Raoul
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Erstellt: 24.07.06, 15:47 Betreff: Re: The Phantom's Rose |
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Raoul war sich sicher. Der Plan war perfekt. Liebevoll ruhte sein Blick auf Christine. Sie sah entzückend unschuldig und verletzlich aus in ihrem Kostüm. Raoul spürte ihr Grauen, ihre Angst seit Beginn der Vorstellung und bedauerte aufrichtig, sie in solche Gefahr gebracht zu haben. Doch ihm war keine Wahl geblieben, sie war der einzig mögliche Köder, um dem verhassten Phantom endlich das Handwerk zu legen. Er würde ihr nicht widerstehen können, er musste einfach herkommen. Doch wann? Nervös ließ Raoul seinen Blick durch die Gesichter im Zuschauerraum schweifen, blickte immer wieder hinter sich und hinauf zum kuppelartigen Gewölbe der Pariser Oper. Wo versteckte er sich? Wann würde er zuschlagen? Die Vorstellung ging weiter. Und in dem Moment, als Don Juan wieder die Bühne betrat, wusste Raoul es. Sein Herzschlag setzte für einen Moment aus. Die große, Respekt einflössende Statur, der fehlende Bauchansatz, die fein definierten Muskeln unter dem Kostüm. Dies war nicht mehr der kleine, beleibte Piangi. Es war das Phantom der Oper selbst, daran bestand kein Zweifel. Gebannt fixierte Raoul das Geschehen auf der Bühne. Dies war der Moment, auf den er den ganzen Abend gewartet hatte. Das Phantom war gekommen, lieferte sich ihm aus. Raoul musste den Wachen nur ein Zeichen geben, doch...er konnte sich nicht rühren, war wie erstarrt und die kraftvolle Stimme des Phantoms schien in seinem Kopf widerzuhallen. Auch Christine schien verwandelt, wie Raoul plötzlich mit Schrecken feststellte. Kein Anzeichen mehr von Furcht lag in ihrem Spiel. Im Zuschauerraum herrschte vollkommene Stille. Die Intensität des ihnen dargebotenen Schauspiels war förmlich greifbar. Und in dem Moment, als Christine zu ihm hinauf blickte und zu singen begann, fing Raoul den Blick des Phantoms. Seine Nackenhaare stellten sich auf als ihm in diesem Moment klar wurde: er weiss es! Sekunden erschienen Raoul wie Minuten, als er in das maskierte Gesicht blickte, auf dem sich für alle anderen unsichtbar der Ansatz eines diabolischen und spöttischen Lächelns zeigte. Wie hatte er ihn so unterschätzen können? Nach allem was er bislang miterlebt hatte, hätte ihm doch klar sein müssen, dass das Phantom allwissend war ob jeder Kleinigkeit, die in seinem Opernhaus vor sich ging. Und natürlich wusste er auch jetzt von der Falle, die Raoul ihm gestellt hatte. Er sah es in seinem Blick. Kalter Angstschweiß brach ihm aus, während das Phantom sein Spiel ungerührt fortsetzte. Er musste handeln. Christine war in höchster Gefahr. Suchend blickte er zur Loge der beiden Direktoren, doch diese wirkten, als könne sie kein Wässerchen trüben. Sein Herz raste. Verdammt, dachte Raoul, wie können sie nur so blind sein? Bin ich denn der Einzige, der merkt, was hier gespielt wird? Er gab dem Wachmann hinter sich Zeichen, der sich daraufhin gehorsam in Position brachte und sein Gewehr anlegte. Raoul wollte ihm gerade den Befehl geben, zu schießen, als er plötzlich innehielt. Er ließ den Arm sinken und starrte wie gebannt zur Bühne. Es konnte nicht sein. Das Phantom hielt Christine in seinen Armen und sie schützte ihn mit ihrem Körper. Verzweiflung und Tränen der Wut stiegen in Raoul empor. Wie konnte sie das tun? Sie würde den Plan noch vereiteln. Was passierte dort zwischen dem Phantom und ihr? Es war ihm unbegreiflich. Er konnte nichts tun, war vollkommen machtlos und so blieb Raoul nichts übrig, als die grausame Szene zu ertragen. Die charismatische Anziehungskraft, die das Phantom überdeutlich auf Christine ausübte, zog ihn geradezu schmerzhaft in seinen Bann. Und als sie schließlich ihre Hand hob und zärtlich auf die Wange des Phantoms legte, fühlte Raoul sich, als habe sie ihn geohrfeigt. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Mit einem Ruck riss Christine die Maske vom Gesicht des Phantoms und der Anblick des entstellten Gesichts ließ einen grellen Aufschrei durch die Menge gehen. Raoul starrte seinen Widersacher an und konnte den Blick einfach nicht abwenden. Mit der Maske war in Sekundenbruchteilen auch der überlegene und selbstsichere Ausdruck vom Gesicht des Phantoms gefallen und Raoul war, als könne er direkt in dessen Seele blicken. Der Ausdruck von grenzenlosem Leid und Schmerz, den er darin sah, brannte sich unwiderruflich in Raouls Gedächtnis ein und ließ ihn erstarren. Dies war der Moment, in dem er den Befehl zum Schießen hätte geben sollen, denn das Phantom war ungeschützt, wehrlos, ihm ausgeliefert. Es war ihnen in die Falle gegangen. Doch Raoul war handlungsunfähig. Das Mitleid, das ihn ohne jede Vorwarnung für diesen skrupellosen Mörder überfiel, schockierte ihn selbst bis ins Mark. Doch der Augenblick ging so plötzlich vorbei, wie er gekommen war und ihm wurde bewusst, dass er zu lange gezögert hatte. Das Phantom packte Christine, zerstörte mit seinem Degen die Halterung des Kronleuchters an der Decke und verschwand mit Raouls Verlobter in den dunklen Katakomben. Jetzt endlich erwachte Raoul aus seiner Starre. Sein Zögern und sein Mitleid waren vergessen und er hatte nur noch einen Gedanken: Christine. Was habe ich dir angetan?
[editiert: 24.07.06, 16:01 von Raoul]
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