Melanie
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Erstellt: 24.09.05, 00:56 Betreff: Re: Das Leben der Christine Walter |
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2. – Aus dem Herzen, aus dem Sinn
Der kalte Winter war vorüber und das erste Weihnachten ohne die Mutter lag hinter den Kindern Christine und Andreas. Für Andreas war Weihnachten und dergleichen kein schönes Ereignis mehr, denn zu oft wurde er dabei an seine Mutter erinnert. Doch vor Christine ließ er sich das nicht anmerken. Freudestrahlend kam Christine eines Tages aus dem Haus gelaufen, um ihren Bruder zu begrüßen. „Andreas, endlich!”, schrie sie und sprang ihrem Bruder direkt in die Arme. „Lass mich doch erst mal ankommen!“, raunte Andreas und fiel nach hinten über seinen Schulranzen. „Du kannst mich doch nicht so vermisst haben!?“, fuhr er fort. Christine lag auf ihm drauf und lachte. „Ich hab schon Ewigkeiten auf dich gewartet. Wieso muss denn deine Schule immer so lange gehen!?“, machte sie ihm einen Vorwurf. „Tinchen, daran kann ich leider nichts ändern, ist nun mal so.“ Doch Christine gab nicht auf. „Kannst du nicht mal krank machen oder so?“ „Gefällt es dir nicht bei Oma und Opa? Die sind doch den ganzen Vormittag für dich da. Und ich unternehme schon jeden Nachmittag was mit dir.“, fragte Andreas besorgt. Traurig runzelte Christine die Stirn und stieg von ihrem Bruder herunter. „Ach! Oma die hat nur ihre Socken im Kopf! Die sitzt nur da und strickt und Opa ist immer nur im Garten beschäftigt und füttert die Schweine. Ich bin ganz allein.“ „Was ist denn mit Erika? Warum spielst du nicht mit ihr?“, fragte Andreas. Er meinte das Mädchen aus dem Haus direkt gegenüber. Sie war in Christines Alter und schon des öfteren zu Besuch. „Die ist mir zu kindisch!“, antwortete Christine trotzig. „Wird Zeit, dass du auch in die Schule kommst, dann findest du ganz viele Freunde.“, machte Andreas seiner Schwester Mut. „Ich will nicht in die Schule. Dann hab ich ja genauso wenig Zeit wie du und bin erst nachmittags zu hause.“ „Tinchen! Jedes Kind muss irgendwann in die Schule. Du wirst bald sechs!“, stellte Andreas fest und überlegte. „Was wünscht du dir eigentlich zu deinem Geburtstag?“ Und jetzt kam das bekannte Funkeln in Christines Augen und das verschmitzte Lächeln zurück. „Ich wünsch mir ein ferngesteuertes Auto...so wie deins, nur schneller und mit besserer Lenkung!“, sprudelte es aus ihr heraus. „Aber Tinchen, Autos sind nur was für Männer. Wünsch dir was anderes.“ „Ich will aber nichts anderes haben!“ Christine legte ihre Arme über Kreuz und spielte die beleidigte Leberwurst. „Schon überredet, du bekommst ja dein Auto.“, beruhigte Andreas seine aufgebrachte Schwester. Zusammen gingen sie nun ins Haus. Sofort stieg den beiden der herzhafte Duft von Kohlrouladen in die Nase. „Na ihr zwei, habt ihr auch viel Hunger mitgebracht?“, fragte die Oma und schenkte ihren Enkelkindern ein herzhaftes Lachen, als sie die Küche betraten. Christine schob sich in Windeseile einen Stuhl heran und setzte sich an den Tisch. „Ja Oma, Bärenhunger!“ Christine konnte es kaum abwarten, während sich Andreas auf die Suche nach seinem Großvater machte. „Und mein Schatz, freust du dich schon?“ Die Großmutter schaute kurz auf und wartete auf eine Reaktion ihrer Enkeltochter, die betrübt vor sich hin sah. „Was meinst du Oma?“, stellte sich Christine dumm. „Na, auf deinen Geburtstag natürlich!“, gab Frau Krossmann zu verstehen und wendete die Rouladen in der Bratpfanne. „Ohne Mama macht Geburtstag sowieso keinen Spaß. Und wenn ich nur an die blöde Schule denke...“ Christine stiegen die Tränen auf und sie fing an zu schluchzen. „Ich vermiss sie so...und versteh das alles nicht!“, stieß sie nochmals aus und vergrub ihren Kopf in ihre Hände. Die Oma stellte die Bratpfanne von der Herdplatte und kam zu Christine an den Tisch. „Was ist denn los mit dir Kind? Wieso bist du so traurig?“, versuchte die Oma zu trösten und legte ihrer Enkeltochter liebevoll den Arm auf die Schulter. „Ich fühl mich so allein...Andreas kommt erst spät von der Schule, es ist keiner da mit dem ich spielen kann.“, gab Christine Antwort. „Wo bleibt Mama denn so lange? Ich dachte es geht ihr wieder besser.“, fuhr sie fort. „Aber Kind, du weißt doch! Mama ist in der Klinik und so weit weg. Sie muss erst einmal wieder richtig gesund werden und zu Kräften kommen.“ „Und wieso darf ich sie dann nicht einfach besuchen?“, sprach Christine gegen an. Sie hatte schon beinahe den harten Tonfall ihres Bruders angenommen, den Andreas manchmal in besonders schwierigen Situationen angewendet hatte. „Deine Mutter braucht Ruhe, du musst verstehen Christine.“ Frau Krossmann verbarg ebenfalls das große Geheimnis um ihre Tochter Hannelore. Christine war zu klein um verstehen zu können, was geschehen war. Es würde ihr nur noch schlimmer ergehen, wenn sie die Wahrheit kannte, dachte sie und fing nun an den Tisch zu decken. „Richard, kommt ihr zum Essen!?“, rief die Oma vom Küchenfenster in den Garten hinein. „Komm Opa, Essen!“, sprach Andreas und zog seinen Großvater am Ärmel seiner Jacke mit sich. Gemeinsam am Esstisch versammelt, wagte sich Andreas eine Frage zu stellen. „Darf ich nach dem Essen mit Christine in Stadt fahren? Sie soll sich schon mal ein Geschenk für ihren Geburtstag aussuchen.“ Die Oma machte ein besorgtes Gesicht. „Aber bitte pass mir gut auf die Kleine auf! In der Stadt lauern so viele Gefahren!“, sprach sie etwas zerknirscht aus, aber auch gleichzeitig freundlich. Der Opa hingegen hatte mal wieder einen Einwand. „Erst will ich deine Schularbeiten sehen mein Freund! Und Christine geht mir nicht einfach so mit dir in die Stadt. Sie ist noch viel zu klein!“ Christine sprang auf und lief zu ihrem Bruder. „Bitte Opa, Andreas passt bestimmt gut auf mich auf.“ „Ich habe nein gesagt und dabei bleibt es!“, gab der Großvater mit fester angsteinflößender Stimme zu verstehen. „Aber Richard..., ich müsste eigentlich auch noch Besorgungen anstellen. Da könnte ich doch mit den Kindern gemeinsam...“ Kleinlaut saß Frau Krossmann vor ihrem Ehemann und sah ihn mit flehenden Augen an. „Na schön, aber erst die Schularbeiten!“ Herr Krossmann schaute zu seinem Enkel und hob den Zeigefinger. „Sauber und mit leserlicher Schrift will ich die Arbeiten in einer Stunde auf dem Tisch sehen, haben wir uns verstanden!?“ Andreas nickte eifrig und Christine gab ihren Bruder einen Schmatzer auf die Wange. „Toll, ich freu mich schon so.“ Der Großvater jedoch hatte für die Freude seiner Enkeltochter nicht das geringste Verständnis und forderte sie im barschen Ton auf, sich wieder auf ihren Platz zu setzen. Christine tat es, sie hatte großen Respekt vor ihrem Opa. Aber viel mehr war es die Angst vor ihm. Er hatte ihr zwar nie weh getan, aber schon des öfteren gedroht, sie und Andreas in ein Jugendheim zu stecken, wenn sie nicht gehorchten. Alleine der Gedanke daran, bereitete der kleinen Christine Bauchschmerzen. Richard Krossmann bemängelte Andreas Fehler bei den Hausaufgaben. Dabei entdeckte er ebenfalls die Klassenarbeit, die sich Andreas nicht getraut hatte vorzuzeigen. „Junge, du kommst mir erst wieder aus dem Haus, wenn sich deine schulischen Leistungen wieder gebessert haben! Ab in dein Zimmer! Und dort wirst du bleiben, bis ich dich gerufen habe!“ Andreas schnappte sich daraufhin seine Schulsachen und rannte die Treppe hoch zu seinem Zimmer, was er sich mit Christine teilte. Der Ausflug war geplatzt und nicht nur Christine war enttäuscht, sondern auch Andreas hatte sich so seine Gedanken gemacht. Er hatte einen unbeschreiblich großen Hass auf seinen Großvater. Als sich Christine sich ihm bald darauf näherte und ins Zimmer trat, schaute Andreas erschrocken auf. „Tinchen, es tut mir so leid, wirklich!“ Doch Christine war nicht böse auf ihn. Sie war nur unendlich traurig und legte sich jetzt neben ihren Bruder ins Bett. Er schloss sie sofort in die Arme. „Was ist los? Sag doch was!“, wollte er seine Schwester zum Reden bewegen. „Es ist alles Mamas Schuld! Wäre sie nicht weggegangen, dann währen wir nicht hier und du würdest keinen Ärger mit Opa haben!“, sprudelte es aus ihr heraus. Sie fing an zu weinen. „Mama ist für mich gestorben! Sie hat uns einfach allein gelassen und verabschiedet hat sie sich auch nicht!“ Andreas rutschte das Herz in die Hose. Erschüttert und getroffen von den Worten seiner kleinen Schwester, schaute er auf sie herab. „Wenn du nur wüsstest...“, gab er leise von sich und drückte seine Schwester fest an sich. „Wie kannst du nur so über sie denken?“, fuhr er fort. Doch Christine verstand seine Worte nicht und wusste nicht, was er ihr damit mitteilen wollte. „Mama hat uns nicht mehr lieb. Sonst würde sie doch anrufen, oder!?“ Das waren Christines letzte Worte und sie glaubte wirklich langsam daran. Sie schloss ihre Augen und kuschelte sich an den einzigen Menschen, auf den sie sich noch verlassen konnte und das war Andreas, ihr großer Bruder... _________________
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