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Nussschale

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Johannes
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Beiträge: 5382
Ort: Hannover



New PostErstellt: 10.12.08, 00:40  Betreff: Nussschale  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Hier ist die Nussschale. Beiträge in der Nussschale sind vor Kommentaren geschützt, es sei denn, sie sind literarisch verpackt, kleingedruckt oder zusammenhanglos. Die Nussschale ist ein Ort der inneren Einkehr und der Depression. Möge in allen anderen Threads irgendwann wieder das Leben sprudeln, hier kann man getrost alleinsein. Schreibt, was ihr wollt, aber bitte nicht zum Thema!

Beton! Meine wahre Sehnsucht ist Beton. Ich meine, jeder hat doch so ein Lieblingsmaterial, das er gehn berühren, mit dem er gern arbeiten, aus dem er gern etwas erschaffen möchte. Allen voran Intellektuelle, zu denen wir an dieser Stelle auch einmal den Dichter zählen wollen, wenn er nichts dagegen hat. Der Dichter formt papierne Bauten aus Worten, deren Ware Bedeutung er seziert, sie begreifbar macht und schließlich wie einen Spatz ins Missverständnis verständnisvoller Exegese entlässt. Eine Wahl zur Miss Verständnis hätte in der Tat schlechte Aussichten auf einen guten Sendeplatz. Nach der Tat macht der Dichter eine Denkpause. Kreiert eine Suppe. Beinhaltet einen Gedanken. Betont einen Innenhof. Beton macht die Musik. Beton!



Die literarische Störung ist eine Diagnose, die uns allen gestellt werden könnte. (S.L.)


[editiert: 10.12.08, 00:41 von Johannes]
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Gooetz
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Beiträge: 10738
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New PostErstellt: 10.12.08, 01:20  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Beton? Da betone ich den Alkohol. Er formt viel zu oft meine Gedanken. Erstaunlich ist, dass diese dann meist besser sind als jene, die er nicht betont.
Im Gegensatz zu Beton ist Alkohol eher flüchtig. Aber er hat nicht ab, hat man ihn erst mal eingeladen.
Kurz: Im Wissen um das weitere Leben – im speziellen den jeweils morgigen Tag - sollte ich eben selbigem Freund nicht so oft die Tür öffnen. Aber wenn er doch so nachdringlich anklopft... Wie Beton eben.
Ich gebe ihm eben eine Chance, weil niemand anders es versucht. Und Beton ist mir einfach zu unkuschelig.


____________________
Hier stand früher: "Frauen neigen zum Gegenteil." Aber jetzt nicht mehr.
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Graefinjutsch
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New PostErstellt: 10.12.08, 08:27  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Schokolade

Wissen Sie, ich ess ja gern Schokolade. Zum Kaffee, wissen Sie. Aber auch so.

Ich nehm da ja immer nur die Gute. Die mit dem hohen Kakaoanteil. Am Liebsten Zartbitter. Selten Vollmilch. Eigentlich nie. Und schon gar nicht Vollmilch-Nuss! Oder Schokoladenweihnachtsmänner. Igitt. Und wissen Sie, wo wir gerade dabei sind, bei dem Thema, mein ich, wissen Sie, die vom Aldi, diese Kokosschokolade, diiie schmeckt vielleicht lecker! Neiiin, ist die lecker! Obwohl so ohne hohen Kakaoanteil.

Meine Bekannte, die Dora, wissen Sie, die mochte gar keine Schokolade. Stellen Sie sich das mal vor, die aß Keks zum Kaffee! Einfach so. Ist das langweilig! Und die Dora war auch so dünn, so dünn wie ein Fädchen, wie man so sagt und an ihr war ja gar nix dran, wie soll’s denn auch und na, da wundert’s mich nicht, sagte ich da zu ihr und sie schwieg und aß Keks.

Und meine andere Bekannte, die Liesel, die mochte nur bestimmte Schokolade. Aber so ganz andere als ich. Ich mein, die Schokolade war anders, als die, die ich mag. Also, die Schokolade, die die Liesel mochte, mein ich jetzt. Die Liesel ansonsten war nicht so anders wie ich, das nur so nebenbei, aber sie aß halt immer gern so komische Sorten wie Bitterorange-Cheyenne. Oder Thymian-Zimt. Oder solche mit Möhren drin. Wie bitte? Ob in denen der Kakaoanteil ebenso hoch..? Ja, ich denk schon, aber das tut doch grad gar nicht zur Sache! Nicht direkt jedenfalls. Aber nun hören Sie doch erst mal zu!

Jedenfalls ess ich gern die gute Schokolade. Oder die vom Aldi, sagte ich ja bereits. Und da kam doch letztens der Herr Johann an, das wollte ich überhaupt erzählen, wissen Sie, dieser gut aussehende Mann in den besten Jahren, den kennen Sie ja sicher aus Erzählungen, also nicht aus meinen sondern aus denen der anderen, ja und der kam zu mir und schenkte mir eine Tafel. Einfach so. Es war eine der wunderbarsten Tafeln, die es gibt, mit dem höchsten Kakaoanteil überhaupt, also so ein absolut hochwertiges Ding. Aber das war ja gar nicht das Entscheidene. Denn der gute Herr, wissen Sie, der überreichte mir die Schokolade mit den Worten: Da steckt Liebe drin.

Da steckt Liebe drin! Was soll denn so was, frag ich Sie nun. Ja, und das fragte ich auch den Herrn Johann und der schwieg dann plötzlich genauso, wie die dumme Dora immer beim Kaffee geschwiegen hatte, wenn ich mal gesagt hab, das kommt von so was. Und er wurde dann auch so bockig, wie die Liesel einmal, als sie mich einfach nicht verstehen wollte, wissen Sie. Wo ich doch so gut Bescheid weiß über Schokolade, über die wirklich gute. Herr Johann, hab ich da noch zu ihm gesagt, passen Sie auf, was Sie da sagen, seien Sie bloß nicht zu leichtfertig, Schokolade ist ein wichtiges Thema! Keine Scherze!

Er begriff nur die Hälfte, der gute Mann und wissen Sie, da platzte mir der Kragen. Ich mein, nicht nur sinnbildlich gesprochen. Leider. Ungefähr so wie bei meiner Dora und der Liesel, denn was Schokolade anbelangt, da versteh ich einfach keinen Spaß. Das tut mir ja im Nachhinein auch etwas leid, da bin ich vielleicht etwas impulsiv. Hm.

Naja. Nun sitz ich hier. Und möchte soo gern mal wieder ein Riegelchen. Von der Zartbitter. Nach so langer Zeit mal wieder. Haben Sie vielleicht etwas dabei? Wie bitte? Nur die normale in Alu? Vollmilch? Ach wissen Sie was, dann kommen Sie doch bitte nie wieder hier her und belästigen mich. Und überhaupt, wie sehen Sie eigentlich aus mit ihrem komischen Bart, so unordentlich! Ich sag jetzt dem Wärter Bescheid, Sie! Wääärter! Bringen Sie ihn weg! Sofort!

Und vergessen Sie bloß nicht Ihren Sack!

Ach, entschuldigen Sie, Herr Wärter, haben Sie vielleicht gerade etwas Schokolade dabei? Echt? Sogar die vom Aldi? Neiiin! Oh, ich danke Ihnen, viiiielen lieben Dank, Sie sind ja ein Schatz! Wie war doch gleich ihr Name?


[editiert: 10.12.08, 17:06 von Graefinjutsch]
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Johannes
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New PostErstellt: 10.12.08, 22:40  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Jetzt hab ich auch mal einen Beitrag von mir gelöscht. Obwohl das in einer Nusschale eigentlich gar nicht geht. Ich würde mal sagen, da war der Wurm drin.

Danke für die Schokolade, Judith! Und für die Schokolade. Immer rein in die Schoko-Nuss-Schale


Die literarische Störung ist eine Diagnose, die uns allen gestellt werden könnte. (S.L.)


[editiert: 13.12.08, 18:02 von Johannes]
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Graefinjutsch
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New PostErstellt: 11.12.08, 12:40  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Mist! Meins hatte Zusammenhang! Aber Nussschale klingt so reizvoll...
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Graefinjutsch
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New PostErstellt: 11.12.08, 12:41  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

und so verschieden groß...
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New PostErstellt: 16.12.08, 22:22  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Man bräuchte eine Wand. Eine Wand, gegen die man immer und immer wieder treten kann. Eine Wand. Einfach so. Am besten irgend ein weiches Material. Ein Material, dass nachgibt, dass Spuren zeigt von den Tritten. Ein Material, welches ... stirbt. Nein. Nein, verwirf den Gedanken. Niemand soll darunter leiden. Ich will Beton und Stein, die brechen wenn ich trete. Oder die Knochen. Bei jedem Schlag platzen die Knöchel auf. Ja, das brauche ich...

wozu? Ablenkung? Was hast du davon? Wut ablassen? Schwachsinn. Wut ist ein Gefühl. Eine Hormonreaktion. Warte, bis diese abgebaut wurden. Dann ist alles wieder okay.
Dann wird alles okay.

alles
okay.
?
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New PostErstellt: 16.12.08, 22:29  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Ich sitze im Auto. Auf dem Beifahrersitz natürlich, wer braucht denn schon einen Führerschein.
Im Radio dudelt Pop, die Landschaft rauscht vorbei.
Das Lenkrad pendelt in minimalistischen Bewegungen hin und her, kleine Spurkorrekturen.
Ich seufze.
WIe vom Seufzer beschworen erscheint auf meiner rechten Schulter ein kleines Männlein.
Rote Haare, große Hörner, Schwanz mit Spitze: ein Teufelchen.
"Hey."
Ich sehe ihn an und sage nichts.
Der Fahrer hat nichts bemerkt.
"Hey, du!"
"Ja?", flüstere ich.
"Ich hab da voll den Plan."
Ich schweige.
"Alter, greif ins Lenkrad. Das wird die Mordsgaudi!"
Ich schüttele den Kopf, doch höre ich auf der linken Schulter ein "plopp".
Als ich mich zur Seite drehe sehe ich auch da ein Teufelchen.
"Neeeein. Hör nicht auf ihn. Der redet Scheiße. Ich habe einen Besseren Plan. Pass auf:" Es geht näher an mein Ohr heran und flüstert
"du musst ins Lenkrad greifen! Das wird die Mordsgaudi!"
"Was sagt er?!", ruft das Teufelchen auf meiner rechten Schulter.
"Ach, du kannst es ruhig hören", brüllte das Teufelchen auf der linken.
"Ich schlug ihm vor, ins Lenkrad zu greifen!"
"Du Arsch du. Das ist voll fies und gemein sowas zu sagen. Am Ende wird jemand verletzt!", antwortet das linke Teufelchen, doch geht es dann auch an mein Ohr heran. "Damit keiner verletzt wird musst du natürlich sagen 'es ist nicht deine Schuld, dass ich das tue. Du bist ein guter Fahrer', dann geht alles in Ordnung!"
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Johannes
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New PostErstellt: 16.12.08, 23:56  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Die Gestalt auf meiner linken Schulter sah aus wie ein Anwalt, obwohl sie nicht größer war als ein Papagei. Sie hatte einen dieser albernen schwarzen Papphüte mit Bommel auf, die die Absolventen in amerkanischen Highschoolfilmen tragen. Eigentlich hatte sie die Verkleidung als Jurist nicht nötig, aber vermutlich diente die Kopfbedeckung sowieso nur dazu, die Hörner zu verdecken.

"Eine Assoziation ist nach den allgemeinen Regeln der sozialen Kommunikation auch als Reaktion, mithin als Kommentar zu werten. Ein klarer Verstoß gegen das Kommentarverbot der Nussschale!"

An seinem Geplapper merkte man, dass der kleine Anwalt sicher auch ein guter Papagei geworden wäre. Es war ein Teufel, ganz klar. Jeder weiß doch, dass Teufel weder Klumpfüße noch einen abschweifenden Steiß noch Sonnenbrand haben; sie tragen Markensakkos, manchmal mit nichts drunter, haben trendy Bartschnitte, sprechen Szenja und tippen den ganzen Tag auf Blackberries oder iPhones herum. Ganz manchmal tragen sie auch Waffen, gehen in Karaoke-Bars oder beides.

Der Typ auf der anderen Seite hatte gar nichts über die Hörner gezogen. Auch unterhalb der Hörner trug er nur sein Adamskleid, wenn man das bei Teufeln so sagen kann. Das reichte mir dann. Ich schnappte sie beide und warf sie mit einer lange geübten Schwingbewegung in meinen amerikanischen Mülleimer. Den Nackten musste ich etwas nachstopfen, hing er doch erst ziemlich unvorteilhaft in der Klappe. Blöd war nur, dass er kaum ganz hinter der Babyklappe, wie ich sie immer nenne, verschwunden war, und schon änderte sich schlagartig das Szenario. Plötzlich war er Müll außerhalb des Eimers, und das Wohnzimmer darinnen. Nun, Zeit zum Aufräumen wäre auch vorher schon gewesen. Aber manchmal braucht es eben einen Wink mit dem Zaunpfahl.

Ich hatte schließlich eine bessere Idee und ging erst einmal ins Extrakt, eine Kneipe in meinem Lieblingsstadtteil, die immer etwas länger als ortsüblich aufhat, und in der man immer wen trifft. Mein alter Freund Robert lachte sich tot über die Geschichte. Bei ihm säßen immer nur Engel auf der Schulter, die ihn kritisch ob seines Bierkonsums beäugten. Dabei hätten die selber auch alle irgend einen Dreck am stecken. Engel sind die schlimmsten, meinte er. Dann haben wir getauscht. Leider war seine Bude noch dreckiger als mein erweiterter Mülleimer. Dafür habe ich mich mit den Engeln schnell angefreundet. Ich weiß gar nicht, was Robert gegen die hatte. Wenigstens labern die nicht so rum.

Und wegen der Assoziation, da hat sich keiner mehr gemeldet. Es gab da mal einen berühmten Science-fiction-Schriftsteller, der hatte fast alles nur geklaut. Als er dann irgendwann feststellte, dass der, von dem er alles geklaut hatte, alles in der Zukunft von ihm abgeschrieben hatte, war er sehr verwundert. Aber nicht lange, denn das hatte das Zeug zu einer richtig guten Story; die die erste wurde, die er sich wirklich selbst ausgedacht hatte! Auch wenn die Idee natürlich geklaut war. Im Gegensatz zu seinen anderen Geschichten, eigentlich!

Nun, bestraft wurde er schließlich wegen etwas ganz anderem. Die Wände zu den Nachbarn waren ziemlich dünn. Und die beiden Engel hatten, nun ja, ihre Hörner auch schon abgestoßen, wenn man das so sagen mag. Als er dann eines Nachts über den Balkon aus seiner, also aus Roberts Wohnung fliehen musste, weil Gott plötzlich hereingeplatzt kam, und er dann frierend nach Hause in seine alte Wohnung geflitzt war, da stand die Feuerwehr schon vor der Tür. Man sollte halt niemals unbedacht zwei Teufelchen seine Wohnung überlassen geben. Schon gar nicht, wenn man sie vorher in der Klappe seines amerikanischen Mülleimers eingeklemmt hat.

Aber hinterher ist man ja immer schlauer!


Die literarische Störung ist eine Diagnose, die uns allen gestellt werden könnte. (S.L.)


[editiert: 17.12.08, 00:04 von Johannes]
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Graefinjutsch
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New PostErstellt: 22.12.08, 01:30  Betreff: Re: Nussschale  drucken  weiterempfehlen

Kakao

Als Lillys Hand seinen Oberarm berührte, senkte er den Blick und studierte die Haut auf dem Kakao in seiner Tasse. Abgekühlt war er, der Kakao, genauso wie alles andere auch und irgendwie schämte sich Marc dafür, nahm seinen Löffel und hob das Flott vorsichtig ab.

„Entschuldige, Lill.“
„Ich würde alles für Dich tun, Marc, das weißt Du.“
„Ja.“

Es war voll in dem Café. Die Leute wärmten sich nur auf. Die Fenster waren beschlagen, es war November, draußen schon dunkel und es regnete. Drinnen klapperten und redeten die Menschen, alle durcheinander. Marc löffelte und schwieg. Das Flott schmeckte nach dem grauslichen Zeug, das morgens oft im Mundwinkel klebt, wenn man den Abend zuvor zuviel getrunken hatte. Fand Marc und kaute ein wenig darauf herum, spülte es anschließend mit dem lauwarmen Kakao hinunter. Plötzlich verschwand seine Scham. Er hob den Blick und schaute Lilly an.

„Manchmal möchte ich so richtig schön gemein sein, Lill.“
„Mach doch!“
Lillys Augen schauten stur.
„Ich habe gestern mit Hanna geschlafen. Das war richtig geil.“
Lilly schwieg.
„Und, und letzte Woche, da habe ich Dein Emailkonto bei Hotmail gelöscht. Einfach so, weil ich Lust dazu hatte. Ja, Lilly, das war ich. Hast Du Dich nicht gewundert?“
„Ja, Marc, habe ich.“
Er trat sie unterm Tisch gegen das Schienbein. Lilly schaute ihn nur an.
„Hör auf, so zu gucken!“
„Marc, das ist nichts, was Du hier gerade tust. Einfach nichts, verstehst Du?“

Er nahm die Haut ihrer Wange, zwischen Daumen und Zeigefinger nahm er sie und drückte zu. Je fester er kniff, desto mehr Farbe bekam Lilly im Gesicht. Als ihre Tränen in die Kakaotasse, auf das Flott ihres eigenen abgekühlten Kakaos tropften und dort eine Pfütze bildeten, meinte Lilly nur:
„Ich liebe Dich.“
„Lass das! Ich will das nicht hören! Hör auf damit! Sofort!“

Er trat noch einmal zu. Dann ein drittes Mal, fester. Dabei hielt er ihre Wange zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte und drückte und die dicke Frau am Nachbarstisch starrte empört zu ihnen herüber.
„Ich liebe Dich, Marc, und Du wirst nichts daran ändern können.“
„Ich hasse Deinen schlaffen Arsch und Deine schmierige Liebe und Deine blöden gefüllten Käsetaschen und die Geräusche, die Du beim Sex immer machst. Ich hasse Dich! Ich hasse Dich, Lilly!“
Lillys Tränen liefen.
Die dicke Frau beugte sich ein wenig vor.
„Warum tun Sie das, junger Mann? Das Mädchen weint doch schon!“
„Halt’ s Maul, Wachtel!“
Ein Herr vom gegenüberliegenden Tisch mischte sich ein.
„Soll ich der Bedienung Bescheid geben? Die könnte diesen unverschämten Bengel rausschmeißen.“
Er sprach mit Lilly.
„Darum geht es doch gar nicht.“, antwortete sie ihm und starrte zu Marc.
„Wie bitte?“
Der Mann war irritiert. Lilly fingerte ihr Handy aus der Handtasche. Dabei fixierte sie Marc, sprach aber mit dem Herrn.
„Es geht um Liebe und da müssen Sie sich nicht einmischen.“
Sie wählte und hielt sich das Handy ans Ohr. Marc kniff weiter, der Mann und die dicke Frau starrten fassungslos und Lilly sprach ins Gerät.
„Mam? Hi, ich bin’s, Lilly! Ich wollte nur sagen, Marc und ich werden heiraten.“
Marc trat ein weiteres Mal zu. Dann nahm er ihr das Handy vom Ohr, schmiss es auf den Boden, trat drauf, ließ unversehens von ihrer Wange ab und trank den letzten Schluck Kakao. Er schüttelte sich und Lilly tat es ihm gleich.

„Wann?“, fragte er nach einer kurzen Pause.
„Nächsten Monat?“
„Okay, Lilly, Du machst den Termin bei Pastor Meier. 23.12., wenn’s geht. Aber Du weißt, ich hasse Dich.“
„Ja, Marc, ich weiß.“

Die dicke Dame erhob sich, nahm ihren Mantel und ihre Tasche, verließ kopfschüttelnd ihren Platz und ging zum Zahlen an den Tresen. Der Herr von der anderen Seite wollte noch nicht kapitulieren.
„Ihr solltet nicht heiraten, Ihr jungen Leute. Schon gar nicht zu Weihnachten. Das kann doch nicht gut gehen!“
Lilly langt herüber zum Mann und kniff ihn in die bärtige Wange. Die Stoppeln pieksten sie augenscheinlich in die Finger. Darüber musste Marc lachen.

„Aua!“, protestierte der Herr und schlug ihren Arm weg.
„Haben Sie das gemerkt?“
„Tat weh! Was glaubst Du denn!“
„Eben.“
„Ach nee! Was ist denn das für ein neumodischer Krams!?“
Lilly zeigte auf den schillernden Fleck an ihrer Wange.
„Das System ist so alt, wie die Menschheit.“

Marc lachte sehr laut. Er musste sich den Bauch halten. Alle Gäste im Café schauten inzwischen zu ihnen herüber. Deshalb holte Lilly auch aus und schlug Marc mit der Faust direkt ins Gesicht. Sie traf seine Nase, es knackte ein wenig, ihm wurde heiß und schwindelig und er fühlte das Blut hervor schießen.
„Komm, komm, komm!“, meinte Lilly gleich darauf, während sie blitzschnell um das Tischchen herumging und seinen Oberkörper nach vorn drückte. So konnte sein Blut von oben in die leere Kakaotasse strömen.
„Ihr spinnt doch!“, rief der Mann vom Nebentisch, klopfte sich an die Stirn und ging. An der Tür stieß er beinahe mit dem Polizisten zusammen, der gerade hereinkam, wohl, weil er gerufen wurde.
„Dahinten sind die Idioten!“, sagte der Bartstoppelherr und drängelte sich in den Regen hinaus.

Marc spürte den dicken, roten Fluss des Blutes. Er atmete durch den Mund. In seinem Kopf pulsierte es. Von unten, von ganz tief unten aus seinem Bauch ließ er ein Gefühl aufsteigen. Es stieg solange auf, bis es ihm durch die Nase heraus in seine Tasse tropften konnte. Lilly hielt Marc an den Schultern fest und sprach dabei mit dem Uniformierten. Er nahm ihre Personalien auf und ging dann wieder. So ein Glück aber auch, dachte Marc und schämte sich nicht.

„Willst Du das Flott noch?“
„Nein danke, Schatz. Du?“
„Ja, gern.“

Lilly löffelte Marcs Tasse leer. Es hatte sich noch kein Flott auf dem Blut bilden können, das wusste Marc. Er hielt sich ein Taschentuch vor die Nasenöffnung, hob seine freie Hand und bestellte bei der herangeeilten Bedienung frischen Kakao. Diesmal mit Sahne.
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