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soyfer

Beiträge: 205

New PostErstellt: 08.02.06, 00:41     Betreff: Re: Juergen von Manger, Albert Einstein und Rabindranâth Thâkur

    Zitat: Isquierda
      Zitat: soyfer
      Von einer Negation jeglichen Zusammenlebens habe ich NIE gesprochen.
    Jau, haste nicht, da fehlt dir wohl noch der konsequente Überblick - aber das ist es ja. Auf Negation der Sozialisation läuft die Überhöhung des ICH´s, wie du sie propagierst, im Endeffekt hinaus.
Also, wenn man Unterstellung mit Unterstellung beantworten müsste, wäre ich glatt gezwungen zu behaupten, deine Überhöhung des WIR führt notgedrungen zum: Du bist nichts, dein Wir sind alles. Denn auf diesem Niveau läuft dein Argument. Aber ich bin ja ein „Lieber“ und mache so was nicht.

    Zitat: Isquierda
    Konsens funktioniert aus dem freien Willen: du kannst "Ja" oder "nein" sagen, Kriterien angeben und Forderungen stellen, und das frei. Ich wüßte nicht, was daran vorgegeben sein soll. Was verstehst du unter dem "freien Willen", wenn dieser keine Entscheidungen erfordern soll?
Langsam klärt sich für mich, was du vermutlich meinst und wo unsere Unterschiede liegen, nämlich letztlich ganz wo anders, als ich vermute. Ich habe diesen Bereich bisher absichtlich außen vor gelassen, um die Diskussion nicht mit neuen Problemen zu belasten, aber da steckt der ganze Kern.
Hierzu konkret – und das deutet auf die ganz fundamentalen unterschiedlichen Ansätze, sind sie aber noch lange nicht – folgendes: WENN gemeinsame Entscheidungen notwendig sind, dass DANN nur im Konsens vorgegangen wird, das steht auch für mich außer jeder Diskussion. DAS braucht – in meinen Augen – eigentlich überhaupt nicht thematisiert werden, weil alles andere die Unterwerfung des Menschen unter den Willen von anderen bedeuten würde. Und da hast du zweifellos Recht, der Konsens ist der einzige Weg, gemeinschaftliche Probleme zu lösen.
Was unsere Ansätze aber hier – vermutlich – unterschiedlich bewerten, das ist die Frage WANN gemeinsame Entscheidungen notwendig sind. Ich habe die vage Ahnung, dass sich in deinen Vorstellungen diese Konsensbildung auf sehr viele Bereiche des Lebens erstrecken wird. Diese Ahnung habe ich deswegen, weil dir dieser Punkt sehr wichtig ist. Bei mir hingegen spielt er keine Rolle, weil er 1. wo er vorkommt selbstverständlich ist und 2. auch die Bestimmung der Notwendigkeit der Konsensbildung auf Konsens beruhen muss. Fragen z.B. die individuell lösbar sind, benötigen keinen Konsens. Z.B. was man anzieht usw., da wirst du mir nicht widersprechen, dazu benötige ich keinen Konsens. Im Unterschied zu dir sehe ich aber fast alle Fragen als individuell lösbar an oder aber in einer ganz simplen Form, wo man informell, sozusagen unbürokratisch, sich einigt, gerade wenn alles auf Freiwilligkeit basiert. Da brauche ich das doch nicht mit einer Riesentheorie erst begründen, dass, wenn man z.B. verbrauchen will, dies in der Regel auch herstellen muss, dass, wenn ich wohnen will, die Wohngelegenheiten auch bauen und erhalten muss. Usw. usf. Du wirst doch auch keine Theorie aufstellen, dass ein Mensch, um zu essen, die Nahrung in den Mund tun und dann kauen muss. Über gewisse Selbstverständlichkeiten braucht man wirklich nicht reden.
Wenn man drüber redet, dann hat das meist einen guten Grund. Und, wie ich schon sagte, hier deutet sich in einem sozusagen Haarnadelriss ein ganz anderes politisches Konzept an. Bei dir wird die simple Form nämlich einfach wesentlich komplizierter. Ich sage hier nur das Wort, das den Problembereich umfasst, den ich bisher ausgelassen habe und wo unsere Vorstellungen von Anarchie ganz verquer laufen werden: Geld. Dazu aber gleich.

    Zitat: Isquierda
      Zitat: soyfer
      ich weiß z.B. nicht, wie das mit der Territorialität bei dir aussieht, z.B. beanspruchen Gemeinschaften bei dir einen Boden (also z.B. Häuser, Wohnungen etc.) und jeder, der die Gemeinschaft wechseln will, muss physisch umziehen?
    Man organisiert sich innerhalb der Lebenszusammenhänge, Gemeinschaften, Produktionsgemeinschaften, etc. Es ist also sinnvoll, zusammenzuleben, wenn man zusammen etwas erreichen will. Was sollte jemand dazwischen, der nicht dazugehören will? Rausgeschmissen würde aber sicher keiner. Das wäre ja gemein.
Wunderbar, sehe ich auch so. Nur würde er in meinen Augen nicht rausgeschmissen werden, nicht weil das gemein ist, sondern weil das Herrschaftsausübung wäre.

    Zitat: Isquierda
      Zitat: soyfer
      Oder wie sieht das mit den Produkten aus? Produziert jede Gemeinschaft für sich und wird dann Gemeinschaftsweise ausgetauscht? Oder geben die Gemeinschaften alles in einen Topf, aus dem jeder nimmt?
    Ich denke, es wird nicht anders sein als heute, nur dass eben niemand mehr gewinn aus der Produktion zieht. Ich denke auch, dass sich gemeinschaften nicht als statische Institutionen bilden, sondern eben aus den Zusammenhängen heraus: Leben, Arbeiten, Lernen etc. Zweckbündnisse quasi, je nach Ziel der Kooperation.
Ich will hier bezüglich des Geldes wegen einhaken. Und zwar in doppelter Weise: 1. in Bezug auf dein Konsensprinzip und anarchistische Ansätze allgemein und 2. in Bezug auf das Geld selbst.
1. Du sagst, du denkst=vermutest, dass die Produktion nicht anders sein wird als heute. Aus dem Folgesatz, dass niemand mehr Gewinn aus der Produktion zieht schließe ich, dass du Geld weiterhin als selbstverständlich ansiehst. Ich schließe das letztlich auch aus deiner Aussage, dass Hunger von fehlendem Geld kommt. Da nun dein Ansatz auf Konsens basiert und du das als „höchste“ politische Instanz ansiehst, so denke ich, dass auch die EINFÜHRUNG von Geld nur durch Konsensbeschluss geschehen kann. Ober siehst du Geld als etwas unhinterfragbares gott- oder naturgegebenes an? Wenn du letzterem zustimmst, dann hast du ganz klar ein Prinzip, das über dem einzelnen menschlichen Willen steht und künslichen, dass heißt menschengemachten Ursprungs ist. Und, um gleich den Tauschhandel mit einzuschließen, dies gilt in gleicher Weise für diesen genauso. Und dies wäre dann dauerhafte Herrschaft des Geldes.
Wenn es aber ein Konsensbeschluss ist, wie sieht der denn dann aus: entscheidet das jede Gemeinschaft für sich? Wobei dann sogar durch die Lebenszusammenhänge Menschen teilweise mit Geld- und Handelssystem, teils ohne leben könnten. In der Produktionsgemeinschaft erhält Mensch x einen Lohn, in der Wohngemeinschaft jedoch wird Geld negiert und in der Hausgemeinschaft gilt der Tauschhandel. Das kann es ja nicht sein. Ist das eine Frage, die alle Gemeinschaften gemeinsam lösen müssen, damit das System das Konsensprinzip nicht verlässt dennoch sinnvoll ohne dauerhaften Zwang angewendet werden kann? Oder wird hier einfach gesagt, die Gemeinschaften, die Geld haben wollen, führen es ein und wenn jemand mit dieser Gruppe in Kontakt tritt, dann muss dieser jemand das Geld OHNE Konsens akzeptieren. Dass ist aber dann eine Machtausübung, besonders weil wahrscheinlich auch dauerhaft (wie lang das dauerhaft auch definiert wird). Also, mit dem Geld oder dem Tauschhandel generell, aber auch z.B. dem Festlegen der Preise und Werte wird es entweder 1. auf einen allgemeinen gruppenübergreifenden Konsens, oder 2. ein konfuses System von unterschiedlicher Existenz von Geld und Tauschhandel mit unterschiedlichen Wertsystemen oder eben ganz ohne Handel, je nach Gemeinschaft, so dass Menschen hier in unterschiedlichsten Systemen leben könnten, oder 3. auf klare und dauerhafte Machtausübung, entweder von Gemeinschaften über andere Gemeinschaften oder einer Art zentralem Gesetzgeber hinauslaufen müssen.
Ganz generell sehe ich jede Art von (Tausch-)Handel als unverträglich mit einer anarchistischen Idee an. Handel ist ein Prinzip der Güterverteilung nicht nach den Bedürfnissen, sondern nach Besitz (denn Werte, d.h. Tauschgegenstände, sind Besitz, egal ob die Wertzuteilung nach kapitalistischen oder anderen Prinzipien von statten geht). Selbst wenn alle Menschen gleich viel Geld pro Monat (oder sonstwelchen für alle gleichen Zeitabständen) erhielten, so sind die Bedürfnisse unterschiedlich. Verteilt man aber das Geld nach Bedürfnissen, wird es „wertlos“. Denn die Funktion von Geld und jeden Tauschsystems besteht in der Beschränkung. Nicht alles, was ich will=benötige, kann ich nehmen, sondern nur so viel, wie mir mein besessenes Tauschgut zugesteht. Ich kann zwar den Mangel steuern (weniger essen, dafür mehr für Interessen, neue Werkbank im Keller oder so). Aber es wird willkürlich beschränkt. Und dann die Preisbildung? Im Konsens? Der Bedürftigere gibt schneller nach, garantiert. Nahrung wird in wüsten Gebieten wesentlich teurer sein, als in Gebieten mit viel und ergiebiger Landwirtschaft. Per Dekret? Wer ist der große Gesetzgeber und Preisbilder, der nicht eine dauerhafte Herrschaft (nämlich als Institution) innehat? Oder durch Angebot und Nachfrage? Dann brauchst du aber den Kapitalismus gar nicht erst verlassen. Denn der kommt schneller wieder, als man „endlich frei“ sagen kann.
2. Geld/Tauschhandel an sich ist ein Herrschaftsinstrument. Und es ist weiter die Ursache der Entfremdung des Menschen von sich selbst (das hat Marx nämlich übersehen). Ich mache etwas nicht um der Sache willen, sondern um des Wertes willen, den das Produzierte bedeutet (wo immer diese Bedeutung auch herkommt). Die produzierten Schuhe bedeuten für mich nicht „Schuhe“, sondern: meine Miete, meine Nahrung, meine Kleidung und nur in diesem Sinne auch meine Schuhe. Das ist aber letztlich nur eine sehr kurze Darstellung eines wesentlich komplexeren Themas.

    Zitat: Isquierda
    Sorry, aber ich kann nicht auf jeden Müll ernsthaft eingehen. Ein bisschen Spaß muß sein. was aber meinst du mit "Frage der Repression"? Repression wird es nicht geben, das ist klar. Nur, wenn du die Möglichkeit, sich zu entscheiden, schon als "zwang" empfindest, dann wird es wohl sehr sehr hart werden: Natürlich muß man sich entscheiden. Das ist im Leben so. Immer und immer wieder. Das diese Entscheidung folgenlos ist, verhindert Repression.
Sorry, dieser dein Spaß sollte auf meine Kosten gehen. So finde ich es nur passend, wenn die Konsequenzes des von dir Gesagten auf deine Kosten erläutert werden.
Es stimmt, dass man sich immer entscheiden muss. Aber es gibt notwendige und überflüssige Entscheidungen. Die notwendigen gibt die „Natur“ vor. Die überflüssigen die gesellschaftlichen Zwänge.

    Zitat: Isquierda
    Natürlich kannst du auch an "Anarchie" glauben und niemand wird dich deswegen anklagen. Nur, wenn du eben gegen etwas bist, was als sinnvoll gilt, wirst du es begründen müssen. Das ist nicht schlimm und tut nicht weh. Es wird intellektuell nicht anders sein als jetzt: Nur, dass eben alle die Möglichkeiten haben werden, sich der Logik zu bedienen - sie müssen es aber nicht. Nur ist Logik eben unschlagbar, wenn es um Überzeugunsarbeit und Argumentation geht.
Nun, ich sehe, im Gegensatz zu dir, zwischen einem logischen und einem formallogischen Beweis himmelweite Unterschiede. Daher meine Frage nach der Formallogik

    Zitat: Isquierda
      Zitat: soyfer
      Übrigends: Du hast keine Gegenargumente gegen meine Einwände deiner Herrschaftsdefinition gebracht. Kann ich das als Zustimmung in der theoretischen Frage ansehen?
    Nein! ich farge nocmal, weil ich mir unsicher bin: Weißt du wirklich was ein "Argument" ist?
Ich denke, die Infragestellung einer Beweisführung, einem Begriff einen Inhalt zu geben, basierend auf einer Definition (von Max Weber), die im Laufe der Inhaltsgebung des Begriffes Anarchie keine Rolle spielte, weil sie nicht existierte und für deren Inhaltsgebung Weber seine Herrschaftsdefinition nicht erstellte (weil er Herrschaft und nicht Anarchie definierte), halte ich schon für ein Argument. Glaubst du, ein Erich Mühsam, Zeitgenosse von Max Weber, nannte sich Anarchist, weil er sich klar war, dass Herrschaftslos nur eine Herrschaft einer gewissen Dauer meinen werden wird? Oder nannte er sich Anarchist, weil er Herrschaft – und zwar ohne wenn und aber – ablehnte? Und darauf frage ich dich, auf welchen Begriffsinhalt soll sich die Anarchie stützen, auf anarchistische Traditionen, für die ein Max Weber mit seinen Definitionen bedeutungslos ist, oder auf ihn, der Herrschaft definierte, aber nicht um deren Wesen als Unterdrückung zu beschreiben, sondern die parlamentarischen neuen Gepflogenheiten in alte Herrschaftsvorstellungen zu integrieren? Du kannst diesen Denkansatz annehmen oder zurückweisen, er kann wahr oder falsch sein, aber er ist ein Argument.
Ich persönlich würde mich in der Tradition der Anarchisten sehen und nicht in der Max Webers oder derer, die sich auf ihn stützen.

    Zitat: Isquierda
      Zitat: soyfer
      Die Differenzen in der Praxis zwischen anarchistischem und libertär-basisdemokratischem Ansatz sind davon natürlich nicht betroffen.
    Es gibt da keine Differenzen. Wenn du anderer Meinung bist: welche sollten das sein?
Nun, sind die Begriffe geklärt, können die inhaltlichen Betrachtungen der Welt weiter different sein. Also, wenn alle Welt dir in deiner Definition von Anarchie Recht gäbe, hieße das noch nicht, dass alle Anarchisten sind.

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