Lomax
Vielschreiber
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Erstellt: 13.01.07, 21:03 Betreff: Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit? |
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Zitat: Theophagos
"Komet" gilt ja neben "Perdido Street Station" als eines der New Weird Kernwerke ... Dennoch ein gutes Debüt von einer Autorin, von der ich mir noch einiges erhoffe. |
Auch "The Year of our War" von Stephanie Swainston hatte ich mal zur Begutachtung für Lübbe, wenn auch als Manuskript, bevor es in England erschienen war. Ich weiß also nicht, ob sich im Buch noch was geändert hat. Nach Theophagus Urteil füge ich jetzt auch mal den wertenden Teil meines Gutachtens als "Rezi" an. Für Zustimmung oder Widerspruch - der Roman hatte seine Stärken, aber mein Urteil fiel insgesamt nicht so gut aus. Gar nicht gut verglichen mit meinem Gutachten zu PSS ;-) ----------------------------------------------------------------- [...]Jant berichtet in der Ich-Form von den Geschehnissen. Obwohl also ein Junkie als Erzähler herangezogen wird, ist der Stil des Romans nicht eben einfach. Der Satzbau ist variabel, wenn auch weitestgehend eingängig. Viele Redewendungen jedoch, und Andeutungen vor allem in recht komplexen Passagen hemmen mitunter den Lesefluss. Die Figuren sind häufig durch ihre Sprache klar charakterisiert, was sicherlich ein Vorteil ist - mitunter aber auch nicht ausreicht, um bei langen Dialogen ohne Marker den Anschluss zu behalten.
Der Anfang des Romans erleichtert den Einstieg nicht: Eine Vielzahl von Personen ist nur unzureichend voneinander abgegrenzt, und ausführliche Beschreibungen verlieren sich in Einzelheiten, aus denen sich kein stimmiges Gesamtbild ergibt. Erst sehr spät erfährt der Leser, dass viele der handelnden Figuren keine Menschen sind; am Anfang erahnt man es nur, ohne sich allerdings ein Bild von den Figuren machen zu können. Ein Beispiel: In einem Abschnitt wird ausführlich auf eine Rüstung eingegangen, und dabei ist auch von Flügeln die Rede. Das hat mich an dieser Stelle sehr irritiert, denn die bewusste Person konnte gar nicht fliegen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Gehören die Flügel nur zur Rüstung? Hat der Mensch Flügel wie ein Engel, kann aber nicht fliegen? Erst sehr viel später erfährt man dann, dass die Awianer gar keine Menschen sind, sondern nur menschenähnliche Flügelwesen - wie genau sie allerdings aussehen, das kann man bis zum Schluss nur vermuten. Erschwert wird der Einstieg zusätzlich dadurch, dass viele Elemente auftauchen, die man gemeinhin in der Fantasy als Stilbruch empfindet: Jeans und bedruckte T-Shirts, Zeitungen und Straßenbahnen. Im Gegensatz zu Perdido Street allerdings fügen sich diese Details nicht in eine entsprechende Struktur ein, in eine alternative Welt, sondern sie bleiben Ausreißer, die bis zum Schluss wie Anachronismen wirken. Es ist schwer zu verstehen, wie die Völker dieser Welt modern genug sein können, um herauszufinden, dass die Insekten über Chemikalien kommunizieren - andererseits aber keine Bakterien kennen und annehmen, Krankheiten werden durch »Staub« übertragen. Die Autorin macht keine Anstalten, solche widersprüchlichen Elemente zu verbinden: Heroin und Kettenhemdromantik existieren einfach nebeneinander, ohne ein stimmiges Ganzes zu bilden. Im Verlauf des Buches wird man allerdings mit der Welt und den Figuren vertraut, und gerade auf letzterem Feld liegt eine der Stärken des Romans. Jant und auch einige der anderen Unsterblichen werden in ihren Eigenschaften und Besonderheiten liebevoll herausgearbeitet und offenbaren einige Tiefe: Lightning, der Bogenschütze und älteste Unsterbliche, lebt noch immer in der Vergangenheit und misst seine Umgebung an seiner Erinnerung an das »Goldene Zeitalter« seiner Jugend - vor 1500 Jahren! Der Seemann Shearwater Mist ist ein raubeiniger Rüpel - aber den Intrigen seiner Frau steht er hilflos und zunehmend verzweifelt gegenüber. Ata Dei wirkt lange Zeit wie das verschüchterte, geschlagene aber liebende »Weibchen« - und erst sehr spät erahnt man, wie langfristig ihre Planungen wirklich sind. Und wenn die Hauptfigur Jant sich an ihre Jugend erinnert, erfährt man manches über die Welt, was im Roman selbst zu kurz kommt. Grandios auch die Schlachtenszenen: Düster, blutig und verzweifelt. Die Kämpfe sind heroisierend dargestellt, blenden aber auch Schmerz, Leid und Verluste nicht aus und schaffen es durchaus, betroffen zu machen - wie auch das Scheitern mancher Figur das Mitgefühl des Lesers erweckt. Während das Buch also sowohl von den Figuren wie auch in Bezug auf Action auftrumpfen kann, wirken einige Elemente eher störend: Die Insekten zum Beispiel treiben durch ihre Taten die Handlung voran und richten als Masse größte Verheerungen an; die Autorin schafft es allerdings nicht, sie auch als Einzelindividuen bedrohlich wirken zu lassen. Vielmehr erinnern sie an einfache Riesenkäfer, plumpe und dumme Kreaturen - Gelegenheiten für Atmosphäre oder Horrorelement werden so verschenkt. Auch der Drogenkonsum der Hauptfigur verursacht bei mir ein gewisses »moralisches Unbehagen«: Auf der einen Seite wird zwar immer gesagt, wie sehr Jant unter seiner Sucht leidet, und er ist so glücklich, dass er am Ende clean ist. Gezeigt wird allerdings etwas ganz anderes: Wie die bewusstseinserweiternde Wirkung der Droge Jant in eine Welt führt, die kein anderer sehen kann, und wie er dort die Lösung für die Probleme der realen Welt findet.
»The Year of our War« ist ein komplexer Roman, der einiges zu bieten hat - allerdings dauert es eine ganze Weile, bis man die guten Seiten des Buches auch würdigen kann. Bei mir persönlich hat es 200 Seiten gedauert, bis ich das Buch spannend fand und nicht mehr beiseite legen konnte - in dieser zweiten Hälfte allerdings war es wirklich fesselnd und bewegend. Den Anfang jedoch fand ich katastrophal. Informationen, die man braucht, um die zahllosen Andeutungen und Details zu verstehen, werden erst sehr viel später nachgeliefert. Auf der einen Seite habe ich stets gehofft, dass Perdido Street ein neues Subgenre begründen kann und eine Form der Fantasy etabliert, die nicht mehr so fest irgendwelchen romantisierten historischen Epochen nachempfunden ist. Dieses herbeigesehnte Subgenre bedient ohne Zweifel auch der vorliegende Roman - mit der Umsetzung bin ich allerdings nicht zufrieden: Denn all die Modernismen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Protagonisten des Buches in Bewusstsein wie in Kriegsführung ungebrochen im Mittelalter beheimatet sind - und die soziale Glaubwürdigkeit, auf die ja gerade Mieville so großen Wert legt, bleibt gänzlich außen vor. Alles in allem möchte ich »The Year of our War« eher als klassische »Superhelden«-Geschichte charakterisieren, die ganz einfach in eine Fantasy-Welt verlegt und mit mievill'schen Versatzstücken angereichert wurde. Denn auf der Basis der üblichen Fantasystory gedeiht eine Konstellation, die insbesondere aus den derzeit so gerne verfilmten Marvel-Comics wohlbekannt ist: Die Unsterblichen sind Wesen, die aus der Masse der Sterblichen herausragen und von den normalen Menschen isoliert sind, die eine Spezialfähigkeit besitzen - die aber trotzdem ihre ganz normalen menschlichen Probleme mit sich herumtragen und nicht nur gegen die übermenschliche Bedrohung, sondern ganz einfach auch für ihren Platz in der Welt und unter ihresgleichen kämpfen. Das erinnert an X-Men oder Spiderman - ein durchaus erfolgreiches Strickmuster, das für meinen Geschmack in diesem Fall allerdings allzu hart mit den üblichen Genregrenzen kollidiert. Und tatsächlich kann ich mir den Plot verfilmt viel besser vorstellen als gedruckt: Denn wenn man das Setting und die Figuren, die Swainston am Anfang so schwerfällig beschreibt, ganz einfach sehen könnte, wären eigentlich die meisten Probleme des Romans behoben. Und so bin ich persönlich geneigt, »The Year of our War« folgendermaßen zu bewerten: Ein genialer Comic in Prosaform, der durch die Umsetzung im gewählten Medium erheblich an Wirkung verliert ...
____________________ Endlich bin ich auch dabei: Lomax' Weblog lockt ins Lohmannsland - www.lohmannsland.de
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