Kernspaltung
Die unendliche Suche nach einem Atommüll-Endlager und der Streit um eine Zwischenlösung
Stephan Richter
Sprache ist bekanntlich verräterisch. Das gilt auch für das
Endlagersuchgesetz, das Bund und Länder beschlossen haben. Mit diesem
Gesetz soll ein Endlager für den hochradioaktiven Atommüll gefunden
werden. Doch Bundesumweltminister Peter Altmaier und die
Ministerpräsidenten der Länder glauben nach den Erfahrungen, die mit dem
Salzstock Gorleben gemacht worden sind, wohl selbst nicht so recht
daran. Sonst hätten sie ihren Kompromiss nicht als Endlagersuch-,
sondern als Endlagerfindgesetz ausgegeben.
Doch vorerst ist noch nicht einmal klar, nach was genau gesucht,
geschweige denn, was gefunden werden soll. Wenn der Bundestag noch
rechtzeitig vor dem Wahlkampf das Endlagersuchgesetz beschlossen hat,
muss eine Enquete-Kommission zunächst die Kriterien für einen geeigneten Standort festlegen. Unter der Erde soll die hochradioaktive Atommüll-Deponie
wohl liegen, da sind sich die Experten einig. Aber dann wird es schon
schwierig. Sollen die Müllbehälter, deren Inhalt noch Zehntausende von
Jahren strahlen wird, in Granitgestein, in Salz oder Ton gelagert
werden? Und sollten sie ein für alle Mal in der Tiefe verschwinden, oder
sollten die Behälter rückholbar sein?
Fragen über Fragen, die dafür sorgen werden, dass die Atomenergie
weiter für Kernspaltung sorgen wird – jedenfalls für gesellschaftliche.
Hier diejenigen, die darauf vertrauen, dass Mensch und Technik den
Umgang mit robusten Castorbehältern beherrschen, in denen der Atommüll
zur Zeit in Zwischenlagern vor sich hin strahlt. Da die Atomgegner,
denen die ganze Technologie der Kernspaltung nie ganz geheuer war. In
den 30 Jahren Dauerprotest rund um den Salzstock Gorleben, der
jahrzehntelang wie das sichere Endlager schien, wurde die Atomkraft-Nein-Danke-Bewegung
als rückwärtsgewandtes, technologiefeindliches Protestvölkchen abgetan.
Tatsächlich haben die Atomkraftgegner auf der ganzen Linie gewonnen.
Man erinnere sich, welche Schlachten gefochten wurden, wenn mal wieder Castor-Behälter
durch die Republik nach Gorleben verfrachtet wurden. Martialisch
aufgerüstete Polizeitruppen, Wasserwerfer, Protestler, die sich an
Schienenstränge ketteten, gewalttätige Chaoten, verletzte Polizisten,
blutende Demonstranten. Allein die Polizeieinsätze haben den
Steuerzahlern Hunderte von Millionen Euro gekostet. Hinzu kommen 1,6
Milliarden Euro, die bislang in die Erkundung des Salzstocks gesteckt
worden sind. Und nun heißt es wie beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel. Alles auf Los zurück.
Während die Halbwertzeit der Atomkraft-Befürworter
seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima immer kürzer geworden ist –
der letzte deutsche Atommeiler soll 2022 vom Netz –, steigt die
Strahlkraft derjenigen Politiker, die der Atomenergie stets kritisch
gegenüberstanden. So zu studieren am Beispiel des grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und des grünen schleswig-holsteinischen Umweltministers Robert Habeck.
Bis durch das Endlagersuchgesetz in etwa 20 (!) Jahren ein geeigneter Standort gefunden und bis 2040 die entsprechende Atommüll-Deponie errichtet ist, müssen die Castor-Behälter
irgendwo hin. Doch keiner will den Müll. Dass in dieser Situation
ausgerechnet die beiden grünen Politiker angeboten haben, die Castoren
auf dem Gelände von stillgelegten Kernkraftwerken in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zwischenzulagern, zeigt Größe statt Rechthaberei.
Ende gut, alles gut? Nein. Denn erstens werden die Zwischenlager
weiter für Proteste sorgen. So könnte Brunsbüttel, wo sich ein neues
Zwischenlager abzeichnet, nach Gorleben zum neuen Synonym der
Protestbewegung werden.
Der richtige Ärger kommt aber erst, wenn der Standort für das
Endlager fest steht. Doch immerhin haben es die Parteien mit dem jetzt
gefundenen Kompromiss geschafft, dass der Streit um den Atommüll aus dem
Bundestagswahlkampf herausgehalten wird. Wenigstens diese
Kettenreaktion wurde verhindert.