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Andreas E

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Beiträge: 89


New PostErstellt: 29.08.05, 13:43     Betreff: Der Alltag pflegender Angehöriger (ist n bissl viel ;-) Antwort mit Zitat  

also mal was zu lesen über das Thema :

Der Alltag pflegender Angehöriger

Vera Francz 

Vortrag im Rahmen der „integra 2002“

am 27. September 2002 

Wohlstand und medizinischer Fortschritt haben den Menschen in den Industriegesellschaften in den letzten Jahrzehnten einen enormen Anstieg der Lebenserwartung gebracht. Je älter ein Mensch wird, desto größer wird allerdings auch die Wahrscheinlichkeit seiner Pflege-bedürftigkeit. Die Folge davon: Immer mehr alte Menschen sind heute auf die Hilfe anderer angewiesen. Die wichtigste Pflegeinstitution stellt nach wie vor die Familie dar. Das heißt, es sind zum überwiegenden Teil die nächsten Angehörigen, die  diese dauerhafte Unterstützung gewähren bzw. die Pflege übernehmen. Ihr Einsatz ist von unschätzbarem Wert für unser soziales Leben, dennoch finden die Leistungen pflegender Angehöriger kaum Beachtung in der Öffentlichkeit. Es bleibt ihnen die gebührende Anerkennung versagt.

Überleitung ... zur Geschichte von Brigitte, Buch S. 23ff.

Pflegende Angehörige leisten Unvorstellbares! Damit ihr Beitrag aber erkannt und wertge-schätzt werden kann, braucht es ein Sichtbarmachen der von ihnen zu bewältigenden Anforderungen und Schwierigkeiten. Deshalb sollen im ersten Teil meines Vortrages die mit der Pflege einhergehenden möglichen Belastungen und Einschränkungen kurz aufgelistet werden. Daran anschließend möchte ich das beschreiben, was Pflegenden hilft bzw. helfen könnte und was sich viele (manchmal vergeblich) wünschen. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, so gibt es doch auch immer wieder positive Erfahrungen in der Pflege. Von ihnen zu erzählen, darin mag für manche ein gewisser Trost liegen.

Sehr vieles bleibt noch zu tun, damit das wachsende Bedürfnis nach Betreuung und Pflege auch in Zukunft erfüllt werden kann. Am Ende möchte ich daher auf einige erforderliche Maßnahmen hinweisen, allerdings nur kursorisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.  

1. Womit müssen pflegende Angehörige rechnen?

Pflege beginnt oft mit dem Akzeptieren der Tatsache, dass ein naher Angehöriger sich nicht mehr gänzlich selbst versorgen kann. Am Anfang stehen oft zeitlich begrenzte Hilfeleistungen wie Behördenwege, das Einkaufen, die Pflege der Wäsche, der Wohnung und des Gartens. Der totale Einschnitt im Leben aller Beteiligten kommt mit der Erkenntnis, dass beispiels-weise die Mutter nach ihrem Sturz ans Bett gefesselt bleibt, dass der Vater zu verwirrt ist, um noch alleine leben zu können, dass die Krankheit des Partners eine Rundum-Betreuung erfordert ...

In kaum einer Lebensplanung kommt die Pflege von nahen Angehörigen vor. Trotzdem sehen sich viele Menschen von heute auf morgen mit der Notwendigkeit der Pflegeübernahme konfrontiert. Meist sind sie nicht darauf vorbereitet und sollen es dennoch schaffen, eine Viel-zahl von Pflegeleistungen zu erbringen: Sie müssen die/den Pflegebedürftigen an- und ent-kleiden, waschen und baden,  die Haut, Haare, Nägel, Ohren, Nase und Augen pflegen. Sie müssen auf die Zahn- und Mundhygiene der zu Pflegenden achten und für ein eventuell notwendiges regelmäßiges Umlagern sorgen. Barrieren müssen überwunden und Tabus durchbrochen werden bei der Intimpflege, der Wundversorgung und der Entfernung von Ausscheidungen. Pflegebedürftige brauchen Essen und Trinken und die nötigen Medika-mente; in vielen Fällen ist ein Diätplan einzuhalten. Genauso wichtig wie die Erfüllung der körperlichen Bedürfnisse der Pflegenden ist deren seelische Unterstützung. Von den Pflegen-den wird dabei ein kaum vorstellbares Maß an Initiative, Einfühlungsvermögen,  Geduld und Verständnis gefordert.

Von außen sind die Anforderungen und Belastungen Pflegender nicht leicht zu beurteilen - manche Pflegende leiden unter objektiv derselben Situation mehr oder weniger als andere. Das hängt nicht nur vom Alter und Krankheitsbild oder Zustand der/des zu Pflegenden ab, sondern auch von der Motivation zur Pflege, von der Familienkonstellation, von der Beziehung der Pflegenden und Pflegebedürftigen in der Vergangenheit und heute, von der Hilfe durch andere oder vom Fehlen einer Unterstützung, von der Wohnsituation usw. Den-noch gibt es eine Reihe von seelischen, körperlichen, sozialen und nicht zuletzt finanziellen Belastungen, die von der Mehrheit der Pflegenden bewältigt werden müssen: 

1.1 Zeit wird Mangelware

Pflege bedeutet einen immensen Zeitaufwand. Im Durchschnitt pflegen Angehörige etwa sechs bis acht Stunden pro Tag, nicht selten wird die Pflege zum Fulltimejob und fordert die Bereitschaft der Pflegenden auch während der Nacht. Selbst kleinere, über den Tag verteilte „Pflegeportionen“ bestimmen den Tagesablauf der Pflegenden. Die Zeit  für die Aufgaben im eigenen Haushalt, in der Familie und gegebenenfalls im Beruf wird durch die zusätzlichen Hilfs- und Pflegemaßnahmen stark eingeschränkt. Wird die/der Angehörige im gemeinsamen Haushalt gepflegt, entfallen zwar Anfahrtszeiten und –wege und die Instandhaltung einer zweiten Wohnung. Ist aber nicht genügend Platz vorhanden, gibt es für die übrige Familie keine Privatsphäre mehr für Rückzug und Erholung. Das Zusammenleben wird konflikt-trächtiger.

Einer großen Belastung ausgesetzt wird häufig die Beziehung der Eheleute bzw. Lebens-partner. Die Pflege vereinnahmt ja zwangsläufig einen Großteil der den Pflegenden zur Verfügung stehenden Ressourcen an Zeit, Aktivität, Aufmerksamkeit und emotionaler Zuwendung. Wenn die Kinder erwachsen sind und das Ende der Erwerbstätigkeit näher rückt, möchten Paare sich auf diese Zeit der „nachelterlichen Gefährtenschaft“ einstellen. Pläne dafür müssen aber bei Pflegeübernahme geändert oder gar auf unbestimmte Zeit verschoben werden. 

    1. Kontakte gehen verloren 

Für Pflegende werden Aktivitäten außerhalb der Wohnung zunehmend seltener. Aus Zeit-mangel können sie sich kaum mehr mit Freunden oder Bekannten treffen. Besucher bleiben aus. Krankheit und Gebrechlichkeit sind gesellschaftlich tabuisiert. Viele wissen nicht damit umzugehen und gehen deshalb auf Distanz. Bekannte und Freunde bleiben aus Angst fern, sie könnten durch ihren Besuch die Pflegenden zusätzlich belasten. Oft laden Pflegende nieman-den mehr zu sich ein, weil sie Außenstehenden die Situation nicht „zumuten“ wollen. Dies vor allem dann nicht, wenn die/der Pflegebedürftige dement und ihr/sein Verhalten nicht vor-hersagbar ist.

Die Pflege eigener Hobbys in Kursen, Seminaren oder Vereinen muss aus Zeitmangel und durch das Angebundensein ans Haus meist aufgegeben werden. Viele Pflegende gestalten ihre karge Freizeit mit Aktivitäten, die allein in der Wohnung oder rund ums Haus möglich sind, wie Lesen, Handarbeiten, Fernsehen oder Gartenarbeit. Und geraten so sehr rasch in die soziale Isolation.

    1. Beziehungen verändern sich 

Wenn Kinder ihre Eltern pflegen, kommt es für alle Beteiligten zu einer völlig neuen Konstellation, die erst ausgehandelt werden muss. Nach mehreren Jahrzehnten getrennten Lebens sollen nun alle, oft von einem Tag auf den anderen, gemeinsam leben. Und dies noch unter erschwerten Bedingungen! Die Neuverteilung der Rollen kann Konflikte bergen, denn vor allem Töchter werden von den alten Eltern oft nicht als erwachsene, gleichberechtigte Personen angesehen, sondern weiterhin als Befehlsempfängerinnen.

Kindern mag es schwerfallen, die Mutter oder den Vater nun im Handeln einschränken zu müssen. Oft verhindert die enge Bindung an die Eltern eine notwendige Grenzziehung gegen-über dere Forderungen. Pflegende lassen sich weiterhin bevormunden. Ungelöste innere Bindungen oder auch Schuldgefühle können eine fatale Tendenz zur „Überpflege“ hervor-rufen, d.h. jegliche Eigeninitiative der Pflegebedürftigen wird im Keim erstickt, was sie mit der Zeit gänzlich abhängig von den Pflegenden macht.

Männer sind manchmal leichter zu pflegen als Frauen, deren lebenslange Aufgabe ja meist darin bestand, sich selbst und andere zu versorgen. Frauen können oft nur schwer loslassen und müssen erst lernen, nur zu nehmen und nicht mehr geben zu können.

Vor allem bei Pflegebedürftigen, die geistig stark abbauen, gestaltet sich die Aufrecht-erhaltung einer Beziehung schwierig. Die sprachliche Verständigung wird schwierig oder ganz unmöglich.  Durch die Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen der Kranken geht der Kontakt zu ihnen mehr und mehr verloren. All das muss neben der praktischen Pflege emotional bewältigt werden.

In der Pflege unter Eheleuten bzw. Lebensgefährten kommt erschwerend hinzu, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht mehr gelebt werden kann. Gerade bei Verwirrtheit und geistigem Abbau geht die Basis für Intimität, Austausch, Gespräch und Unterstützung ver-loren. Der geliebte Mensch verändert und entfernt sich. Zur Sorge um das Leben des Partners gesellt sich die Angst vor der Zukunft, vor dem Alleinsein. 

    1. Kränkung hat viele Gesichter 

Alte (kranke) Menschen reagieren auf ihre körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen vielfach mit Lebensunzufriedenheit, egoistischem und aggressivem Verhalten, oft auch mit Desinteresse und Apathie. Ihre Wut richtet sich häufig gegen jene Menschen, die sich am meisten um sie kümmern. Wenn Pflegende ihre Augen vor dem geistigen Abbau ihrer Ange-hörigen verschließen, fühlen sie sich durch deren (vermutete) Bösartigkeit und Undankbarkeit gekränkt. Aber selbst wenn man das Verhalten der Pflegenden auf ihre Krankheit zurückführt, treffen und verletzen ungerechtfertigte Beschimpfungen, Verdächtigungen und die Nicht-anerkennung des Geleisteten.

Es kränkt pflegende Angehörige, wenn die Gepflegten, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, bei Besuchen alle Kräfte mobilisieren und für kurze Zeit freundlich, umgänglich und klar reagieren. Eine solche Selbstdarstellung führt zu einer unwahren Einschätzung der Pflege-situation und schmälert in den Augen der Besucher die Leistung der Pflegenden.

Geschwister oder andere Verwandte, die sich nicht an der Pflege beteiligen, sind bei ihren (seltenen) Besuchen manchmal bestürzt über den schlechten Zustand der/des Pflegebe-dürftigen. Die Pflegenden sehen sich dann mit Andeutungen oder gar offenen Schuldzuwei-sungen konfrontiert, sie würden ihre Pflegeaufgaben vernachlässigen. Oder müssen sich Be-lehrungen anhören. Auch das kränkt und belastet.

Manche Pflegende erhalten materielle Zuwendungen in Form von Geldbeträgen oder Sach-werten. Wird Pflegegeld bezogen, wird dieses fallweise zur Gänze oder zum Teil als „Entloh-nung“ an die Pflegenden weitergegeben. Pflegende müssen sich nicht selten den Vorwurf gefallen lassen, sie pflegten nur des Geldes wegen. Nicht-pflegende Geschwister oder Ver-wandte glauben, durch diese Zuwendungen an die Pflegenden seien sie selbst jeder Verant-wortung oder Mithilfe enthoben. Es gibt auch krasse Fälle, in denen Verwandte, die sich nicht an der Pflege beteiligen, regelmäßige Zuwendungen von der/dem Pflegebedürftigen erhalten, während die Pflegeperson selbst leer ausgeht.  

    1. Pflegende sind auf sich allein gestellt 

Wer einen Menschen pflegt, tut dies meist allein. Tätige Mithilfe durch Familie, Verwandte oder Nachbarn erfolgt nur in geringem Ausmaß und zeitlich begrenzt. Pflegende Frauen halten den Mann und die Kinder oft bewusst aus der Pflege heraus, um sie nicht zu belasten oder um die ohnehin vorhandenen Spannungen nicht noch zu vergrößern. Die in Familien häufig anzutreffende Einstellung, Pflege sei eine selbstverständlich zu erbringende Leistung, verringert die Bereitschaft der anderen Familienmitglieder zur Unterstützung. Und erhöht damit die seelische und körperliche Belastung der Pflegeperson.

Die Einschränkungen und Verluste, die von Pflegenden allein verarbeitet werden müssen, können Gefühle der Wut und Aggression gegen jene auslösen, die über ihre Zeit frei verfügen und ihre Pläne verwirklichen können: Geschwister, Partner, Freunde ... Der Groll über die eigene „verlorene“ Lebenszeit kann sich auch gegen die Gepflegten richten. Gewalt gegen Pflegebedürftige hat ihre Wurzeln meist in der Überlastung und Hoffnungslosigkeit der Pflegenden. 

    1. Pflege gefährdet die Gesundheit der Pflegenden 

Die großen psychischen und körperlichen Belastungen in der Pflege fordern ihren Tribut. Gesundheitliche Beeinträchtigungen und vielleicht sogar bleibende Schäden sind die Folgen. Pflegende Angehörige berichten von Verschleißerscheinungen ihrer Gelenke, über Rücken-, Schulter- und Hüftleiden. Sie klagen über Kopf- und Gliederschmerzen, Herz- und Magenbe-schwerden, Schwindel, Schlafstörungen, nervöse Zustände, Erschöpfung und psychosoma-tische Erkrankungen.

Pflegebedürftige sind häufig niedergeschlagen und verzweifelt. Ihre Ängste und Hoffnungs-losigkeit können sich auch auf die pflegenden Angehörigen übertragen. Wenn diese keine Aussprachemöglichkeiten haben, gibt es immer weniger Schutz vor eigenen depressiven Ver-stimmungen. Auf der Suche nach Entlastung greifen viele zu Mitteln, die ihrer Gesundheit weiter schaden: Das kann ein Zuviel an Süßigkeiten oder Zigaretten sein, die Einnahme von Medikamenten zur Beruhigung oder Stimmungsaufhellung oder auch der Konsum von Alkohol.

Zeitdruck und die Mühe eines aufwändigen Ersatz-Betreuungsmanagements erschweren das Wahrnehmen eigener ärztlicher Kontrolltermine. Viele Pflegende haben zu wenig Zeit für Bewegung an der frischen Luft, für Erholung und Entspannung. Die körperliche und geistige Inaktivität kann bei den Pflegenden das eigene Altern beschleunigen und zu Kompetenz-verlust führen. Das in Verbindung mit den gesundheitlichen Belastungen erhöht die Wahrscheinlichkeit, selbst einmal pflegebedürftig zu werden. (Nicht von ungefähr werden in der Fachliteratur pflegende Angehörige auch als „heimliche Patienten“ bezeichnet.)

 

    1. Das berufliche Fortkommen wird erschwert 

Pflege ist, wie die Versorgung und Erziehung der Kinder, Familienarbeit. Wie diese wird sie prinzipiell nicht entlohnt, bringt keine soziale Absicherung, ist nicht unmittelbar sicht- und messbar. Es gibt keine festen Arbeitszeiten und daher auch keine fix vereinbarte Freizeit. Familienarbeit fordert ständige Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft. Unser Wirtschafts-system ist allerdings auf Personen zugeschnitten, die nicht mit Hausarbeit, Kinderbetreuung oder Pflege belastet sind, sondern sich uneingeschränkt den beruflichen Anforderungen widmen können. Falls sie ihren Arbeitsplatz überhaupt behalten dürfen, müssen Pflegende oftmals eine Versetzung in eine andere Abteilung und/oder eine geringere Entlohnung in Kauf nehmen. Außerdem werden Pflegenden selten berufliche Aufstiegschancen offeriert.  

    1. Mögliche finanzielle Probleme 

Einkommens- und Alterssicherung erfordern in unserem Wirtschaftssystem immer noch die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Wenn Pflegende ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Pflege ein-schränken oder ganz aufgeben, müssen sie mit Einkommenseinbußen bis hin zum völligen Einkommensverlust rechnen. Sie können weniger oder gar keine eigenen Versorgungs-ansprüche aufbauen, weil die Pflegezeiten derzeit noch nicht als pensionsbegründend gewertet werden.

Zur Erwerbsminderung bwz. dem gänzlichen Einkommensverlust kommen häufig noch andere finanzielle Belastungen, wenn für die Pflege größere Um- oder Zubauten im eigenen Wohnbereich erforderlich sind. Ein Mehraufwand kann weiters entstehen durch die Anschaffung von Pflegehilfsmitteln, Spezialnahrung, Windeln, Hygieneartikeln u.v.m. Vor allem aber die personelle Unterstützung bei der Pflege kostet viel Geld. 

    1. Die Zeit danach 

Bei sehr langer Pflegedauer kann die Pflege zum einzigen Lebensinhalt werden. Beim Tod der/des Gepflegten verlieren die Pflegenden dann nicht nur den Menschen, mit dem sie die letzten Jahre in einer besonderen Weise verbunden waren, sondern auch ihre sinnstiftende Aufgabe. Gerade für ältere und alte Pflegende kann es sehr schwierig und mühsam werden, das eigene Leben neu einzurichten. Da muss die soziale Isolation durchbrochen, müssen Freundschaften, wenn möglich, wiederbelebt und Hobbys gefunden werden. Das braucht wieder sehr viel Energie und Eigenintiative. 

2. Was kann pflegenden Angehörigen helfen?

Pflege beginnt oft mit kleinen Schritten der Unterstützung der/des Angehörigen. Man wächst langsam in die Pflegeaufgaben hinein, während der Pflegeaufwand sich kontinuierlich steigert. Aber kaum jemand denkt: „Bis hierher und nicht weiter.“ In der Pflege werden die Grenzen ständig verschoben. 80 % der Pflegenden sind Frauen, Männer stehen meist erst nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zur Verfügung. Frauen weisen im Zweifelsfall der Pflege höchste Priorität zu. Sie glauben, all das schaffen zu müssen, was sie nicht direkt zusammenbrechen lässt. Männer delegieren eher und organisieren Hilfe von außen. Sie ziehen schneller eine Grenze, was ihnen leichter fallen dürfte, weil die Erwartungen und Ansprüche an pflegende Männer prinzipiell geringer sind. Pflegende Männer sind eher die „besondere Ausnahme“ und werden nicht nur bereitwilliger unterstützt, sondern bekommen auch viel mehr Anerkennung als Frauen. Wenn nun in der Folge mögliche Hilfen für pflegende Angehörige beschrieben werden, sollen diese Fakten mitgedacht werden.

2.1 Hilfe durch Familie, Freunde und Nachbarn

Die erste Hilfeadresse für pflegende Angehörige ist natürlich die eigene Familie. Gibt es diesen Rückhalt, sind sie auch belastbarer. Nicht immer ist eine direkte Mithilfe der Familienmitglieder bei der Pflege gefordert oder erwünscht. Schon die Unterstützung im Haushalt, bei der Betreuung der Kinder, beim Einkaufen usw. bringt für die Pflegenden viel Entlastung.

Pflegende Angehörige vermissen oft schmerzlich das Gespräch. Sie wollen keine Ratschläge, sondern möchten, dass man ihnen „nur“ zuhört. Auch dann, wenn das Thema, nämlich die Pflege und ihre Schwierigkeiten, wenig variiert. Die Bereitschaft zu solchen Aussprachen signalisiert das Bemühen des (Ehe-)Partners um Verständnis und hilft, selbst wenn die geschilderten Probleme nicht immer nachvollzogen werden können.

Helfen bedeutet auch, zum Verzicht bereit zu sein, d. h. die persönliche Bequemlichkeit gelegentlich hintan zu stellen und die Pflegenden nicht mit eigenen Forderungen weiter unter Druck zu setzen.   

Viele pflegende Frauen müssen sich damit abfinden, dass ihre Partner ohne sie ihre Freizeit verbringen und manche sogar alleine im Urlaub verreisen. Wenn Männer sich mit ihren pflegenden Partnerinnen um Lösungswege bemühen, damit zumindest hin und wieder gemeinsame Unternehmungen möglich werden, dann wirkt dies einer vielleicht da und dort spürbaren Entfremdung entgegen. Erlebte Nähe und offenkundige partnerschaftliche Solidarität können viel Sicherheit und Kraft geben.

Je höher die Hilfeerwartungen an die Familie sind, desto größer und belastender ist allerdings auch die Enttäuschung, wenn diese Unterstützung ausbleibt.

Die möglichen Gründe, warum sich Freunde und Bekannte von Pflegenden häufig zurückziehen, wurden bereits erwähnt. Besuche sind jedoch ungemein wichtig und können für alle zu einer Bereicherung werden. Sie sorgen bei den Pflegenden für Entspannung und ein zeitweiliges innerliches Loslassen. Für die Pflegebedürftigen bringen Besuche Ablenkung und Abwechslung. Wenn Freunde die pflegenden Angehörigen an ihrem Leben teilhaben lassen, stellen sie den Kontakt zur Außenwelt her und durchbrechen deren  Isolation. Die Besucher wiederum bekommen Einblick in eine Welt, die für viele von ihnen früher oder später selbst Realität werden kann.

Hilfsbereite Verwandte, Freunde oder Nachbarn können durch kurzzeitige Übernahme der Pflegeaufgaben für  „Auszeiten“ bei den Pflegenden sorgen. 

2.2 Sicherheit durch Wissen und Information

Meist werden Angehörige mit der Notwendigkeit einer Pflegeübernahme konfrontiert, ohne über praktisches pflegerisches Wissen zu verfügen. Spitäler entlassen Patienten in häusliche Pflege, ohne die Angehörigen umfassend über das Krankheitsbild bzw. den Krankheitsverlauf der/des Pflegebedürftigen zu informieren. Dieses Nichtwissen und die daraus resultierende Handlungsunsicherheit verursachen Stress. Hier sind vor allem die betreuenden Hausärzte gefordert, für eine entsprechende Information und Unterstützung der pflegenden Angehörigen zu sorgen.

Praktisches pflegerisches Wissen erhöht die eigene Handlungsfähigkeit und verringert dadurch die Belastung. Von Spitälern und verschiedenen Sozialeinrichtungen werden immer wieder Kurse für pflegende Angehörige angeboten. Nicht zuletzt sollten sich Pflegende auch zugestehen, durch eigene Erfahrungen über „Versuch und Irrtum“ zu lernen.

Viele Pflegende bedrückt die ungeklärte Frage, wer die Pflege übernehmen würde, sollten sie selbst ausfallen. Immer mehr sehen die beste Lösung darin, ihre/n Angehörige/n vorsorglich in einem Pflegeheim anzumelden. Die Option auf einen sicheren Heimplatz beruhigt. Allerdings muss man sich in regelmäßigen Abständen auch vergewissern, ob eine eventuelle Aufnahme immer noch gesichert ist. 

2.3 Hilfe im Glauben

Oft sprachlos geworden, finden Pflegende und Pflegebedürftige im gemeinsamen Gebet wieder zueinander und fassen neuen Mut, jeder auf seine Weise. Selbst wenn die geistigen Kräfte schwinden, erinnern sich viele alte Menschen noch an Gebete aus ihrer Kindheit. Das Sprechen und Hören vertrauter Worte tröstet und beruhigt sie. Wie wichtig die spirituelle Begleitung in der Pflege sein kann, beschreibt Rosa Atzlinger, DGKS und Altenfach-betreuerin: „Gepflegte wollen die Pflegenden oft mit einem Kreuzzeichen beschenken, das Einzige, das sie noch geben können. Dies ist für viele nur eine kleine Geste, hat aber für gläubige Menschen eine tiefe Bedeutung. Eine solche Segnung von Mensch zu Mensch ist gültig. (...) Durch die Segnung kann man Verantwortung abgeben und erlebt Befreiung.“

Viele, Pflegebedürftige wie Pflegende, wünschen sich eine behutsame und wertschätzende Begleitung durch SeelsorgerInnen oder MitarbeiterInnen der Pfarre.  

2.4 Psychologische Unterstützung

Pflegende Angehörige müssen die vielfältigen emotionalen und sozialen Probleme der häuslichen Pflege häufig alleine bewältigen. Gerade deshalb ist die Unterstützung durch Selbsthilfegruppen so ungeheuer wichtig. Nicht-Betroffene können sich oft nicht wirklich in die Lage der Pflegenden hineindenken. In der (begleiteten) Gruppe oder bei sogen. Pflegestammtischen können Pflegende jedoch das erzählen, was daheim keiner (mehr) hören will. Hier können sie über ihre Verzweiflung, Ohnmacht und Angst sprechen und auch Gefühle und Gedanken äußern, die „man eigentlich nicht haben darf“: Ärger, Zorn und Wut. In der Gruppe fühlen sie sich verstanden. Aus dem Mitgefühl der anderen kann neue Kraft geschöpft werden. Unterstützend wirkt auch der Informationsaustausch über Pflegebehelfe, -tipps, hilfreiche Adressen u.v.m. Gemeinsame Aktivitäten, wie Musizieren, Lesungen, Wanderungen o.ä. helfen den Pflegenden, abzuschalten und sich auf die eigenen Bedürfnisse zu besinnen.

Professionelle psychologische Beratung und Begleitung können pflegende Angehörige kostenlos bei den geförderten Beratungsstellen des Bundes in Anspruch nehmen.

Eine ganz spezielle Form der Begleitung brauchen Angehörige auch bei der Übersiedlung der/des Pflegebedürftigen in ein Heim. Neben dem Trennungsschmerz kämpfen pflegende Angehörige oft mit Schuldgefühlen oder dem Empfinden  versagt zu haben. 

2.5 Praktische Hilfe durch mobile Dienste und Beratungsstellen

Wenn die häusliche Pflege nur von einer Einzelperson geleistet werden soll, so ist eine Überforderung der/des Pflegenden in vielen Fällen bereits vorprogrammiert. Familiäre Pflege ist meist nur dann (er-)tragbar, wenn die Pflegenden Hilfe von außen erhalten, beispielsweise durch mobile soziale Dienste. Worauf können pflegende Angehörige diesbezüglich zurückgreifen?

Familienhelferinnen vertreten Pflegende (meist sind es die Mütter) bei Erkrankung, Erho-lungs- oder Kuraufenthalten.

Alten(fach)betreuerInnen und  PflegehelferInnen, in manchen Bundesländern auch Hauskran-kenschwestern/-pfleger, unterstützen pflegende Angehörige vor allem bei der Grundpflege, d.h. beim Waschen, Baden und bei der Körperpflege der Pflegebedürftigen.

Müssen Pflegebedürftige daheim auch medizinisch betreut werden, so führen die diplomierten Gesundheits-/Krankenschwestern und –pfleger der mobilen Hauskrankenpflege im Haus die vom Arzt angeordneten Pflegemaßnahmen durch.

In manchen Bezirken können mobile therapeutische Dienste wie Ergotherapie oder Logopädie angefordert werden.

Mahlzeitendienste („Essen auf Rädern“ versorgen Pflegebedürftige wahlweise täglich oder fallweise mit warmem Essen.

Zur Verfügung gestellt werden mobile soziale Dienste von der Caritas, vom Roten Kreuz, von der Volkshilfe, vom Hilfswerk, vom Samariterbund und von einer Reihe von Vereinen und kleineren Initiativen. Was wo, von wem und zu welchen Kosten angeboten wird, das ist von Bundesland zu Bundesland, manchmal gar von Bezirk zu Bezirk verschieden. Auskünfte über das Angebot an sozialen Diensten im Wohnumfeld erteilen die Gemeinden, Bezirkshaupt-mannschaften, Magistrate und die Seniorenreferate oder Sozialabteilungen der Landes-regierungen.

Eine weitere Möglichkeit der Entlastung für pflegende Angehörige stellen geriatrische Tageszentren dar, in denen Pflegebedürftige ganztägig betreut werden. Allerdings gibt es solche Zentren derzeit meist nur in größeren Städten. In Einzelfällen wird eine solche Tagespflege auch von Pflegeheimen angeboten. 

2.6 Das Altenwohn- bzw. Pflegeheim

Die Pflege in der Familie ist ein unschätzbar hoher Beitrag zur Solidarität zwischen den Generationen. Pflegenden Angehörigen muss jede nur mögliche Hilfe und Unterstützung  zuteil werden. Ihnen gebürt zu Recht unsere Anerkennung. Die Pflege in der Familie darf aber nicht romantisch verklärt und moralisch so überhöht werden, dass (pflegende) Angehörige sich nicht getrauen, das Heim als Alternative zu wählen. Sie müssen sich ohne Gewissens-bisse und Schuldzuweisungen von außen auch für eine Abgabe der Pflege entscheiden können. Derzeit bringt der ungerechtfertigte Erwartungsdruck seitens der Gesellschaft die Pflegenden oft in einen tiefen Zwiespalt: Viele von ihnen spüren, dass sie überfordert sind oder gar kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Sie können sich selber helfen, indem sie die Pflege abgeben, müssen dafür jedoch Gewissensqualen, Kritik und die Mißachtung ihrer Mitmenschen in Kauf nehmen. Oder sie entscheiden sich nicht selten für den verzweifelten Ausweg selbst krank zu werden. „Krankheit befreit ohne Schuldgefühle.“ (Aschauer) Vor diesem Dilemma müssen Pflegende bewahrt werden. Ich möchte betonen: Auch Pflegebegleitung im Heim ist Familienpflege! Wenn Angehörige den (Ehe-)Partner, die Mutter oder den Vater regelmäßig im Heim besuchen, wenn sie sich um eine gute Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal bemühen, für die Erfüllung der Wünsche der Angehörigen eintreten, sich um ihr Wohlergehen sorgen ... ja kann dann nicht auch von familiärer Pflege gesprochen werden?! Viele Angehörige nehmen für diese Form der Pflege, neben der Erfüllung der eigenen Berufs- und Haushaltspflichten, sehr viel Zeit und Mühe auf sich. Das muss erkannt und auch wertgeschätzt werden!

Das Angebot an Alten- bzw. Seniorenwohn- und Pflegeheimen ist regional sehr unterschiedlich. Auskünfte darüber können bei den Ämtern der Landesregierungen, bei den Bezirkshauptmannschaften, Magistraten, bei den Gemeinden und den einzelnen Sozialhilfeverbänden eingeholt werden. Bei der Suche nach einem geeigneten Pflegeheim können zusätzlich die Hausärzte und das Personal der mobilen sozialen Dienste beratend und unterstützend wirken.  

2.7 Hospizeinrichtungen – Begleitung, Hilfe und Rat für die letzte Lebensphase

Der Name „Hospiz“ knüpft an die Tradition der mittelalterlichen Herbergen an, in denen christliche Pilger Unterkunft, Stärkung und Pflege bekamen. In diesem Sinne sollen Hospize heute Orte sein, wo sterbende Menschen alles finden, was sie für die letzte Reise in diesem Leben brauchen. In den Einrichtungen der Hospizbewegung finden Menschen mit schweren und unheilbaren Erkrankungen Beratung, Gespräche, eine optimale Schmerztherapie und damit bis zuletzt ein möglichst hohes Maß an Lebensqualität.

Der Anspruch der Hospizbewegung findet sich sehr treffend und berührend in einem Spruch im Kinderhospiz von Minsk wieder: Siehe Buch S. 126.

Für pflegende Angehörige ist die Unterstützung durch die mobilen Hospizdienste von besonderer Bedeutung. Ein Team von Ärzten, diplomierten Krankenpflegefachkräften und vorwiegend ehrenamtlichen MitarbeiterInnen berät und unterstützt die Angehörigen bei der palliativen, d.h. schmerzlindernden Pflege, entlastet sie zeitweise von ihren Pflegeaufgaben und begleitet sie in der Zeit des Abschiednehmens und Trauerns.  

3. Positives in der Pflege – gibt es das?

Die lange Liste der Belastungen vor Augen mag es schwer fallen zu glauben, dass die Pflege auch Positives erleben lässt. Und doch sprechen pflegende Angehörige in ihren Erzählungen immer wieder auch von Momenten und Erfahrungen der Freude und Zufriedenheit:

Viele (erwachsene) Kinder fühlen nicht nur eine moralische Verpflichtung zur Übernahme der Pflege, sondern sorgen für ihre Eltern schlicht und einfach aus Zuneigung und Liebe. Sie erleben dabei die beglückende Gewissheit, ihnen ein wenig von dem Guten vergelten zu können, das sie selbst ihrer Kindheit und Jugend bekommen haben. Aber selbst wenn zum überwiegenden Teil Pflichtgefühl das Motiv für die Pflegeübernahme war, so kann die Erfül-lung einer wahrgenommenen Verantwortung dennoch als sehr befriedigend erlebt werden.

Wenn Beziehungen nicht mehr in allen Facetten gelebt werden können, finden Frauen und Männer Trost darin, über die Pflege der/dem PartnerIn  all die Liebe zu geben, für die kein anderer Ausdruck mehr bleibt. Vor allem Frauen fühlen sich an ihr Treuegelübde sehr gebunden, unabhängig von der Qualität der Ehe.

Angehörige nehmen in der Pflege häufig die Chance auf eine Versöhnung wahr. Kaum eine Beziehung ist so dicht, so total wie jene zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen. In dieser  intensiven Zeit wird häufig ein bisher nicht erlebtes gegenseitiges Erkennen möglich, entsteht oft ein neues Verständnis für den anderen. Das wiederum kann zu Vergebung und neuer Freude führen.

Pflege kann bereichern, wenn es gelingt, zum Nachdenken innezuhalten. Alter, Krankheit, Leiden und Sterben werden in unserer Spaß- und Erlebnisgesellschaft ausgespart, sind kein Thema. In der Begleitung eines alten Menschen können diese Dimensionen aber erfahren und vertieft werden. Das Gewahrwerden dieser oft verdrängten Lebensanteile kann zu einem reicheren Bewusstsein führen und schafft Platz für Reflexionen über das eigene Älterwerden.

Manche Pflegende sehen im Leiden einen Weg des Lernens. Aus satter Zufriedenheit kommt selten ein Anstoß für Veränderung. Meist sind es die schmerzlichen, mit Verlust verbundenen Erfahrungen, die uns voranbringen, die uns wachsen und reifen lassen.

Wer die Pflege eines alten Menschen durchlebt, durchlitten und bewältigt hat, kann viele Dinge an ihren rechten Platz rücken, schafft neue Prioriäten.

Familienarbeit wird oft nicht als „richtige“ Arbeit anerkannt und gewürdigt, fällt meist nur durch ihr Fehlen auf: Die schmutzige Wohnung, die nicht gebügelte Wäsche, das fehlende Essen – wie rasch würde das bemerkt werden? Ein wenig anders verhält es sich mit der Pflege. Diese ist zwar auch Familienarbeit, hat aber doch einen eigenen Stellenwert als zusätzlich erbrachte Leistung. Die Befriedigung darüber wird unmittelbarer erlebt, vor allem dann, wenn die Gepflegten ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.

Pflegende gewinnen im Lauf der Pflege immer größere Kompetenzen, sie werden zu „ExpertInnen“ im Pflegealltag. Dieses Wissen um die eigenen Fähigkeiten kann das Selbstbewusstsein stärken ebenso wie den Glauben an die eigene Kraft.

Immer wieder erzählen Pflegende von sehr berührenden Begegnungen mit anderen Betrof-fenen. Die ähnlichen Erfahrungen, der gedankliche Austausch verbinden und nicht selten entstehen daraus Freundschaften fürs Leben.

Wenn pflegende Frauen noch eigene Kinder zu versorgen haben, dann fordert die Pflegearbeit der Mutter häufig viel Verständnis, vielleicht auch tätige Mithilfe von den anderen Familien-mitgliedern. Pflegende Mütter können darin nicht nur eine Belastung sehen, sondern auch einen bedeutsamen Schritt in der Entwicklung ihrer Kinder. Diese können durch das Vorbild der Eltern in den Respekt gegenüber alten Menschen und in die Verantwortung für Hilfsbe-dürftige eingeübt werden. Wenn die/der gepflegte Angehörige stirbt, begegnen Kinder der Trauer der Erwachsenen und haben vielleicht selbst erstmals mit Verlustgefühlen zu kämpfen. Die Auseinandersetzung mit der Endgültigkeit des Todes mag zunächst belastend für Kinder sein, fördert aber deren Bewältigungskompetenzen.

Die Pflege eines nahen Angehörigen kann zu einer (Wieder-)Begegnung mit dem Glauben führen. Der Theologe Hermann Deisenberger spricht von „Bruchlinien“ im Leben eines Menschen: „Dazu gehören Schuld, Scheitern, ein Neubeginn, vor allem aber Fragen des Abschiednehmens und der Trauer. Es taucht die Frage auf: Wohin gehen wir? Und wir erhalten die tröstliche Antwort: Immer nach Hause!“ 

4. Was muss geschehen?

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den nächsten Jahren stark ansteigen. Die Zunahme von kinderlosen Ehen, Ein-Kind-Familien und Singlehaushalten, steigende Scheidungszahlen und eine stärkere Berufsorientierung von Frauen werden dazu führen, dass immer weniger Personen Pflegeaufgaben übernehmen wollen oder können. Nach den Plänen der Sozialpolitik soll das vermehrte Bedürfnis nach Hilfe und Pflege aber weiterhin vorrangig von der Familie befriedigt werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn neben der privaten Hilfe ausreichend ambulante Unterstützung gewährt wird. Das erfordert den Ausbau der sozialen Dienste.

Professionelle HelferInnen müssen sich die Betroffenen auch leisten können. Sie brauchen ausreichende Informationen darüber, wo sie Rat und Begleitung finden, wo sie um finanzielle Unterstützung ansuchen oder  beispielsweise praktisches pflegerisches Wissen erwerben kön-nen. Pflegende müssen ermuntert werden, die gebotene Unterstützung tatsächlich anzuneh-men. Die von ihnen geleistete Pflegearbeit stellt nicht nur einen großartigen Akt der Mensch-lichkeit und Generationensolidarität dar, sondern auch einen immensen Beitrag für unsere Volkswirtschaft – unterstützende Angebote sind demnach keine Almosen!

Durch eine Verbesserung der materiellen und sozialen Lebensbedingungen für alte Menschen, vor allem für die ökonomisch schlechter gestellten, kann das Eintreten von Hilfs- und Pflege-bedürftigkeit vermieden oder zumindest hinausgezögert werden.

Zu mehr als 80 % werden die Pflegeleistungen von Frauen erbracht. Viele von ihnen haben durch die Pflegeübernahme mit Diskriminierung am Arbeitsplatz und mangelnder sozialer Absicherung zu kämpfen. Sozial- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen für eine bessere Vereinbarkeit von Familien- bzw. Pflege- und Berufsarbeit sorgen. Würde endlich die Gleichwertigkeit von Familien- und Berufsarbeit anerkannt, hätten in einer Partnerschaft wirklich beide Partner eine reelle Wahlmöglichkeit.

Grundvoraussetzung dafür ist eine längst überfällige neue, gleichberechtigte Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, die nicht nur den Frauen die Verantwortung für Familien-, Pflege- und Hausarbeit aufbürdet. Allen müssen die gleichen Chancen für eine Teilnahme am öffentlichen und privaten Leben geboten werden.

Die Leistungen der pflegenden Angehörigen müssen endlich von der Gesellschaft anerkannt werden. Diese öffentliche Anerkennung muss ihren sozialrechtlichen Niederschlag finden bei-spielsweise in der Form, dass Pflegezeiten pensionsbegründend wirken. Es müssen Möglich-keiten für eine finanzielle Grundsicherung von Pflegenden angedacht und ausgearbeitet werden.

Pflegende Angehörige brauchen eine Standesvertretung, eine Lobby, um ihre Probleme in der Öffentlichkeit transparent machen und in politischen Gremien wirksam ihre Forderungen vertreten zu können.

Familiäre Pflege darf nicht ideologisch überhöht werden. Es muss Schluss sein mit der Stigmatisierung jener Angehörigen, die, aus welchen Gründen auch immer, die Pflege daheim nicht übernehmen. Damit Familien auch wirklich eine Wahl haben, müssen Alternativen zur häuslichen Pflege in ausreichender Zahl und entsprechend guter Qualität angeboten werden.

So wichtig wie die Schaffung und Verbesserung stationärer Einrichtungen ist auch die (Weiter-)Entwicklung alternativer Wohnformen für ältere und alte Menschen.

Die Erhaltung der eigenen Gesundheit ist Voraussetzung für ein selbstständiges, unabhängi-ges Leben bis ins hohe Alter. Die Verantwortung dafür liegt bei jeder/jedem Einzelnen. Zudem kann der Staat in allen Altersstufen bereits präventiv für Aufklärung und Gesundheits-erziehung sorgen.

Und zum Schluss sei noch auf eine sehr individuelle Notwendigkeit verwiesen: Das Thema der Pflege betrifft und berührt uns alle. Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig das Gespräch darüber zu suchen. Alle Familienmitglieder sollten früh, bevor noch die tatsächliche Pflegebe-dürftigkeit eines Angehörigen Realität wird, ihre Vorstellungen über die Zukunft offen legen. Es sollte ausgesprochen werden, was die/der Einzelne zu tun bereit ist und was nicht, welche Erwartungen es gibt und welche Grenzen, welche Hoffnungen und welche Ängste. Das ist gewiss nicht leicht. Und gerade in konfliktreichen Beziehungen ist ein ehrliches Gespräch nur sehr schwer möglich. Aber nur so kann verhindert werden, dass Menschen von einer plötzlich notwendigen Pflegeübernahme überrascht werden und allein aufgrund des Zeitdruckes keine wohlüberlegte Entscheidung mehr treffen können. 

Pflegende Angehörige entscheiden sich dafür, Schwerstarbeit für pflegebedürftige Verwandte zu leisten. Sie nehmen eine Vielzahl von körperlichen und seelischen Belastungen auf sich, verzichten dabei häufig auf die Erfüllung eigener Berufs- und Lebenspläne. Und das oft für viele Jahre lang. Mein Appell und meine Bitte an die Pflegenden: Es ist auch Ihr Leben!  Sie dürfen Ihre Ressourcen nicht über Gebühr ausbeuten. Pflege darf nicht zur Selbstaufgabe führen.Vergessen Sie nicht auf sich selbst, nehmen Sie auch Ihre eigenen Bedürfnisse wahr! Auch Sie haben ein Recht auf Freude, Glück und ein Stück eigenes Leben!

Welchen Beitrag können wir als Freunde, Bekannte, Nachbarn, als derzeit Nicht-Betroffene leisten, um Pflegenden zu helfen? Sophia Palkoska, Leiterin der Koordinierungsstelle für Pflege und Betreuung der Caritas Linz, hat dies sehr treffend und berührend formuliert: Buch S. 87.







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