BAS-LAG: Das China Miéville-Forum

Seblon · Administrator Beiträge: 354 Ort: Bochum/NRW

Habe nun gestern Im Land der leeren Häuser beendet und war doch recht angetan. Wie gesagt ist, James' Schreibstil etwas spröde und sehr funktional, was aber außerordentlich gut zur Handlung passt.

Der Roman spielt in einem Großbritannien des Jahres 2051, in einer mehr und mehr vergreisten Welt, in der seit 25 Jahren kein Kind mehr geboren wurde, weil die Männer von einem zum anderen Tag aus unerklärlichen Gründen steril geworden sind. Die Hauptfigur ist ein fünfzigjähriger Geschichtsprofessor, der sich nicht nur mit den Realitäten einer überalterten Gesellschaft, sondern auch mit einer gegen die herrschende Diktatur gerichteten kleinen Widerstandgruppe und anarchistischen Rebellen auseinandersetzen muss.
Vom Stil erinnert diese Dystopie sehr an Margaret Atwoods Der Report der Magd aber auch Robert Harris' Vaterland, und hat mich ähnlich überzeugt. Die Hauptfigur ist sehr differenziert, sehr gut motiviert und in sich wunderbar kohärent. Etwas was mir bei den meisten phantastischen Romanen ja fehlt. Das einzige phantastische Element innerhalb der Handlung war tatsächlich die plötzliche Sterilität der Männer (im Roman wird dieses globale Ereignis OMEGA genannt), die auch nicht weiter erklärt wird. Ansonsten entspricht der nüchterne Schreibstil, der durch und durch entmenschlichten Welt, durch die sich der Protagonist bewegt.

Ich war fast enttäuscht, dass der Roman nicht mehr als 360 Seiten hatte. Sehr zu empfehlen! Hat hier jemand den Film gesehen?

Meine nächste Lektüre wird auf Theophagus' Empfehlung hin, Da Chens Meister Atami sein, ein Roman, auf den ich mich auch schon sehr freue.

Es grüßt

Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Theophagos · Dauerschreiber Beiträge: 113

Ah, dunkel ahne ich schon einmal eine längere Empfehlung zum Land der leeren Häuser bekommen zu haben. Wenn du den Stil von Atwood und Harris vergleichst beziehst du dich auf die düstere Stimmung in den totalitären Systemen? Utopien finde ich sowieso spannend - schwups, ein weitere Titel gemerkt. Den Film habe ich nicht gesehen.

Was die Kürze angeht: Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich jährlich einen Preis für den besten phantastischen Roman mit weniger als 300 Seiten verleihen. Es gibt zwar immer wieder lange Romane - so jenseits der 500 Seiten, die gut sind, aber leider auch viel zu viele aufgeblähte Sachen, die deutlich an Qualität gewinnen würden, wenn sie klug gekürzt wären.

Ich bin mal gespannt, ob dir Da Chens Meister Atami zusagt.

Ich selbst habe jetzt MacAvoys Stelldichein beim schwarzen Drachen gelesen und muss sagen, es hat mir ausnahmslos gut gefallen.
Die fünfzigjährige Musikerin Martha reist nach San Francisco um dort ihre Tochter Liz, eine junge Informatikerin, zu treffen - Liz bittet um einen Rat bei einem ernsten Problem. Doch statt Liz trifft sie den mysteriösen chinesischen Gentleman Mayland Long. Er bietet Martha an bei der Suche nach Liz zu helfen. Mayland sagt manchmal seltsame Sachen wie: "Das habe ich Budda auch gefragt, als er vor der Mauer saß," oder: "Natürlich weiß ich das nicht von Thomas dem Reimer: der war bewusstlos, ich weiß es von seinem Sohn." Man ahnt: Mayland ist der besagte schwarze Drache - im wörtlichen Sinn. Und er will etwas von Martha - als sie plötzlich verschwindet, beginnt er sich Sorgen zu machen.
Die Geschichte ist eine Mischung aus hard-boiled Krimi und Whodunnit - mit einem höchst phantastischem Ermittler. Die Geschichte ist sehr spannend und den Stil finde ich klasse: Er vermittelt mir eine gewisse schlichte, schnörkellose Eleganz. Und das Buch ist nur 180 Seiten lang.

Theophagos

Seblon · Administrator Beiträge: 354 Ort: Bochum/NRW

Zitat: Theophagos

Ah, dunkel ahne ich schon einmal eine längere Empfehlung zum Land der leeren Häuser bekommen zu haben. Wenn du den Stil von Atwood und Harris vergleichst beziehst du dich auf die düstere Stimmung in den totalitären Systemen? Utopien finde ich sowieso spannend - schwups, ein weitere Titel gemerkt. Den Film habe ich nicht gesehen.

Ja, genau. Ich liebe diese dunklen Endzeitgeschichten, in denen sich die verlorenen Helden gegen die soziale Ordnung oder Unordnung, die oft die Form einer Dikatur annimmt, stellen müssen. Genau so ein Roman ist Children of Men und erinnert damit nicht zuletzt an die Entzeitfilm-Klassiker der 70er, wie der großartige Soylent Green, Logans Run und/oder Fahrenheit 451 (nach dem Roman von Bradbury).

Da fällt mir ein, dass ich gelesen habe, dass derzeit ein Remake von Fahrenheit 451 geplant ist. Manchen ist ja wirklich nichts heilig. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass eine solche Geschichte das heutige junge Kinopublikum interessiert...

Es grüßt

Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Theophagos · Dauerschreiber Beiträge: 113

Tja, wenn man Fahrenheit neu verfilmen will, muss man wohl massiv ändern, sonst wird es albern; tatsächlich stelle ich mir das auch sehr schwer vor. Generell habe ich nichts gegen Remakes, nur meistens werden das nur Homagen an das Original und das ist dann blödsinnig. (Ein gutes Remake ist der zweite aus der "Bodysnatcher"-Reihe.)

BTW: Kennt einer von euch Alfred Kubins "Die andere Seite"?

Ach ja: Ich lese gerade "Das Meerweib", den vierten und letzten Band aus der Fafhrd und Grauer Mausling Reihe. Über die Reihe an sich haben Alex und ich uns ja schon ausgelassen; die späten Geschichten sind nochmal ein Schritt dichter an den frühen Pratchett dran - aber der Vergleich ist sicherlich unfair, denn Leiber ist viel 'erwachsener' als Pratchett. Z.Z. lese ich die letzte Geschichte "Der Mausling in der Unterwelt" - bisher ein gelungener Abschluss der Reihe: Während Aragorn die einstige Pracht Arnors und Gondors erneuert und Conan immerhin ein Königreich erobert und eine neue Dynastie in Aquilonien etabliert, werden Fafhrd und der Graue Mausling zu Familienvätern von Patchwork-Familien - so der Mausling denn die Unterwelt überlebt.

Theophagos

molosovsky · Experte Beiträge: 230 Ort: Ffm

Hab ich »Die Andere Seite« von Alfred Kubin hier noch nirgendwo
empfohlen? Schande auch. Ich kenne den Roman seit vielen Jahren (hab
die schöne Reprint-Faksimile-Ausgabe vom Georg Müller
Verlag/Spangenberg). Auch sammel ich alles von Kubin, was ich mir
leisten kann (also nicht viel, weil die Preise z.T. schröcklich sind).

»Die Andere Seite« kann ich also nur empfehlen. Ein starkes Stück
finsterer Alptraum-Fantasy, komplett mit phantasmagorischen
Weltuntergangsfinale. — Die Zeichenkunst Kubins mag für heutige Augen
gewöhnungsbedürftig sein (heut sind ja eher klare Linien en Vouge), ich
finde seine Sachen aber mächtig prächtig unheimlich.

Hier ein ganz netter Link zu einem PDF der Uni Regensburg
http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/phil_Fak_IV/Germanistik/
Roesch/Roman20VL/RomSS03/R203andseitp1.pdf

Bei Deadalus gibts eine englischsprachige Ausgabe, die man bei
Amazon.com auch ein wenig anlesen kann (imho durchaus sinniger
Vergleich zu Peake und dessen Titus-Bücher wird gezogen)

Kleiner Österreich-Witz zum Buch: der phantastische, unheilschwangere
Schauplatz des Romanes ist ja die Stadt Perle, irgendwo im
Himalayischen Hochland. Bei seiner Heldenplatzrede hat der irre
Schickelgruber beim Anschluß Österreich gerufen: »Döse Stattt (Wien)
öst öine Pörle«. Tja, der durch Hellboy als finsterer Obermagier
enttarnte GröFaz wird schon gewußt haben, was er da brüllt :-)

Wer Kubin und die »Andere Seite« sagt, sollte auch Herzmanovsky-Orlando
und »Die Österreichische Trilogie« sagen. Ebenfalls sehr gesättigte,
burlesque und zwischen komisch und unheimlich flirrende Phantastik.

Grüße
Alex / m.—

Alechadro · Stammgast Beiträge: 34 Ort: Berlin

Hallo, Ich muss jetzt mal fragen, ob ihr euch schonmal von Mieville selbst habt Bücher empfehlen lassen? Ich hab mal ein Interview gelesen, da wurde er nach Büchern gefragt, die er empfehlen würde. Hab mal eins rausgepickt, von Michael Swanwick "Die Tochter des stählernen Drachen". Ich war ziemlich begeistert. Die Geschichte ist ziemlich schräg (nicht negativ gemeint)

und sehr intensiv, gute Schreibe auch. Kennt das jemand?

Grüsse Alechadro

Alechadro · Stammgast Beiträge: 34 Ort: Berlin

Ähh...Ich hab mich in der Vorstellungsabteilung auch vorgestellt

, falls sich jemand erschreckt hat

Alechadro

Alechadro · Stammgast Beiträge: 34 Ort: Berlin

Hab grad gesehen, dass dieses Buch schon empfohlen wurde

molosovsky · Experte Beiträge: 230 Ort: Ffm

Ich verpenne und verschluder immer, mich zu melden, was ich grad was
feddich geelsen hab.
Heu hab ich »Wächter des Zwielichts« (Band 3 von 4 der Wächerreihe)
beendet. Ich MAG dem Lukianenko seine Wächter-Reihe. Stilistisch
simpel, so mündlicher Plauderton, der auch schon mal ganz schon
grummelig oder frech werden kann. Vom Aufbau noch recht übersichtlich.
Wie alle Wächter-Bände gibts drei Geschichten zu je 5 bis 7 Kapiteln.
Jede Geschichte hat einen streng getrimmten Spannungsverlauf (wie eine
abgeschlossene Serienfolge), aber über die Bände hinweg hat Lukianenko
einen wunderbaren Parkur der Vergraustufung von Schwarz/Weiß-Ideologien
angelegt. — Einzige Härte: es gibt viele Namen und ich hab ab und zu
die Übersicht verlohren (z.B. wer mit wem kann und wer nicht). —
Besonderes Bonbon: Die Wächter-Bücher sind durch ihre Aufmerksamkeit
und Sensibilität für Oberflächlichles der Medienwelt im besten Sinne
›Popliteratur‹; ja, auch weil zeitgenössische russische
Rock/Punk-Lyrics zitiert werden, immer wenn Protagonist Anton seinen
MD-Player aufdreht.

Ich fibbere auf Band 4 »Wächter der Ewigkeit«.

Nighty night
Alex / molo

Theophagos · Dauerschreiber Beiträge: 113

@Alechadro:
Swanwicks "Tochter des stählernen Drachen" kenne ich und fand es ebenfalls sehr gut - Swanwick habe ich mir als interessanten Autor vermerkt, bin aber bisher nicht dazu gekommen, mehr von ihm zu lesen. Kennst du mehr von ihm?

@Alex:
Danke für die Infos bzgl. Kubins Anderer Seite, besonders den pdf-Link; sehr spannend - es ist sooo verlockend jetzt zu jammern - ich widerstehe.
Wegen Lukianenkos Wächter: Ich nehme an, du kennst Gaimans Niemalsland? Den Aspekt der parallelen Gesellschaften fand ich am interessantesten. Gibt es Parallelen zwischen Gaimans Oberlondon/Unterlondon und Lukianenkos Moskau zwischen Tag und Nacht?

Theophagos