Eric
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Erstellt: 23.07.06, 21:56 Betreff: The Phantom's Rose |
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Eric hatte sich seinem Ziel noch nie so nahe geglaubt. Obwohl er in den letzten Jahren so gut wie unsichtbar gelebt hatte, nahm er die mehreren hundert Zuschauer, deren Augen in diesem Moment auf ihn und sie gerichtet waren nicht wahr. All seine Sinne waren nur auf Christine konzentriert. Ihr Haar streifte seine Wange und ihr federleichter Körper drückte sich sanft gegen seinen, während er sie umarmte. Und dann drehte sie sich plötzlich zu ihm um. Sie wusste, dass er es war. Sie wusste es, da war er sich ganz sicher. Und dennoch wich sie nicht zurück. Ihre großen dunklen Augen, die ihn bis in seine düsteren Träume verfolgten, sahen ihn direkt an, als wollten sie ihn für immer festhalten. Und dann hob sie ihre zarte weiße Hand und legte sie an seine Wange. Für Eric war ihre Berührung wie Balsam. Wie eine schmerzstillende Salbe, die den quälenden Wunden in seinem Innern Linderung gab. Christine war die erste, die ihn seit Jahren, seit Jahrzehnten berührt hatte und diese menschliche Berührung ging ihm durch und durch. Er fühlte sie mit jeder Faser seines Körper, sog sie in sich auf. Und er vertraute ihr, gab sich ihr hin, verlor sich für einen Moment in dieser Berührung... Einen Moment zu viel. Ohne dass sich irgendetwas in ihrem sanften Ausdruck geändert hatte, tat sie ihm das Grausamste an, das in seiner Vorstellungskraft existierte. Sie riss ihm die Maske vom Gesicht und im selben Moment ging durch das gebannte Publikum ein entsetzter Aufschrei. Sie waren entsetzt weil sie ihn sahen, weil Chrisine ihnen sein teuflisches Antlitz offenbart hatte. Nicht einmal die Schläge seines Wärters vor langer langer Zeit hatten ihm solche Schmerzen zugefügt. Und dennoch war ihr sanftes Lächeln wie in Stein gemeißelt. Sie sah ihn ohne Scheu an, ohne zurückzuweichen, als habe sie nicht gerade alles zerstört: Seine Hoffnung, der Einsamkeit doch noch zu entfliehen ... die langsam aufkeimenden Gefühle als er schon geglaubt hatte in ihm sei alles versteinert... die Zuneigung zu ihr, die sich in vor Eifersucht rasende Liebe verwandelt hatte... Er sah sie an und in seinen Augen spiegelte sich die Trauer und die Hoffnungslosigkeit von Jahren. Der Saal geriet in Aufruhr. Er musste handeln. Hilfe suchend, wie ein in die Enge getriebenes Tier sah er sich um. Sein Blick streifte Raoul, der aus einer Art Starre zu erwachen schien - Eric hatte nicht mehr viel Zeit - und blieb dann an dem riesigen Kronleuchter hängen, der den Saal prunkvoll schmückte. Ohne zu zögern zog er seinen Degen, durchtrennte das Seil das ihn hielt, riss Christine an sich und nahm sie mit sich hinab ... hinab... zurück in seine Dunkelheit... seine Einsamkeit... sein Zuhause, das noch nie ein anderer Mensch außer ihr betreten hatte, seine Zuflucht und sein Gefängnis, sein Paradies und seine Hölle. Der Ort, den sie nun niemals wieder verlassen würden. Niemals. Er zog sie mit sich, nur von einem Gedanken beherrscht. Warum? Warum, Christine? Warum die größte Schmach von allen, nach all dem was ich für dich getan habe? Und warum musste sie von dem einzigen Menschen über ihn gebracht werden, den er jemals geliebt hatte?
[editiert: 24.07.06, 00:04 von Eric]
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