Sebastian Potter
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Erstellt: 08.01.09, 20:00 Betreff: 28.03.2007 |
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Mit einem langgezogenen Seufzer fing Sebastian an den wild durcheinandergewürfelten Tascheninhalt zu ordnen, der beinahe die gesamte Tischplatte bedeckte, was ihm jedoch nicht auf Anhieb gelingen wollte. Überall schienen neue Notizzettel, Pergamentrollen oder Bücher aufzutauchen, was das flüchtig durchdachte Ordnungsschema überflüssig machte und einen weiteren Seufzer zur Folge hatte, sodass der dunkelhaarige Hüter bereits nach wenigen Minuten den Kampf gegen das Chaos aufgab, sich die erstbeste Pergamentrolle schnappte und einen geeigneten Einstiegssatz für einen Astronomieaufsatz suchte. Doch im Moment beschränkten sich seine Gedanken auf einige außerschulische Themen, die bestimmt nichts mit der Auswirkung von Tierkreiszeichen und Planetenstellung auf den gemeinen Grindeloh zu tun hatten. Missmutig dreinblickend tauchte Sebastian die schneeweiße Feder in das Tintenglas ein, setzte zum Schreiben an, wartete jedoch noch einen Moment und hob nachdenklich den Kopf. Es schien, als könnte er sich auf Biegen und Brechen keinen sinnvollen Satz zu diesem Thema zusammenreimen, was ihn nicht sonderlich wunderte, schließlich gehörte Astronomie nicht zu den Fächern, die seine vollkommende Aufmerksamkeit genossen. So musste Sebastian wohl oder übel in einem der unzähligen Bücher über dieses Thema nachschlagen, schließlich ergab sich der Sinn dieses Aufsatzes nun mal nicht von selbst. Leicht entnervt dreinschauend sah Sebb sich nach Madame Pince um, die ihm mit Leichtigkeit ein Dutzend Bücher über Astronomie hätte empfehlen können, doch die leicht ausgelastete Buchhalterin schien wieder einmal alle Hände voll zu tun zu haben. Mit einem „Das sind Antiquitäten! Behandelt sie gefälligst auch dementsprechend!“, das in einer dezent gehaltenen Bibliothekslautstärke durch die Schülermenge geschrieen wurde, verschwand Madame Pince in einem der hinteren Nebengänge und predigte den respektlosen Schülern ihre Ansicht von Anstand und Liebe zur Literatur. Spätestens an diesem Punkt war für Sebastian klar, dass sein Astronomieaufsatz wohl noch warten musste.
Leicht den Kopf schüttelnd wand der dunkelhaarige Schüler sich wieder an Susannah, die den Blick seiner ausdruckstarken grünen Augen für einige Momente auf sich zog. Beinahe hätte er es übersehen, diese klare Unsicherheit in ihrem Gesichtsausdruck, die leise Angst in ihren Augen, doch nach einem weiterem, prüfenden Blick legte Sebastian die Schreibfeder schweigend nieder und fixierte die runden Gesichtszüge seiner Schwester eingehender. Fürchtete sie sich etwa? Wenn ja, wovor und warum verheimlichte sie es ihm? Ich habe mich jetzt, nachdem ich versucht habe, alle Bitten und Wünsche zu berücksichtigen, für Mittwoch Nachmittag entschieden. Susannah sprach ungewöhnlich schnell, wie als wollte sie ihrem Bruder ja keine Gelegenheit lassen nachzufragen. Der hochgewachsene Junge nickte wortlos, legte den Kopf kaum merklich schief und musterte sie ein weiteres Mal. In ihren blauen Augen stand die Hektik geradewegs Kopfstand und schien Sebastian beinahe entgegenzuspringen. Außerdem war da noch dieser klar sichtbare Ausdruck von Angst – Angst vor ihm? Aber warum? Sannas Verhalten ergab für den Älteren schlicht und ergreifend keinen Sinn, was wiederum an seinen ehrlichen Gesichtsausdrücken abzulesen war. So verengte Sebastian zum Beispiel die leicht misstrauisch funkelnden Augen zu kleinen Schlitzen, die seine kleine Schwester eindringlich musterten. Außerdem spannte sich seine Stirn ein wenig an, sodass kaum sichtbare Falten entstanden, die den Jungen sehr düster aussehen ließen, was zusammen mit seiner aufrechten Haltung recht streng wirkte. Dabei lag jedoch auch ein klarer Ausdruck von Besorgnis und Fürsorge in seinem beinahe undefinierbarem Blick, der Susannah beinahe zu durchbohren schien, aber dennoch keine Antwort auf all seine Fragen erhaschen konnte.
Sebastian konzentrierte sich so auf alle äußerlichen Aktionen seiner kleinen Schwester, dass er deren Angebot ihm zu helfen vollkommen überhörte. Er war damit beschäftigt alle möglichen Gründe für solch ein Verhalten ihrerseits durchzugehen, doch keiner schien wirklich plausibel in ihrer derzeitigen Situation zu sein. Am ehesten lag immer noch die Vermutung, dass er selbst der Grund für all die Aufregung war, doch das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Warum sollte sie etwas vor ihm verheimlichen? Hatte sie etwa wieder etwas ausgefressen? Oder steckte sie in irgendwelchen Schwierigkeiten, die sie vor ihrem Bruder geheim halten wollte? Sebastian konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten, er musste Susannah direkt fragen, sonst würde seine vollkommene Überbesorgnis ihn noch zum Wahnsinn treiben. „Was ist los?“ Diese Worte klangen ungewöhnlich knapp und abgehackt, jedoch wusste Sebastian, dass seine kleine Schwester seine Besorgnis verstehen würde. Er liebte Susannah und wollte nicht, das ihr irgendetwas passierte, schließlich war sie ein kleines Mädchen, das die Hilfe ihres Bruders brauchte und immer auf dessen Beistand hoffen konnte – besonders seit dem tragischen Tod ihres Vaters. So dachte Sebastian - im Hinterkopf durchaus wissend, dass Susannah kein kleines Kind mehr war, dem man auf Schritt und Tritt folgen musste, jedoch wollte er es sich nicht eingestehen. Sich klarzumachen, dass sie auf eigenen Füßen stehen konnte würde gegen seine aufgezwungene Vaterrolle verstoßen. Außerdem würde er damit einen Teil seiner kleinen Schwester verlieren.
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