. Ihr Erscheinen gleicht dem Einzug der Gladiatoren, mit grimmigen Gesichtern gehen sie wortlos an uns vorbei und setzen sich in den Bus. „Boah, da herrscht ja wirklich miese Stimmung!“, meine ich und setze mich neben Tanja. „Naja, nach der letzten Nacht ist das ja auch kein Wunder. Ich versteh die Lehrer ja schon und bin echt mal gespannt, welches Nachspiel da noch folgt. So wie ich gehört habe, hat Staritz heute Morgen schon mit der Schule telefoniert und auch die Eltern informiert. Das kann ja noch heiter werden, ich bin schon echt auf morgen gespannt.“ Nach der letzten Nacht bin ich doch noch ziemlich müde, schließlich habe ich nur ein paar Stunden geschlafen und so nicke ich noch bevor wir auf der Autobahn sind ein. Zurück in Böklund wartet Nadine schon auf uns. Da ich im Bus lange geschlafen habe, bin ich jetzt ziemlich wach und hüpfe ihr lachend entgegen. „Hallo Nadine! Schön dich wieder zu sehen!“, rufe ich und falle ihr um den Hals. Ziemlich erstaunt von meinem spontanen Gefühlsausbruch meint sie: „Na, na, war die Klassenfahrt so schlimm?“ Ich zucke mit den Schultern und sage erstmal gar nichts dazu, mit den Lehrern im Nacken ist mir das zu heikel. Jetzt fällt Nadines Blick auf Carsten und Paula, die Händchen haltend in einer Ecke stehen und sich tief in die Augen blicken. „Aber holla, hab ich da was verpasst? Hat es endlich mit den beiden geklappt? Das wurde ja auch mal Zeit!“ Trotzdem drängt Nadine jetzt zum Aufbruch, es ist schon nach 18°° Uhr, wir sollen noch nach Hause, was essen schon mal mit der Wäsche anfangen und morgen ist trotz allem wieder Schule. Während Paula und ich schon mal die erste Maschine Wäsche anschmeißen kümmert sich Nadine ums Essen. Paula und ich stürzen uns drauf, als hätten wir in Köln hungern müssen. Aber das Essen in der Jugendherberge war nun einfach mal schlecht, das kann man nicht anders sagen. Fassungslos starrt Nadine auf unsere Teller, die sich innerhalb kürzester Zeit leeren. „Sagt mal, haben die euch in Köln hungern lassen?“ Mit vollem Mund nuschelt Paula: „Hör mir bloß auf, das Essen war so schlecht, nie wieder will ich so einen Fraß vorgesetzt bekommen. Von Pfeffer und Salz scheinen die Köche noch nie was gehört zu haben und ausgewogene Ernährung scheint da auch ein Fremdwort zu sein. Entweder war das Fleisch nicht durch oder aber es war angebrannt, viel mehr Möglichkeiten hattest du nicht. Fast unser ganzes Taschengeld ist fürs Essengehen draufgegangen.“ „Und euren Lehrern ist denen auch das Essen auf den Magen geschlagen oder hatte deren schlechte Laune einen anderen Grund?“ Paula und ich drucksen einen Moment herum und finden den Salat auf unserem Teller auf einmal ziemlich spannend. Nun wird Nadine natürlich neugierig, denn unsere schuldbewussten Blicke lassen schlimmes erahnen.
„So, nun aber raus mit der Sprache, da ist doch was vorgefallen!“ Ich nicke Paula zu und sie meint stockend: „Nun ja, sagen wir mal so, gestern Abend haben einige Leute aus unserer Klasse wohl ihren Alkoholkonsum etwas überzogen?“ Kritisch sieht Nadine uns an und fragt: „Und was genau bedeutet das?“ „Ähm, ja, sagen wir mal so, es war gestern Abend ziemlich chaotisch und es ging alles ein bisschen drunter und drüber. Willst du wirklich Einzelheiten wissen?“ Sie winkt ab und meint: „Die bekomme ich spätestens beim nächsten Elternabend und der wird ja wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen. Und ich denke ihr beiden solltet jetzt ins Bett gehen, denn morgen früh ist wieder Schule angesagt.“ Ich versuche zu protestieren. „Aber Nadine, wir müssen doch erst zur zweiten Stunde hin.“ „Keine Widerrede, ihr müsst trotzdem um sieben aus dem Bett und ich hab keinen Bock zwei Muffelgesichter am Frühstückstisch sitzen zu haben. Also, eine gute Nacht euch beiden!“ Missmutig stiefele ich hoch in mein Zimmer, doch kaum habe ich meinen Rucksack für morgen gepackt und eine SMS an Paddy geschickt schlafe ich ein. Am nächsten Morgen in der Schule herrscht ziemlich bedrückte Stimmung, alle haben Angst vor der kommenden Stunde, denn wir haben Herrn Staritz. Auch Stefanie sitzt ziemlich niedergeschlagen auf ihrem Platz und scheint mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. „Hey Stefanie, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Ist dir die Zeit mit Angelo nicht bekommen?“, frage ich und setze mich neben sie. Sie zuckt mit den Schultern und meint: „Ach, ich stehe momentan vor ein paar Zukunftsfragen. Es ist alles nicht so einfach im Augenblick.“ Nun werde ich hellhörig, wenn Stefanie von Zukunftsfragen faselt, dann kann das eigentlich nichts Gutes bedeuten. „Ich bin am überlegen, ob ich die Schule schmeiße und zu Angelo nach Köln ziehe.“ „Sag mal spinnst du? Du kannst doch nicht ein halbe Jahr vor den Prüfungen die Schule schmeißen! Das ist doch Wahnsinn! Ob du nun jetzt oder in sechs Monaten runterziehst, das ist doch Schnurz. Was willst du denn ohne Abschluss machen?“ Trotzig schaut sie mich an und sagt: „Ich werde mich um meine Familie kümmern und den Hauptschulabschluss hab ich ja eh!“ „Hallo Stefanie! Komm mal runter von deiner rosaroten Wolke! Was willst du denn mit nem Hauptschulabschluss machen? Oder verlässt du dich wirklich darauf, dass Angelo ständig für dich da sein wird? Ich gönn euch ja euer Glück, aber wir sind nun halt mal nicht im Märchen! Wer weiß was morgen ist!“ „Was denkst du was ich mich jeden Abend frage? Was wird morgen sein? Wie lange wird Angelo auf mich warten? Was ist, wenn er sich in Köln ne´ Neue angelt? Ich sitze 600km von ihm weg, habe meine eigene Familie und habe sie doch wieder nicht. Ich will endlich mit meiner Familie zusammen sein! Kannst du das denn nicht verstehen?“ Ich seufze, klar hat sie Recht, aber ihre Zukunft dafür aufs Spiel setzen? „Doch natürlich kann ich das verstehen, ich wünsche mir ja auch nichts sehnlicher, als endlich mit Paddy zusammenzuziehen. Aber denk doch um Gottes Willen an deine Zukunft!“ „Meine Zukunft, meine Zukunft... Du hörst dich schon an wie meine Oma! Was nützt mir eine Zukunft ohne Angelo? Ich will meine Zukunft mit meiner Familie verbringen. Ich will weg von hier!“ Bevor ich noch etwas erwidern kann, kommt Herr Staritz in die Klasse gestürmt. Schlechte Laune kennen wir ja schon von ihm, aber was er heute an den Tag legt, übertrifft alles. Er stürmt ins Klassenzimmer, knallt die Tür hinter sich zu und geht wortlos nach vorne. Alles zuckt zusammen uns sprintet zu seinen Plätzen. Herr Staritz wartet gar nicht, bis alle sitzen, sondern poltert er los: „Nur damit ihr es wisst, euer kindisches Verhalten von der Klassenfahrt werden wir nicht dulden. Wir wissen ganz genau, wer dabei gewesen ist und diese Leute haben mittlerweile einen schriftlichen Verweis in ihre Akte bekommen und die Eltern wurden informiert. Ich muss wirklich sagen, ich bin sehr enttäuscht von den meisten von euch. Wir haben euch vertraut und euch alle möglichen Freiheiten gelassen und ihr habt nichts Besseres vorgehabt, als diese auszunutzen. In einem Jahr werdet ihr im Berufsleben stehen und glaubt mir, dann wird euch niemand mehr solche Verhaltensweisen durchgehen lassen!“ Kleinlaut sitzen die Übeltäter auf ihren Stühlen und schauen zu Boden. Dieses Mal ist Staritz wirklich stinkig, denn sogar Jan, sein sonstiger Liebling, bekommt eine ordentliche Standpauke zu hören. Es muss echt heftig gewesen sein, was da abgelaufen ist, weitere Einzelheiten bekomme ich leider nicht mehr zu hören. In der Pause versuche ich noch einmal mit Stefanie zu reden, doch sie blockt total ab und ist immer noch fest davon überzeugt, es wäre das Beste die Schule abzubrechen. Obwohl ich mir eigentlich geschworen hatte mich nicht mehr in das Leben anderer einzumischen kann ich nicht anders, als Angelo anzurufen. Er scheint noch gar nichts von Stefanies Plänen gewusst zu
haben und ist entsprechend überrascht. Genauso wie ich ist er nicht begeistert von ihrem Vorhaben und will, dass sie auf jeden Fall die Schule beendet. „Und wenn ihr es wirklich so wichtig ist, dass ich bei ihr bin, dann ziehe ich halt zu ihr! Für das letzte halbe Jahr wird’s schon irgendwie klappen. Auf keinen Fall setzt Stefanie ihre Zukunft aufs Spiel!“
Ein paar Tage später ist es soweit, Angelo kommt mit zwei großen Taschen bei Stefanie an um die nächste Zeit bei ihr zu bleiben. Ein bisschen eifersüchtig bin ich schon auf sie, denn Paddy kommt erst in 10 Tagen und sie hat ihren Freund nun jeden Tag um sich. Aber gut, es steht noch eine Matheklausur an, für die ich ordentlich lernen muss und mit Nadja einige Sonderschichten einlege. Und so gehen die letzten Tage bis zu den Herbstferien ziemlich schnell vorbei. Am Nachmittag des letzten Schultages stehen Nadine, Paula und ich in Hamburg am Flughafen um unsere Mom abzuholen. Es hört sich schon komisch an „unsere Mom“, bis jetzt war es immer meine Mom und auf einmal ist da noch jemand, der auf seine Mutter wartet. Als ich sie sehe kann ich nicht anders, ich renne auf sie zu und falle ihr um den Hals, schließlich habe ich sie seit über acht Monaten nicht mehr gesehen. Sie lässt ihre Taschen fallen, nimmt mich in den Arm und schwenkt mich einmal im Kreis. „Hi meine Große! Schön dich endlich wieder zu sehen! Ich hab dich so vermisst!“ Jetzt kommt auch Paula schüchtern auf uns zu. Einen Moment stehen sie sich gegenüber und keiner weiß so recht was er sagen soll. Paula mustert ihre Mom von oben bis unten und auch unsere Mom schaut sie sich ganz genau an. „Groß bist du geworden!“, sagt unsere Mom und muss lächeln. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, konntest du gerade ohne meine Hilfe laufen und nun, nun bist du schon eine junge Frau.“ Wo die beiden jetzt so nebeneinander stehen fällt mir erst auf, wie ähnlich sie sich sehen. Die gleichen roten Locken, die sich weder bei unserer Mom noch bei Paula bändigen lassen, dieselben katzenhaften grünen Augen und vorwitzige Sommersprossen auf der Stupsnase. Vor allem um die roten Locken habe ich meine Mom schon immer beneidet, meine Haare kräuseln sich leider nicht das kleinste Bisschen, sondern hängen mir glatt über den Rücken. Zumindest einen leichten roten Schimmer habe ich, aber nicht vergleichbar mit dem Rot meiner Mom. Mittlerweile unterhalten sich Paula und Mom angeregt, viel Zeit bleibt ihnen ja nicht, denn morgen fährt Paula nach München um ihren Vater und ihre beste Freundin zu besuchen. Zurück zuhause staunt meine Mom ganz schön, es hat sich ja doch einiges verändert. Stolz zeige ich ihr mein neues Zimmer im Dachgeschoss, Paulas Zimmer und die Küche, die wir vor einigen Wochen neu gestrichen haben. „Puh, hier hat sich ja doch einiges verändert, aber schön habt ihrs hier! Wer hat denn so gut aufgeräumt?“ Paula und ich grinsen und zeigen auf uns. Nach dem Abendessen sitzen wir im Wohnzimmer und unterhalten uns über die letzten Monate. Ernst schaut meine Mom mich an und fragt: „Sag mal, hast du eigentlich mittlerweile schon eine Idee, was du nach der Schule machen willst? Ich meine, Nadine hat erzählt, du würdest Nachhilfe nehmen und dich sehr ernst mit der Schule beschäftigen.“ Ich druckse einen Augenblick herum, denn eigentlich wollte ich meine Mom schonend darauf vorbereiten. „Nun ja, ich habe mir vorgenommen, mein Abitur nachzuholen!“ Überrascht blickt sie mich an und sagt: „Das find ich klasse! Hast du dich schon mal in Schleswig erkundigt, was sie für Vorrausetzunge haben?“ Jetzt oder nie denke ich mir. „Eigentlich will ich nicht in Schleswig zur Schule gehen, sondern in Köln.“ Scharf atmet meine Mom ein, räuspert sich und meint: „Aha, Köln, nun gut, ich denke, du möchtest mit Paddy zusammenziehen, hab ich Recht?“ Ich nicke und warte immer noch auf eine Reaktion. „Gut, dann hat sich meine Frage eigentlich schon erübrigt. Ich habe nämlich die Möglichkeit in der Firma eine Festanstellung zu bekommen. Das heißt, ich würde wieder ganz nach Schottland ziehen und nicht wie geplant im Frühjahr zurückkommen. Ich habe meinem Chef gesagt, dass ich das erst mit meinen Töchtern abklären müsste und ihm nach meinem Urlaub zu- oder absage. Aber nun gut, wenn du sowieso vorhast wegzuziehen, dann werde ich das Angebot wohl ruhigen Gewissens annehmen können. Oder Paula hast du etwas dagegen?“ Paula zuckt mit den Schultern. „Ich habe die letzten 15 Jahre ohne meine Mutter verbracht und ich werde auf jeden Fall nach meinem Abschluss zurück nach München gehen, dort sind meine Freunde, da wohnt mein Vater, der Rest meiner Familie.“ Ich wundere mich, wie glatt es bis hierhin gelaufen ist, denn ich hatte mit mehr Widerstand von meiner Mom gerechnet. Doch wie immer geht es auch dieses Mal nicht ohne das große Aber. „Aber, hast du dir das auch gut überlegt? So ein Umzug ist ein riesen Schritt und auch wenn ich es euch gönnen würde endlich zusammenzuziehen, wenn du erst einmal in Köln bist, dann werden dich bald die Fans
entdecken und dann ist es mit deiner Ruhe vorbei! Hier oben kennt dich kaum einer und die Wenigsten wissen, dass du Paddys Freundin bist. Das wird sich in Köln ganz schnell ändern. Ich möchte nur, dass du dir dessen bewusst bist. Nicht dass du nachher in ein schwarzes Loch fällst und den Umzug doch bereust.“ Ich beiße mir auf die Lippen, daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber nein, von den Fans werde ich mir nicht vorschreiben lassen, wo ich zu wohnen habe. „Das wird schon werden. Außerdem, selbst wenn ich hier bleiben würde, ab Sommer würde ich auf die Berufsschule gehen und irgendjemand kennt mich immer. Also ist es glaube ich ziemlich egal, was ich mache. Noch lebe ich in meiner wunderbar behüteten Welt, aber spätestens wenn wir den Abschluss in der Tasche haben wird davon nicht mehr viel übrig sein. Andrea wird auf die Landwirtschaftsschule in Hamburg gehen, Tanja will soweit weg von Zuhause wie nur möglich, Carsten wird zurück nach Berlin gehen oder vielleicht ja auch mit nach München na ja und Stefanie würde lieber heute als morgen nach Köln zu Angelo ziehen.“ Als ich Carsten erwähne läuft Paula dunkelrot an, so dass es auch unserer Mom nicht verborgen bleibt. Schnell versucht sie abzulenken und fragt mich, wann Paddy morgen hier sein wird. „Ähm, irgendwann im Laufe des Vormittags, er weiß noch nicht genau, wann er morgen wegkommt. Wann musst du denn los?“ „Um 11.34 Uhr fährt mein Zug, also spätestens um viertel vor müssen wir hier los.“ „Du bist doch nicht böse, wenn ich nicht mit zum Bahnhof komme oder?“ Sie zuckt mit den Schultern und grinst. „Keine Angst, ich weiß doch, dass du keine Sekunde von deinem Liebling verpassen willst und ich bin ja auch nur ein paar Tage weg.“ Unsere Mom scheint sich sichtlich zu freuen, dass wir beide uns so gut verstehen, denn noch vor ein paar Wochen sah es ja ganz anders aus. Wir sitzen noch bis drei Uhr morgens schnacken, schauen uns Fotos an und hören Geschichten von unseren Grandparents. Unsere Mom ist wirklich erstaunt, was aus uns geworden ist. Als sie nach Schottland gegangen ist, war ich ein Teenager, der alles nur nicht die Schule im Kopf hatte, mittlerweile bin ich eine junge Frau geworden, die feste Vorstellungen und Ziele hat. Als sie gegangen ist, lebte eine Tochter in Tolk, jetzt sind es zwei. „So ihr zwei, ich weiß ja nicht, was ihr noch vorhabt, aber ich werde jetzt ins Bett gehen. Gute Nacht!“ Sie nimmt uns noch einmal in den Arm und verschwindet in ihr Zimmer. „Tja Paula, falls wir uns morgen nicht mehr sehen sollten, schöne Ferien in München und komm mir heile wieder!“
Am nächsten Morgen klingelt zwar um 8°°Uhr mein Wecker, doch mit einem gezielten Wurf landet dieser an der Wand und verstummt. Murmelnd ziehe ich mir die Decke über den Kopf und drehe mich noch mal um. Ich bekomme nicht mit, dass meine Mom und Paula hochrufen sie würden jetzt losfahren und auch die Haustürklingel höre ich nicht. Es ist Paddy, der bei Nadines Aussage ich würde noch tief und fest schlafen nur grinsen kann. „Na, dann werd ich sie mal wecken gehen, nicht dass sie gleich den ersten Ferientag verschläft!“ Leise öffnet er meine Zimmertür, tastet sich im Halbdunkeln zu meinem Bett und flüstert: „Guten Morgen mein Schatz! Es ist Zeit zum Aufstehen!“ Ich grummele vor mich hin und drehe mich auf die Seite. Paddy lächelt, streicht meine Haare aus dem Gesicht und gibt mir einen Kuss. Verschlafen öffne ich ein Auge, und blinzele ihn an. „Oh hi Paddy, schon hier?“, murmele ich und setze mich auf. „Wie spät is´n das?“ „Eigentlich Zeit zum Aufstehen, aber werd erstmal wach.“ Er zieht seine Schuhe aus, klettert zu mir ins Bett und gibt mir erstmal einen langen Kuss. „Es ist schön wieder hier zu sein. Ich hab dich vermisst mein Schatz.“ „Och ich hab dich eigentlich gar nicht vermisst!“ Dieser Satz war ein Fehler, denn keine Sekunde später sitzt Paddy auf mir und kitzelt mich durch. „Hilfe! Aufhören, bitte aufhören! Ich mach auch alles was du willst!“, keuche ich und versuche ihn von mir runter zu zerren. Fies grinst Paddy. „Aha, du machst also alles? Das ist ja interessant! Darf ich mir was aussuchen?“ Mit einer gekonnten Drehung werfe ich ihn auf den Rücken, halte seine Arme fest. „Du willst Ärger? Gut, du bekommst Ärger. Aber erstmal will ich jetzt aufstehen, ist meine Mom schon wieder da?“ „Ich hab sie unten nicht gesehen, aber das soll nichts heißen, ich bin da quasi nur durchgerauscht.“ Schnell werfe ich mich in meine Klamotten und gehe mit ihm nach unten. „Morgen Nadine!“ „Morgen? Es gibt gleich Mittag. Ihr könnt schon mal den Tisch decken, deine Mom müsste auch jeden Moment zurückkommen.“ Blitzschnell ist der Tisch gedeckt und auch meine Mom trudelt wieder ein. Nach dem Abwasch flachst Nadine: „Na und was kommt jetzt? Ne´ Mittagsstunde?“ Lachend boxe ich sie in die Seite und strecke ihr die Zunge raus. „Hey, du weißt, wer mir die Zunge raustreckt, bekommt Senf drauf!“ Ich schüttele mich, die Erfahrung wie Senf schmeckt durfte ich schon einmal machen. Jetzt schaltet sich meine Mom ein. „Also
wenn du und Paddy noch nichts anderes vorhabt, würde ich gerne mal mit euch reden.“ Erstaunt schaut Paddy mich an und scheint mich fragen zu wollen, was er denn nun schon wieder verbrochen habe. Ich kann mir ganz genau denken, was meine Mom von uns will, denn dass gestern keine eindeutigen Reaktionen auf meinen Umzug kamen, kam mir schon spanisch vor. Wir setzen uns ins Wohnzimmer und meine Mom fängt auch gleich an. „Also, ich denke ihr zwei wisst worüber ich mit euch reden will. Es geht darum, dass ihr zusammenziehen wollt. Bevor ihr jetzt irgendwas sagt, will ich nur dass ihr wisst, dass ich keine Einwände habe. Im Gegenteil, ich denke, es kann euch beiden nur gut tun. Ich möchte nur, dass ihr gewisse Vorkehrungen trefft. Paddy, ich will dir jetzt gar nichts unterstellen, ich weiß, dass du meine Tochter immer gut behandelt hast und ich denke, dass du es auch in Zukunft tun wirst, trotzdem bin ich immer noch ihre Mom und mache mir verständlicherweise Sorgen, was sein wird wenn ihr vielleicht eines Tages... Naja, wenn eure Beziehung in die Brüche gehen sollte. Ich möchte nicht, dass meine Tochter dann mittellos in Köln sitzt und nicht weiß wohin. Außerdem möchte ich, dass sie finanziell unabhängig ist. Da ich in Edinburgh bleiben werde und Nadine auch nicht mehr hier wohnen wird, habe ich erst überlegt, das Haus zu verkaufen.“ Mir stockt der Atem. Mein Zuhause, das Haus in dem ich aufgewachsen bin soll verkauft werden? Doch bevor ich noch etwas sagen kann, fährt meine Mom fort: „Aber dann habe ich mir überlegt, das es besser wäre, das Haus zu vermieten. Das Geld würdest du dann bekommen und wenn du irgendwann einmal den Wunsch hast zurückzukommen, dann hast du einen Platz wo du wohnen kannst.“ Einen Moment blicken Paddy und ich uns an und wissen erst gar nicht, was wir sagen sollen. „Mom das ist... Vielen Dank. Ich weiß gar nicht was ich sagen soll.“ Auch Paddy ist sprachlos und meint nur: „Susanna, ich verspreche dir, dass ich immer gut auf deine Tochter aufpassen werde. Ich liebe sie mehr als mein eigenes Leben und werde nicht zulassen, dass ihr irgendwas passiert.“ „Nun gut, da das jetzt also geklärt wäre, habe ich noch etwas über das ich mit euch reden muss. Es geht um die Weihnachtsferien, ich bekomme definitiv keinen Urlaub, das heißt ich werde nicht herkommen können. Nadine wird zu ihren Eltern fahren und Paula soll zu ihren Großeltern nach München. Du hast kannst dir nun überlegen, ob du mit ihr nach München möchtest um deine Großeltern kennen zu lernen oder aber ob es möglich wäre zu Paddy zu fahren.“ Im ersten Moment weiß ich gar nicht, was ich darauf antworten soll. Weihnachten ohne meine Mom, das kann ich mir gar nicht vorstellen, aber nach München zu zwei wildfremden Personen? Niemals! Ich schaue Paddy an und der meint: „Also wenn du möchtest, könnten wir nach Irland fliegen. Ich wollte dich eh fragen, ob du über Silvester mit mir dorthin möchtest und wenn du willst, können wir auch schon zu Weihnachten rüberfliegen.“ Mir stockt der Atem, Weihnachten in Irland, das wäre einfach super. „Klar hab ich Lust!“ Paddy hat mir schon soviel von seinem Land erzählt, dass ich es unbedingt kennen lernen möchte. Erleichtert atmet meine Mom auf. „Gut, dann kann ich dich also beruhigt alleine lassen. Dann will ich euch auch nicht länger stören, ich bin heute Nachmittag in Schleswig verabredet, zum Abendessen bin ich zurück.“ Den Nachmittag verbringen Paddy und ich bei Marjella, was chaotisch wie immer verläuft. Am Abend sitzen wir mit meiner Mom und Nadine im Wohnzimmer und sehen fern. Obwohl es erst 21°°Uhr ist und ich nun wirklich lange geschlafen habe, nicke ich immer wieder an Paddys Schulter ein. Da auch er müde ist, beschließen wir trotz Ferien schon ins Bett zu gehen. Davon bekomme ich jedoch kaum etwas mit, ich bin so müde, dass er mich fast die Treppe hochtragen muss. „Hey Schatz, werd mal wieder wach oder willst in voller Montur ins Bett?“ Ich grummele vor mich hin und schäle mich im Halbschlaf aus Hose, Pulli und BH. Bevor ich mein Nachthemd anziehen kann fragt Paddy erschrocken: „Sag mal, wo kommen eigentlich die ganzen blauen Flecken her? Du siehst ja aus, als wärst du verprügelt worden!“ Ich zucke mit den Schultern. „Wahrscheinlich bin ich wieder im Schlaf gewandelt.“ „Seit wann gehörst du denn zu den Schlafwandlern? Das ist mir neu.“ „Keine Ahnung, aber ich wache in letzter Zeit immer öfter mit blauen Flecken auf und eine andere Erklärung habe ich nicht. Und jetzt will ich nur noch ins Bett und schlafen.“ Paddy nimmt mich in den Arm und kuschelt sich an mich. „Ach Ja, du willst wirklich nur schlafen?“ „Wenn du so fragst, vielleicht doch noch nicht gleich.“
Am nächsten Tag hat Paddy wieder einmal Probleme mich wach zu bekommen. Obwohl ich fast 13Stunden geschlafen habe bin ich total müde und fühle mich ziemlich gerädert. „Du wirst doch nicht etwa krank werden? Lass mal fühlen.“ Paddy fasst an meine Stirn und sagt dann:
„Ich glaube, du hast Fieber. Bleib mal lieber liegen. Ich sag Susanna
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Melanie
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Erstellt: 29.10.06, 21:23 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen
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Bescheid, dass sie mal nach dir schauen soll.“ Ich nicke nur, drehe mich um und bin kurz darauf wieder eingeschlafen. Ich bekomme nicht mit, dass meine Mom nach mir schaut, dass sie Fieber misst und dann den Arzt anruft. Erst nachmittags als Dr. Schulze auftaucht werde ich wieder wach. Er hört mich ab, schaut mir in Hals und Ohren und nimmt zum Schluss noch Blut ab. „So, ich denke, es handelt sich um einen harmlosen grippalen Infekt, mit ein paar Tagen Bettruhe und liebevoller Pflege dürfte er in wenigen Tagen auskuriert sein. Wenn ich die Ergebnisse der Blutuntersuchung habe, melde ich mich bei euch.“ Erschöpft lege ich mich wieder hin, als Dr. Schulze auf einmal fragt: „Sag mal, hast du noch mehr blaue Flecken?“ Ich murmele was von Schlafwandelei und Paddy wiederholt, was ich ihm am letzten Abend erzählt habe. „Nun gut, ich melde mich auf jeden Fall, wenn die Blutergebnisse da sind.“ Meine Mom bringt Dr. Schulze nach unten und Paddy legt sich zu mir ins Bett. „So ein Scheiß, nun kommst du mich schon mal besuchen und dann liege ich krank im Bett.“ „Ist schon gut, wir haben ja noch jede Menge Zeit. Ruh dich erstmal richtig aus und dann wird es schon wieder werden. Soll ich dir was vorlesen?“ Den Rest des Nachmittages liegen wir beide im Bett und Paddy liest mir vor. Einige Male schaut meine Mom leise ins Zimmer und muss bei dem Anblick lächeln. Obwohl sie zuerst überhaupt nicht davon begeistert war, dass ihre Tochter einen Freund hat, der fünf Jahre älter ist, weiß sie nun, dass sie glücklich ist und sie Paddy 100%ig vertrauen kann. Am nächsten morgen klingelt das Telefon, es ist Dr. Schulze, der meine Mom und mich sofort zu sich in die Praxis bittet. Mir geht es schon wieder richtig gut, keine Anzeichen von Fieber und Halsschmerzen, nur diese bleierne Müdigkeit ist noch da. „Nanu, was Dr. Schulze wohl von uns will. Er meinte auf jeden Fall, wir sollten sofort kommen und uns gleich bei der Sprechstundenhilfe melden, dann würden wir zwischengeschoben.“ 15Minuten später sitzen wir Dr. Schulze gegenüber, der uns ernst anblickt. Er räuspert sich und meint: „Nun gut, als erstes habe ich einige Fragen an dich und ich möchte, dass du sie mir so wahrheitsgemäß wie möglich beantwortest. Fühlst du dich schon länger schlapp und müde?“ „Naja, seit ein paar Wochen fällt es mir ziemlich schwer morgens aus dem Bett zu kommen und manchmal habe ich das Gefühl in der Schule einzuschlafen, ich hab immer gedacht, dass kommt vom Schulstress.“ „Gut, und die blauen Flecken, seit wann hast du die?“ „Mmh, das fing vor ungefähr drei Wochen an, jedes Mal wenn ich mich stoße bekomme ich gleich einen. Ich hab gedacht, das hängt vielleicht mit meinem Eisenmangel zusammen.“ Dr. Schulz lehnt sich zurück, spielt nervös mit seinem Kugelschreiber und meint dann: „Nun gut, ich möchte jetzt, dass du mir ganz genau zuhörst, ich habe deine Blutprobe eingeschickt und dabei wurde herausgefunden, dass deine weißen Blutkörperchen stark erhöht sind und zusammen mit den Symptomen, die du mir geschildert hast erhärtet sich der Verdacht, dass du an Leukämie erkrankt bist.“ Ich werde leichenblass und beginne zu zittern. Leukämie? Nein, das darf nicht wahr sein! „Du musst mit deiner Mutter sofort ins Krankenhaus, dass dir Knochenmark entnommen wird. Und dann sehen wir weiter. Wenn man die Leukämie früh genug entdeckt, ist die Heilungschance relativ gut.“ Das alles bekomme ich kaum mit, mir spukt immer nur das Wort „Leukämie“ im Kopf herum. Auch meine Mom schaut ziemlich geschockt aus, bewahrt aber doch noch Ruhe und lässt sich von Dr. Schulze die nötigen Informationen geben. Eine Stunde später liege ich im OP und mir wird unter örtlicher Betäubung Knochenmark aus der Hüfte entnommen. Tausend Gedanken schwirren mir in der Zeit durch den Kopf, ich hab doch noch so viele Pläne für die Zukunft, es kann doch jetzt nicht alles vorbei sein! Zurück in meinem Zimmer frage ich als erstes nach meiner Mom. „Die ist nach Hause und besorgt dir Klamotten. Wenn sich der Verdacht auf Leukämie bestätigt, dann dürfen wir keine Zeit verlieren und müssen sofort mit der Therapie anfangen. Aber soweit ist es ja noch nicht, vielleicht ist ja auch alles nur falscher Alarm. Und nun ruh´ dich etwas aus, es war ein anstrengender Tag. Brauchst du was zum schlafen oder geht´s so?“, meint die Krankenschwester, die mich in mein Zimmer geschoben hat. „Ne, das geht schon so, ich bin ziemlich fertig.“ Ich falle in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf und werde erst wieder wach, als Paddy sich neben mich setzt. Er sieht ziemlich verweint und sagt leise: „Hey mein Schatz, wie geht´s dir?“ Leicht zucke ich mit den Schultern, momentan bin ich eigentlich nur müde. „Paddy, lass mich nicht alleine, ich hab Angst.“ Er nimmt mich in den Arm. „Klar bleib ich bei dir, ich lass dich doch jetzt nicht alleine!“ „Paddy ich will nicht sterben!“ „Sch, das hat ja auch keiner gesagt. Wir schaffen das schon. Ich bleib bei dir, bis du wieder gesund bist. Egal was
passiert.“ Ich schließe meine Augen und schlafe wieder ein. Paddy legt den Kopf auf meine Bettdecke und schläft auch ein. Am nächsten Morgen werden wir um halb sieben geweckt, was für eine unchristliche Zeit. Verschlafen tapse ich unter die Dusche, danach fühle ich mich jedenfalls wieder halbwegs menschlich. Um sieben trudelt mein Frühstück ein und Paddy und ich frühstücken trotz allem gemütlich im Bett. Die Schwester, die kurz darauf reinblickt will erst was sagen, lässt uns dann aber doch in Ruhe und zieht leise die Tür hinter sich zu. Langsam werde ich nervös, im Laufe des Vormittags sollen meine Ergebnisse von der Knochenmarkuntersuchung da sein und dann wird sich zeigen, wie sich mein Leben verändern wird, ob es sich überhaupt verändern wird. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor und dann endlich kommt meine Mom mit dem Arzt rein. Aus ihren Gesichtern lässt sich nicht erkennen, was bei der Untersuchung rausgekommen ist. Wir setzen uns an den Tisch und der Arzt macht ein ziemlich ernstes Gesicht. „Wie sieht es mit dem jungen Mann aus, kann der bei unserem Gespräch dabei sein?“ Ich nicke heftig und greife nach Paddys Hand. Der Arzt räuspert sich und meint dann: „Nun gut, ich muss ihnen leider mitteilen, dass sich der Verdacht bestätigt hat.“ Hier kralle ich mich in Paddys Hand fest und habe Mühe mir die Tränen zu verkneifen. Bevor ich noch irgendwelche Fragen stellen kann fährt der Arzt fort: „Ähm, das ist leider nicht alles, was ich ihnen zu sagen habe. Sie leiden unter Akuter myeloischer Leukämie. Eigentlich eine Form der Leukämie die relativ gut behandelbar, immer gesetzt dem Fall man erkennt sie rechtzeitig. Bei ihnen ist es nun allerdings so, dass schon ziemlich viel Zeit verstrichen ist und ich will ganz offen sprechen, die Aussichten auf eine Heilung liegen bei 1:10000.“ Mir wird schwarz vor Augen und meine Mom fragt mit zitternder Stimme: „Und was bedeutet das nun genau?“ „Nun, sie müssen sich überlegen, ob sie eine Therapie wünschen, wobei die Aussicht auf Heilung eigentlich nicht gegeben ist, wir könnten ihr Leben nur um einige Monate verlängern. Oder aber die andere Möglichkeit sie geht nach Hause, bekommt Medikamente, dass es ihr einigermaßen gut geht und genießt die letzte Zeit.“ „Wie lange noch?“, fragt meine Mom mit brüchiger Stimme. „Ohne Therapie vielleicht ein halbes Jahr, mit Chemotherapie neun bis zehn Monate. Maximal. Überlegen sie sich, wie es weitergehen soll, aber entscheiden sie sich schnell. Und wenn sie wissen, was sie tun wollen, melden sie sich bei mir.“ Er steht auf und geht. Geschockt sitzen meine Mom, Paddy und ich auf unseren Stühlen und wissen nicht, was wir sagen sollen. Irgendwann sage ich leise: „Mom, ich will nach Hause!“ „Du weißt was das bedeutet?“ Ich nicke. „Ja, ich werde sterben, aber ich werde auch sterben wenn ich hier bleibe und mich mit Medikamenten voll pumpen lasse. Ich will nach hause und zwar sofort.“ Ich stehe auf und beginne mechanisch meine Tasche zu packen. Paddy sitzt immer noch stumm da und starrt an die Wand. „Paddy, ist alles in Ordnung mit dir?“, frage ich mit fester Stimme. Er schaut hoch und ich sehe Tränen in seinen Augen. Er schluckt einmal, steht auf und nimmt mich in den Arm. „Wir schaffen das. Irgendwie schaffen wir das!“ Jetzt kann ich nicht mehr, ich fange an zu weinen und lasse mich in seine Arme fallen. „Ich hab Angst vor dem Sterben. Ich hab solche Angst!“ Eine Schwester die den Raum betritt erkennt sofort die Situation und bringt mir eine Tablette und ein Glas Wasser. Ich werde etwas ruhiger und sinke zurück auf mein Bett. „Bleibst du bei deiner Entscheidung? Willst du wirklich nach Hause?“, fragt meine Mom mich. Ich nicke. „Wenn ich schon sterben muss, will ich das zuhause tun. Ich will nicht den Rest meines Lebens im Krankenhaus verbringen. Ich will mit meinen letzten Monaten etwas Sinnvolles anfangen.“ „Gut, dann werde ich jetzt mit dem Arzt sprechen, dass der deine Unterlagen an Dr. Schulze weiterleitet und dann fahren wir.“ „Danke Mom!“ „Dafür nicht, ich versteh dich schon, sonst würde ich die Papiere auch nicht unterschreiben.“ Als sie draußen ist schauen Paddy und ich uns an und sagen erst einmal gar nichts. „Meinst du, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe?“ Er zuckt mit den Schultern. „Das kann ich nicht beurteilen. Wenn du dich wohl mit deiner Entscheidung fühlst, dann wird sie richtig gewesen sein.“ „Es tut mir leid!“ Erstaunt schaut er mich an und fragt: „Was tut dir leid?“ „Das ich dir so weh tue. Das ich unsere Pläne kaputt mache, dass ich gehe und dich alleine zurücklasse!“ „Hey stop, so was will ich nie wieder von dir hören! Hast du mich verstanden. Egal was passiert! Es ist nicht deine Schuld und was unsere Pläne angeht, wir haben noch ein halbes Jahr und diese Zeit werden wir nutzen. Was ist dein größter Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“ „Ich möchte gerne dein Land kennen lernen! Ich möchte einmal Urlaub in Irland machen.“ „Klar mein Schatz, wann du willst und so lange du willst. Und wenn du noch jemanden mitnehmen möchtest...“ „Nein! Wenn dann will ich mit dir alleine fahren, ich will dich in der
Zeit mit niemandem teilen!“ „Ok, wie du willst. Du bist der Chef!“ Mittlerweile habe ich fertig gepackt und auch meine Mom ist wieder da. „Fertig? Können wir los?“ Ich nicke, nehme meine Tasche und gehe zum Auto. Noch bin ich ziemlich geschafft, doch in meinem Hinterkopf hämmert immer wieder der Satz: „Das war´s, du wirst sterben!“ Auf der gesamten Autofahrt sagt niemand ein Wort, jeder ist mit seinen Gedanken beschäftigt. Zurück in Tolk meint meine Mom: „Ich werde dann mal gleich meinen Chef anrufen und ihm sagen, dass ich die Stelle nicht annehmen kann.“ Erschrocken blicke ich auf, schlucke einmal und sage: „Nein! Du wirst den Job annehmen. Du wirst ganz normal nach Edinburgh zurückgehen und diesen verdammten Job annehmen!“ Ich bin laut geworden und Paddy und sie zucken zusammen. „Aber ich kann doch nicht zurück nach Schottland, wenn meine Tochter hier im Sterben liegt.“ „Doch, das kannst du! Außerdem liege ich noch lange nicht im Sterben und wenn es wirklich soweit ist, wird sich schon eine Regelung finden. Ich will einfach mein Leben ganz normal weiterleben und nicht jeden Augenblick daran erinnert werde, dass ich todkrank bin. Ich will kein Mitleid und keine Sonderbehandlung! Ich will einfach nur leben, auch wenn es nicht mehr allzu lange ist!“ Mit diesen Worten renne ich nach oben in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Endlich kann ich hemmungslos weinen und auch Paddy, der zu mir kommt, kann mich nicht beruhigen. Irgendwann legt er sich einfach neben mich, nimmt mich fest in den Arm und wartet bis ich eingeschlafen bin. Dann geht er runter und setzt sich zu meiner Mom in die Küche. „Susanna, ich fühle mich so hilflos! Ich meine, vor zwei Tagen haben wir noch Pläne geschmiedet, wir hatten eine gemeinsame Zukunft und nun das!“ „Ich weiß! Mir geht es doch nicht anders! Ich verliere meine Tochter. Sie war jahrelang mein Lebensmittelpunkt und nun muss sie sterben und ich kann nichts tun! Glaube, mir diese Gewissheit nichts tun zu können ist das Schlimmste. Und wenn ich könnte, ich würde mein eigenes Leben geben, wenn sie nur wieder gesund werden würde! Aber was denkst du, sollte ich auf sie hören und zurück nach Schottland gehen?“ Nachdenklich schaut er sie an. „Ich denke, dass sie Recht hat. Auch wenn es dir vielleicht schwer fällt, aber du hast eine Zukunft und du solltest zumindest die nächste Zeit ganz normal weiterarbeite. Naja, so normal wie es eben möglich ist. Ich werde hier bleiben, sie ist also nicht alleine.“ „Ja aber geht denn das einfach so? Du kannst doch nicht einfach für Monate von der Bildfläche verschwinden.“ „Und ob ich das kann. Es gibt ab jetzt nichts Wichtigeres für mich als mit ihr zusammen zu sein. Ich werde gleich mit meinen Geschwistern telefonieren und erklären, was los ist. Vielleicht nehme ich sie auch noch mal für ein paar Tage mit nach Gymnich. Und nach Irland möchte sie gerne, also werde ich mit ihr hinfliegen. Ich weiß ja nun nicht, wie es mit der Schule aussieht, aber ich denke, da wird sich ein Termin finden lassen.“ Mit Tränen in den Augen fragt Susanna: „Danke Paddy! Ich weiß nicht was ich ohne dich machen sollte. Wie schaffst du es so ruhig zu bleiben?“ Traurig blickt er sie an. „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es noch der Schock, eigentlich tobe ich innerlich. Ich versteh es einfach nicht! Sie ist doch erst 17 Jahre alt, sie müsste eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich haben!“ Mittlerweile bin ich wieder wach geworden und höre meine Mom und Paddy in der Küche reden. Ich schüttele meinen Kopf, nein jetzt kann ich nicht mit ihnen reden, ich muss hier raus! Aber wohin? Ich schnappe mir mein Fahrrad und fahre erstmal ziellos durch die Gegend. Wo ich eigentlich genau hingefahren bin merke ich erst. Als ich in Havetoft im Elisabethheim ankomme weiß ich mit wem ich reden kann, Carsten hat bestimmt Zeit für mich! Ohne mich um irgendjemanden zu kümmern stürme ich zu seinem Zimmer. Ich habe Glück, auf mein Klopfen macht er sofort auf. „Oh hallo, womit habe ich denn das verdient, dass du mich besuchen kommst?“ „Kann ich bitte reinkommen?“, frage ich und fange schon wieder an zu weinen. Spontan nimmt er mich in den Arm und fragt: „Hey, was ist los? Stress mit Paddy?“ Ich schüttele den Kopf. „Schön wär's wenn!“, dabei lasse ich mich auf sein Bett fallen. „Hey, nun red schon, was ist los?“ „Carsten ich bin krank!“ „Ja und, was hast du?“ „Leukämie!“ „Oh!“, mehr sagt er nicht und schaut mich mit großen Augen an. „Carsten ich werde sterben!“ „Ach Quatsch! Leukämie ist doch mittlerweile heilbar, das wird schon werden!“ Ich schüttele den Kopf. „Nein! Bei mir wurde es zu spät entdeckt, der Arzt gibt mir ohne Therapie noch ein halbes Jahr, mit Chemotherapie noch neun Monate!“ Erschrocken schaut er hoch. „Und wieso bist du dann nicht im Krankenhaus?“ „Weil ich gegangen bin. Ich will keine Therapie! Ich will meine Haare
behalten, ich will, dass es mir die letzten Monate gut geht, ich will verreisen und soviel Zeit wie möglich mit Paddy und meinen Freunden verbringen.“ „Aber du kannst doch nicht einfach
so sterben!“ „Denkst du ich freu mich drauf? Glaubst du ich hab es mir ausgesucht! Nein! Ich find es auch beschissen und ich will nicht sterben! Aber habe ich eine andere Wahl? Bin ich gefragt worden?“ „Ich... So hab ich das doch nicht gemeint. Ich weiß nur nicht, wie... Ich kann
mir nur gar nicht vorstellen wie es ist, wenn du nicht mehr da bist! Du gehörst einfach zu meinem Leben dazu!“ „Dann denk doch um Himmelswillen nicht darüber nach wie es ohne mich wäre. Ich weiß erst seit ein paar Stunden, das ich sterben werde und schon überlegen alle, was sie ohne mich machen sollen. Das ist doch krank! Noch lebe ich, noch bin nicht tot! Ich stehe hier vor dir und bin lebendig!“ In diesem Moment klingelt mein Handy. Es ist Paddy. „Hey mein Schatz, wo bist du abgeblieben? Ich wollt schauen wie es dir geht und da war dein Bett auf einmal leer.“ „Ich bin bei Carsten. Ich musste einfach raus! Tut mir leid, ich hätte Bescheid sagen sollen.“ „Schon ok, soll ich dich abholen? Dann musst du nicht mehr im Dunkeln alleine durch die Gegend fahren.“ „Danke!“ Eine halbe Stunde später klopft es und Paddy steht vor der Tür. Stumm nehme ich meine Jacke und gehe. „Dein Fahrrad ist schon im Kofferraum.“ Ich nicke und schweige weiter. Auf der ganzen Autofahrt spreche ich kein Wort, irgendwann seufzt Paddy und fragt: „Wie kann ich dir helfen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Mir ist nicht mehr zu helfen und das weißt du ganz genau!“ Er fährt rechts ran und macht den Motor aus. „So, nun reicht es mir! Hör endlich auf hier die starke Heldin zu spielen und so einen Quatsch zu erzählen! Lass dir helfen, sonst gehst du kaputt. Dir geht es mies, das sieht jeder und das versteht jeder. Wein endlich, fang an zu schreien, fang an zu toben, egal was, aber mach was. Friss nicht alles in dich rein, sonst frisst es dich auf!“ Mit großen Augen blicke ich ihn an, ihm laufen Tränen über die Wangen, er nimmt meine Hand und hält sie fest. Mit brüchiger Stimme sage ich: „Paddy ich hab Angst. Ich hab eine beschissene Angst vor dem Sterben. Was kommt dann? Was? Wird es wehtun? Werde ich schlafen? Und was wird aus dir und meiner Mom? Ich will euch nicht verlieren! Ich liebe dich! Und Paula, ich hab sie gerade erst kennen gelernt und nun soll es das gewesen sein! Paddy, das ist so ungerecht! Wieso gerade ich? Wieso jetzt? Jetzt, wo ich grade wusste, was ich mit meinem Leben machen will, wo ich endlich jede Menge Zeit mit dir hätte verbringen können. Jetzt wo ich mir vorstellen könnte eine Familie zu gründen. Und nun? Nun ist alles vorbei! Paddy ich will nicht sterben! Ich will es einfach nicht!“ Er nimmt mich in den Arm und hält mich fest. „Ich will auch nicht, dass du stirbst und ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen. Ich hab soviel Geld und kann dir trotzdem nicht helfen. Aber irgendwie werden wir es schon schaffen, irgendwie.“ Mittlerweile ist auch Nadine von der Arbeit nach Hause gekommen und muss sich geschockt anhören, was mit mir los ist. „Aber, wieso? Sie war doch nie krank, ihr ging es doch immer gut! Wieso so plötzlich?“ Meine Mom zuckt mit den Schultern. „Keiner weiß es und vor allem keiner versteht es. Paddy ist völlig durcheinander und ist heute den ganzen Nachmittag ziemlich ruhelos durchs Haus getigert. Er ist so frustriert, dass er ihr nicht helfen kann und mit ansehen muss, wie sie stirbt. Ich muss sagen, mittlerweile tut es mir wirklich leid, dass ich ihn am Anfang ihrer Beziehung nicht akzeptiert habe, ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihnen Zeit gestohlen habe, Zeit die jetzt so kostbar ist.“ „Aber das konntest du damals doch nicht wissen, hör auf mit diesen Selbstvorwürfen. Damit ist doch keinem geholfen!“ Nadine ist laut geworden und rennt jetzt Kopfschüttelnd aus dem Wohnzimmer. „Sag mal Paddy, wo fährst du eigentlich hin? Wir sind doch schon lange an Tolk vorbei?“ „Nach Schleswig in die Kirche. Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich brauch jetzt ein bisschen Ruhe und Abstand und das finde ich beides meistens in der Kirche.“ Fassungslos starre ich ihn an. „Du willst wohin?“ „In die Kirche. Wieso, ist da etwas Schlimmes dran?“ „Ich weiß nicht, ich glaub ich kann das nicht. Ich kann nicht in die Kirche gehen, zu einem Gott der mich sterben lässt. Zu einem Gott, der tatenlos dabei zusieht, wie ich sterben muss. Wie kannst du zu einem Gott beten der dich so leiden lässt? Wie kannst du nur?“ Er schweigt und schaut stur geradeaus. Nach einer Weile meint er leise: „Ich weiß auch nicht. Ich habe mich in den letzten Monaten immer an meinen Glauben geklammert, wenn es mir schlecht ging und es hat geholfen. Ich will Gott ja gar nicht danken, das hab ich ja gar behauptet. Aber vielleicht bekomme ich ja eine Antwort auf eine meiner vielen Fragen. Und wenn nicht dann habe ich jedenfalls die Chance ein paar Minuten ganz still über alles das nachzudenken, was heute passiert ist. Du musst nicht mitkommen, aber ich brauch das jetzt.“ Naja gut, umbringen wird es mich nicht, das übernimmt etwas anderes. Zögernd betrete ich hinter Paddy die Kirche. Lange war ich nicht mehr hier, seit ich mich
heftigst mit unserem Pfarrer gezofft habe, bin ich nicht mehr im Gottesdienst gewesen. Verändert hat sich in den Monaten nichts, außer den Kerzen vor der Marienstatue und am Altar ist es dunkel und ruhig. Ich setze mich in die nächstbeste Bank und schaue nach Paddy, der weiter vorne kniet und anscheinend ganz in sein Gebet versunken scheint. Ich seufze, auch wenn immer daran geglaubt habe, dass es einen Gott gibt, wie immer er nun auch heißen mag, war ich nie eine besonders gläubige Christin. Jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher als Paddys festen Glauben. Er wird eine Antwort auf seine Fragen bekommen und er wird einen Sinn in meiner Krankheit finden, er hat etwas an dem er sich festhalten kann, im Gegensatz zu mir. Ist sein Glaube stark genug für uns beide? Nach zwanzig Minuten steht Paddy auf und kommt zu mir. „Sollen wir nach Hause fahren oder willst du noch bleiben?“ Ich schüttele den Kopf, ich will jetzt nach Hause. Meine Mom und Nadine sitzen in der Küche am Abendbrotstisch, doch es sieht nicht so aus, als hätten beide Appetit. Aber mein Magen knurrt mittlerweile schon ziemlich heftig. Erstaunt blickt Nadine mich an, als ich in kürzester Zeit zwei Käsebrote verschlinge. „Du hast Hunger?“, fragt sie mich. „Klar, wieso sollte ich nicht? Ich hab seit heute Morgen nichts mehr zu beißen gehabt und war den ganzen Tag auf Achse.“ Paddy seufzt leise, kaum hatten wir die Haustür hinter uns zu gezogen war ich wieder das starke Mädchen, das keinem zeigt, wie es ihm geht. Zwischen zwei Bissen frage ich ihn: „Sag mal, wann musst du eigentlich nach Köln zurück?“ „In nächster Zeit gar nicht. Ich werd mich heut noch bei Patricia melden, dass sie mir noch ein paar Klamotten schickt und dann werde ich hier bleiben.“ „Aber du kannst doch nicht so einfach für Monate von der Bildfläche verschwinden! Wie willst du das den Fans erklären?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich denke mal mit der Wahrheit. Das meine Freundin krank ist und ich soviel Zeit wie möglich mit ihr verbringen möchte. Das haben sie zu akzeptieren und damit basta!“ „Na gut, wenn du meinst das das gut geht. Aber ich will nicht, dass du wegen mir Stress bekommst.“ „Und wenn schon! Ich bin volljährig, ich kann machen was ich will! Und wenn ich eine Pause brauche, dann brauche ich halt eine Pause!“ „Ist ja gut, ist ja gut!“, murmele ich verlegen. „Aber kannst du mir einen kleinen Gefallen tun?“ „Klar mein Schatz, alles was du willst!“ „Regel das nicht am Telefon. Fahr runter nach Köln und kläre das persönlich mit deinen Geschwistern und dann kannst du gleich deine Klamotten mitnehmen. Vielleicht kannst du mich ja auch mitnehmen, ich würd gern noch mal nach Gymnich.“ Er schaut meine Mom an und sie nickt. „Ok, dann fahren wir zwei nach Gymnich. Wann passt es dir am besten?“ „Wenn Mom wieder in Schottland ist. Ich denke mal, es ist nicht so schlimm, wenn ich ein paar Tage Schule versäume.“ Meine Mom nickt wieder. „Klar, ich werde mit Herrn Staritz reden, er muss sowieso Bescheid wissen und wir müssen schauen, wie es jetzt allgemein mit dem Unterricht weitergehen soll.“
Gesagt getan, 10Tage später sitzen Paddy und ich im Auto auf dem Weg nach Gymnich. Noch knabbere ich am Abschied von meiner Mom, sie ist heute Morgen zurück nach Schottland geflogen. Zwar widerwillig, aber immerhin ist sie ins Flugzeug gestiegen, bis sie in der Luft war hatte ich meine Zweifel, dass sie wirklich fliegt. Mittlerweile hat sich zwischen uns eine Art Routine breit gemacht. Wir versuchen beide das Thema Sterben so gut es geht zu vermeiden, auch wenn ich immer wieder merke, dass Paddy gerne drüber reden möchte. Momentan ist alles so, als würden wir für einen Urlaub nach Gymnich fahren und nicht, um so etwas Wichtiges mit seinen Geschwistern zu bereden. Als erstes stoßen wir auf Patricia, die uns freudestrahlend entgegengelaufen kommt. „Hey, was machst du denn hier? Ich dacht, bei euch fängt morgen die Schule wieder an.“ Sie umarmt mich und Paddy und zieht uns dann in die Küche. „Setzt euch erstmal, mögt ihr was essen oder was trinken? Schön dich zu sehen.“ Fragend blicke ich Patricia an, was ist nur mit ihr los? Sie benimmt sich, als hätte sie Hummeln im Hintern oder stände unter Drogen. Auch Paddy scheint die Veränderung seiner Schwester bemerkt zu haben und fragt: „Sag mal Tricia, was ist los mit dir? Du bist ja völlig überdreht! Bist du verliebt oder was?“ Sie läuft knallrot an und versucht plötzlich einen imaginären Fleck auf dem Tisch wegzuwischen. „Ähm, ja so kann man wohl nennen. Aber nun raus mit der Sprache, was macht ihr zwei hier?“ Ich blicke Paddy an und der nickt vorsichtig. „Nun macht es mal nicht so spannend! Gibt es Nachwuchs oder was?“ Ich schüttele den Kopf und weiß nicht wo und wie ich anfangen soll. Patricia sieht so glücklich aus und ich komme mit so einer Nachricht. „Ich brauche eine Pause! Eine längere Pause!“, höre ich Paddy sagen. Erschrocken
blickt Patricia ihn an. „Wieso brauchst du eine Pause, nun sag schon, was ist los? Irgendwas ist doch in den letzten 14Tagen passiert. Nun raus mit der Wahrheit!“ „Ich werde sterben! Ich hab noch ungefähr ein halbes Jahr zu leben und Paddy möchte in diesen letzten Monaten gerne bei mir sein!“, murmele ich leise. Scheppernd fällt Patricia die Tasse aus der Hand und sie schlägt sich mit der Hand vor den Mund. „Das ist ein schlechter Scherz oder?“, flüstert sie leise. Ich schüttele den Kopf. „Nein, ich wünschte, es wäre einer, aber es ist die Wahrheit. Ich habe Leukämie, ich werde sterben und keiner kann mir helfen.“ Patricia kommt zu mir rüber und nimmt mich stumm in den Arm. Keine ungläubigen Fragen, keine Fragen nach dem warum und weshalb. Endlich mal jemand, der einfach mal gar nichts dazu sagt. Leise murmele ich: „Danke Patricia!“ „Wofür? Ich hab doch gar nichts gesagt.“ „Genau deswegen. In den letzten Tagen bin ich von allen Leuten immer nur vollgetextet worden, wie Leid es ihnen tut oder noch schlimmer, dass sie nicht wüssten, was sie ohne mich machen sollen. Du hast mich einfach nur in den Arm genommen. Das hilft viel mehr als tausend gute Worte.“ „Ist schon gut.“, mehr sagt sie nicht und drückt mich noch einmal an sich. „Komm, wir bringen erstmal unsere Taschen in mein Zimmer.“, meint Paddy und greift nach meiner Hand. Unschlüssig stehe ich in seinem Zimmer, es sieht fast genauso aus wie in den letzten Weihnachtsferien. Ich setze mich auf die Fensterbank und blicke aus dem Fenster. „Sag mal, nerve ich dich auch so?“, fragt Paddy leise. Irritiert blicke ich ihn an, wie kommt er denn jetzt schon wieder auf diese Idee? „Warum fragst du?“ Kleinlaut schaut er zu mir. „Ich hab gehört, was du eben zu Patricia gesagt hast.“ Ich springe von der Fensterbank und nehme ihn in den Arm. „Ich bin doch nicht von dir genervt, aber so viele Leute haben mir in den letzten Tagen dasselbe gesagt, so dass ich es nicht mehr hören kann. Du kannst soviel erzählen wie du willst, bei dir ist es mir egal. Aber alles andere nervt. Wenn es nach mir ginge, würde ab jetzt niemand mehr etwas über meine Krankheit erfahren. Einfach ganz normal weiterleben, als wenn nichts wäre. Aber spätestens morgen Mittag weiß die ganze Schule über mich Bescheid. Am liebsten würde ich da nie wieder hingehen.“ „Dann tu es halt nicht. Ich glaube jeder würde es verstehen, wenn du deine letzte Zeit nicht in der Schule vergeuden möchtest und jeder Arzt würde dir ein Attest ausschreiben.“ Noch vor einem halben Jahr wäre ich bei diesem Gedanken vor Freude in die Luft gesprungen. Keine Schule und einfach nur mit Paddy zusammen sein. Aber jetzt ist dieser Gedanke gar nicht mehr so attraktiv. Ich würd noch zehn Jahre zur Schule gehen, wenn ich es könnte. Bis jetzt ist noch keiner von Paddys Geschwistern aufgetaucht. Entweder hat Patricia ihren Mund gehalten, was sehr unwahrscheinlich ist oder aber es traut sich keiner nachzufragen. „Hast du Hunger? Sollen wir was essen gehen?“ Ich nicke, nehme seine Hand und gehe nach unten in die Küche. Joey und Maite sitzen am Tisch und unterhalten sich leise. Als ich die Küche betrete verstummen sie und schauen uns mit großen Augen an. Ich seufze, was kommt jetzt, die übliche Mitleidstour? Aber sie scheinen sich noch im letzten Moment zusammenzureißen. „Hallo ihr zwei, schön euch zu sehen.“, murmelt Maite in ihre Cornflakes und schiebt sich schnell den nächsten Löffel in den Mund. Joey vergräbt sich wieder hinter seiner Zeitung und brummt in Paddys Richtung: „Wir müssen gleich reden. Kommst du bitte in mein Büro, wenn du mit dem Essen fertig bist!“ Paddy wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu und meint gleichgültig: „Klar, kein Problem.“ Während ich in Paddys Zimmer auf ihn warte, redet er mit Joey. „Pad, ich hab gehört du willst ne Pause machen, stimmt das?“ Paddy nickt stumm und blickt ihn erwartungsvoll an. „Hast du dir das gut überlegt? Ich meine, deine Pause wird einige Konsequenzen mit sich bringen. Nicht das ich deine Entscheidung verstehe und auch vollkommen respektiere, aber ich möchte nur, dass du dir dessen bewusst bis, was du tust.“ „Ich weiß genau was ich tue. Ich verbringe mit meiner Freundin die letzte Zeit die ihr noch bleibt und da hat mir keiner zwischen zu reden!“ Beschwichtigend legt Joes ihm seine Hand auf die Schulter und meint: „Wie gesagt, ich verstehe dich vollkommen, aber ob die Fans das auch verstehen ist eine zweite Frage. Willst du wirklich von heute auf morgen Schluss machen?“ „Ja, von heute auf morgen. Und was heißt hier Schluss machen? Ich mach ne Pause von vielleicht sechs, wenn ich Glück habe auch sieben oder acht Monaten. Und sag mir wenn ich mich irre, aber in nächster Zeit stünden doch eh nur eine Handvoll Konzerttermine an und die schafft ihr locker ohne mich! Jeder ist ersetzbar! Und alles andere lässt sich dann ja so legen, dass ich wieder mitmachen kann. Das dürfte doch zu regeln sein.“ Joey nickt. „Etwas anderes hatte ich auch nicht vor, aber ich wollte die Entscheidung aus deinem Mund hören um mir wirklich sicher zu sein. Und wie geht es dir sonst so?“ Unentschlossen zuckt Paddy mit
den Schultern. „Ich weiß nicht so genau. Momentan ist alles irgendwie wie im Nebel. Ehrlich
gesagt hab ich Angst vor dem was kommt. Ich meine, ich hatte gedacht, dass ich endlich den Menschen getroffen habe, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Wir hatten das erste Mal konkrete Zukunftspläne, wir wollten zusammenziehen, eine Familie gründen. Und von einem auf den anderen Tag ist alles kaputt. Den einen Tag hatte sie nur eine kleine Grippe und am nächsten Tag ist sie auf einmal todkrank. Ich verstehe es einfach nicht!“ „Wieso lässt sie sich eigentlich nicht behandeln? Es gibt doch bestimmt eine Therapie.“ Bedächtig nickt Paddy. „Ja, es gäbe eine Therapiemöglichkeit, aber eine Heilungschance gibt es bei ihr eigentlich nicht, da die Krankheit schon zu weit fortgeschritten ist. Sie könnte zwar trotzdem eine Chemotherapie machen, aber das würde ihr Leben nur um ein paar Monate verlängern. Monate in denen sie Schmerzen hätte, ihre Haare ausfallen würden und in denen sie im Krankenhaus liegen müsste. Sie hat von sich aus gesagt, dass sie das alles nicht möchte und ich respektiere das. So haben wir vielleicht ein paar Monate weniger, aber trotzdem mehr Zeit, die wir gemeinsam verbringen können.“ „Es tut mir leid!“, mehr sagt Joey nicht, er schluckt und schaut auf seine Finger. „Danke!“, murmelt Paddy und verlässt den Raum. Erwartungsvoll blicke ich Paddy an als er in sein Zimmer kommt. Was Joey wohl gesagt hat, ob er Paddy gehen lässt? Es steht schließlich eine Menge auf dem Spiel. Keiner kann voraussagen, wie die Fans reagieren werden, wenn Paddy einfach für Monate von der Bildfläche verschwindet. „Alles paletti! Ich habe offiziell Urlaub! Also, was machen wir als erstes?“ „Ich wüsste da schon was.“, meine ich und ziehe ihn zu mir aufs Bett.
Später als ich in Paddys Arm gekuschelt liege frage ich: „Und, was hat Joey gesagt?“ Er zuckt mit den Schultern. „Eigentlich nichts Besonderes. Es geht klar und er akzeptiert und versteht meine Entscheidung vollkommen. Außerdem sind es eh nur eine Handvoll Konzerte die ich verpasse.“ Hier werde ich hellhörig, wenn es wirklich nur wenige Konzerte sind, die in nächster Zeit anstehen, dann gäbe es vielleicht doch eine Chance, dass Paddy mitkommt. Vorsichtig frage ich: „Und wenn ich mitkommen würde? Ich meine auf Tour? Würdest du dann spielen?“ „Aber das geht doch nicht einfach so! Du kannst doch nicht mit mir auf Tour kommen. Du musst regelmäßig zum Arzt und was ist, wenn zwischendurch was sein sollte?“ Jetzt bringe ich doch noch ein Lächeln zustande, mit solchen Argumenten habe ich gerechnet und so habe ich auch gleich die passenden Antworten parat. „Also erstens geht es mir im Moment noch richtig gut. Nein lass mich bitte ausreden! Zweitens gibt es in jeder Stadt ein Krankenhaus in das ich gehen kann und drittens wolltest du mir nicht jeden Wunsch erfüllen? Gut, ich wünsche mir also noch ein paar Konzerte zu erleben. Es sind doch nur ein paar Tage, nichts dramatisches und ich verspreche dir mich zu schonen und auf mich aufzupassen. Bitte!“ Ich plinkere mit den Augen, so dass Paddy gar keine andere Möglichkeit hat, als seufzend zuzustimmen. „Ok, unter einer Bedingung. Deine Mom muss einverstanden sein! Klar?“ Kein Problem, sie wird froh sein mir noch so einen Wunsch erfüllen zu können und die Schule ist jetzt wirklich Nebensache. Ich greife nach meinem Handy und rufe sofort bei ihr an. Wie zu erwarten war ist die ganze Aktion kein Problem, meine Mom weiß mich bei Paddy und seinen Geschwistern gut aufgehoben und vertraut ihnen. „Ich soll dich übrigens schön von Herrn Staritz grüßen. Er weiß Bescheid und dein Attest ist auch schon bei ihm angekommen. Und falls du dich wieder in der Lage dazu fühlst, sollst du doch wieder zum Unterricht kommen. Er würde sich freuen.“ Ich muss kichern. Wenn er wüsste, dass ich nicht zu Hause rumsitze, sondern durch die Weltgeschichte reise, er würde nen Tobsuchtanfall bekommen. Joey ist zwar über Paddys schnelle Meinungsänderung überrascht, freut sich aber ihn dabei zu haben. „Es wäre schon komisch ohne Paddy geworden. Umso schöner, dass ihr jetzt beide mitkommt.“ Auch Patricia freut sich als sie die Nachricht hört, nimmt mich in den Arm und meint: „Schön dich dabei zu haben. Ich hoffe du hast trotz allem ein bisschen Spaß!“ Ich grinse und erwidere: „Na und wenn es keinen gibt, dann mach ich mir halt welchen. Ich hab beschlossen, mich von dieser scheiß Krankheit nicht länger unterkriegen zu lassen. Ich hab lange genug getrauert, ändern kann ich an meiner Situation nichts mehr und ich will die letzte Zeit nicht mit heulen vergeuden. Dazu ist das Leben zu schön und vor allem zu kurz.“ Paddy schaut mich etwas ungläubig und denkt sich erst einmal seinen Teil. Als wir gegen Abend noch etwas spazieren gehen fragt er: „Sag mal, hast du das vorhin wirklich ernst gemeint oder spielst du nur wieder die starke Kämpferin?“ Energisch schüttele ich den Kopf. „Nein! Das ist vorbei! Als du heute
Nachmittag mit Joey geredet hast hab ich mir so meine Gedanken gemacht. Es bringt niemandem etwas wenn ich hier die große Schauspielerin raushängen lasse. Momentan geht es mir gut und das muss und werde ich genießen, es kann sich schnell ändern und dann werden wir beide viel Kraft brauchen und die muss ich jetzt tanken. Wenn nicht jetzt wann dann? Ich habe in letzter Zeit viel nach Antworten gesucht und bis jetzt bin ich zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Ich bekomme einfach keine Antwort auf das Warum und Weshalb, ich glaube das war das Schlimmste in den letzten Tagen, den Sinn in der ganzen Krankheit nicht zu sehen.“ „Und jetzt, hast du einen gefunden?“, fragt Paddy neugierig. Ich zucke mit den Schultern. „Nein, nicht wirklich. Aber wie gesagt, seitdem ich weniger darüber nachdenke geht es mir auch besser. Vielleicht hat es wirklich keinen Sinn. Vielleicht ist es ein großer Irrtum im Plan Gottes, vielleicht hatte er einen schlechten Tag, den soll ja jeder angeblich mal haben und wer weiß schon was nach mir kommt? Vielleicht muss ich sterben um jemand anderem Platz zu machen. Wer kann das schon genau sagen? Aber hast du eine Antwort gefunden? Vielleicht ist es ja genau die, die ich gesucht habe.“ Paddy seufzt und beginnt stockend: „Natürlich habe ich auch oft über das Warum nachgedacht. Manchmal konnte ich keinen anderen Gedanken fassen. Immer wieder nur warum, warum, warum? Immer wieder habe ich gedacht: Warum gerade mir? Warum erst meine Mom und nun meine Freundin. Warum immer die Menschen die ich am meisten liebe und brauche? Und mittlerweile denke ich, dass du einfach ein ganz besondere Engel bist, der von meiner Mom geschickt worden ist, um mein Leben zu bereichern, um mir Kraft zu geben es auch weiterhin zu meistern um mir zu zeigen, wie schön das Leben sein kann, wie schön die Liebe ist. Und nun ist die Zeit gekommen, dass du zurückkehren musst. Sie weiß dass es mir gut geht und sie weiß, dass ich es schaffen werde.“ Ich habe Tränen in den Augen und kann nur flüstern. „Das hast du schön gesagt! Danke!“ Schweigend gehen wir noch ein Stückchen durch den Park, jedes Wort wäre jetzt zu viel. Nach einiger Zeit meine ich: „Ich geh wieder rein, ich möchte mich etwas hinlegen, kommst du mit?“ Besorgt schaut er mich an. „Geht es dir nicht gut? Brauchst du einen Arzt?“ „Nein! Aber es ist schon spät und wir waren den ganzen Tag unterwegs. Ich will nur noch ins Bett und die Beine hochlegen. Naja, vielleicht vorher noch schnell ne heiße Dusche, aber sonst will ich heute nichts mehr machen.“ Eine halbe Stunde später sitze ich eingekuschelt in eine dicke Decke auf Paddys Bett und höre ihm beim Gitarrespielen zu. Irgendwann nicke ich wohl ein, denn das nächste was ich mitbekomme, ist dass Paddy mich vorsichtig hinlegt und zudeckt. Mitten in der Nacht werde ich durch Paddy geweckt, der sich unruhig von der einen auf die andere Seite dreht und immer wieder meine Namen murmelt. Ich versuche ihn zu beruhigen und frage mich zum 1000sten Mal ob meine Entscheidung die richtige war. Vielleicht hätte ich doch im Krankenhaus bleiben sollen, vielleicht würde ich überleben. Ich beschließe, am nächsten Tag noch mal in Köln zum Arzt zu gehen, Paddy hatte mal irgendetwas von einem Spezialisten an der Uni Klinik erwähnt, vielleicht gibt es dort noch Hilfe für mich. Gesagt getan, ziemlich früh bin ich am nächsten Morgen wach, Paddy schläft noch und ich beschließe ihn schlafen zu lassen und jemand anderen zu fragen mich nach Köln zu fahren. Patricia ist schon wach und sitzt in der Küche und frühstückt. „Guten Morgen Patricia. Kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Klar, was kann ich für dich tun?“ Ich erkläre, was ich vorhabe und keine Stunde später stehe ich vor der Tür eines Arztes. Jetzt ist mir doch etwas mulmig, ich habe keinen Termin, bin nicht angemeldet und kann nur hoffen, dass er sich trotzdem meine Geschichte anhört. Und endlich scheine ich mal wieder Glück zu haben, Dr. Meyer hört sich an was ich zu erzählen habe, schaut sich meine Unterlagen an. „Nun gut, dann werden wir mal schauen, was ihre Blutwerte machen.“, sagt er und will dann noch wissen, wann sie das letzte Mal überprüft worden sind. „Vor zwei Wochen.“, murmele ich leise, mit der Gewissheit, dass ich in den letzten Tagen zur Überprüfung gemusst hätte. Ich bekomme Blut abgenommen und während ich auf Ergebnisse warte frage ich vorsichtig nach einer Therapiemöglichkeit. Bedenklich wackelt Dr. Meyer mit dem Kopf. „Nun ja, es ist natürlich eine Menge Zeit verstrichen, wir werden sehen, was die Ergebnisse der Blutuntersuchung zeigen.“ Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis die Schwester mit den Zetteln kommt. Dr. Meyer blättert einen Augenblick und brummt etwas Undefinierbares vor sich hin. Dann blickt er auf und blickt mich ernst an. „Also, ich muss ihnen leider sagen, dass sich ihre Werte in den letzten Wochen stark verschlechtert haben. Ich kann ihnen Aufbaupräparate mitgeben, aber ansonsten denke
ich kann ich ihnen nur den Rat geben ihre letzte Zeit zu genießen.“ Erschüttert schaue ich ihn an, zu sehr hatte ich mich in den letzten Stunden an meine scheinbar letzte Chance geklammert. „Man kann also gar nichts mehr machen?“, flüstere ich leise. Dr. Meyer seufzt. „Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass die Entscheidung, auf eine Chemotherapie zu verzichten, von Anfang an die richtige gewesen ist. Selbst wenn man die Krankheit frühzeitig entdeckt liegt die volle Heilungschance nur bei 30%, die meisten Patienten erlangen nur eine so genannte Remission, das heißt, dass die Krankheit für einige Zeit, vielleicht auch für einige Jahre verschwindet, dann aber wieder auftritt. Wie gesagt, ich werde ihnen Aufbaupräparate verschreiben, die den Krankheitsverlauf etwas verzögern können, damit bleiben ihnen noch ungefähr drei Monate.“ Ungläubig schaue ich ihn an. Drei Monate? Bei der letzten Untersuchung hieß es doch sechs Monate. Was sind drei Monate? In drei Monaten ist Februar, drei Monate ist eine verdammt kurze Zeit! Geschockt sammele ich meine Unterlagen ein, nehme das Rezept und verlasse wie im Trance den Raum. Patricia die auf mich gewartet hat kommt auf mich zugerannt und fragt, was der Arzt gesagt habe. Traurig schaue ich sie an und schüttele langsam den Kopf. Sie nimmt mich in den Arm und meint: „Hey, aber du hast es jedenfalls versucht.“ Ich nicke. Davon, dass mir jetzt noch weniger Zeit bleibt sage ich nichts, auch Paddy werde ich nichts erzählen, er leidet schon genug. Am Nachmittag geht es los nach Essen, abends geben die Kellys dort ein Konzert, danach geht es weiter nach München, Berlin, Bremen und zum Abschluss nach Hamburg. Von dort aus werden Paddy und ich nach Tolk fahren, ich werde wieder einige Tage zur Schule gehen, mein normales Leben weiterleben und Mitte Dezember werden Paddy und ich nach Irland fliegen. Soweit unsere Pläne, wir werden sehen, was aus ihnen wird. Erstmal geht es jetzt auf Tour. Die letzte Tour auf der ich mit war ist anderthalb Jahre her, seitdem hat sich einiges geändert. Während des Konzertes bleibe ich mit Sean hinter der Bühne und bin mal wieder erstaunt, wie sehr die Mädels abdrehen, nur weil mein Freund auf der Bühne steht. Vor lauter Angelo- und Paddyrufen hört man teilweise die Musik nicht mehr. Wie diese Mädels wohl reagieren würden, wenn sie wüssten, dass Paddy eine Freundin hat und Angelo Vater ist? Das er eine Freundin hat, haben ja mittlerweile alle mitbekommen und zu unser aller Überraschung auch akzeptiert. Was wohl passiert wäre, wenn Paddy jetzt wirklich eine Pause gemacht hätte? Wie wäre wohl die Stimmung gewesen, wenn er heute nicht dagewesen wäre? Schnell schiebe ich die Gedanken beiseite, wäre, wäre wäre, ist aber nicht. Sean guckt auch schon ganz komisch. In der Pause kommt Paddy von der Bühne gerast und nimmt mich stürmisch in den Arm. Er sieht so glücklich aus und ich bin froh, dass er trotz allem auf die Bühne gegangen ist. „Wie geht's dir? Ist alles klar?“, fragt er ganz außer Atem. „Alles Roger! Mir geht's super! Das Konzert ist einfach klasse!“ Lachend wirbelt er mich herum und ist einfach nur glücklich. Für diesen Abend scheint meine Krankheit vergessen. Ausgelassen toben wir durch den Backstagebereich, spielen mit Sean verstecken und bringen alles durcheinander. Patricia schaut sich das ganze Spektakel aus sicherer Entfernung an und denkt sich ihren Teil. Als wir im Hotel ankommen sind wir keineswegs ausgepowert, im Gegenteil. Ich fühle mich fit wie lange nicht mehr und denke gar nicht dran ins Bett zu gehen. Auch Maite und Angelo sehen noch relativ fit und so überlegen wir zu viert, was wir noch machen könnten. Als das Wort „Disco“ fällt bin ich sofort Feuer und Flamme. Meine Discoerfahrungen beschränken sich auf einen heimlichen Besuch mit 14, der genauso schnell und chaotisch endete, wie er begonnen hatte und das Donnerwetter meiner Mom dröhnt mir immer noch in den Ohren. Also gut, aber bevor wir los können müssen wir uns erst aufbrezeln. Paddy und Angelo seufzen, sie wissen was jetzt kommt, ewiges vor dem Spiegel Herumgestehe, Haare offen, Haare geflochten, Pferdeschwanz, Haare gelockt, Haare glatt. Roter Lippenstift, rosa Lippenstift, Lipgloss. Brauner Lidschatten, blauer Lidschatten, rosa Lidschatten. Dann passt der Lippenstift nicht mehr zum Lidschatten und alles von vorne. Während Angelo immer neue Möglichkeiten aufzählt verziehen Maite und ich uns aufs Zimmer um uns fertig zu machen. Zwanzig Minuten später treffen wir uns mit den beiden Jungs in der Eingangshalle. Als Paddy uns sieht, pfeift er laut und meint: „Das kann ja ein Abend werden mit zwei so wunderschönen Frauen an meiner Seite!“ Er nimmt mich in den Arm und gibt mir einen langen Kuss. Leise flüstert er: „Weißt du eigentlich, wie heiß du aussiehst? Wenn ich es mir recht überlege möchte ich vielleicht doch lieber hier bleiben!“ „Nix da! Heb dir das für später auf, jetzt geht's erstmal rund!“ Selbst Angelo starrt auf meine Hose,
die mehr als eng sitzt und mein Top, das man eigentlich nur als einen Hauch von Nichts bezeichnen kann. Meine Haare fallen offen fast bis zu den Hüften und auch mit der Farbe hat Maite nicht gespart. Ich hake mich bei Paddy ein und zu viert machen wir uns auf den Weg. Schon auf dem Weg zur Disco sind wir in ausgelassener Stimmung und als wir erst die Tanzfläche stürmen sind Maite und ich nicht mehr zu halten. Paddy kann nur Kopfschüttelnd zuschauen, wie ich aufdrehe. Gegen vier Uhr morgens werden dann sogar Maite und ich müde und wir beschließen zurück ins Hotel zu fahren. Angelo ruft ein Taxi und so sind wir kurz darauf wieder im Hotel. Jetzt will ich nur noch ins Bett, ich bin hundemüde und mir tun alle Knochen weh. Außerdem scheint mir der Alkohol nicht zu bekommen, alles dreht sich und ich bin froh, als ich endlich liegen kann. Ich kuschele mich an Paddy und bin nach ein paar Sekunden eingeschlafen. Wir werden erst wieder wach, als jemand laut gegen die Zimmertür klopft. „Ihr müsst aufstehen, wir wollen in zwanzig Minuten los!“, ruft Patricia und Paddy und ich sitzen im ersten Moment kerzengrade im Bett. Doch nach einem schnellen Blick auf den Wecker lasse ich mich wieder in die Kissen fallen, es ist noch nicht mal acht Uhr. Doch Patricia kennt kein Erbarmen und klopft solange, bis Paddy entnervt die Tür aufmacht. „So ihr beiden, ich will gar nicht wissen, was ihr gestern Nacht angestellt habt, bei Maite und Angelo hatte ich dieselben Probleme, sie aus dem Bett zu bekommen, aber ihr müsst jetzt aufstehen, um spätestens halb neun müssen wir los. Wir sollen noch bis nach München, meinetwegen könnt ihr im Bus weiterpennen.“ Murrend stehe ich auf und tapse ins Bad. Paddy steht schon unter der Dusche und als ich in den Spiegel blicke bekomme ich einen Schreck, ich sehe schlimmer aus als Frankensteins Schwester. Dunkle Augenränder, aufgesprungene Lippen und blass wie ein Laken. „Hey Schatz, komm schnell mit unter die Dusche, das spart Zeit.“ Grinsend drehe ich mich um. „Ach ne, das spart Zeit? Bist du dir da ganz sicher?“
Pünktlich um halb neun stehen alle in der Eingangshalle. Patricia hat nicht übertrieben, Maite und Angelo sehen genauso fertig aus wie Paddy und ich und sitzen völlig übermüdet auf ihren Koffern. Kathy schaut uns vier Kopfschüttelnd an und murmelt was von „unvernünftige Bande“. Kaum sitzen wir im Bus bin ich auch schon, angelehnt an Paddy, eingeschlafen. Auch Maite und Angelo schnarchen schnell wieder und bekommen von ihrer Umwelt nicht viel mit. Nur Paddy findet keine Ruhe mehr. Er sitzt, kaut an seinem Bleistift und versucht sich auf einen Liedtext zu konzentrieren, den er vor ein paar Tagen angefangen hatte. Doch immer wieder hat er die Bilder der letzten Nacht vor Augen. Sie sah so glücklich aus, als wenn nichts und niemand ihr wehtun könnte, als wenn sie einfach vergessen hätte, wie krank sie ist. Er weiß, dass sie solche Augenblicke braucht, um Kraft zu schöpfen und er weiß, dass auch er solche Augenblicke braucht. Aber trotzdem hat er nicht vergessen, dass solche Augenblicke seltener werden. Er hat in letzter Zeit viel über Leukämie gelesen und weiß, dass es noch schlimm kommen kann. Er weiß, dass sie sehr krank werden kann und dass es vielleicht nicht mehr lange dauern wird, bis solche Unternehmungen nicht mehr möglich sein werden. Er seufzt, wie so oft in letzter Zeit und schiebt die Gedanken schnell zur Seite. Noch merkt man ihr die Krankheit nicht an, also werden sie die Zeit genießen. Patricia, die bemerkt hat, wie sehr ihr Bruder am Grübeln ist fragt leise: „Alles in Ordnung Paddy?“ Er nickt, natürlich ist alles in Ordnung, so in Ordnung wie es halt sein kann. Mittlerweile werde ich langsam wach. Verschlafen blinzele ich um mich und brauche einige Sekunden, bis ich weiß, wo ich bin. „Na, gut geschlafen?“, grinst Paddy mich an und piekt mich in die Seite, so dass ich schreiend aufspringe. Das lässt auch Angelo und Maite aus ihrer Traumwelt aufwachen, keine Minute zu früh, denn schon sieht man die Halle in denen die Kellys heute Abend auftreten werden. Nun wird es hektisch, alle suchen ihre Klamotten zusammen und stürmen in Richtung Halle. Ich schnappe mir Sean, der ziemlich verloren zwischen seinen Onkel und Tanten sitzt und mache mit ihm erstmal einen Spaziergang, irgendwo wird sich hier bestimmt ein Spielplatz finden lassen. Während Sean immer wieder die Rutsche runterrutscht, reift in mir ein ziemlich abgefahrener Plan. Heute Abend werde ich mir das Konzert nicht backstage angucken, sondern mich unter die Fans mischen. Paddy wird zwar nicht begeistert sein, aber ich möchte nach anderthalb Jahren endlich mal wieder ein Konzert richtig miterleben. Wie zu erwarten war ist Paddy alles andere als begeistert von meiner Idee. „NEIN! Auf keinen Fall! Das lasse ich nicht zu. Das ist viel zu gefährlich, was meinst du, wenn dich irgendein Fan erkennt? Was willst du dann machen? Deine Mom würde mir den Kopf abreißen, wenn ich das erlauben würde!“
Trotzig blicke ich ihn an, was denkt er sich eigentlich wer er ist? Mein Vater? „Wer soll mich denn erkennen? Es kennt mich doch niemand! Niemand weiß, dass ich deine Freundin bin!“ „Ich sagte nein und dabei bleibt es! Die Fans wissen oftmals mehr als uns liebt ist und irgendjemand könnte dich erkennen und das Risiko will ich auf keinen Fall eingehen! Versteh das doch!“ Wütend wende ich mich ab, ich lasse mich mit meinen 17Jahren nicht mehr wie ein Kleinkind behandeln und wenn ich meine, dass ich zwischen die Fans will, dann werde ich zwischen die Fans gehen. Da Paddy mich und meinen Sturkopf kennt, beauftragt er Tarzan ein Auge auf mich zu werfen und mich davon abzuhalten mich wegzuschleichen. Aber auch Tarzan kann seine Augen nicht überall haben und als er gerade versucht Sean davon abzuhalten die Garderobe zu verwüsten, nutze ich meine Chance und bin weg. Die nächsten zwei Stunden vergehen wie im Flug. Ich stehe zwischen den Fans und genieße das Konzert. Die Stimmung ist einmalig und wie zu erwarten war erkennt mich niemand. Ich tanze und singe vor mich hin und denke gar nicht an das Donnerwetter, das mich sicherlich nachher erwarten wird. Nachdem das Konzert vorbei ist unterhalte ich mich noch eine Weile mit anderen Fans, bis auf einmal Tarzan hinter mir steht und mich mit in den Backstagebereich zieht. Ich merke, wie mich die irritierten Blicke der Fans verfolgen und seufze. Super, warum muss dieser schöne Abend nur so enden? Schon von weitem sehe ich Paddy, der aufgeregt hin und her rennt und dabei leise vor sich hinflucht. Als er mich sieht kommt er auf mich zugerannt und ruft: „Sag mal, was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Spinnst du jetzt total? Ich fass es nicht, dass du das getan hast! Kannst du dir nicht denken, dass ich mir Sorgen mache?“ Wütend starre ich ihn an. „Meine Güte, nun übertreib mal nicht! Ich lebe noch, es ist mir nichts passiert und ich hab nen schönen Abend gehabt. Ich denke ich bin alt genug um zu wissen was ich tue. Ich brauche keinen Babysitter mehr, der auf mich aufpasst und mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe!“ Mit diesen Worten scheine ich ihn wirklich getroffen zu haben, denn er dreht sich, ohne ein Wort zu sagen von mir weg und geht zum Tourbus. Scheiße, das wollte ich nicht, auf Streit habe ich nun wirklich keine Lust. Patricia schaut mich ziemlich merkwürdig an und meint leise: „Musste das sein? Er hat sich wirklich Sorgen gemacht, als er dich da unten gesehen hat.“ Klasse, meine Aktion scheint wirklich daneben gewesen zu sein. „Ich glaub dir ja schon, dass du deine letzte Zeit genießen möchtest, aber denk auch ein wenig an Paddy! Bitte, er macht sich schon genug Sorgen um dich, da musst du ihm nicht noch mehr Grund dazu geben. Ich kann dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast, aber ich kann an deine Vernunft appellieren, so etwas Unvernünftiges in Zukunft sein zu lassen.“ Stumm nicke ich und bin den Tränen nahe, wieso mache ich eigentlich immer alles falsch? Langsam gehe ich zum Tourbus, Paddy sitzt im hinteren Teil und ignoriert mich. Ok, dann gebe ich ihm erstmal etwas Zeit, vielleicht können wir nachher im Hotel noch mal miteinander reden, er kann mir schließlich nicht ewig aus dem Weg gehen. Im Hotel geht er schnurstracks auf sein Zimmer und ich ohne viele Worte hinterher. Leise mache ich die Tür hinter mir zu und murmele: „Es tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun!“ Abrupt dreht er sich um und blickt mich mit seinen stahlblauen Augen an. „Ach ja, du wolltest mir nicht wehtun? Und wieso hast du es dann getan? Wieso musstest du unbedingt da runter gehen? Sag mir einen vernünftigen Grund!“ Wortlos blicke ich ihn an. Einen vernünftigen Grund habe ich nicht, ich wollte halt noch mal ein Konzert hautnah erleben. Stockend beginne ich zu erklären, doch Paddy winkt ab. „Ist schon gut, ich versteh es ja. Aber bitte nicht noch mal, versprich mir das!“ Ich nicke und nehme ihn in den Arm. „Sei mir nicht böse, aber ich will jetzt nur noch unter die Dusche und ins Bett, ich bin hundemüde.“, meint Paddy und geht ins Bad. Seufzend lasse ich mich aufs Bett fallen, zwar tut Paddy so, als sei alles wieder in Ordnung, aber ich weiß ganz genau, dass er eigentlich immer noch dran zu knabbern hat. Ich schmeiße mich in meinen Schlafanzug und kuschele mich in die Bettdecke. Kurz darauf kommt auch Paddy aus dem Bad und legt sich zu mir. Als ich mich an ihn kuscheln will, dreht er sich weg und mir den Rücken zu. Klasse, genau das habe ich jetzt gebraucht, einen beleidigten Freund. „Paddy, bitte...“ „Sei mir nicht böse, aber ich bin tierisch müde und möchte nur noch schlafen." „Klar, schon gut.“, murmele ich und drehe ihm auch den Rücken zu. Am nächsten Morgen bin ich schon ziemlich früh wach. Draußen ist es noch stockdunkel und ich habe noch keine Lust aufzustehen. Ein Blick auf meinen Wecker verrät mir, dass es erst kurz vor sechs ist, wahrscheinlich ist außer mir noch keiner wach. Also mache ich meine Nachttischlampe an und
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Melanie
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Erstellt: 29.10.06, 21:25 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen
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Bescheid, dass sie mal nach dir schauen soll.“ Ich nicke nur, drehe mich um und bin kurz darauf wieder eingeschlafen. Ich bekomme nicht mit, dass meine Mom nach mir schaut, dass sie Fieber misst und dann den Arzt anruft. Erst nachmittags als Dr. Schulze auftaucht werde ich wieder wach. Er hört mich ab, schaut mir in Hals und Ohren und nimmt zum Schluss noch Blut ab. „So, ich denke, es handelt sich um einen harmlosen grippalen Infekt, mit ein paar Tagen Bettruhe und liebevoller Pflege dürfte er in wenigen Tagen auskuriert sein. Wenn ich die Ergebnisse der Blutuntersuchung habe, melde ich mich bei euch.“ Erschöpft lege ich mich wieder hin, als Dr. Schulze auf einmal fragt: „Sag mal, hast du noch mehr blaue Flecken?“ Ich murmele was von Schlafwandelei und Paddy wiederholt, was ich ihm am letzten Abend erzählt habe. „Nun gut, ich melde mich auf jeden Fall, wenn die Blutergebnisse da sind.“ Meine Mom bringt Dr. Schulze nach unten und Paddy legt sich zu mir ins Bett. „So ein Scheiß, nun kommst du mich schon mal besuchen und dann liege ich krank im Bett.“ „Ist schon gut, wir haben ja noch jede Menge Zeit. Ruh dich erstmal richtig aus und dann wird es schon wieder werden. Soll ich dir was vorlesen?“ Den Rest des Nachmittages liegen wir beide im Bett und Paddy liest mir vor. Einige Male schaut meine Mom leise ins Zimmer und muss bei dem Anblick lächeln. Obwohl sie zuerst überhaupt nicht davon begeistert war, dass ihre Tochter einen Freund hat, der fünf Jahre älter ist, weiß sie nun, dass sie glücklich ist und sie Paddy 100%ig vertrauen kann. Am nächsten morgen klingelt das Telefon, es ist Dr. Schulze, der meine Mom und mich sofort zu sich in die Praxis bittet. Mir geht es schon wieder richtig gut, keine Anzeichen von Fieber und Halsschmerzen, nur diese bleierne Müdigkeit ist noch da. „Nanu, was Dr. Schulze wohl von uns will. Er meinte auf jeden Fall, wir sollten sofort kommen und uns gleich bei der Sprechstundenhilfe melden, dann würden wir zwischengeschoben.“ 15Minuten später sitzen wir Dr. Schulze gegenüber, der uns ernst anblickt. Er räuspert sich und meint: „Nun gut, als erstes habe ich einige Fragen an dich und ich möchte, dass du sie mir so wahrheitsgemäß wie möglich beantwortest. Fühlst du dich schon länger schlapp und müde?“ „Naja, seit ein paar Wochen fällt es mir ziemlich schwer morgens aus dem Bett zu kommen und manchmal habe ich das Gefühl in der Schule einzuschlafen, ich hab immer gedacht, dass kommt vom Schulstress.“ „Gut, und die blauen Flecken, seit wann hast du die?“ „Mmh, das fing vor ungefähr drei Wochen an, jedes Mal wenn ich mich stoße bekomme ich gleich einen. Ich hab gedacht, das hängt vielleicht mit meinem Eisenmangel zusammen.“ Dr. Schulz lehnt sich zurück, spielt nervös mit seinem Kugelschreiber und meint dann: „Nun gut, ich möchte jetzt, dass du mir ganz genau zuhörst, ich habe deine Blutprobe eingeschickt und dabei wurde herausgefunden, dass deine weißen Blutkörperchen stark erhöht sind und zusammen mit den Symptomen, die du mir geschildert hast erhärtet sich der Verdacht, dass du an Leukämie erkrankt bist.“ Ich werde leichenblass und beginne zu zittern. Leukämie? Nein, das darf nicht wahr sein! „Du musst mit deiner Mutter sofort ins Krankenhaus, dass dir Knochenmark entnommen wird. Und dann sehen wir weiter. Wenn man die Leukämie früh genug entdeckt, ist die Heilungschance relativ gut.“ Das alles bekomme ich kaum mit, mir spukt immer nur das Wort „Leukämie“ im Kopf herum. Auch meine Mom schaut ziemlich geschockt aus, bewahrt aber doch noch Ruhe und lässt sich von Dr. Schulze die nötigen Informationen geben. Eine Stunde später liege ich im OP und mir wird unter örtlicher Betäubung Knochenmark aus der Hüfte entnommen. Tausend Gedanken schwirren mir in der Zeit durch den Kopf, ich hab doch noch so viele Pläne für die Zukunft, es kann doch jetzt nicht alles vorbei sein! Zurück in meinem Zimmer frage ich als erstes nach meiner Mom. „Die ist nach Hause und besorgt dir Klamotten. Wenn sich der Verdacht auf Leukämie bestätigt, dann dürfen wir keine Zeit verlieren und müssen sofort mit der Therapie anfangen. Aber soweit ist es ja noch nicht, vielleicht ist ja auch alles nur falscher Alarm. Und nun ruh´ dich etwas aus, es war ein anstrengender Tag. Brauchst du was zum schlafen oder geht´s so?“, meint die Krankenschwester, die mich in mein Zimmer geschoben hat. „Ne, das geht schon so, ich bin ziemlich fertig.“ Ich falle in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf und werde erst wieder wach, als Paddy sich neben mich setzt. Er sieht ziemlich verweint und sagt leise: „Hey mein Schatz, wie geht´s dir?“ Leicht zucke ich mit den Schultern, momentan bin ich eigentlich nur müde. „Paddy, lass mich nicht alleine, ich hab Angst.“ Er nimmt mich in den Arm. „Klar bleib ich bei dir, ich lass dich doch jetzt nicht alleine!“ „Paddy ich will nicht sterben!“ „Sch, das hat ja auch keiner gesagt. Wir schaffen das schon. Ich bleib bei dir, bis du wieder gesund bist. Egal was
passiert.“ Ich schließe meine Augen und schlafe wieder ein. Paddy legt den Kopf auf meine Bettdecke und schläft auch ein. Am nächsten Morgen werden wir um halb sieben geweckt, was für eine unchristliche Zeit. Verschlafen tapse ich unter die Dusche, danach fühle ich mich jedenfalls wieder halbwegs menschlich. Um sieben trudelt mein Frühstück ein und Paddy und ich frühstücken trotz allem gemütlich im Bett. Die Schwester, die kurz darauf reinblickt will erst was sagen, lässt uns dann aber doch in Ruhe und zieht leise die Tür hinter sich zu. Langsam werde ich nervös, im Laufe des Vormittags sollen meine Ergebnisse von der Knochenmarkuntersuchung da sein und dann wird sich zeigen, wie sich mein Leben verändern wird, ob es sich überhaupt verändern wird. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor und dann endlich kommt meine Mom mit dem Arzt rein. Aus ihren Gesichtern lässt sich nicht erkennen, was bei der Untersuchung rausgekommen ist. Wir setzen uns an den Tisch und der Arzt macht ein ziemlich ernstes Gesicht. „Wie sieht es mit dem jungen Mann aus, kann der bei unserem Gespräch dabei sein?“ Ich nicke heftig und greife nach Paddys Hand. Der Arzt räuspert sich und meint dann: „Nun gut, ich muss ihnen leider mitteilen, dass sich der Verdacht bestätigt hat.“ Hier kralle ich mich in Paddys Hand fest und habe Mühe mir die Tränen zu verkneifen. Bevor ich noch irgendwelche Fragen stellen kann fährt der Arzt fort: „Ähm, das ist leider nicht alles, was ich ihnen zu sagen habe. Sie leiden unter Akuter myeloischer Leukämie. Eigentlich eine Form der Leukämie die relativ gut behandelbar, immer gesetzt dem Fall man erkennt sie rechtzeitig. Bei ihnen ist es nun allerdings so, dass schon ziemlich viel Zeit verstrichen ist und ich will ganz offen sprechen, die Aussichten auf eine Heilung liegen bei 1:10000.“ Mir wird schwarz vor Augen und meine Mom fragt mit zitternder Stimme: „Und was bedeutet das nun genau?“ „Nun, sie müssen sich überlegen, ob sie eine Therapie wünschen, wobei die Aussicht auf Heilung eigentlich nicht gegeben ist, wir könnten ihr Leben nur um einige Monate verlängern. Oder aber die andere Möglichkeit sie geht nach Hause, bekommt Medikamente, dass es ihr einigermaßen gut geht und genießt die letzte Zeit.“ „Wie lange noch?“, fragt meine Mom mit brüchiger Stimme. „Ohne Therapie vielleicht ein halbes Jahr, mit Chemotherapie neun bis zehn Monate. Maximal. Überlegen sie sich, wie es weitergehen soll, aber entscheiden sie sich schnell. Und wenn sie wissen, was sie tun wollen, melden sie sich bei mir.“ Er steht auf und geht. Geschockt sitzen meine Mom, Paddy und ich auf unseren Stühlen und wissen nicht, was wir sagen sollen. Irgendwann sage ich leise: „Mom, ich will nach Hause!“ „Du weißt was das bedeutet?“ Ich nicke. „Ja, ich werde sterben, aber ich werde auch sterben wenn ich hier bleibe und mich mit Medikamenten voll pumpen lasse. Ich will nach hause und zwar sofort.“ Ich stehe auf und beginne mechanisch meine Tasche zu packen. Paddy sitzt immer noch stumm da und starrt an die Wand. „Paddy, ist alles in Ordnung mit dir?“, frage ich mit fester Stimme. Er schaut hoch und ich sehe Tränen in seinen Augen. Er schluckt einmal, steht auf und nimmt mich in den Arm. „Wir schaffen das. Irgendwie schaffen wir das!“ Jetzt kann ich nicht mehr, ich fange an zu weinen und lasse mich in seine Arme fallen. „Ich hab Angst vor dem Sterben. Ich hab solche Angst!“ Eine Schwester die den Raum betritt erkennt sofort die Situation und bringt mir eine Tablette und ein Glas Wasser. Ich werde etwas ruhiger und sinke zurück auf mein Bett. „Bleibst du bei deiner Entscheidung? Willst du wirklich nach Hause?“, fragt meine Mom mich. Ich nicke. „Wenn ich schon sterben muss, will ich das zuhause tun. Ich will nicht den Rest meines Lebens im Krankenhaus verbringen. Ich will mit meinen letzten Monaten etwas Sinnvolles anfangen.“ „Gut, dann werde ich jetzt mit dem Arzt sprechen, dass der deine Unterlagen an Dr. Schulze weiterleitet und dann fahren wir.“ „Danke Mom!“ „Dafür nicht, ich versteh dich schon, sonst würde ich die Papiere auch nicht unterschreiben.“ Als sie draußen ist schauen Paddy und ich uns an und sagen erst einmal gar nichts. „Meinst du, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe?“ Er zuckt mit den Schultern. „Das kann ich nicht beurteilen. Wenn du dich wohl mit deiner Entscheidung fühlst, dann wird sie richtig gewesen sein.“ „Es tut mir leid!“ Erstaunt schaut er mich an und fragt: „Was tut dir leid?“ „Das ich dir so weh tue. Das ich unsere Pläne kaputt mache, dass ich gehe und dich alleine zurücklasse!“ „Hey stop, so was will ich nie wieder von dir hören! Hast du mich verstanden. Egal was passiert! Es ist nicht deine Schuld und was unsere Pläne angeht, wir haben noch ein halbes Jahr und diese Zeit werden wir nutzen. Was ist dein größter Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“ „Ich möchte gerne dein Land kennen lernen! Ich möchte einmal Urlaub in Irland machen.“ „Klar mein Schatz, wann du willst und so lange du willst. Und wenn du noch jemanden mitnehmen möchtest...“ „Nein! Wenn dann will ich mit dir alleine fahren, ich will dich in der
Zeit mit niemandem teilen!“ „Ok, wie du willst. Du bist der Chef!“ Mittlerweile habe ich fertig gepackt und auch meine Mom ist wieder da. „Fertig? Können wir los?“ Ich nicke, nehme meine Tasche und gehe zum Auto. Noch bin ich ziemlich geschafft, doch in meinem Hinterkopf hämmert immer wieder der Satz: „Das war´s, du wirst sterben!“ Auf der gesamten Autofahrt sagt niemand ein Wort, jeder ist mit seinen Gedanken beschäftigt. Zurück in Tolk meint meine Mom: „Ich werde dann mal gleich meinen Chef anrufen und ihm sagen, dass ich die Stelle nicht annehmen kann.“ Erschrocken blicke ich auf, schlucke einmal und sage: „Nein! Du wirst den Job annehmen. Du wirst ganz normal nach Edinburgh zurückgehen und diesen verdammten Job annehmen!“ Ich bin laut geworden und Paddy und sie zucken zusammen. „Aber ich kann doch nicht zurück nach Schottland, wenn meine Tochter hier im Sterben liegt.“ „Doch, das kannst du! Außerdem liege ich noch lange nicht im Sterben und wenn es wirklich soweit ist, wird sich schon eine Regelung finden. Ich will einfach mein Leben ganz normal weiterleben und nicht jeden Augenblick daran erinnert werde, dass ich todkrank bin. Ich will kein Mitleid und keine Sonderbehandlung! Ich will einfach nur leben, auch wenn es nicht mehr allzu lange ist!“ Mit diesen Worten renne ich nach oben in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Endlich kann ich hemmungslos weinen und auch Paddy, der zu mir kommt, kann mich nicht beruhigen. Irgendwann legt er sich einfach neben mich, nimmt mich fest in den Arm und wartet bis ich eingeschlafen bin. Dann geht er runter und setzt sich zu meiner Mom in die Küche. „Susanna, ich fühle mich so hilflos! Ich meine, vor zwei Tagen haben wir noch Pläne geschmiedet, wir hatten eine gemeinsame Zukunft und nun das!“ „Ich weiß! Mir geht es doch nicht anders! Ich verliere meine Tochter. Sie war jahrelang mein Lebensmittelpunkt und nun muss sie sterben und ich kann nichts tun! Glaube, mir diese Gewissheit nichts tun zu können ist das Schlimmste. Und wenn ich könnte, ich würde mein eigenes Leben geben, wenn sie nur wieder gesund werden würde! Aber was denkst du, sollte ich auf sie hören und zurück nach Schottland gehen?“ Nachdenklich schaut er sie an. „Ich denke, dass sie Recht hat. Auch wenn es dir vielleicht schwer fällt, aber du hast eine Zukunft und du solltest zumindest die nächste Zeit ganz normal weiterarbeite. Naja, so normal wie es eben möglich ist. Ich werde hier bleiben, sie ist also nicht alleine.“ „Ja aber geht denn das einfach so? Du kannst doch nicht einfach für Monate von der Bildfläche verschwinden.“ „Und ob ich das kann. Es gibt ab jetzt nichts Wichtigeres für mich als mit ihr zusammen zu sein. Ich werde gleich mit meinen Geschwistern telefonieren und erklären, was los ist. Vielleicht nehme ich sie auch noch mal für ein paar Tage mit nach Gymnich. Und nach Irland möchte sie gerne, also werde ich mit ihr hinfliegen. Ich weiß ja nun nicht, wie es mit der Schule aussieht, aber ich denke, da wird sich ein Termin finden lassen.“ Mit Tränen in den Augen fragt Susanna: „Danke Paddy! Ich weiß nicht was ich ohne dich machen sollte. Wie schaffst du es so ruhig zu bleiben?“ Traurig blickt er sie an. „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es noch der Schock, eigentlich tobe ich innerlich. Ich versteh es einfach nicht! Sie ist doch erst 17 Jahre alt, sie müsste eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich haben!“ Mittlerweile bin ich wieder wach geworden und höre meine Mom und Paddy in der Küche reden. Ich schüttele meinen Kopf, nein jetzt kann ich nicht mit ihnen reden, ich muss hier raus! Aber wohin? Ich schnappe mir mein Fahrrad und fahre erstmal ziellos durch die Gegend. Wo ich eigentlich genau hingefahren bin merke ich erst. Als ich in Havetoft im Elisabethheim ankomme weiß ich mit wem ich reden kann, Carsten hat bestimmt Zeit für mich! Ohne mich um irgendjemanden zu kümmern stürme ich zu seinem Zimmer. Ich habe Glück, auf mein Klopfen macht er sofort auf. „Oh hallo, womit habe ich denn das verdient, dass du mich besuchen kommst?“ „Kann ich bitte reinkommen?“, frage ich und fange schon wieder an zu weinen. Spontan nimmt er mich in den Arm und fragt: „Hey, was ist los? Stress mit Paddy?“ Ich schüttele den Kopf. „Schön wär's wenn!“, dabei lasse ich mich auf sein Bett fallen. „Hey, nun red schon, was ist los?“ „Carsten ich bin krank!“ „Ja und, was hast du?“ „Leukämie!“ „Oh!“, mehr sagt er nicht und schaut mich mit großen Augen an. „Carsten ich werde sterben!“ „Ach Quatsch! Leukämie ist doch mittlerweile heilbar, das wird schon werden!“ Ich schüttele den Kopf. „Nein! Bei mir wurde es zu spät entdeckt, der Arzt gibt mir ohne Therapie noch ein halbes Jahr, mit Chemotherapie noch neun Monate!“ Erschrocken schaut er hoch. „Und wieso bist du dann nicht im Krankenhaus?“ „Weil ich gegangen bin. Ich will keine Therapie! Ich will meine Haare
behalten, ich will, dass es mir die letzten Monate gut geht, ich will verreisen und soviel Zeit wie möglich mit Paddy und meinen Freunden verbringen.“ „Aber du kannst doch nicht einfach
so sterben!“ „Denkst du ich freu mich drauf? Glaubst du ich hab es mir ausgesucht! Nein! Ich find es auch beschissen und ich will nicht sterben! Aber habe ich eine andere Wahl? Bin ich gefragt worden?“ „Ich... So hab ich das doch nicht gemeint. Ich weiß nur nicht, wie... Ich kann
mir nur gar nicht vorstellen wie es ist, wenn du nicht mehr da bist! Du gehörst einfach zu meinem Leben dazu!“ „Dann denk doch um Himmelswillen nicht darüber nach wie es ohne mich wäre. Ich weiß erst seit ein paar Stunden, das ich sterben werde und schon überlegen alle, was sie ohne mich machen sollen. Das ist doch krank! Noch lebe ich, noch bin nicht tot! Ich stehe hier vor dir und bin lebendig!“ In diesem Moment klingelt mein Handy. Es ist Paddy. „Hey mein Schatz, wo bist du abgeblieben? Ich wollt schauen wie es dir geht und da war dein Bett auf einmal leer.“ „Ich bin bei Carsten. Ich musste einfach raus! Tut mir leid, ich hätte Bescheid sagen sollen.“ „Schon ok, soll ich dich abholen? Dann musst du nicht mehr im Dunkeln alleine durch die Gegend fahren.“ „Danke!“ Eine halbe Stunde später klopft es und Paddy steht vor der Tür. Stumm nehme ich meine Jacke und gehe. „Dein Fahrrad ist schon im Kofferraum.“ Ich nicke und schweige weiter. Auf der ganzen Autofahrt spreche ich kein Wort, irgendwann seufzt Paddy und fragt: „Wie kann ich dir helfen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Mir ist nicht mehr zu helfen und das weißt du ganz genau!“ Er fährt rechts ran und macht den Motor aus. „So, nun reicht es mir! Hör endlich auf hier die starke Heldin zu spielen und so einen Quatsch zu erzählen! Lass dir helfen, sonst gehst du kaputt. Dir geht es mies, das sieht jeder und das versteht jeder. Wein endlich, fang an zu schreien, fang an zu toben, egal was, aber mach was. Friss nicht alles in dich rein, sonst frisst es dich auf!“ Mit großen Augen blicke ich ihn an, ihm laufen Tränen über die Wangen, er nimmt meine Hand und hält sie fest. Mit brüchiger Stimme sage ich: „Paddy ich hab Angst. Ich hab eine beschissene Angst vor dem Sterben. Was kommt dann? Was? Wird es wehtun? Werde ich schlafen? Und was wird aus dir und meiner Mom? Ich will euch nicht verlieren! Ich liebe dich! Und Paula, ich hab sie gerade erst kennen gelernt und nun soll es das gewesen sein! Paddy, das ist so ungerecht! Wieso gerade ich? Wieso jetzt? Jetzt, wo ich grade wusste, was ich mit meinem Leben machen will, wo ich endlich jede Menge Zeit mit dir hätte verbringen können. Jetzt wo ich mir vorstellen könnte eine Familie zu gründen. Und nun? Nun ist alles vorbei! Paddy ich will nicht sterben! Ich will es einfach nicht!“ Er nimmt mich in den Arm und hält mich fest. „Ich will auch nicht, dass du stirbst und ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen. Ich hab soviel Geld und kann dir trotzdem nicht helfen. Aber irgendwie werden wir es schon schaffen, irgendwie.“ Mittlerweile ist auch Nadine von der Arbeit nach Hause gekommen und muss sich geschockt anhören, was mit mir los ist. „Aber, wieso? Sie war doch nie krank, ihr ging es doch immer gut! Wieso so plötzlich?“ Meine Mom zuckt mit den Schultern. „Keiner weiß es und vor allem keiner versteht es. Paddy ist völlig durcheinander und ist heute den ganzen Nachmittag ziemlich ruhelos durchs Haus getigert. Er ist so frustriert, dass er ihr nicht helfen kann und mit ansehen muss, wie sie stirbt. Ich muss sagen, mittlerweile tut es mir wirklich leid, dass ich ihn am Anfang ihrer Beziehung nicht akzeptiert habe, ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihnen Zeit gestohlen habe, Zeit die jetzt so kostbar ist.“ „Aber das konntest du damals doch nicht wissen, hör auf mit diesen Selbstvorwürfen. Damit ist doch keinem geholfen!“ Nadine ist laut geworden und rennt jetzt Kopfschüttelnd aus dem Wohnzimmer. „Sag mal Paddy, wo fährst du eigentlich hin? Wir sind doch schon lange an Tolk vorbei?“ „Nach Schleswig in die Kirche. Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich brauch jetzt ein bisschen Ruhe und Abstand und das finde ich beides meistens in der Kirche.“ Fassungslos starre ich ihn an. „Du willst wohin?“ „In die Kirche. Wieso, ist da etwas Schlimmes dran?“ „Ich weiß nicht, ich glaub ich kann das nicht. Ich kann nicht in die Kirche gehen, zu einem Gott der mich sterben lässt. Zu einem Gott, der tatenlos dabei zusieht, wie ich sterben muss. Wie kannst du zu einem Gott beten der dich so leiden lässt? Wie kannst du nur?“ Er schweigt und schaut stur geradeaus. Nach einer Weile meint er leise: „Ich weiß auch nicht. Ich habe mich in den letzten Monaten immer an meinen Glauben geklammert, wenn es mir schlecht ging und es hat geholfen. Ich will Gott ja gar nicht danken, das hab ich ja gar behauptet. Aber vielleicht bekomme ich ja eine Antwort auf eine meiner vielen Fragen. Und wenn nicht dann habe ich jedenfalls die Chance ein paar Minuten ganz still über alles das nachzudenken, was heute passiert ist. Du musst nicht mitkommen, aber ich brauch das jetzt.“ Naja gut, umbringen wird es mich nicht, das übernimmt etwas anderes. Zögernd betrete ich hinter Paddy die Kirche. Lange war ich nicht mehr hier, seit ich mich
heftigst mit unserem Pfarrer gezofft habe, bin ich nicht mehr im Gottesdienst gewesen. Verändert hat sich in den Monaten nichts, außer den Kerzen vor der Marienstatue und am Altar ist es dunkel und ruhig. Ich setze mich in die nächstbeste Bank und schaue nach Paddy, der weiter vorne kniet und anscheinend ganz in sein Gebet versunken scheint. Ich seufze, auch wenn immer daran geglaubt habe, dass es einen Gott gibt, wie immer er nun auch heißen mag, war ich nie eine besonders gläubige Christin. Jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher als Paddys festen Glauben. Er wird eine Antwort auf seine Fragen bekommen und er wird einen Sinn in meiner Krankheit finden, er hat etwas an dem er sich festhalten kann, im Gegensatz zu mir. Ist sein Glaube stark genug für uns beide? Nach zwanzig Minuten steht Paddy auf und kommt zu mir. „Sollen wir nach Hause fahren oder willst du noch bleiben?“ Ich schüttele den Kopf, ich will jetzt nach Hause. Meine Mom und Nadine sitzen in der Küche am Abendbrotstisch, doch es sieht nicht so aus, als hätten beide Appetit. Aber mein Magen knurrt mittlerweile schon ziemlich heftig. Erstaunt blickt Nadine mich an, als ich in kürzester Zeit zwei Käsebrote verschlinge. „Du hast Hunger?“, fragt sie mich. „Klar, wieso sollte ich nicht? Ich hab seit heute Morgen nichts mehr zu beißen gehabt und war den ganzen Tag auf Achse.“ Paddy seufzt leise, kaum hatten wir die Haustür hinter uns zu gezogen war ich wieder das starke Mädchen, das keinem zeigt, wie es ihm geht. Zwischen zwei Bissen frage ich ihn: „Sag mal, wann musst du eigentlich nach Köln zurück?“ „In nächster Zeit gar nicht. Ich werd mich heut noch bei Patricia melden, dass sie mir noch ein paar Klamotten schickt und dann werde ich hier bleiben.“ „Aber du kannst doch nicht so einfach für Monate von der Bildfläche verschwinden! Wie willst du das den Fans erklären?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich denke mal mit der Wahrheit. Das meine Freundin krank ist und ich soviel Zeit wie möglich mit ihr verbringen möchte. Das haben sie zu akzeptieren und damit basta!“ „Na gut, wenn du meinst das das gut geht. Aber ich will nicht, dass du wegen mir Stress bekommst.“ „Und wenn schon! Ich bin volljährig, ich kann machen was ich will! Und wenn ich eine Pause brauche, dann brauche ich halt eine Pause!“ „Ist ja gut, ist ja gut!“, murmele ich verlegen. „Aber kannst du mir einen kleinen Gefallen tun?“ „Klar mein Schatz, alles was du willst!“ „Regel das nicht am Telefon. Fahr runter nach Köln und kläre das persönlich mit deinen Geschwistern und dann kannst du gleich deine Klamotten mitnehmen. Vielleicht kannst du mich ja auch mitnehmen, ich würd gern noch mal nach Gymnich.“ Er schaut meine Mom an und sie nickt. „Ok, dann fahren wir zwei nach Gymnich. Wann passt es dir am besten?“ „Wenn Mom wieder in Schottland ist. Ich denke mal, es ist nicht so schlimm, wenn ich ein paar Tage Schule versäume.“ Meine Mom nickt wieder. „Klar, ich werde mit Herrn Staritz reden, er muss sowieso Bescheid wissen und wir müssen schauen, wie es jetzt allgemein mit dem Unterricht weitergehen soll.“
Gesagt getan, 10Tage später sitzen Paddy und ich im Auto auf dem Weg nach Gymnich. Noch knabbere ich am Abschied von meiner Mom, sie ist heute Morgen zurück nach Schottland geflogen. Zwar widerwillig, aber immerhin ist sie ins Flugzeug gestiegen, bis sie in der Luft war hatte ich meine Zweifel, dass sie wirklich fliegt. Mittlerweile hat sich zwischen uns eine Art Routine breit gemacht. Wir versuchen beide das Thema Sterben so gut es geht zu vermeiden, auch wenn ich immer wieder merke, dass Paddy gerne drüber reden möchte. Momentan ist alles so, als würden wir für einen Urlaub nach Gymnich fahren und nicht, um so etwas Wichtiges mit seinen Geschwistern zu bereden. Als erstes stoßen wir auf Patricia, die uns freudestrahlend entgegengelaufen kommt. „Hey, was machst du denn hier? Ich dacht, bei euch fängt morgen die Schule wieder an.“ Sie umarmt mich und Paddy und zieht uns dann in die Küche. „Setzt euch erstmal, mögt ihr was essen oder was trinken? Schön dich zu sehen.“ Fragend blicke ich Patricia an, was ist nur mit ihr los? Sie benimmt sich, als hätte sie Hummeln im Hintern oder stände unter Drogen. Auch Paddy scheint die Veränderung seiner Schwester bemerkt zu haben und fragt: „Sag mal Tricia, was ist los mit dir? Du bist ja völlig überdreht! Bist du verliebt oder was?“ Sie läuft knallrot an und versucht plötzlich einen imaginären Fleck auf dem Tisch wegzuwischen. „Ähm, ja so kann man wohl nennen. Aber nun raus mit der Sprache, was macht ihr zwei hier?“ Ich blicke Paddy an und der nickt vorsichtig. „Nun macht es mal nicht so spannend! Gibt es Nachwuchs oder was?“ Ich schüttele den Kopf und weiß nicht wo und wie ich anfangen soll. Patricia sieht so glücklich aus und ich komme mit so einer Nachricht. „Ich brauche eine Pause! Eine längere Pause!“, höre ich Paddy sagen. Erschrocken
blickt Patricia ihn an. „Wieso brauchst du eine Pause, nun sag schon, was ist los? Irgendwas ist doch in den letzten 14Tagen passiert. Nun raus mit der Wahrheit!“ „Ich werde sterben! Ich hab noch ungefähr ein halbes Jahr zu leben und Paddy möchte in diesen letzten Monaten gerne bei mir sein!“, murmele ich leise. Scheppernd fällt Patricia die Tasse aus der Hand und sie schlägt sich mit der Hand vor den Mund. „Das ist ein schlechter Scherz oder?“, flüstert sie leise. Ich schüttele den Kopf. „Nein, ich wünschte, es wäre einer, aber es ist die Wahrheit. Ich habe Leukämie, ich werde sterben und keiner kann mir helfen.“ Patricia kommt zu mir rüber und nimmt mich stumm in den Arm. Keine ungläubigen Fragen, keine Fragen nach dem warum und weshalb. Endlich mal jemand, der einfach mal gar nichts dazu sagt. Leise murmele ich: „Danke Patricia!“ „Wofür? Ich hab doch gar nichts gesagt.“ „Genau deswegen. In den letzten Tagen bin ich von allen Leuten immer nur vollgetextet worden, wie Leid es ihnen tut oder noch schlimmer, dass sie nicht wüssten, was sie ohne mich machen sollen. Du hast mich einfach nur in den Arm genommen. Das hilft viel mehr als tausend gute Worte.“ „Ist schon gut.“, mehr sagt sie nicht und drückt mich noch einmal an sich. „Komm, wir bringen erstmal unsere Taschen in mein Zimmer.“, meint Paddy und greift nach meiner Hand. Unschlüssig stehe ich in seinem Zimmer, es sieht fast genauso aus wie in den letzten Weihnachtsferien. Ich setze mich auf die Fensterbank und blicke aus dem Fenster. „Sag mal, nerve ich dich auch so?“, fragt Paddy leise. Irritiert blicke ich ihn an, wie kommt er denn jetzt schon wieder auf diese Idee? „Warum fragst du?“ Kleinlaut schaut er zu mir. „Ich hab gehört, was du eben zu Patricia gesagt hast.“ Ich springe von der Fensterbank und nehme ihn in den Arm. „Ich bin doch nicht von dir genervt, aber so viele Leute haben mir in den letzten Tagen dasselbe gesagt, so dass ich es nicht mehr hören kann. Du kannst soviel erzählen wie du willst, bei dir ist es mir egal. Aber alles andere nervt. Wenn es nach mir ginge, würde ab jetzt niemand mehr etwas über meine Krankheit erfahren. Einfach ganz normal weiterleben, als wenn nichts wäre. Aber spätestens morgen Mittag weiß die ganze Schule über mich Bescheid. Am liebsten würde ich da nie wieder hingehen.“ „Dann tu es halt nicht. Ich glaube jeder würde es verstehen, wenn du deine letzte Zeit nicht in der Schule vergeuden möchtest und jeder Arzt würde dir ein Attest ausschreiben.“ Noch vor einem halben Jahr wäre ich bei diesem Gedanken vor Freude in die Luft gesprungen. Keine Schule und einfach nur mit Paddy zusammen sein. Aber jetzt ist dieser Gedanke gar nicht mehr so attraktiv. Ich würd noch zehn Jahre zur Schule gehen, wenn ich es könnte. Bis jetzt ist noch keiner von Paddys Geschwistern aufgetaucht. Entweder hat Patricia ihren Mund gehalten, was sehr unwahrscheinlich ist oder aber es traut sich keiner nachzufragen. „Hast du Hunger? Sollen wir was essen gehen?“ Ich nicke, nehme seine Hand und gehe nach unten in die Küche. Joey und Maite sitzen am Tisch und unterhalten sich leise. Als ich die Küche betrete verstummen sie und schauen uns mit großen Augen an. Ich seufze, was kommt jetzt, die übliche Mitleidstour? Aber sie scheinen sich noch im letzten Moment zusammenzureißen. „Hallo ihr zwei, schön euch zu sehen.“, murmelt Maite in ihre Cornflakes und schiebt sich schnell den nächsten Löffel in den Mund. Joey vergräbt sich wieder hinter seiner Zeitung und brummt in Paddys Richtung: „Wir müssen gleich reden. Kommst du bitte in mein Büro, wenn du mit dem Essen fertig bist!“ Paddy wirft mir einen bedeutungsvollen Blick zu und meint gleichgültig: „Klar, kein Problem.“ Während ich in Paddys Zimmer auf ihn warte, redet er mit Joey. „Pad, ich hab gehört du willst ne Pause machen, stimmt das?“ Paddy nickt stumm und blickt ihn erwartungsvoll an. „Hast du dir das gut überlegt? Ich meine, deine Pause wird einige Konsequenzen mit sich bringen. Nicht das ich deine Entscheidung verstehe und auch vollkommen respektiere, aber ich möchte nur, dass du dir dessen bewusst bis, was du tust.“ „Ich weiß genau was ich tue. Ich verbringe mit meiner Freundin die letzte Zeit die ihr noch bleibt und da hat mir keiner zwischen zu reden!“ Beschwichtigend legt Joes ihm seine Hand auf die Schulter und meint: „Wie gesagt, ich verstehe dich vollkommen, aber ob die Fans das auch verstehen ist eine zweite Frage. Willst du wirklich von heute auf morgen Schluss machen?“ „Ja, von heute auf morgen. Und was heißt hier Schluss machen? Ich mach ne Pause von vielleicht sechs, wenn ich Glück habe auch sieben oder acht Monaten. Und sag mir wenn ich mich irre, aber in nächster Zeit stünden doch eh nur eine Handvoll Konzerttermine an und die schafft ihr locker ohne mich! Jeder ist ersetzbar! Und alles andere lässt sich dann ja so legen, dass ich wieder mitmachen kann. Das dürfte doch zu regeln sein.“ Joey nickt. „Etwas anderes hatte ich auch nicht vor, aber ich wollte die Entscheidung aus deinem Mund hören um mir wirklich sicher zu sein. Und wie geht es dir sonst so?“ Unentschlossen zuckt Paddy mit
den Schultern. „Ich weiß nicht so genau. Momentan ist alles irgendwie wie im Nebel. Ehrlich
gesagt hab ich Angst vor dem was kommt. Ich meine, ich hatte gedacht, dass ich endlich den Menschen getroffen habe, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Wir hatten das erste Mal konkrete Zukunftspläne, wir wollten zusammenziehen, eine Familie gründen. Und von einem auf den anderen Tag ist alles kaputt. Den einen Tag hatte sie nur eine kleine Grippe und am nächsten Tag ist sie auf einmal todkrank. Ich verstehe es einfach nicht!“ „Wieso lässt sie sich eigentlich nicht behandeln? Es gibt doch bestimmt eine Therapie.“ Bedächtig nickt Paddy. „Ja, es gäbe eine Therapiemöglichkeit, aber eine Heilungschance gibt es bei ihr eigentlich nicht, da die Krankheit schon zu weit fortgeschritten ist. Sie könnte zwar trotzdem eine Chemotherapie machen, aber das würde ihr Leben nur um ein paar Monate verlängern. Monate in denen sie Schmerzen hätte, ihre Haare ausfallen würden und in denen sie im Krankenhaus liegen müsste. Sie hat von sich aus gesagt, dass sie das alles nicht möchte und ich respektiere das. So haben wir vielleicht ein paar Monate weniger, aber trotzdem mehr Zeit, die wir gemeinsam verbringen können.“ „Es tut mir leid!“, mehr sagt Joey nicht, er schluckt und schaut auf seine Finger. „Danke!“, murmelt Paddy und verlässt den Raum. Erwartungsvoll blicke ich Paddy an als er in sein Zimmer kommt. Was Joey wohl gesagt hat, ob er Paddy gehen lässt? Es steht schließlich eine Menge auf dem Spiel. Keiner kann voraussagen, wie die Fans reagieren werden, wenn Paddy einfach für Monate von der Bildfläche verschwindet. „Alles paletti! Ich habe offiziell Urlaub! Also, was machen wir als erstes?“ „Ich wüsste da schon was.“, meine ich und ziehe ihn zu mir aufs Bett.
Später als ich in Paddys Arm gekuschelt liege frage ich: „Und, was hat Joey gesagt?“ Er zuckt mit den Schultern. „Eigentlich nichts Besonderes. Es geht klar und er akzeptiert und versteht meine Entscheidung vollkommen. Außerdem sind es eh nur eine Handvoll Konzerte die ich verpasse.“ Hier werde ich hellhörig, wenn es wirklich nur wenige Konzerte sind, die in nächster Zeit anstehen, dann gäbe es vielleicht doch eine Chance, dass Paddy mitkommt. Vorsichtig frage ich: „Und wenn ich mitkommen würde? Ich meine auf Tour? Würdest du dann spielen?“ „Aber das geht doch nicht einfach so! Du kannst doch nicht mit mir auf Tour kommen. Du musst regelmäßig zum Arzt und was ist, wenn zwischendurch was sein sollte?“ Jetzt bringe ich doch noch ein Lächeln zustande, mit solchen Argumenten habe ich gerechnet und so habe ich auch gleich die passenden Antworten parat. „Also erstens geht es mir im Moment noch richtig gut. Nein lass mich bitte ausreden! Zweitens gibt es in jeder Stadt ein Krankenhaus in das ich gehen kann und drittens wolltest du mir nicht jeden Wunsch erfüllen? Gut, ich wünsche mir also noch ein paar Konzerte zu erleben. Es sind doch nur ein paar Tage, nichts dramatisches und ich verspreche dir mich zu schonen und auf mich aufzupassen. Bitte!“ Ich plinkere mit den Augen, so dass Paddy gar keine andere Möglichkeit hat, als seufzend zuzustimmen. „Ok, unter einer Bedingung. Deine Mom muss einverstanden sein! Klar?“ Kein Problem, sie wird froh sein mir noch so einen Wunsch erfüllen zu können und die Schule ist jetzt wirklich Nebensache. Ich greife nach meinem Handy und rufe sofort bei ihr an. Wie zu erwarten war ist die ganze Aktion kein Problem, meine Mom weiß mich bei Paddy und seinen Geschwistern gut aufgehoben und vertraut ihnen. „Ich soll dich übrigens schön von Herrn Staritz grüßen. Er weiß Bescheid und dein Attest ist auch schon bei ihm angekommen. Und falls du dich wieder in der Lage dazu fühlst, sollst du doch wieder zum Unterricht kommen. Er würde sich freuen.“ Ich muss kichern. Wenn er wüsste, dass ich nicht zu Hause rumsitze, sondern durch die Weltgeschichte reise, er würde nen Tobsuchtanfall bekommen. Joey ist zwar über Paddys schnelle Meinungsänderung überrascht, freut sich aber ihn dabei zu haben. „Es wäre schon komisch ohne Paddy geworden. Umso schöner, dass ihr jetzt beide mitkommt.“ Auch Patricia freut sich als sie die Nachricht hört, nimmt mich in den Arm und meint: „Schön dich dabei zu haben. Ich hoffe du hast trotz allem ein bisschen Spaß!“ Ich grinse und erwidere: „Na und wenn es keinen gibt, dann mach ich mir halt welchen. Ich hab beschlossen, mich von dieser scheiß Krankheit nicht länger unterkriegen zu lassen. Ich hab lange genug getrauert, ändern kann ich an meiner Situation nichts mehr und ich will die letzte Zeit nicht mit heulen vergeuden. Dazu ist das Leben zu schön und vor allem zu kurz.“ Paddy schaut mich etwas ungläubig und denkt sich erst einmal seinen Teil. Als wir gegen Abend noch etwas spazieren gehen fragt er: „Sag mal, hast du das vorhin wirklich ernst gemeint oder spielst du nur wieder die starke Kämpferin?“ Energisch schüttele ich den Kopf. „Nein! Das ist vorbei! Als du heute
Nachmittag mit Joey geredet hast hab ich mir so meine Gedanken gemacht. Es bringt niemandem etwas wenn ich hier die große Schauspielerin raushängen lasse. Momentan geht es mir gut und das muss und werde ich genießen, es kann sich schnell ändern und dann werden wir beide viel Kraft brauchen und die muss ich jetzt tanken. Wenn nicht jetzt wann dann? Ich habe in letzter Zeit viel nach Antworten gesucht und bis jetzt bin ich zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Ich bekomme einfach keine Antwort auf das Warum und Weshalb, ich glaube das war das Schlimmste in den letzten Tagen, den Sinn in der ganzen Krankheit nicht zu sehen.“ „Und jetzt, hast du einen gefunden?“, fragt Paddy neugierig. Ich zucke mit den Schultern. „Nein, nicht wirklich. Aber wie gesagt, seitdem ich weniger darüber nachdenke geht es mir auch besser. Vielleicht hat es wirklich keinen Sinn. Vielleicht ist es ein großer Irrtum im Plan Gottes, vielleicht hatte er einen schlechten Tag, den soll ja jeder angeblich mal haben und wer weiß schon was nach mir kommt? Vielleicht muss ich sterben um jemand anderem Platz zu machen. Wer kann das schon genau sagen? Aber hast du eine Antwort gefunden? Vielleicht ist es ja genau die, die ich gesucht habe.“ Paddy seufzt und beginnt stockend: „Natürlich habe ich auch oft über das Warum nachgedacht. Manchmal konnte ich keinen anderen Gedanken fassen. Immer wieder nur warum, warum, warum? Immer wieder habe ich gedacht: Warum gerade mir? Warum erst meine Mom und nun meine Freundin. Warum immer die Menschen die ich am meisten liebe und brauche? Und mittlerweile denke ich, dass du einfach ein ganz besondere Engel bist, der von meiner Mom geschickt worden ist, um mein Leben zu bereichern, um mir Kraft zu geben es auch weiterhin zu meistern um mir zu zeigen, wie schön das Leben sein kann, wie schön die Liebe ist. Und nun ist die Zeit gekommen, dass du zurückkehren musst. Sie weiß dass es mir gut geht und sie weiß, dass ich es schaffen werde.“ Ich habe Tränen in den Augen und kann nur flüstern. „Das hast du schön gesagt! Danke!“ Schweigend gehen wir noch ein Stückchen durch den Park, jedes Wort wäre jetzt zu viel. Nach einiger Zeit meine ich: „Ich geh wieder rein, ich möchte mich etwas hinlegen, kommst du mit?“ Besorgt schaut er mich an. „Geht es dir nicht gut? Brauchst du einen Arzt?“ „Nein! Aber es ist schon spät und wir waren den ganzen Tag unterwegs. Ich will nur noch ins Bett und die Beine hochlegen. Naja, vielleicht vorher noch schnell ne heiße Dusche, aber sonst will ich heute nichts mehr machen.“ Eine halbe Stunde später sitze ich eingekuschelt in eine dicke Decke auf Paddys Bett und höre ihm beim Gitarrespielen zu. Irgendwann nicke ich wohl ein, denn das nächste was ich mitbekomme, ist dass Paddy mich vorsichtig hinlegt und zudeckt. Mitten in der Nacht werde ich durch Paddy geweckt, der sich unruhig von der einen auf die andere Seite dreht und immer wieder meine Namen murmelt. Ich versuche ihn zu beruhigen und frage mich zum 1000sten Mal ob meine Entscheidung die richtige war. Vielleicht hätte ich doch im Krankenhaus bleiben sollen, vielleicht würde ich überleben. Ich beschließe, am nächsten Tag noch mal in Köln zum Arzt zu gehen, Paddy hatte mal irgendetwas von einem Spezialisten an der Uni Klinik erwähnt, vielleicht gibt es dort noch Hilfe für mich. Gesagt getan, ziemlich früh bin ich am nächsten Morgen wach, Paddy schläft noch und ich beschließe ihn schlafen zu lassen und jemand anderen zu fragen mich nach Köln zu fahren. Patricia ist schon wach und sitzt in der Küche und frühstückt. „Guten Morgen Patricia. Kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Klar, was kann ich für dich tun?“ Ich erkläre, was ich vorhabe und keine Stunde später stehe ich vor der Tür eines Arztes. Jetzt ist mir doch etwas mulmig, ich habe keinen Termin, bin nicht angemeldet und kann nur hoffen, dass er sich trotzdem meine Geschichte anhört. Und endlich scheine ich mal wieder Glück zu haben, Dr. Meyer hört sich an was ich zu erzählen habe, schaut sich meine Unterlagen an. „Nun gut, dann werden wir mal schauen, was ihre Blutwerte machen.“, sagt er und will dann noch wissen, wann sie das letzte Mal überprüft worden sind. „Vor zwei Wochen.“, murmele ich leise, mit der Gewissheit, dass ich in den letzten Tagen zur Überprüfung gemusst hätte. Ich bekomme Blut abgenommen und während ich auf Ergebnisse warte frage ich vorsichtig nach einer Therapiemöglichkeit. Bedenklich wackelt Dr. Meyer mit dem Kopf. „Nun ja, es ist natürlich eine Menge Zeit verstrichen, wir werden sehen, was die Ergebnisse der Blutuntersuchung zeigen.“ Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis die Schwester mit den Zetteln kommt. Dr. Meyer blättert einen Augenblick und brummt etwas Undefinierbares vor sich hin. Dann blickt er auf und blickt mich ernst an. „Also, ich muss ihnen leider sagen, dass sich ihre Werte in den letzten Wochen stark verschlechtert haben. Ich kann ihnen Aufbaupräparate mitgeben, aber ansonsten denke
ich kann ich ihnen nur den Rat geben ihre letzte Zeit zu genießen.“ Erschüttert schaue ich ihn an, zu sehr hatte ich mich in den letzten Stunden an meine scheinbar letzte Chance geklammert. „Man kann also gar nichts mehr machen?“, flüstere ich leise. Dr. Meyer seufzt. „Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass die Entscheidung, auf eine Chemotherapie zu verzichten, von Anfang an die richtige gewesen ist. Selbst wenn man die Krankheit frühzeitig entdeckt liegt die volle Heilungschance nur bei 30%, die meisten Patienten erlangen nur eine so genannte Remission, das heißt, dass die Krankheit für einige Zeit, vielleicht auch für einige Jahre verschwindet, dann aber wieder auftritt. Wie gesagt, ich werde ihnen Aufbaupräparate verschreiben, die den Krankheitsverlauf etwas verzögern können, damit bleiben ihnen noch ungefähr drei Monate.“ Ungläubig schaue ich ihn an. Drei Monate? Bei der letzten Untersuchung hieß es doch sechs Monate. Was sind drei Monate? In drei Monaten ist Februar, drei Monate ist eine verdammt kurze Zeit! Geschockt sammele ich meine Unterlagen ein, nehme das Rezept und verlasse wie im Trance den Raum. Patricia die auf mich gewartet hat kommt auf mich zugerannt und fragt, was der Arzt gesagt habe. Traurig schaue ich sie an und schüttele langsam den Kopf. Sie nimmt mich in den Arm und meint: „Hey, aber du hast es jedenfalls versucht.“ Ich nicke. Davon, dass mir jetzt noch weniger Zeit bleibt sage ich nichts, auch Paddy werde ich nichts erzählen, er leidet schon genug. Am Nachmittag geht es los nach Essen, abends geben die Kellys dort ein Konzert, danach geht es weiter nach München, Berlin, Bremen und zum Abschluss nach Hamburg. Von dort aus werden Paddy und ich nach Tolk fahren, ich werde wieder einige Tage zur Schule gehen, mein normales Leben weiterleben und Mitte Dezember werden Paddy und ich nach Irland fliegen. Soweit unsere Pläne, wir werden sehen, was aus ihnen wird. Erstmal geht es jetzt auf Tour. Die letzte Tour auf der ich mit war ist anderthalb Jahre her, seitdem hat sich einiges geändert. Während des Konzertes bleibe ich mit Sean hinter der Bühne und bin mal wieder erstaunt, wie sehr die Mädels abdrehen, nur weil mein Freund auf der Bühne steht. Vor lauter Angelo- und Paddyrufen hört man teilweise die Musik nicht mehr. Wie diese Mädels wohl reagieren würden, wenn sie wüssten, dass Paddy eine Freundin hat und Angelo Vater ist? Das er eine Freundin hat, haben ja mittlerweile alle mitbekommen und zu unser aller Überraschung auch akzeptiert. Was wohl passiert wäre, wenn Paddy jetzt wirklich eine Pause gemacht hätte? Wie wäre wohl die Stimmung gewesen, wenn er heute nicht dagewesen wäre? Schnell schiebe ich die Gedanken beiseite, wäre, wäre wäre, ist aber nicht. Sean guckt auch schon ganz komisch. In der Pause kommt Paddy von der Bühne gerast und nimmt mich stürmisch in den Arm. Er sieht so glücklich aus und ich bin froh, dass er trotz allem auf die Bühne gegangen ist. „Wie geht's dir? Ist alles klar?“, fragt er ganz außer Atem. „Alles Roger! Mir geht's super! Das Konzert ist einfach klasse!“ Lachend wirbelt er mich herum und ist einfach nur glücklich. Für diesen Abend scheint meine Krankheit vergessen. Ausgelassen toben wir durch den Backstagebereich, spielen mit Sean verstecken und bringen alles durcheinander. Patricia schaut sich das ganze Spektakel aus sicherer Entfernung an und denkt sich ihren Teil. Als wir im Hotel ankommen sind wir keineswegs ausgepowert, im Gegenteil. Ich fühle mich fit wie lange nicht mehr und denke gar nicht dran ins Bett zu gehen. Auch Maite und Angelo sehen noch relativ fit und so überlegen wir zu viert, was wir noch machen könnten. Als das Wort „Disco“ fällt bin ich sofort Feuer und Flamme. Meine Discoerfahrungen beschränken sich auf einen heimlichen Besuch mit 14, der genauso schnell und chaotisch endete, wie er begonnen hatte und das Donnerwetter meiner Mom dröhnt mir immer noch in den Ohren. Also gut, aber bevor wir los können müssen wir uns erst aufbrezeln. Paddy und Angelo seufzen, sie wissen was jetzt kommt, ewiges vor dem Spiegel Herumgestehe, Haare offen, Haare geflochten, Pferdeschwanz, Haare gelockt, Haare glatt. Roter Lippenstift, rosa Lippenstift, Lipgloss. Brauner Lidschatten, blauer Lidschatten, rosa Lidschatten. Dann passt der Lippenstift nicht mehr zum Lidschatten und alles von vorne. Während Angelo immer neue Möglichkeiten aufzählt verziehen Maite und ich uns aufs Zimmer um uns fertig zu machen. Zwanzig Minuten später treffen wir uns mit den beiden Jungs in der Eingangshalle. Als Paddy uns sieht, pfeift er laut und meint: „Das kann ja ein Abend werden mit zwei so wunderschönen Frauen an meiner Seite!“ Er nimmt mich in den Arm und gibt mir einen langen Kuss. Leise flüstert er: „Weißt du eigentlich, wie heiß du aussiehst? Wenn ich es mir recht überlege möchte ich vielleicht doch lieber hier bleiben!“ „Nix da! Heb dir das für später auf, jetzt geht's erstmal rund!“ Selbst Angelo starrt auf meine Hose,
die mehr als eng sitzt und mein Top, das man eigentlich nur als einen Hauch von Nichts bezeichnen kann. Meine Haare fallen offen fast bis zu den Hüften und auch mit der Farbe hat Maite nicht gespart. Ich hake mich bei Paddy ein und zu viert machen wir uns auf den Weg. Schon auf dem Weg zur Disco sind wir in ausgelassener Stimmung und als wir erst die Tanzfläche stürmen sind Maite und ich nicht mehr zu halten. Paddy kann nur Kopfschüttelnd zuschauen, wie ich aufdrehe. Gegen vier Uhr morgens werden dann sogar Maite und ich müde und wir beschließen zurück ins Hotel zu fahren. Angelo ruft ein Taxi und so sind wir kurz darauf wieder im Hotel. Jetzt will ich nur noch ins Bett, ich bin hundemüde und mir tun alle Knochen weh. Außerdem scheint mir der Alkohol nicht zu bekommen, alles dreht sich und ich bin froh, als ich endlich liegen kann. Ich kuschele mich an Paddy und bin nach ein paar Sekunden eingeschlafen. Wir werden erst wieder wach, als jemand laut gegen die Zimmertür klopft. „Ihr müsst aufstehen, wir wollen in zwanzig Minuten los!“, ruft Patricia und Paddy und ich sitzen im ersten Moment kerzengrade im Bett. Doch nach einem schnellen Blick auf den Wecker lasse ich mich wieder in die Kissen fallen, es ist noch nicht mal acht Uhr. Doch Patricia kennt kein Erbarmen und klopft solange, bis Paddy entnervt die Tür aufmacht. „So ihr beiden, ich will gar nicht wissen, was ihr gestern Nacht angestellt habt, bei Maite und Angelo hatte ich dieselben Probleme, sie aus dem Bett zu bekommen, aber ihr müsst jetzt aufstehen, um spätestens halb neun müssen wir los. Wir sollen noch bis nach München, meinetwegen könnt ihr im Bus weiterpennen.“ Murrend stehe ich auf und tapse ins Bad. Paddy steht schon unter der Dusche und als ich in den Spiegel blicke bekomme ich einen Schreck, ich sehe schlimmer aus als Frankensteins Schwester. Dunkle Augenränder, aufgesprungene Lippen und blass wie ein Laken. „Hey Schatz, komm schnell mit unter die Dusche, das spart Zeit.“ Grinsend drehe ich mich um. „Ach ne, das spart Zeit? Bist du dir da ganz sicher?“
Pünktlich um halb neun stehen alle in der Eingangshalle. Patricia hat nicht übertrieben, Maite und Angelo sehen genauso fertig aus wie Paddy und ich und sitzen völlig übermüdet auf ihren Koffern. Kathy schaut uns vier Kopfschüttelnd an und murmelt was von „unvernünftige Bande“. Kaum sitzen wir im Bus bin ich auch schon, angelehnt an Paddy, eingeschlafen. Auch Maite und Angelo schnarchen schnell wieder und bekommen von ihrer Umwelt nicht viel mit. Nur Paddy findet keine Ruhe mehr. Er sitzt, kaut an seinem Bleistift und versucht sich auf einen Liedtext zu konzentrieren, den er vor ein paar Tagen angefangen hatte. Doch immer wieder hat er die Bilder der letzten Nacht vor Augen. Sie sah so glücklich aus, als wenn nichts und niemand ihr wehtun könnte, als wenn sie einfach vergessen hätte, wie krank sie ist. Er weiß, dass sie solche Augenblicke braucht, um Kraft zu schöpfen und er weiß, dass auch er solche Augenblicke braucht. Aber trotzdem hat er nicht vergessen, dass solche Augenblicke seltener werden. Er hat in letzter Zeit viel über Leukämie gelesen und weiß, dass es noch schlimm kommen kann. Er weiß, dass sie sehr krank werden kann und dass es vielleicht nicht mehr lange dauern wird, bis solche Unternehmungen nicht mehr möglich sein werden. Er seufzt, wie so oft in letzter Zeit und schiebt die Gedanken schnell zur Seite. Noch merkt man ihr die Krankheit nicht an, also werden sie die Zeit genießen. Patricia, die bemerkt hat, wie sehr ihr Bruder am Grübeln ist fragt leise: „Alles in Ordnung Paddy?“ Er nickt, natürlich ist alles in Ordnung, so in Ordnung wie es halt sein kann. Mittlerweile werde ich langsam wach. Verschlafen blinzele ich um mich und brauche einige Sekunden, bis ich weiß, wo ich bin. „Na, gut geschlafen?“, grinst Paddy mich an und piekt mich in die Seite, so dass ich schreiend aufspringe. Das lässt auch Angelo und Maite aus ihrer Traumwelt aufwachen, keine Minute zu früh, denn schon sieht man die Halle in denen die Kellys heute Abend auftreten werden. Nun wird es hektisch, alle suchen ihre Klamotten zusammen und stürmen in Richtung Halle. Ich schnappe mir Sean, der ziemlich verloren zwischen seinen Onkel und Tanten sitzt und mache mit ihm erstmal einen Spaziergang, irgendwo wird sich hier bestimmt ein Spielplatz finden lassen. Während Sean immer wieder die Rutsche runterrutscht, reift in mir ein ziemlich abgefahrener Plan. Heute Abend werde ich mir das Konzert nicht backstage angucken, sondern mich unter die Fans mischen. Paddy wird zwar nicht begeistert sein, aber ich möchte nach anderthalb Jahren endlich mal wieder ein Konzert richtig miterleben. Wie zu erwarten war ist Paddy alles andere als begeistert von meiner Idee. „NEIN! Auf keinen Fall! Das lasse ich nicht zu. Das ist viel zu gefährlich, was meinst du, wenn dich irgendein Fan erkennt? Was willst du dann machen? Deine Mom würde mir den Kopf abreißen, wenn ich das erlauben würde!“
Trotzig blicke ich ihn an, was denkt er sich eigentlich wer er ist? Mein Vater? „Wer soll mich denn erkennen? Es kennt mich doch niemand! Niemand weiß, dass ich deine Freundin bin!“ „Ich sagte nein und dabei bleibt es! Die Fans wissen oftmals mehr als uns liebt ist und irgendjemand könnte dich erkennen und das Risiko will ich auf keinen Fall eingehen! Versteh das doch!“ Wütend wende ich mich ab, ich lasse mich mit meinen 17Jahren nicht mehr wie ein Kleinkind behandeln und wenn ich meine, dass ich zwischen die Fans will, dann werde ich zwischen die Fans gehen. Da Paddy mich und meinen Sturkopf kennt, beauftragt er Tarzan ein Auge auf mich zu werfen und mich davon abzuhalten mich wegzuschleichen. Aber auch Tarzan kann seine Augen nicht überall haben und als er gerade versucht Sean davon abzuhalten die Garderobe zu verwüsten, nutze ich meine Chance und bin weg. Die nächsten zwei Stunden vergehen wie im Flug. Ich stehe zwischen den Fans und genieße das Konzert. Die Stimmung ist einmalig und wie zu erwarten war erkennt mich niemand. Ich tanze und singe vor mich hin und denke gar nicht an das Donnerwetter, das mich sicherlich nachher erwarten wird. Nachdem das Konzert vorbei ist unterhalte ich mich noch eine Weile mit anderen Fans, bis auf einmal Tarzan hinter mir steht und mich mit in den Backstagebereich zieht. Ich merke, wie mich die irritierten Blicke der Fans verfolgen und seufze. Super, warum muss dieser schöne Abend nur so enden? Schon von weitem sehe ich Paddy, der aufgeregt hin und her rennt und dabei leise vor sich hinflucht. Als er mich sieht kommt er auf mich zugerannt und ruft: „Sag mal, was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Spinnst du jetzt total? Ich fass es nicht, dass du das getan hast! Kannst du dir nicht denken, dass ich mir Sorgen mache?“ Wütend starre ich ihn an. „Meine Güte, nun übertreib mal nicht! Ich lebe noch, es ist mir nichts passiert und ich hab nen schönen Abend gehabt. Ich denke ich bin alt genug um zu wissen was ich tue. Ich brauche keinen Babysitter mehr, der auf mich aufpasst und mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe!“ Mit diesen Worten scheine ich ihn wirklich getroffen zu haben, denn er dreht sich, ohne ein Wort zu sagen von mir weg und geht zum Tourbus. Scheiße, das wollte ich nicht, auf Streit habe ich nun wirklich keine Lust. Patricia schaut mich ziemlich merkwürdig an und meint leise: „Musste das sein? Er hat sich wirklich Sorgen gemacht, als er dich da unten gesehen hat.“ Klasse, meine Aktion scheint wirklich daneben gewesen zu sein. „Ich glaub dir ja schon, dass du deine letzte Zeit genießen möchtest, aber denk auch ein wenig an Paddy! Bitte, er macht sich schon genug Sorgen um dich, da musst du ihm nicht noch mehr Grund dazu geben. Ich kann dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast, aber ich kann an deine Vernunft appellieren, so etwas Unvernünftiges in Zukunft sein zu lassen.“ Stumm nicke ich und bin den Tränen nahe, wieso mache ich eigentlich immer alles falsch? Langsam gehe ich zum Tourbus, Paddy sitzt im hinteren Teil und ignoriert mich. Ok, dann gebe ich ihm erstmal etwas Zeit, vielleicht können wir nachher im Hotel noch mal miteinander reden, er kann mir schließlich nicht ewig aus dem Weg gehen. Im Hotel geht er schnurstracks auf sein Zimmer und ich ohne viele Worte hinterher. Leise mache ich die Tür hinter mir zu und murmele: „Es tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun!“ Abrupt dreht er sich um und blickt mich mit seinen stahlblauen Augen an. „Ach ja, du wolltest mir nicht wehtun? Und wieso hast du es dann getan? Wieso musstest du unbedingt da runter gehen? Sag mir einen vernünftigen Grund!“ Wortlos blicke ich ihn an. Einen vernünftigen Grund habe ich nicht, ich wollte halt noch mal ein Konzert hautnah erleben. Stockend beginne ich zu erklären, doch Paddy winkt ab. „Ist schon gut, ich versteh es ja. Aber bitte nicht noch mal, versprich mir das!“ Ich nicke und nehme ihn in den Arm. „Sei mir nicht böse, aber ich will jetzt nur noch unter die Dusche und ins Bett, ich bin hundemüde.“, meint Paddy und geht ins Bad. Seufzend lasse ich mich aufs Bett fallen, zwar tut Paddy so, als sei alles wieder in Ordnung, aber ich weiß ganz genau, dass er eigentlich immer noch dran zu knabbern hat. Ich schmeiße mich in meinen Schlafanzug und kuschele mich in die Bettdecke. Kurz darauf kommt auch Paddy aus dem Bad und legt sich zu mir. Als ich mich an ihn kuscheln will, dreht er sich weg und mir den Rücken zu. Klasse, genau das habe ich jetzt gebraucht, einen beleidigten Freund. „Paddy, bitte...“ „Sei mir nicht böse, aber ich bin tierisch müde und möchte nur noch schlafen." „Klar, schon gut.“, murmele ich und drehe ihm auch den Rücken zu. Am nächsten Morgen bin ich schon ziemlich früh wach. Draußen ist es noch stockdunkel und ich habe noch keine Lust aufzustehen. Ein Blick auf meinen Wecker verrät mir, dass es erst kurz vor sechs ist, wahrscheinlich ist außer mir noch keiner wach. Also mache ich meine Nachttischlampe an und
schnappe mir mein Buch. Es dauert noch einige Zeit, bis Paddy sich neben mir reckt und streckt. Ich lege mein Buch beiseite und drehe mich zu ihm. „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“, frage ich leise. Blinzelnd schaut er mich an und nuschelt: „Morgen Schatz. Bist du schon lange wach?“ Ich zucke mit den Schultern, er scheint wieder ganz normal zu sein und sein komisches Verhalten der letzten Nacht vergessen zu haben. „Sorry wegen gestern Abend. Ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen, aber ich war einfach nur müde. S´ war nicht so gemeint.“, meint er und rückt an mich ran. „Schon in Ordnung. Ich...“ Er legt mir den Finger auf den Mund und gibt mir einen langen Kuss. Nach dem Frühstück geht es weiter nach Berlin. Im Bus herrscht heute eine ziemlich ausgelassene Stimmung. Sean hat mal wieder seine lustigen fünf Minuten und meint durch den Bus hopsen zu müssen. Überall hat er seine Finger zwischen und selbst Joeys Terminplaner ist nicht sicher vor ihm. „Sean stop it!“, schreit Joey und reißt ihm den Kalender aus der Hand. Völlig verdutzt schaut Joey zu seinem Onkel, der wutentbrannt durch den Bus stürmt und verzweifelt versucht seine Zettelchen wieder einzusammeln. Jetzt reicht es auch Kathy, sie schnappt sich Sean und bringt ihn ins Bett. Kopfschüttelnd kommt sie wieder zu uns. „Es wird Zeit, dass er endlich in die Schule kommt. Dieses ewige Herumgefahre in der Weltgeschichte tut ihm nicht gut.“ Komischer Gedanke, dass Sean in die Schule gehen wird. Das werde ich ja wohl leider nicht mehr erleben, wer weiß, wie es dann weiter geht? Wenn Kathy erstmal nicht mehr mit auf Tour mitkommt, was wird dann wohl aus der Familie werden? Ich habe keine Zeit mehr, weiter nachzudenken, was dann passieren würde, denn Paddy hält mir einen irischen Reiseführer unter die Nase. „Schau mal, wie findest du die Landschaft?“ Auf den ersten Blick sehe ich nur Grün. Ich halte das Buch etwas weiter weg und bin sprachlos. „Das sieht echt klasse aus! Wo ist das?“ „In der nähe von Cork, in Irland. Wie sieht's aus, wollen wir da hinfliegen?“ Ach ja, unser Irlandurlaub, den hab ich in der ganzen Hektik schon fast vergessen. Ich nicke. „Das wäre toll, hast du schon ne Idee, wann wir hinfliegen wollen?“ Er schüttelt den Kopf. „Nö, darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Jetzt sind wir ja eh noch auf Tour und dann solltest du dich vielleicht auch mal wieder in der Schule blicken lassen.“ Langsam nicke ich, die Schule hatte ich total verdrängt, aber Paddy hat wohl Recht. Zumindest blicken lassen sollte ich mich noch mal, auch wenn ich offiziell krank geschrieben bin. Die nächsten Tage vergehen wie im Flug und als das letzte Konzert in Hamburg vorbei ist, bin doch etwas traurig. Klar, das aus dem Koffer leben ist echt stressig, aber jeden Tag eine neue Stadt, jeden Tag neue Gesichter, es ist schon spannend. Wieder in Tolk kehrt bald die leidige Routine wieder ein. Heute soll ich das erste Mal wieder zur Schule. Mit zitternden Knien stehe ich morgens an der Bushaltestelle und warte auf den Bus. Was die anderen wohl sagen werden? Bis auf Carsten habe ich mit keinem gesprochen, ob sie es schon wissen und was sie wohl wissen? Tanja blickt mich ziemlich erstaunt an, als ich auf einmal vor ihr stehe und nimmt sofort ihren Rucksack vom Sitz. „Hi!“, meine ich schüchtern und lasse mich auf den Sitz fallen. „Schön, dass du wieder da bist. Staritz hat ja so getan, als würdest du nicht mehr wiederkommen. Bist du wirklich so krank, wie er gesagt hat?“ Ich nicke. „Ja, ich habe Leukämie und werde nicht mehr lange leben. Was hat Staritz euch denn erzählt?“ Geschockt schaut Tanja mich an. „Wie du wirst sterben? Staritz hat nur gesagt, dass du krank seiest und ne zeitlang nicht kommen würdest. Aber davon hat er nichts gesagt.“ Ungläubig schüttele ich den Kopf, mit allem hatte ich gerechnet, mit Beileidsbekundungen und Mitleid von allen Seiten, aber wenn es keiner weiß, ist es mir auch Recht. Wenn meine Freunde es wissen reicht das vollkommen und alle anderen geht das nichts an. „Aber, haben auch Stefanie und Carsten ihren Mund gehalten?“ „Ja, von den beiden hat auch keiner was gesagt. Stefanie hat nur mal erwähnt, dass du mit auf Tour wärst, da haben wir uns schon gewundert, zu krank um in die Schule zu gehen, aber gesund genug, um auf Deutschlandreise zu gehen. Aber nun verstehe ich.“ Mein Herz macht einen Freudenhüpfer, niemand weiß es, das heißt, ich kann jedenfalls in der Schule ein halbwegs normales Leben führen. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Erschrocken zucke ich zusammen, Tanja hat anscheinend die ganze Zeit auf mich eingeredet und ich habe kein Wort mitbekommen. „Ähm sorry, ich war grade in Gedanken, was hast du gesagt?“ „Wer denn Bescheid wissen soll, wollte ich wissen.“ „Naja, nicht allzu viele denke ich. Carsten, Paula und Stefanie wissen es eh, bliebe also nur noch Andrea. Das sollte dann auch schon reichen. Die andern geht das nichts an.“ In der Klasse wartet schon Carsten auf mich. Als er mich sieht,
kommt er auf mich zugerannt und nimmt mich in den Arm. Sofort beginnt der Rest der Klasse zu tuscheln, vor allem weil Paula daneben steht und es sie nicht zu interessieren scheint. „Hi meine Kleine! Schön dich wieder zu sehen!“ Entrüstet blicke ich ihn an. „Ich bin nicht klein! Merk dir das!“ Doch dann muss ich trotz allem anfangen zu lachen, Carstens verdutztes Gesicht ist auch einfach zu lustig. Als Andrea erfährt, was los ist, ist sie, genau wie Tanja, ziemlich geschockt und bricht in Tränen aus. „Reiß dich zusammen! Die anderen gucken schon ganz komisch!“, zische ich und ziehe sie auf den Flur. „Aber, aber, wie kannst du nur so normal sein? Ich meine, du wirst sterben! Wie kannst du da lachen?“ „Danke für die Aufklärung, ich weiß, dass ich sterben werde, das brauchst du mir nicht immer wieder unter die Nase zu reiben. Aber ich weiß das jetzt seit guten fünf Wochen und habe mich mittlerweile damit abgefunden! Ich kann nichts dagegen machen, also werde ich versuchen, meine letzte Zeit zu genießen. Noch geht es mir richtig gut und ich werde mir die letzten Monate von keinem kaputt machen lassen! Verstanden?“ Kleinlaut nicken Tanja und Andrea, doch innerlich kocht es in ihnen. Bevor mir noch irgendjemand dumme Fragen stellen kann, kommt Frau Kreuder in die Klasse gerast. Aufgelöst und planlos wie immer, versucht sie uns die Grundbegriffe von Thermalrechnungen beizubringen. Ich merke schnell, dass ich in den letzten zweieinhalb Wochen ziemlich viel Stoff und damit auch den Anschluss verpasst habe. Aber was kümmern mich auch Gleichungen. Ob x nun fünf ist oder sieben, das ist mir herzlich egal. Und wenn ich die nächste Arbeit in den Sand setze, wen kümmert es? Als Nadja bemerkt, dass ich mir noch nicht mal die Mühe mache mitzuschreiben schüttelt sie genervt den Kopf und deutet mir an mitzuschreiben. Seufzend nehme ich meinen Stift und beginne die Buchstaben und Zahlen von der Tafel abzuschreiben. In der Pause kommt Nadja sofort zu mir und meint wütend: „Wie willst du in Mathe jemals auf nen grünen Zweig kommen, wenn du noch nicht mal mitschreibst? Du hast in letzter Zeit soviel Stoff versäumt und das Thema davor auch noch nicht richtig verstanden. Wie willst du deine Abschlussprüfung schreiben?“ „Gar nicht!“ Nadja hält für einen Moment die Luft an und fragt ungläubig: „Wie gar nicht? Du willst doch nicht etwas die Prüfungen sausen lassen?“ „Doch, genau das habe ich vor. Ich werde in nächster Zeit noch mehr Unterricht versäumen und es hat einfach keinen Sinn sich dann in die Prüfung zu setzen!“ „Aber, wofür haben wir dann soviel gebüffelt? Wieso haben wir uns so viele Nachmittage um die Ohren geschlagen, wofür hat deine Mom das ganze Geld bezahlt, wenn du jetzt sechs Monate vor den Prüfungen aufgibst?“ Tja, wenn sie wüsste, dass genau diese sechs Monate das Problem sind. Soviel Zeit hab ich leider nicht mehr. „Schau mal Nadja, ich bin krank, sehr krank. Ich werde in nächster Zeit oft ins Krankenhaus müssen und dann für lange Zeit nicht am Unterricht teilnehmen können. Ich weiß noch nicht mal, ob ich zu den Prüfungen wieder so gesund bin, dass ich an ihnen teilnehmen könnte. Also werde ich das Jahr wiederholen und mich jetzt darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden!“ Es fällt mir nicht leicht Nadja so zu belügen, aber sie ist jemand, der sich gleich um alle Sorgen macht und wenn sie wüsste, dass ich sterben werde, dann hätte ich keine ruhige Minute mehr. Bevor sie noch etwas erwidern kann klingelt es und Staritz stürzt, hektisch wie immer, in die Klasse. „Guten Morgen. Bücher weg, Zettel raus, wir schreiben heute die angekündigte Geschichtsarbeit.“ Na klasse, viel besser kann mein erster Schultag nach Wochen ja gar nicht verlaufen. Natürlich habe ich keine Ahnung, was in den letzten Stunden durchgenommen wurde und so bleibt mir nichts anderes übrig, als abwechselnd auf Carstens und Sabrinas Blatt zu blicken. Carsten hat fast genauso viel stehe wie ich, wenn man’s genau nimmt, hat er das stehen, was ich bei Sabrina abgeschrieben habe. Aber was kümmert es mich? Es ist sowieso fraglich, ob ich diesen Test jemals korrigiert zu Gesicht bekomme, denn mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass es wirklich Zeitverschwendung wäre weiterhin in die Schule zu gehen. Ich habe nach zweieinhalb Wochen schon fast komplett den Anschluss verloren und sehe auch ehrlich gesagt keinen Sinn darin, den Stoff nachzuholen. Meine letzte Zeit kann ich sinnvoller nutzen. Nur im Englischunterricht kann ich mit meinen mittlerweile sehr sicheren Englischkenntnissen glänzen. Frau Flüh schaut mich überrascht an, als ich eine einwandfreie, mündliche Übersetzung abliefere. Kein Vergleich mehr zu meinem hilflosen Gestotter, das ich noch vor einem halben Jahr als Englisch bezeichnet habe. „Hey, seit wann sprichst du denn fließend Englisch?“, fragt mich Carsten erstaunt. „Naja, wenn man einen Freund hat, der in den abgedrehtesten Momenten nur Englisch redet hast du zwei Möglichkeiten, entweder lernen und
verstehen oder weghören.“ Als Paula und ich mittags nach Hause kommen wartet Paddy schon in der Küche auf uns. „Hi ihr beiden! Ich hab Mittag für uns gemacht.“ Bei mir schril
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Melanie
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Erstellt: 29.10.06, 21:25 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen
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Erstellt: 11.06.05, 20:11 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen drucken weiterempfehlen | |
| müde, ich geh zu Bett. Gute Nacht!“ Auch Paddy springt auf, wünscht Martha eine gute Nacht und folgt mir. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück meint Paddy: „Zieh dich warm an, wir machen einen Spaziergang. Und dieses Mal will ich keine Widerworte hören, klar?“ erstaunt nicke ich, was hat denn das nun wieder zu bedeuten? Es dauert keine zehn Minuten, da kommen wir an einem kleinen Wäldchen an. „Augen zu!“ Verwundert blicke ich ihn an. „Was?“ „Augen zu! Ich hab ne Überraschung für dich.“ Kopfschüttelnd schließe ich die Augen und warte, was passiert. „So, jetzt darfst du die Augen wieder aufmachen.“ Vorsichtig öffne ich meine Augen und blicke auf einen kleinen, goldenen Ring in Paddys Hand. Erschrocken blicke ich ihn an, er wird doch nicht etwa...? „Ich weiß, das kommt jetzt vielleicht etwas plötzlich für dich, aber ich habe mir das in letzten Tagen gut überlegt. Möchtest du meine Frau werden?“ Einen Moment lang schaue ich ihn an und weiß nicht, was ich sagen soll. Dann beginne ich stockend: „Paddy, es tut mir leid, aber ich glaube ich kann das nicht!“ Enttäuscht guckt er mich an und murmelt: „Aber wieso willst du mich nicht heiraten? Liebst du mich nicht?“ „Stop! Ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht heiraten will! Ich habe gesagt, dass ich dich nicht heiraten kann! Ich will dir das nicht antun! Was bringt uns eine Heirat? Ich meine, wir haben doch kaum noch Zeit, die paar Wochen die uns noch bleiben sollten wir nicht mit einer überstürzten Hochzeit vergeuden!“ „Aber wieso? Wir haben doch noch Zeit! In fünf Monaten lässt sich doch eine Hochzeit planen!“ Verschämt blicke ich zu Boden und flüstere: „Nein!“ „Wie nein? Was ist los?“ „Ich war beim Arzt!“ Ungeduldig herrscht er mich an: „Ja, das weiß ich, du bist in letzter Zeit öfter beim Arzt gewesen. Also, was ist los?“ „Ich... Es ist schlimmer geworden. Der Arzt hat mir noch bis Februar gegeben. Die sechs Monate waren ein schöner Traum, aber eben nur ein Traum!“ Geschockt stammelt Paddy: „Aber, aber, nein! Nein, das glaube ich nicht! Das will ich einfach nicht glauben! Wieso? Warum? Warum erzählst du das jetzt erst?“ „Ich, ich wollte dir nicht wehtun! Ich weiß auch nicht, vielleicht weil ich gedacht habe, wenn ich dir nichts sage ist es so unwirklich. Ich konnte mir einreden, dass alles in Ordnung ist!“ „Aber nichts ist in Ordnung! NICHTS! Verstehst du! Du lässt mich in dem Glauben wir hätten noch Zeit! Zeit, das was momentan für mich am kostbarsten ist.“ Ich will ihn in den Arm nehmen, doch er schüttelt mich ab und murmelt, dass ich ihn in Ruhe lassen soll. Geknickt gehe ich zurück zum Haus und setze mich ins Wohnzimmer, sofort ist Martha zur Stelle. „Aber Kleines, was weinst du denn?“ Ich schniefe und zucke mit den Schultern. „Na, na, na! So schlimm kann es doch nicht sein!“ „Doch und sogar noch schlimmer!“ „Streit im Paradies? Glaube mir Schätzchen, das kommt öfter vor, als du denkst! Und auch wenn du es vielleicht nicht hören willst, ihr werdet euch noch oft in eurem Leben streiten!“ Ich schniefe wieder und schüttele energisch den Kopf. „Ach Schätzchen, so naiv war ich auch einmal, aber glaube mir, es ist nicht immer Sonnenschein!“ „Aber, aber, ich wäre froh, wenn wir noch die Zeit hätten, uns zu streiten.“ Neugierig schaut Martha mich an und will wissen, was ich damit meine. „Nun ja, ich bin krank und werde in wenigen Wochen sterben. Uns bleibt also nicht mehr viel Zeit. Und nun habe ich ihm auch noch wehgetan und dabei wollte ich doch genau das Gegenteil damit erreichen! Wieso muss ich immer alles falsch machen?“ „Schatz, du machst gar nichts falsch, red nicht so einen Mist!“ Ich zucke zusammen, ich habe gar nicht bemerkt, dass Paddy wiedergekommen ist. „Ich lass euch mal alleine!“, meint Martha und verzieht sich in die Küche. „Es tut mir leid!“, murmele ich und traue mich kaum ihn anzublicken. „Ist schon Ok, du hast es ja nur gut gemeint. Und wenn ich ehrlich bin, dann bin ich ganz froh, dass du es mir nicht gesagt hast. Aber geschockt bin ich schon, ich meine, auf einmal haben wir kaum noch Zeit! Auf einmal ist alles so nah!“ „Ich weiß. Langsam wird es ernst! Ich hab Angst!“ Er nimmt mich in den Arm und murmelt: „Ich weiß, ich weiß! Ich doch auch!“ Die nächsten Tage verlaufen sehr ruhig, aber auch sehr bedrückt. Martha versucht krampfhaft fröhlich zu sein, schafft es aber nicht und Paddy ist sehr still geworden. Zurück in Deutschland ist die Stimmung auch nicht viel besser. Nadine schleicht mit Trauermiene durchs Haus, Tanja und Andrea jammern rum, wie ungerecht doch die Welt sei und nur Paula scheint einigermaßen normal zu bleiben. Aber was wirklich in ihr vorgeht, scheint nur Carsten zu wissen. Zur Schule gehe ich wirklich nicht mehr, ab und zu schaue ich mal vorbei, aber ein regelmäßiger Besuch ist einfach nicht mehr drinnen. Ich fühle mich ständig schlapp und müde und liege die meiste Zeit im Bett. Auch meine Appetitlosigkeit ist wieder da und Paddy hat echt Mühe, mich zum Essen zu bringen. Er gibt sich echt Mühe und
kocht nur die leckersten Sachen für mich, aber ich habe null Appetit. „Komm, bitte. Nur ein
Bisschen! Du musst doch was essen, sonst fällst du mir noch ganz vom Fleisch, du bist doch eh nur noch Haut und Knochen!“ Widerwillig nehme ich die Gabel und schiebe sie mir in den Mund. Hunger habe ich zwar eigentlich nicht, aber Paddy macht sich so schon genug Gedanken um mich. Nach dem Essen lasse ich mich seufzend auf mein Bett fallen, meinem Gefühl nach könnte ich schon wieder schlafen, aber dieses Mal nicht. In den letzten Tagen schlafe ich fast nur noch und jetzt will ich endlich mal wieder was unternehmen, was von der Welt mitbekommen. „Paddy?“ Sofort kommt er zu mir und fragt aufgeregt: „Ist was? Ist dir nicht gut?“ „Nein, alles in Ordnung, aber ich habe mich gefragt, ob wir nicht mal alle zum Videoabend einladen wollen.“ „Klar, das ist ne super Idee, soll ich mich schon mal um alles kümmern?“ Jetzt mobilisiere ich meine letzten Kräfte und meine: „Nein, ich organisiere das. Ich werd ja wohl noch ein paar Leute angerufen bekommen. Aber würdest du mit mir nach Schleswig zum Einkaufen fahren?“ Erstaunt schaut er mich an, nickt aber und zusammen machen wir uns auf den Weg nach Schleswig. Das Einkaufen ist anstrengender, als ich gedacht hatte, aber ich habe mir in den Kopf gesetzt einzukaufen, also werde ich einkaufen. Langsam füllt sich der Einkaufswagen, aber für neun Leute braucht man schon ne ganze menge Lebensmittel. Sogar Angelo und Stefanie werden kommen, mittlerweile lässt Stefanie ihre beiden Kleinen auch mal für einen Abend alleine mit der Babysitterin. Am Freitag stehe ich zusammen mit Paddy den ganzen Nachmittag in der Küche, für neun Leute gibt es ganz schön viel vorzubereiten. Während Paddy und ich kiloweise Paprika schnippeln, hübscht sich Nadine für ihren Frauenabend an. „Na ihr beiden, seid ihr auch schön fleißig? Und das ihr mir kein Chaos in der Küche hinterlasst, ist das klar!“ „Schon klar!“, kommt es gleichzeitig von Paddy und mir. Wir grinsen uns an und kurz darauf fliegt mir das erste Paprikastückchen an den Kopf. Als Paula mit Carsten in die Küche kommt, rollen Paddy und ich über den Fußboden und kitzeln uns durch. „Aber holla, wenn wir stören, dann sagt ihr schon Bescheid oder?“ Grinsend setzen wir uns auf. „Ich dachte, ihr wollt die Pizza fertig machen? Darf ich euch mal einen kleinen Tipp geben? Wenn ihr auf dem Boden rumkullert wird das in 100Jahren nichts!“ Paddy und ich gucken uns kurz an und stürzen uns dann gleichzeitig auf Paula. „Carsten! Hilf mir doch mal!“ Grinsend steht Carsten daneben und scheint nicht sonderlich interessiert zu sein, seiner Freundin zu helfen. „Sonst bist du doch auch angeblich das starke Geschlecht, also wehr dich gefälligst alleine!“, ruft Carsten breit grinsend und handelt sich damit wütende Blicke von Paula ein. Es dauert eine ganze Weile, bis wir uns wieder soweit beruhigt haben, um mit der Pizza weiterzumachen. Aber dank der tatkräftigen Hilfe von Paula und Carsten schaffen wir es noch pünktlich fertig zu werden. Um Punkt halb acht sind alle da, selbst Marjella hat es geschafft pünktlich zu sein, was bei ihren Geschwistern ja nicht immer einfach ist. Jeder hat einen Stapel Videos mitgebracht und während die Pizza im Ofen vor sich hinbackt wird im Wohnzimmer heiß diskutiert, welche Filme geguckt werden sollen. Unsere Männergruppe ist natürlich für die Horrorfilmabteilung, ganz zum Leidwesen von Marjella, die sogar schon bei Bambi Angst bekommt. Wir beschließen erst einmal harmlos mit „Dirty Dancing“ anzufangen, was von Angelo, Paddy und Carsten natürlich heftigst kommentiert werden muss. Wir Mädels sind dementsprechend froh, als die Pizza fertig ist und den Dreien der Mund gestopft worden ist. Doch nach „Dirty Dancing“ entscheiden unsere Männer und schieben „Friedhof der Kuscheltiere in den Videorekorder. Ängstlich kuschele ich mich an Paddy und traue mich kaum hinzugucken. Auch bei Marjella liegen mittlerweile die Nerven blank und als es auf einmal mitten in der spannendsten Stelle an der Tür klingelt springt sie auf wie ein aufgescheuchtes Huhn und verkriecht sich schreiend unterm Wohnzimmertisch. Auch uns anderen fährt der Schrecken in die Glieder und ich traue mich gar nicht alleine zur Haustür. Umso erstaunter bin ich, als Patricia mit einem Typen, den ich einfach mal als neuen Freund einstufe, vor mir steht. „Hi! Kommen wir ungelegen?“ Verdattert blicke ich von Patricia, zu ihrem Freund und dann zu Paddy. „Ähm, natürlich stört ihr nicht, kommt doch rein! Wie kommen wir denn zu der Ehre?“ Patricia grinst und meint: „Naja, ich wollte ein paar Tage frei machen und hab gedacht, ich könnte mal wieder Nadine besuchen. Das ist übrigens Denis, mein Freund.“ Immer noch total durcheinander gebe ich Denis die Hand und lasse die Beiden erst einmal ins Wohnzimmer. „Nadine ist leider nicht hier, aber möchtet ihr vielleicht ein Stück Pizza haben? Es müsste noch was über sein, falls deine gefräßigen Brüder nicht wieder am Werk waren.“ Skeptisch blickt sich Patricia um und scheint sich nicht sicher zu sein, ob sie
wirklich nicht stört. „Also, wenn ihr eure Ruhe haben wollt, dann gehen Denis und ich wieder und suchen uns ein Hotel. Nicht dass wir hier eure Party stören.“ „Quatsch! Ihr stört doch nicht! Wenn ihr wollt könnt ihr gerne mitgucken, allerdings haben sich grade Carsten und deine beiden Brüder durchgesetzt und es läuft ein Horrorfilm. Deswegen sitzt Marjella auch unterm Tisch. Die Türklingel hat sie ein bisschen erschreckt.“ Alles lacht, nur Marjella läuft rot an und verkriecht sich in ihrem Schlafsack. Ein breites Grinsen macht sich auf Patricias Gesicht breit. „Na wenn das so ist, dann machen wir sehr gerne mit!“ Irgendwann schlafe ich angelehnt an Paddy ein und werde erst am nächsten Morgen wieder wach, als Paddy und Carsten in der Küche rumwerkeln. Verschlafen blicke ich mich im Wohnzimmer um, Stefanie und Angelo liegen zusammengekuschelt in der einen Ecke, Denis und Patricia in der anderen. Noch schlafen alle tief und fest, aber das soll sich schnell ändern. Mit lautem Gebrüll kommen sie ins Wohnzimmer und Marjella steht mal wieder kurz vorm Kollaps. Grinsend bringen sie nach und nach Brötchen, Marmelade, Käse, Aufschnitt und was sonst noch alles zu einem guten Frühstück gehört ins Wohnzimmer. „Sagt mal Jungs, was wird das denn?“ „Picknick! Nadine hat doch gesagt, wir sollen in der Küche kein Chaos veranstalten. Außerdem, hast du schon mal versucht, mit elf Leuten in der Küche zu frühstücken?“ „Ok, ok, überredet! Aber wenn Nadine in unser Indoor-Picknick reinplatzt, dann erklärst du ihr das!“ Schmunzelt nickt Paddy und greift sich das erste Brötchen. Mehr oder weniger wach mümmeln alle vor sich hin, besonders Tanja sieht aus, als hätte sie nicht geschlafen. Als Nadine kurz darauf ins Wohnzimmer platzt bleibt sie im ersten Moment stocksteif stehen und schaut entsetzt auf das Bild, das sich ihr bietet. „Was um alles in der Welt veranstaltet ihr hier?“ „Ähm, wir frühstücken. Auch ein Brötchen?“ Lieb lächelnd hält ihr Paddy ein Marmeladenbrötchen unter die Nase, total verdattert kann Nadine gar nicht anders, als zuzugreifen. „Aber das ihr mir nachher hier aufräumt, ist das klar! Wir sind ja nicht bei den Hottentotten!“ In diesem Augenblick entdeckt sie Patricia und ist nun vollkommen durcheinander. „Ähm, hi Patricia, wie kommst du denn hier her?“ „Ich hab ein paar Tage Urlaub und dachte, ich komm dich mal besuchen. Da konnte ich leider nicht ahnen, dass sich hier jede Menge Leute zum campen eingenistet haben. Aber wir sind ja gut aufgenommen worden.“ Patricia, Dennis und Nadine verziehen sich in Nadines Zimmer und wir anderen versuchen das allgemeine Chaos zu beseitigen. Aber trotz der ganzen Arbeit, die jetzt auf uns wartet, war es ein gelungener Abend und eine gelungene Nacht. Alles in allem war es ziemlich anstrengend für mich und so lege ich mich, als die anderen weg sind, erst einmal ins Bett und schlafe. Und so bleibt es auch in den kommenden Tagen, entweder bin ich hellwach und voller Tatendrang oder aber ich schlafe, wobei meine Schlafphasen immer länger werden. Natürlich bemerke ich die besorgten Blicke von Paddy und vor allem von Nadine, aber ich versuche sie so weit es geht zu ignorieren. Paula schweigt immer noch zum Thema Leukämie, aber durch Gespräche mit Carsten weiß ich, dass sie unheimlich leidet. Ich bin richtig froh, dass sie ihn hat, sie wird ihn brauchen und ich weiß, dass sie sich 1000%ig auf Carsten verlassen kann. Langsam rückt Weihnachten immer näher, draußen wird es immer kälter und so sitze ich im Haus fest, nach draußen traue ich mich nicht, denn wie bei der letzten Untersuchung festgestellt wurde, ist mein Immunsystem sehr geschwächt. Dadurch das ich im Haus festsitze habe ich viel Zeit zum nachdenken. Viel zu viel Zeit! Ich mache mir viele Gedanken darüber, was mit Paddy wird, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Paula hat Carsten, Nadine hat ihren Freund, sogar meine Mom hat wieder einen neuen Partner, es sieht so aus, als hätte jeder jemanden, der für ihn da ist, wenn ich sterbe, nur Paddy nicht. Was wird aus ihm werden? Mittlerweile habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben, sondern Angst davor, was mit Paddy geschehen wird. „Schnecke, was ist mit dir los?“ Ich schweige und denke mal wieder darüber nach, ob es nicht das Beste wäre, mit ihm Schluss zu machen. Wenn ich ihm jetzt wehtue, dann wird er es nicht so schwer haben, wenn ich sterbe. „Paddy, wir müssen reden! Dringend!“ Erstaunt guckt er mich an und will wissen, was los ist. „Paddy, ich liebe dich nicht mehr! Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein!“ „Was?“ „Ich sagte, dass...“ „Ja, ja, das hab ich schon gehört. Sag mal spinnst du? Bist du im Fieberwahn oder was?“ Er nimmt mich in den Arm und ich kann nicht anders als zu weinen. „Schh, ganz ruhig. Was ist denn los, warum kommst du auf einmal auf so komische Ideen?“ Schniefend meine ich: „Ich will dir nicht wehtun und das werde ich, wenn ich sterbe!“ „Ja und was sollte der Quatsch eben? Wieso willst du mit mir Schluss machen?“ „Ich hab halt gedacht, dass ich dir damit weniger wehtue. Ich will nicht, dass es dir wegen mir schlecht geht!“ „Ach ja? Hast
du vielleicht mal daran gedacht, dass ich dich trotz allem liebe? Das ich gar nicht daran denke, dich nicht mehr zu lieben? Mach dir mal um mich keine Gedanken, ich habe meine Familie, die mir helfen wird, ich bin nicht alleine! Das wird schon werden, aber ehrlich gesagt will ich mir darüber jetzt noch keine Gedanken machen. Noch bist du hier und nur das zählt!“ Schwach nicke ich, mein Herz sagt das Gleiche, aber mein Kopf denkt immer noch, dass meine Entscheidung richtig wäre. „Lässt du mich einen Augenblick alleine?“ Misstrauisch schaut er mich an, lässt mich aber los und geht. Ich habe den Schmerz in seinen Augen gesehen und weiß genau, wie weh ich ihm mit meinen Worten getan habe. Aber war es nicht das, was ich gewollt hatte? Ihm jetzt wehtun, damit er später nicht leiden muss? Mittlerweile hört es sich selbst für meinen Kopf lächerlich an, aber was soll ich nun tun? „Schatz, hör endlich auf dir so viele Gedanken über die Zukunft zu machen! Es wird schon alles werden! Vertrau mir!“ Langsam drehe ich mich um, Paddy steht in der Tür und blickt mich an. „Woher...?“ „Das war nicht schwer, schau dich doch mal an. Und ich sage dir eins, hör endlich auf damit!“ In der nächsten Zeit habe ich auch nicht mehr die Gelegenheit auf solche dummen Gedanken zu kommen, ich habe mir irgendwo die Grippe eingefangen und liege flach. Nadine will mich sogar ins Krankenhaus bringen, weil das Fieber einfach nicht sinken will. Schweißgebadet liege ich im Bett und wälze mich unruhig hin und her. Immer wieder schrecke ich aus meinem unruhigen Schlaf hoch um kurz darauf wieder einzuschlafen. Es dauert mehrere Tage, bis ich wieder einigermaßen erholt bin, aber ganz fit will ich nicht mehr werden. Als ich abends mit Paddy alleine im Bett liege flüstere ich: „Es geht zu Ende und du weißt es oder?“ Paddy schweigt und nimmt mich in den Arm. „Ist gut, ist gut. Wir haben es beide gewusst, es war klar, dass es früher oder später so weit sein würde.“ Ich muss schlucken. Ja, es war mir klar, aber jetzt wo es wirklich soweit ist, bekomme ich doch Angst. „Paddy, lass mich nicht alleine! Bitte! Alleine schaffe ich das nicht!“ „Natürlich bleibe ich bei dir! Das habe ich doch gesagt!“ „Aber ich sehe so hässlich aus! Schau mich doch mal an, ich bin nur noch Haut und Knochen und du kannst so viele schöne Frauen haben.“ „Jetzt red keinen Quatsch! Was denkst du eigentlich von mir? Das ich mich der Nächstbesten Tussi an den Hals schmeiße, nur weil sie in deinen Augen besser aussieht? Für wie oberflächlich hältst du mich?“ „Ich halte dich nicht für oberflächlich, aber manchmal denke ich, dass es besser für dich wäre, eine gesunde Freundin zu haben, eine Freundin, die nicht in wenigen Wochen sterben wird!“ „Hör endlich auf mit diesem ganzen Bockmist! Hör endlich auf! Ich kann nicht mehr! Ich will das einfach nicht mehr hören! Ich liebe dich! Ich liebe nur dich! Wieso glaubst du mir das nicht? Wieso tust du mir das immer wieder an? Nicht deine Krankheit ist das Schlimmste, sondern die Gedanken, die dir ständig durch den Kopf spuken. Hör endlich auf!“, er ist laut geworden und ich rücke geschockt ein Stück von ihm weg. „I´m sorry!“, flüstert er jetzt leise und nimmt meine Hand. „I don´t know why I did this! Please forgive me!“ „Is schon Ok!“, nuschele ich, drehe mich um und schließe meine Augen. „Bist du jetzt beleidigt?“, will Paddy wissen. „Nein, nur müde!“ Jetzt dreht sich auch Paddy um und schläft ein. Am nächsten Tag ist das Gespräch des letzten Abends schon fast wieder vergessen, das Fieber ist wieder zurück und Nadine will mich unbedingt ins Krankenhaus bringen. „Nein Nadine, auf keinen Fall! In drei Tagen ist Heiligabend und ich hab keinen Bock mein letztes Weihnachtsfest im Krankenhaus zu verbringen!“ Nadine setzt zu einer weiteren Erklärung an, aber ich winke ab. Für mich ist das Thema gegessen. „Gut, dann nicht, dann werd ich halt mit deiner Mom reden, die hat immer noch das Sagen.“ Seufzend lasse ich mich zurück in die Kissen sinken, Mom wird schon dafür sorgen, dass ich Weihnachten zu Hause bin, sie hat schließlich jede Menge Stress im Büro deswegen gehabt. Zum Glück hat sie aber einen sehr verständnisvollen Vorgesetzten, der ihr sofort frei gegeben hat, als er gehört hat, was mit ihrer Tochter los ist. Als sie mich am Abend das erste Mal seit langem wieder sieht, erschrickt sie, das sehe ich an ihren Augen. Naja, von ihrer Tochter ist ja auch nicht mehr viel übrig geblieben. Ich falle ihr um den Hals und begrüße sie stürmisch. „Hi Mom, schön dich endlich wieder zu sehen!“ Nach dem allgemeinen Begrüßungstaumel setzen wir uns aufs Sofa und schauen uns die Fotos von unserem Irlandurlaub an. Meine Mom ist total begeistert von der Landschaft und findet Martha und ihr Haus einfach nur urig. Doch die besorgten Blicke, die sie mir ständig zuwirft, bemerke ich trotz allem. Auch Paddy und Nadine wechseln ständig besorgte Blicke und scheinen lautlos irgendwelche Nachrichten hin und her zu schicken. Sehe ich mittlerweile wirklich so schlimm aus? Doch zu fragen traue ich mich nicht, ich will nicht schon wieder Streit mit Paddy
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Melanie
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Erstellt: 29.10.06, 21:27 Betreff: Re: Ein Konzert mit Folgen
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anfangen. Die Tage bis Weihnachten scheinen fast zu verfliegen, Paula ist total im Weihnachtsstress, Päckchen einpacken, Karten an ihre Freunde in München schreiben und unseren Vater davon überzeugen, dass sie hier bleiben kann. Noch ist er zwar in der Reha Klinik, aber er hatte natürlich gehofft, dass Paula nach München kommt und ihn dann besucht. Selbst Carsten bleibt hier und wird Weihnachten mit Paula feiern, darauf freut sie sich natürlich am meisten. Aber die zwei geben auch ein wunderschönes Paar ab, wie sie miteinander umgehen, das finde ich immer wieder erstaunlich. Beide sind dadurch aufgeblüht, Paula ist nicht mehr ganz so zickig und Carsten passt mittlerweile sogar im Unterricht auf. Was die Liebe alles anstellen kann, aber ich habe mich in den letzten anderthalb Jahren auch sehr verändert, ich bin erwachsener geworden, selbstbewusster und Paddy ist nicht ganz unschuldig daran. Zur Kirche schaffen wir es dieses Jahr leider nicht, ich bin froh, dass ich es überhaupt ins Wohnzimmer schaffe. Immer wieder schaut Nadine mich besorgt an und will meine Mutter davon überzeugen, dass ich doch dringend ins Krankenhaus müsste. Aber nachdem ich zum x-ten Mal hartnäckig darauf bestehe hier zu bleiben lässt sie das Thema endlich fallen. „Nach Weihnachten könnt ihr gerne mit mir machen, was ihr wollt, aber lasst mich Weihnachten zu Hause! Bitte!“, flehe ich ein letztes Mal und meine Mom nimmt mich in den Arm und meint: „Ist schon gut mein Schatz, natürlich bleibst du hier. Wir schaffen das schon!“ Auch Paddy flüstert mir zu, dass er mich jetzt auf keinen Fall gehen lassen wird. Der Abend ist richtig ruhig und gemütlich, auf Geschenke haben wir dieses Jahr größtenteils verzichtet und so sitzen wir nach dem Essen alle zusammen auf dem Sofa. Ich habe mich an Paddy gekuschelt und wünsche mir, dass dieser Augenblick ewig dauern würde. Einfach nur aneinandergekuschelt dasitzen und zusammen schweigen. Meine Gedanken schweifen ab und ich überlege, wie es wohl geworden wäre, wenn Paddy und ich Kinder bekommen hätten. Wie hätten wir dann wohl Weihnachten gefeiert? Wie wäre es wohl geworden? Paddy wird ein großartiger Vater werden, das habe ich schon im Sommer bemerkt, als Lars hier war. Ich liege mit dem Kopf auf Paddys Oberschenkeln und präge mir das Bild, das sich mir bietet genau ein. Die Kerzen vom Weihnachtsbaum verleihen seinem Gesicht einen geheimnisvollen, weichen Schimmer und seine Augen glänzen, wie kleine Diamanten. Schön, ein anderes Wort fällt mir jetzt nicht ein, er sieht einfach nur wunderschön aus! Glücklich seufze ich, schließe die Augen und schlafe erschöpft ein. Ich bekomme noch nicht einmal mit, wie Paddy mich vorsichtig ins Bett bringt. Erst am nächsten Nachmittag werde ich langsam wieder wach und blinzele verschlafen um mich. „Na Schatz, hast du endlich ausgeschlafen?“ Verwirrt überlege ich einen Moment, wo ich bin und vor allem, wie ich hierher komme. Mein Körper fühlt sich an, als würde er kochen und in meinem Kopf schwirren die wirrsten Gedanken umher. „Paddy, mir ist so warm, kannst du das Fenster aufmachen?“ Er schüttelt den Kopf. „Nein, es ist viel zu kalt draußen und du bist schon so krank.“ „Paddy bitte, ich verglühe, mir ist so heiß, so unheimlich heiß!“, unruhig drehe ich mich hin und her und falle wieder in einen meiner Fieberträume. Unruhig geht Paddy im Zimmer auf und ab, irgendwas muss passieren, sie muss dringend ins Krankenhaus. Auch wenn ihm der Gedanke gar nicht gefällt, aber das ist ihre einzige Chance. Als ich das nächste Mal aufwache, ist das Erste, was ich höre ein monotones Piepsen. Verwirrt blicke ich mich um, ich bin nicht in meinem Zimmer, aber wo bin ich dann? Meine Mom, die neben meinem Bett sitzt, nimm meine Hand und flüstert: „Hallo mein Schatz! Erschrick nicht, du bist im Krankenhaus. Du hattest hohes Fieber, aber jetzt geht es dir wieder besser.“ Unruhig blicke ich mich um. Krankenhaus? Wieso bin ich im Krankenhaus? Ich will das nicht, ich will nach Hause! „Mummy, ich will hier weg! Ich will hier nicht bleiben!“ „Schh mein Schatz, ganz ruhig! Du kannst wieder nach Hause, aber erst müssen die Ärzte die Infektion in den Griff bekommen.“ Nein, nein, ich will nicht warten, ich will jetzt nach Hause! Ich versuche aufzustehen, doch die Kabel des EKG-Monitors und der Infusionsschlauch halten mich davon ab. Resigniert lasse ich mich zurück in die Kissen fallen und schließe die Augen. Als ich sie das nächste Mal öffne, sitzt Paddy neben mir. Ganz blass sieht er aus und hat dunkle Ringe unter den Augen. „Paddy, was ist passiert?“ Ich kann mich an nichts mehr erinnern, ich weiß nicht, welchen Tag wir heute haben und wie lange ich schon hier bin. „Du warst krank, sehr krank. Du hattest hohes Fieber und hast die letzte Woche fast nur geschlafen, ich dachte schon, du würdest nicht wieder aufwachen.“ Schwach lächle ich. „Ich würde doch niemals gehen, ohne mich zu verabschieden. So leicht lasse ich mich nicht kleinkriegen. Wann kann ich wieder nach Hause?“ Nachdenklich schaut Paddy mich an und meint dann: „Ich weiß es nicht.
die Ärzte wollen dich erst gehen lassen, wenn die Infektion ganz ausgeheilt ist. Aber ich denke, dass du bald nach Hause kannst.“ Ich sehe in seinen Augen, dass er mich anlügt, ich weiß ganz genau, dass ich nicht wieder nach Hause kommen werde, wir beide wissen es. Ich werde nicht wieder gesund werden, ich werde sterben und es wird nicht mehr lange dauern. „Nimm mich in den Arm! Halt mich ganz fest!“ Vorsichtig rücke ich ein Stück zur Seite, so dass er sich neben mich legen kann. Die Schwester, die ins Zimmer kommt, schaut zwar etwas irritiert, dreht sich aber wortlos wieder um und verlässt das Zimmer. „Paddy, ich liebe dich!“ „Ich liebe dich auch mein Schatz, mehr als alles andere!“ „Versprich mir bitte eins, egal was passiert, sei nicht traurig! Mir wird es gut gehen!“, meine Stimme wird immer leiser und es fällt mir schwer, die Augen offen zu halten. Paddy bemerkt, was mit mir los ist und panisch fragt er: „Was ist los mit? Ist dir nicht gut?“ „Doch, doch, mir geht es sehr gut! Mir wird so warm. Lass mich nicht alleine!“ „Keine Angst, ich bleib hier. Keine Angst!“ „Paddy, danke dass du immer für mich da warst.“ „Hey Schnecke, was wird das denn jetzt?“ Eine kleine Träne kullert ihm über die Wange und schnell wischt er sich über die Augen. „Paddy, du weißt ganz genau was los ist! Ich werde sterben und es wird nicht mehr lange dauern, das spüre ich!“ „Nein, sag so was nicht! Du stirbst noch nicht!“ „Paddy, mach dir nichts vor! Hör endlich mit dieser Lügerei auf!“ Erschöpft schließe ich die Augen und schlafe wieder ein. Seufzend steht Paddy auf und geht im Zimmer auf und ab. Jetzt kommt auch meine Mom wieder und sieht Paddy fragend an. „Sie war kurz wach. Wenn ich ehrlich bin, habe ich Angst! Sie hat so komische Sachen geredet und sie weiß, dass sie nicht mehr lange hat.“ Meine Mom seufzt. „Ja, ich habe eben mit ihrem Arzt gesprochen. Er gibt ihr noch ein paar Stunden. Die Infektion hat sie sehr geschwächt und er denkt nicht, dass sie sich wieder erholen wird.“ Jetzt ist es mit ihrer Zurückhaltung vorbei. Sie sinkt in Paddys Arme und beginnt heftig zu schluchzen. Bevor ich wieder wach werde, bringt Paddy sie nach draußen auf den Flur. „Ich kann es nicht mehr mit ansehen! Von meiner Tochter ist doch mittlerweile nichts mehr übrig! Ich will sie nicht länger so leiden sehen, aber ich will sie auch nicht verlieren!“, schluchzt sie. „Ich will das doch auch alles nicht! Aber ich denke, wir müssen sie gehen lassen. Und du gehst jetzt nach Hause und schläfst dich aus. Du warst die letzten Nächte immer hier, du brauchst auch deinen Schlaf! Wenn was sein sollte melde ich mich sofort bei dir!“ Widerwillig macht Susanna sich auf den Weg. Einerseits möchte sie natürlich bei ihrer Tochter bleiben, andererseits ist sie so müde, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Leise kommt Paddy zurück ins Zimmer, ich schlafe immer noch und so setzt er sich auf den Stuhl neben meinem Bett und nimmt sein Buch vom Nachttisch. Mitten in der Nacht werde ich wieder wach, ich sehe Paddy auf seinem Stuhl sitzen und taste nach seiner Hand. Erschrocken schreckt Paddy hoch und fragt: „Was ist los? Ist was passiert?“ Schwach schüttele ich den Kopf. „Alles Ok. Schön das du hier bist!“, murmele ich und schlafe wieder ein. Seufzend legt Paddy das Buch zur Seite und beobachtet einen Moment den EKG-Monitor. Die Ausschläge sind in den letzten Stunden unregelmäßiger geworden, auch ihr Atem ist flacher geworden. Erneut werde ich wach und flüstere wirre Wörter vor mich hin. „Hey Schatz, was ist los!“ „Es ist so hell hier, mach das Licht aus!“ Verwirrt schaut Paddy mich an, außer einen kleinen Lampe gibt es keine Lichtquelle im Zimmer. „Schnecke, hier ist es nicht hell, ich kann kein Licht ausmachen!“ „Aber es ist so hell! Was ist das denn? Und warum wird mir so warm? Ich glaube ich verbrenne!“ „Soll ich die Schwester holen?“ Ich halte ihn fest und murmele: „Nein, lass mich nicht alleine! Paddy ich glaube, es ist soweit! Ich bekomme keine Luft mehr und mir ist so warm! Halt mich fest! Bitte! Paddy, ich...“, hier versagt meine Stimme und ich blicke ihn stumm an. Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und gibt mir einen Kuss, dann flüstert er: „Wenn du gehen musst, dann geh! Ich lass dich, hab keine Angst!“ Auf meinem Gesicht erscheint ein Lächeln und Paddy gibt mir einen letzten, sanften Kuss. Seufzend sinke ich in meine Kissen. „Ich werde deine Mama von dir grüßen, sie wird gut auf mich aufpassen!“, murmele ich und schließe ein letztes Mal meine Augen. Mit Tränen in den Augen streicht mir Paddy über das Gesicht und flüstert: „Ich liebe dich! Ich werde dich nie vergessen!“, dann beginnt er hemmungslos zu weinen.
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