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Autor Thomas Kujawa
Datum 21.09.03, 18:55
Betreff Demografie: Bildung und Betreuung zahlen sich aus


Aus der FTD vom 15.9.2003 www.ftd.de/demografie
Demografie: Bildung und Betreuung zahlen sich aus
Von Peter Ehrlich, Berlin

Mangelnde Betreuungsmöglichkeiten werden in Deutschland seit langem beklagt. Die Bundesregierung plant gerade das zweite Programm zur Linderung des Problems.




Verfügbare Plätze für Kinder im Krippenalter


Ein Jahr hat Stamtia Deveci gebraucht, um für ihren Sohn Alexis einen Krippenplatz zu finden. "Frankfurt ist nicht ideal", sagt die Juristin, die das 14 Monate alte Kind nun ab September in einer Kindertagesstätte unterbringen kann. Wie viele junge Mütter will Deveci, die auf einer Dreiviertelstelle bei einem Verband arbeitet, Erziehung und Beruf vereinbaren.



Nach 4 Mrd. Euro für verbesserte Betreuung an den Schulen sollen nun von der Bundesregierung 1,5 Mrd. Euro für Kindergärten und Krippen zur Verfügung gestellt werden. Experten halten allerdings angesichts der demografischen Probleme sehr viel weiter gehende Änderungen für nötig.


Weil der Anteil der Erwerbsfähigen wegen der steigenden Rentnerzahl in den nächsten Jahrzehnten sinkt, werden Kinderbetreuung und Vorschulerziehung immer wichtiger. Eine flexibel gestaltete Ganztagsbetreuung der Kinder ermöglicht mehr Frauen Berufstätigkeit und mehr berufstätigen Frauen die Erfüllung von Kinderwünschen. Und wenn der Staat dafür sorgt, dass auch Kinder aus bildungsschwachen Familien ohne Defizite durch die ersten Schuljahre kommen, steigt das Bildungsniveau und der Anteil derer sinkt, die später kaum Chancen im Berufsleben haben, weil sie nicht richtig lesen können.


In der Dienstleistungsmetropole Frankfurt mit viel Bedarf an ganztags geöffneten Betreuungseinrichtungen gibt es nicht nur zu wenig Krippenplätze, es fehlen auch Erzieher und Erzieherinnen: In einer teuren Stadt wie Frankfurt sind die schmalen Gehälter nicht sonderlich attraktiv. Den Trägern, ob Stadt oder Kirche, fehlt wiederum manchmal das Geld für die nötigsten Renovierungen in den Tagesstätten. Erzieherinnen dürfen in der Zeit, die sie den Kindern widmen sollen, auch mal die Feuermelder selbst anschrauben.



So viel Aufwand wie in Schweden


Spart Deutschland, in dem eine Debatte über den Generationenkrieg tobt, ausgerechnet an seiner Zukunft? Wissenschaftler sehen das differenzierter. In der Bundesrepublik wird bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt nicht weniger für Kinder ausgegeben als etwa in Schweden, das als vorbildlich bei der Betreuung gilt und wo die Geburtenraten deutlich höher sind. Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft gaben Bund, Länder und Gemeinden im Jahr 2001.168 Mrd. Euro für die Kinder aus. 62 Prozent davon entfielen auf materielle Leistungen wie Kinder- oder Erziehungsgeld.


In Schweden dagegen werden nur 28 Prozent der Ausgaben für derartige Hilfen genutzt, 72 Prozent aber für Betreuung und Vorschulen. Familienministerin Renate Schmidt fasst das Ergebnis so zusammen: "In Schweden ist die Geburtenrate ebenso höher wie die Erwerbsbeteiligung von Frauen, deutlich geringer ist die Armut von Kindern und Familien, und gleichzeitig ist der Bildungstand der Kinder besser."


Eine am jeweiligen Bedarf der Eltern orientierte Betreuung aller Krippen-, Kindergarten- und Grundschulkinder würde nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin etwa 12 Mrd. Euro zusätzlich kosten. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz hat bereits erste Ideen zur langfristigen Finanzierung. Bildung sei "von größerer Bedeutung als das konkrete Rentenniveau", sagt Scholz.



Der zweite Schritt heißt Bildung


Betreuung ist der erste, Bildung der zweite Schritt. In den neuen Bundesländern sind die Betreuungsmöglichkeiten immer noch viel weiter verbreitet als im Westen. 1998 standen für je 100 Kleinkinder im Osten 36 Krippenplätze zur Verfügung, im Westen nur drei. Horte für größere Kinder gab es im Osten 68 pro 100, im Westen sechs. Nur bei den Kindergärten konnte der Westen mithalten, seit es ab dem Alter von drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt. Der größte Teil der Kinder im Westen verbringt nur wenige Stunden im Kindergarten. Die Betreuung von 9 bis 12 Uhr gilt bei Müttern als selbstverständlich. Normale Kindergärten ermöglich allenfalls Halbtagsjobs für Frauen. Selbst für Grundschulkinder ist die garantierte Betreuung wenigstens am Vormittag noch nicht überall selbstverständlich.


Die Kleinen früher und länger "abzugeben" widerspricht in Westdeutschland offenbar immer noch dem klassischen Familienbild. Dort seien 70 Prozent der Eltern der Meinung, Betreuung schon für Kleinkinder unter drei schade der Entwicklung ihrer Kinder, sagt Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock.


In der Pädagogik unterstützt nur eine Minderheitenmeinung diese Ansicht. In Schweden oder Frankreich lebt bereits die erste schon im zarten Alter außerhalb der Familie betreute Erwachsenengeneration. In Frankreich beginnen manche Mütter schon nach wenigen Wochen wieder mit der Berufstätigkeit, in Schweden nehmen die Eltern erst eine Kinderzeit von bis zu 450 Tagen. In beiden Ländern haben die Frauen im Durchschnitt deutlich mehr Kinder als in Deutschland. Als Mitte der 90er Jahre die Zuschüsse für die Betreuung in Schweden merklich gekürzt wurden, ging die Geburtenrate stark nach unten.



Stärkeres Lernen im Vorschulalter


Die Schweden überlassen ihre Kinder ohne Bedenken dem Staat, in anderen Ländern spielen auch Tagesmütter eine große Rolle. "Ein Markt für private Betreuung fehlt in Deutschland, anders als in den USA, Kanada und Großbritannien", sagt Kreyenfeld. Festangestellte sind in Deutschland zu teuer, ein geeignetes Billiglohnsegment mit Subventionen der Sozialbeiträge bis zu Löhnen von 800 Euro im Monat gibt es erst seit April.


Pädagogen und Ökonomen diskutieren inzwischen nicht mehr über die Bedeutung der Betreuung, sondern über stärkeres Lernen im Vorschulalter. Der in Barcelona lehrende Wissenschaftler Gösta Esping-Andersen fordert, vor Beginn der Grundschule echte Chancengleichheit herzustellen. Kinder aus Familien, die dazu nicht in der Lage seien, müssten auf das Level von Kindern gebildeter Familien gebracht werden. Die Kinderbetreuung in Dänemark habe zu einem Abbau sozialer Ungleichgewichte geführt. Das deutsche Bildungssystem fiel in der Pisa-Studie vor allem dadurch auf, dass soziale Unterschiede zementiert werden.Bei der Konferenz "Modernes Regieren" im Juli in London forderte Esping-Andersen die sozialdemokratischen Regierungen auf, ihre Familienpolitik auf die Bildung zu konzentrieren. Sein Grundgedanke: In kleiner werdenden Jahrgängen kann sich die Gesellschaft Schulabbrecher oder gar faktische Analphabeten noch weniger leisten als heute.


Zudem muss in Deutschland auch der Anteil der Abiturienten und Hochschulabsolventen gesteigert werden, der deutlich unter dem Durchschnitt der Industrieländer liegt. "Wenn die Köpfe knapper werden, dann muss auch mehr in die Köpfe hinein", sagt Gerhard Fels vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Zuerst geht es aber darum, dass die Köpfe nicht noch knapper werden. "Wenn es mit der Betreuung klappt, hätte ich gerne noch ein Kind", sagt Stamtia Deveci.



© 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD

URL des Artikels: http://www.ftd.de/pw/de/1063435794916.html

Thomas Kujawa
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Wer nicht fragt, kriegt keine Antwort.




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