Prokon kämpft gegen die Zeit
Firmenchef Carsten Rodbertus schweigt weiter / Verbraucherschützer rufen die Justiz zu Hilfe
Itzehoe
Bis in den späten Abend sind die Büros in der Firmenzentrale hell erleuchtet, und die Kuvertiermaschinen der Mailing-Abteilung
auf dem ehemaligen Militärflugplatz „Hungriger Wolf“ laufen auf
Hochtouren – offensichtlich sind alle verfügbaren Mitarbeiter der
angeschlagenen Prokon-Gruppe damit beschäftigt, die Anleger bei der Stange zu halten.
Den Andrang beunruhigter Anleger kann das Unternehmen auch technisch
kaum bewerkstelligen. Gestern teilte Prokon mit: „Derzeit erreicht uns
täglich eine große Anzahl an E-Mails. Um den Empfang zu beschleunigen, wird in der Nacht zum 17. Januar eine Umstellung des Servers vorgenommen.“
Die Zeit drängt: Das Unternehmen hatte voriges Wochenende seine etwa
75 000 Anleger darum gebeten, sich bis kommenden Montag (20. Januar) zu
erklären, ob sie ihr Geld weiterhin bei Prokon lassen wollen. Es geht um
insgesamt 1,4 Milliarden Euro. Auf seiner Homepage hatte Prokon
geschrieben: „Eine Planinsolvenz kann nur verhindert werden, wenn wir
für mindestens 95 Prozent des Genussrechtskapitals die Zusage erhalten,
dass Sie uns Ihr Kapital mindestens bis zum 31. Oktober 2014 nicht
entziehen.“ Das wären 70 Millionen Euro, gestern hatten Anleger dem
Unternehmen aber schon 216 Millionen Euro entzogen.
Mehrmals täglich veröffentlicht die Prokon-Gruppe
seit Tagen die aktuellen Zahlen. Auch von denen, die ihr Geld trotz der
drohenden Pleite im Unternehmen lassen wollen. Doch stimmt dieses
Zahlenwerk? Aus Mitarbeiterkreisen wird dies mit Nachdruck bejaht, die
Geschäftsführung selbst äußert sich aber trotz mehrmaliger Nachfragen
nicht. Inzwischen werden aus Anlegerkreisen, aus der Politik und selbst
aus der Belegschaft Stimmen laut, Firmenchef Carsten Rodbertus sollte
sich den Fragen der Journalisten stellen. Doch der lehnt dies strikt ab.
Im Gegenteil: Er sorgt durch seinen Umgang mit Journalisten für
zusätzliche Negativ-Schlagzeilen. Handelsblatt-Reporter Massimo Bognanni berichtet unserer Zeitung, dass er sich am Sonntag vom Prokon-Chef bedroht fühlte und des Firmengeländes verwiesen wurde. „Da liegen die Nerven blank“, meint der Journalist.
Auf der Internetseite der Tagesschau wird unterdessen darüber
spekuliert, ob „Prokon den Kampf gar nicht gewinnen will, sondern die
Insolvenz anstrebt“. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands
Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), meint dazu im Tagesschau-Interview:
„Dass ein überschuldetes Unternehmen die Insolvenz sucht, klingt nicht
unplausibel. Für manche Firmen ist das sogar eine verlockende Option.
Die Reform der Insolvenzordnung, die 2012 in Kraft trat, erleichtert die
Möglichkeit, sich mithilfe eines Insolvenzplanverfahrens zu
entschulden. Das ist aber kein Selbstzweck; es geht immer darum, für die
Gläubiger die bestmögliche Lösung zu finden.“
Und die Wochenzeitung Die Zeit meint: „Viele Fragen blieben bislang
unbeantwortet: Haben die Anleger wirklich 1,4 Milliarden Euro in Prokon
investiert – oder war auch diese Zahl ein Bluff, um die Story vom
wachsenden und erfolgreichen Unternehmen aufrechtzuerhalten? Und begann
der Abzug der Gelder wirklich erst in den vergangenen Wochen, oder
setzte der Vertrauensverlust schon viel früher ein? Und was bezweckt
Prokon eigentlich mit der Taktik, den eigenen Anlegern die Insolvenz
anzudrohen?“ Darauf und auf andere Fragen gibt Rodbertus keine
Antworten, verschanzt sich weiter in seinem Büro.
Dieter Brumm