Atommüll: Entsorgung gescheitert
Peter Dickel sprach im Colosseum über die
Gefahren der Endlagerung und rief zur Teilnahme an der Menschenketten-Aktion am 24. April auf
Wilster
Die Kernspaltung sei eigentlich ein harmloser Prozess, wenn man sie
unter dem Deckel halten und einsperren könne. „Das gelingt aber nicht.
Es tritt immer wieder Radioaktivität aus!“ Der Braunschweiger Peter
Dickel, der sich seit 33 Jahren mit dem Thema Atomenergie beschäftigt,
hat schon 1976 als junger Hamburger Student die erste Bauplatzbesetzung
am Kernkraftwerk Brokdorf miterlebt. „Das war für mich ein
Schlüsselerlebnis“, bekannte er vor rund 50 Zuhörern in der Colosseum-Veranda.
Die Grünen der Wilstermarsch hatten zu einem Vortrag mit Peter Dickel
eingeladen – quasi als Auftaktveranstaltung für die am 24. April
anstehende Menschenkette entlang der Elbe. Von Brunsbüttel bis Krümmel
wollen Kernkraftgegner damit gegen die Kernenergie demonstrieren. Die
hiesigen Grünen sind planerisch verantwortlich für die Menschenkette auf
rund zehn Kilometern zwischen Brokdorf-Arentsee
und dem Störsperrwerk.
Wenn das Thema des Abends auch mit der Frage „Wohin mit dem
Atommüll?“ überschrieben war, so bekannte Peter Dickel gleich zu Beginn:
„Diese Frage kann niemand beantworten; und auch ich werde sie heute
Abend nicht beantworten.“ Doch unmissverständlich machte Dickel klar,
dass die Endlagerung bis heute nicht geklärt sei. Deshalb, so bestätigte
auch Dr. Jürgen Ruge von den Grünen der Wilstermarsch, sei man
grundsätzlich gegen die Kernenergie und vor allem gegen längere
Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke. „Brokdorf ist genau so gefährlich
und tödlich wie andere Atomkraftwerke“, warnte Peter Dickel.
Mit der Einlagerung von schwach- und mittelradioaktivem Müll in dem
früheren Salzbergwerk Asse II südlich von Wolfenbüttel seien die
Verantwortlichen kläglich gescheitert. Was eigentlich über eine Million
Jahre habe sicher sein sollen, erweise sich schon jetzt als undicht.
Täglich sickern rund 12 000 Liter Wasser in den Schacht und lockern das
poröse Salz. Damit seien der Korrosion der Atommüllfässer Tür und Tor
geöffnet.
Die Gefahren seien schon Mitte der 60er Jahre bekannt gewesen. Schon
damals hätten Fachleute und die Bevölkerung der Region vor einem
Atommülllager in der Asse gewarnt. Rund um die Asse seien
Nachbarschächte regelrecht abgesoffen, in einem Fall ein riesiger
Salzsee entstanden. Warum sollte so etwas ausgerechnet in der Asse nicht
geschehen? „Das, was da läuft, ist übel. Da wird eine ganze Region aufs
Spiel gesetzt!“, so die Kritik Dickels. Selbst ein ARD-Fernsehbeitrag
aus dem Jahr 1979 mit einer kritischen Bewertung habe nicht zu einer
Umkehr in der Frage der Endlagerung geführt.
1964 als Salzbergwerk stillgelegt, seien in dem „Forschungsbergwerk
Asse II“ – von 1967 bis 1978 – 124 494 Fässer mit leicht- und 1293
Fässer mit mittelradioaktivem Müll eingelagert worden. Was über
Jahrmillionen sicher habe sein sollen, zwinge schon jetzt zu
Überlegungen, wie die Lagerstätte saniert werden könne.
Von drei Alternativen wie Umlagerung oder Verfüllung des Schachtes
mit Feststoffen werde einer möglichen Rückholung der eingelagerten
Fässer die größte Chance eingeräumt. Die Entscheidung solle bis
Jahresende fallen.
„Die Entsorgung ist gescheitert; Annahme verweigert; Atommüll back to
sender!“ Mit diesen Schlagworten rief Peter Dickel zur Teilnahme an der
Menschenkette am Sonnabend, 24. April, auf dem Elbdeich auf. Als
Partnerregion für die Wilstermarsch wollen die Braunschweiger Aktiven
des dortigen Aktionsbündnisses 30 – allerdings leere – gelbe
Atommüllfässer mit in die Wilstermarsch bringen und diese als Mahnung
auf dem Elbdeich positionieren. „Vielleicht lassen wir auch einige vor
dem Kernkraftwerk stehen“, schloss Dickel nicht aus.
Jochen Schwarck