Sterni
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Beiträge: 79 Ort: aus dem Dorf mit den vielen Fl
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Erstellt: 15.02.07, 21:27 Betreff: Re: DEMO STOPPEN ---> Zittau
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was bisher geschah
Liebe Freunde - anbei ein Protokoll des gestrigen Abends, der mich doch ziemlich aufgeregt hat. Es war mal wieder 13. Februar - und diesmal hat die Stadtverwaltung ganz "klug" allerlei Demos genehmigt - vor allem auch mal wieder die Nazi-Demo. Voriges Jahr war es noch Konsens, daß am 13.2. in Dresden gar keine Demos zugelassen werden - egal von welcher Seite. Warum diese sehr vernünftige Entscheidung in diesem Jahr aufgehoben wurde - darüber gibt es nur Gerüchte. Jedenfalls war es wirklich skandalös und die Verantwortlichen im Ordnungsamt, die dieses Desaster ermöglicht haben, müssen wirklich zur Verantwortung gezogen werden. Ich habe nur einen kleinen Ausschnitt erlebt und den einfach mal protokolliert. Außerdem hänge ich ein paar Fotos ran, damit Ihr Euch ein Bild machen könnt. 13. Februar 2007 – Ein Protokoll von Heike Liebsch Es ist 17 Uhr und ich stehe auf dem verwaisten Platz vor dem Sächsischen Landtag hinter der Semperoper. Nach den letzten Informationen sollte doch hier die Kundgebung der NPD unter dem Motto „Nie wieder Bomben-Holocaust“ starten. Überall stehen Polizeiposten – aber keine Neonazis. Das ist ungewöhnlich, denn sie reisen von weit her an und meist sind einige von ihnen schon vorzeitig da. Doch da kommt mir ein Trüppchen entgegen, deren Äußeres keinen Zweifel an ihrem Inneren aufkommen läßt: seidene Bomberjacken, kurzgeschorene Haare, Fahnenstangen in der Hand. Zwei Polizisten erklären ihnen freundlich, wie sie zu ihrem Treffpunkt gelangen. Ich folge ihnen in gebührendem Abstand. Es gibt nur einen Zugang zum Aufmarschbereich. Hier ist alles hermetisch abgeriegelt. Ich gelange nur am Zwingerteich entlang bis zur Ostra-Allee, wo sich der Zugang befindet. Unzählige Polizisten durchsuchen jeden, der innerhalb der Absperrung zur Nazi-Demo will. Waffen oder dafür geeignete Gegenstände sind ebenso verboten wie das Tragen von Aufschriften, aus denen man die Buchstaben NS bzw. NSDA bilden kann. Also fliegen alle wieder raus, die Lonsdale-Reklame tragen. Selbst einige, die diese Buchstaben mit Klebeband überklebt haben, werden zunächst nicht eingelassen. Ich sehe in die Gesichter der Leute, die zu der genehmigten Demonstration stoßen: Jugendliche und viele Ältere, Alte. Gutbürgerliche ebenso wie klassische Skins. Einige, die von der Polizei abgewiesen werden, regen sich auf: Vier Stunden umsonst gefahren. Auch an der Sprache wird deutlich, woher diese „Trauergemeinde“ so alles angereist ist. Berlin und Bayern fallen mir am meisten auf. Insgesamt sind es wohl an die 1.000, die sich hier einfinden. Über Stunden zieht sich für sie die Prozedur der Kontrolle hin. An den geplanten Abmarsch für 18 Uhr ist überhaupt nicht zu denken. Aber auch, als fast alle an Ort und Stelle sind, geht es lange nicht los. Es ist bereits 18.30 Uhr, als die Lautsprecher zu dröhnen anfangen. Klassische Musik blechert plötzlich theatralisch überm Zwingerteich. Fackeln beleuchten die Szenerie. Trotzdem kommt keine Erhabenheit auf. Gelächter und Gemurre der Teilnehmer zerreist immer wieder den Schein der ehrlichen Trauer. Gegen 19 Uhr nimmt der ganze Zug Aufstellung. Vorn fünf Reihen Polizisten, dann das obligatorische Plakat mit dem Spruch vom „Bomben-Holocaust“. Wieso ist dieser Begriff eigentlich zulässig? Für mich ist das das Unwort der letzten Jahre. Es gehört schon eine riesige Portion Frechheit dazu, daß sich Neonazis eines solchen Wortes bedienen. Und es steckt ganz viel drin: die Verhöhnung der Holocaust-Opfer ebenso wie die Übersteigerung des Bombenangriffs auf Dresden zu einem gigantischen unübertroffenen Verbrechen – eigentlich ja noch schlimmer als der Mord an 6 Millionen Juden – worüber sowieso noch zu reden wäre, ob es den überhaupt gegeben hat. Da paßt es auch gut rein, daß von Jahr zu Jahr die Opferzahlen in Dresden in den Nazireden steigen: So auch heute: in den offiziellen Opferstatistiken hätte man einfach von den 300.000 Opfern eine Null weggelassen. 300.000? – es gab mal ein Lied: „Wir werden immer mehr...“ Daran erinnert mich dieser Zahlenstreit. In der Hinsicht ist es wohl doch wichtig, daß (zum wievielten mal eigentlich?) die Forschungsgruppe herausfindet, wie viele Opfer es 1945 tatsächlich in Dresden gegeben haben kann. Herr Apfel hält tapfer das Plakat mit in die Kameras, die plötzlich überall auftauchen. Hier sind die Medien präsent, hier sind die für sie lukrativen Bilder. Damit tragen die Medien aktiv zum Erfolgskonzept der Neonazis in Dresden bei – hier finden sie immer ein dankbares Publikum. Daß währenddessen eine Blockade nahe des Sachsenplatzes von der Polizei geräumt wird – ist viel weniger spannend. Es vergehen weitere Stunden, bis sich der Zug langsam in Bewegung setzt. Inzwischen diskutiert Herr Marx von der NPD immer wieder mit der Polizei-Einsatzleitung und ist maßlos darüber empört, daß ihnen ihre Route wieder nicht gesichert werden konnte. Denn immer wieder bilden sich auf der Strecke Blockaden durch autonome Gruppen, die den Durchmarsch verhindern wollen. Außerdem regen sich die Neonazis darüber auf, daß 200 ihrer Leute nicht zu ihnen vorgelassen werden, weil sie irgendwelche Auflagen nicht erfüllen. Immer wieder drohen sie harte Maßnahmen gegen diese Polizeiwillkür an und stellen zeitliche Ultimaten. Inwieweit die Polizei sich solchen Forderungen beugt, kann ich nicht wahrnehmen. Es geht immer mal wieder einige Schritte vorwärts, dann stoppt der ganze Korso und die Aufregerei geht von vorn los. So stehen sie mehr im Regen und in der Kälte als daß sie marschieren. Erst 21 Uhr erreicht der Zug den Schloßplatz, wo ihnen Nazi-Raus-Rufe entgegenschallen – von einer kleinen Gruppe, der es irgendwie gelungen ist, sich durch die Polizeiabsperrungen bis hierher durchzuschlagen. Nur langsam geht es unterhalb der Brühlschen Terrasse vorbei. Zwei Polizisten hinter mir unterhalten sich darüber, wie in den letzten Jahren von dort oben Gegenstände auf die Nazi-Demo geworfen wurden, sogar Kaffeetassen, von Alten und auch Müttern mit Kindern. Das sei völlig verrückt gewesen. Aber, meint der Polizist, man kann es sogar ein wenig verstehen, wenn man bedenkt, was hier so passiert ist. Ich blicke nach oben – am Geländer der Terrasse lehnen nur einige Polizisten – mit ihren dicken Helmen. Niemandem war es heute abend gestattet, die Brühlsche Terrasse zu betreten. Das muß man sich einfach mal vor Augen führen: da schaffen es diese Neonazis, daß es den Dresdnern verwehrt wird, auf ihre Brühlsche Terrasse zu gehen – einem der schönsten Orte dieser Stadt, auf der sonst abends immer noch Leute spazieren gehen und die Aussicht genießen. Als 21.45 Uhr die Glocken der Stadt beginnen zu läuten, wird mir bewußt, wie falsch ich hier bin. Um diese Zeit war ich sonst immer – seit über 20 Jahren – an der Frauenkirche. Stille und für einige lange Minuten das Glockengeläut ist es, was zu diesem Tag und zu dieser Uhrzeit gehört. Heute scheppert mir die tragische Musik aus dem Lautsprecherwagen der Neonazis in die Ohren. Ich halte das nicht mehr aus und gehe zu einem der Einsatzwagen. Erkläre, was genau dieser Moment für Dresden bedeutet und wie unerträglich es ist, jetzt dieser Musik ausgesetzt zu sein. Ob sie nicht dafür sorgen könnten, dies zu unterbinden – wenigstens ab jetzt. Aber ich werde an den Einsatzleiter verwiesen, der irgendwo unterwegs ist. Als ich ihn finde, hat die Musik tatsächlich aufgehört. Dennoch – auch nach dem Ende des Geläuts gehört diese Musik nicht hierher, die mit ihrem völlig übersteuertem Plärren über die halbe Stadt schallt. Der Einsatzleiter aber hat andere Sorgen. Mir wird klar, wie feige es ist, daß ich mich hinter der Polizei verstecke. Sie stehen ja direkt vor mir – die Herren, die sich diese Veranstaltung ausgedacht haben. Inzwischen setzt auch die Musik wieder ein. Also gehe ich selbst zu dem Verantwortlichen der Neonazis – einem smarten Mann in dunklem Mantel mit Dreitagebart. Er hört sich kurz meine Einwände an und meint dann: „Ich finde es gut, daß sie mir das sagen. Aber ich bin anderer Meinung. Wir machen ja hier einen Schweigemarsch ohne Parolen, einen Trauermarsch und die Menschen wollen das so. Außerdem spielen wir Trauermusik, die zu diesem Anlaß paßt. Ich habe mal mit 20 Leuten angefangen und jetzt sind es so viele, die hier mitgehen.“ Ich will mit ihm nicht darüber diskutieren, was Leute aus Bayern, Hessen und Berlin mit dem Dresdner Gedenken zu tun haben – denn sehr viele Dresdner sind es nicht, die hier mitmarschieren und mit ihm „trauern“. Statt dessen bitte ich ihn einfach um Respekt für die Dresdner Art, mit diesem Tag umzugehen – und das ist eben ohne solche Musik, es ist ein ganz individuelles Gedenken in aller Stille. In diesem Moment erreicht der Zug die Synagoge und die Verantwortliche des Ordnungsamtes spricht den Herrn an, er möge doch bitte hier an der Synagoge die Musik abstellen. „Nein – das mache ich nicht.“ ist seine Antwort und er scheint es zu genießen. Die Dame des Ordnungsamtes verleiht ihrer Bitte keinen weiteren Nachdruck und verschwindet. Auch ich gebe meine Versuche, dem Mann mein Anliegen klar zu machen, schließlich auf. Er meint noch: „Das ist ihre Meinung – ich habe eine andere dazu. Es gibt auch Leute, die haben was gegen die Synagoge – da kann ich auch nichts machen. Und wir marschieren ohne Parolen – nicht wie die da.“ Hinter der Brücke empfangen zahlreiche Autonome mit Pfiffen und Nazi-raus-Rufen die Neonazis. Die wären nicht hier, wenn die Nazis nicht hier wären, denke ich. Als ich den Marschzug kurz darauf verlasse, läuft vor mir die Frau vom Ordnungsamt und telefoniert: „... Er weigert sich, die Musik auszustellen. Und ich kann ihn verstehen.“ „Was?“, frage ich sie fassungslos, „Sie können verstehen, daß er die Musik nicht ausmacht?“ Mit den erschrockenen Worten: „Das haben sie jetzt nicht gehört“ flüchtet die Dame eilig vor weiteren Nachfragen. Ist es dieselbe, die diesen Marsch an diesem Tag genehmigt hat – inclusive der musikalischen Beschallung? Und zwar bis 24 Uhr, wie mir ein Polizist bestätigte. Also tatsächlich während der eigentlichen Gedenkfeier der Dresdner. Kurz nach 22 Uhr komme ich zur Synagoge. Eine kleine Gruppe besieht sich dort den Aufmarsch der Neonazis. Wir diskutieren darüber, daß es sich Dresden auch selbst zuzuschreiben hat, daß die Nazis auf unseren „Opferzug“ aufgesprungen sind. Je mehr wir als Dresdner uns als einzigartige Kriegsopfer fühlten, je mehr wir die absolute Besonderheit des Verbrechens dieses Angriffs herausstellten – desto attraktiver wurde Dresden für eine solche Nazi-Aktion. Öffentliche Wahrnehmung ist garantiert und Scheinheiligkeit inklusive. Eine wirklich clevere Marketingidee der Neonazis. Von der Synagoge aus begleite ich noch einen Moment die Autonomen, die noch immer den Nazimarsch anschreien und mit israelischen und amerikanischen Fahnen winken. Als ich sie fotografieren will, werde ich recht massiv behindert. Sie glauben mir nicht, daß ich nicht für die Nazis ihre Gesichter dokumentieren will. Erst nach einiger Diskussion kann ich Klarheit schaffen und sie entschuldigen sich. Bis zur Abschlußkundgebung der Nazi-Demo am Rathausplatz will ich aber nicht mitgehen. Ihr Marsch endet ausgerechnet am Denkmal für die Trümmerfrau. Das ist mir einfach zu viel. Statt dessen versuche ich, nun doch noch zur Frauenkirche zu kommen. Aber die Wilsdruffer Straße ist komplett abgeriegelt. Nach einigen freundlichen Worten lassen mich die Polizisten dann aber durch. Ich gehöre nicht zur störbereiten Personengruppe, meint eine junge Polizistin, die gar nicht weiß, wo oder was die Frauenkirche ist und was es damit für die Dresdner auf sich hat. Ich finde es ungeheuerlich und werde darüber immer wütender, daß es Dresdnern heute kaum möglich ist, an diesem Abend, der doch allein ihnen gehört, zur Frauenkirche zu gelangen. Wann hat es das je gegeben? Das letztemal – so kann ich mich entsinnen, war das Anfang der 80er Jahre, als die DDR versuchte, die Kirchenruine für sich zu vereinnahmen und Christen gezielt fernzuhalten, um öffentlichen Widerstand gegen Aufrüstungspläne zu unterbinden. Heute werden Neonazis geschützt und weiträumig abgeschirmt. Ich will gar nichts miteinander vergleichen.
Es ist 23 Uhr und ich erreiche endlich die Frauenkirche. Die Sandkästen vor der Kirche sind nur sehr spärlich mit Kerzen bestanden. Normalerweise waren hier immer tausende solcher Kerzen. Mir sind es diesmal erschreckend wenig. Deshalb frage ich am Einlaß, wie viele Menschen heute 21.45 Uhr vor der Kirche waren. Wie viele sind durch die Absperrungen gekommen? Doch die Männer wissen es nicht – nur, daß in der Kirche zum Gottesdienst 20.30 Uhr etwa 1.500 bis 2.000 Menschen waren. Sind das viele? Wenige? Mehr als? Es ist mir in diesem Moment schon nicht mehr so wichtig. Ich bin müde und möchte einfach nur hinein. In der Kirche stelle ich eine Kerze auf. Vor dem Altar wurden drei lange Bänke dafür hergerichtet, in deren Zentrum das Nagelkreuz aus Coventry steht. Dann endlich kehrt in mir ein wenig Ruhe ein. Vorn wird davon gesprochen, daß Rechte die Möglichkeiten der Demokratie für ihre Interessen mißbrauchen und daß wir wachsam sein müssen dagegen. Ich spüre, wie sehr ich diese Einsicht in den letzten Stunden vermißt habe – draußen, da wo sie marschiert sind. Wie sehr ich Menschen vermißt habe, die genau dort keinen Platz lassen für diesen Mißbrauch, wo er vor unser aller Augen geschieht. Als der Chor singt „Bleibet hier und wachet mit mir! Wachet und betet!“ wandelt sich in mir alle Wut in reine Verzweiflung: mein Wachen nützte gar nichts und beten kann ich nicht.
"Wir haben keine Chance aber wir Nutzen sie!"
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