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Megabjörnie

Beiträge: 5

New PostErstellt: 28.03.11, 16:58     Betreff: Re: EINE WELT OHNE GEFÄNGNISSE

Ich möchte jetzt nur mal auf das Thema „Moral“ eingehen. Da gab es m. E. ein paar Missverständnisse.
Wenn ich die Existenz von Entwicklungsstufen bestreite, bezieht sich das nicht auf die Entwicklung von Technik oder das Wachstum des Wissens, sondern auf die Begriffe Richtig und Falsch. Wenn ich z. B. Verstümmelungen verurteile, die vor Jahrhunderten stattgefunden haben, aber damals hat sich keiner darüber beschwert, dann nehme ich eine überhistorische Warte für mich in Anspruch. Es muss irgendwie eine objektive, logisch nachweisbare Richtlinie geben, nach der bestimmte Verhaltensformen zu jedem Zeitpunkt und unabhängig vom subjektiven Urteil der sozialen Umgebung richtig oder falsch sind.
Der Schlüssel ist, denke ich, das Eigentum am eigenen Körper. So kann man eben Zwangsheiraten/-verstümmelungen verurteilen, ohne dass der Vorwurf, man würde ja nur die Perspektive einer bestimmten Kultur einnehmen, verfangen würde. Gleichzeitig erkennt man schließlich auch, dass die eigene Gesellschaft in dieser Hinsicht ebenfalls nicht perfekt ist.
Aus dem Selbsteigentum folgt, dass eine Gesellschaft immer wissen kann, wonach sie streben muss. Wenn aufgrund bestimmter langfristiger Fehlentwicklungen das Bewusstsein des Selbsteigentums in Vergessenheit gerät, heißt das nicht, dass es nicht mehr existiert. Es braucht nur den Gedankengang: Gewalt ist etwas Schlechtes. Wenn ich den Körper eines anderen in Besitz nehmen will, muss ich Gewalt anwenden. Jeder einzelne besitzt den eigenen Körper, ohne dass er dafür Gewalt anwenden musste. Und, ganz wichtig: Ich weiß, was Bestandteil des Körpers eines Menschen ist und was nicht.
Ich denke schon, dass wir alle instinktiv um das Selbsteigentum wissen. Kulturen, die es missachten, kompensieren das, indem sie Wertigkeitsstufen für menschliche Existenzen konstruieren; Vertreter der eigenen Schicht/Klasse sind unantastbar und vollwertige Selbsteigentümer, die anderen nicht. Gesalbte Könige werden nicht umgebracht, die Untertanen sollte man nicht umbringen, aber wenn man es für nötig hält, Pech für sie. Sklaven, Frauen, Unberührbare, Leibeigene, alle haben das Pech, nicht als vollwertige Menschen zu gelten.
Aber das ist eben auch ein Zeichen, dass es ein Grundbewusstsein für Selbsteigentum gibt, sonst müsste man solche Wertigkeiten gar nicht erfinden.
Eine Gesellschaft kann sich in moralischer Hinsicht nach vorn, aber auch wieder zurück entwickeln. Deshalb würde ich hier nie von Entwicklungsstufen sprechen. Das suggeriert nämlich, wir stünden irgendwie auf einer höheren Stufe. Dem Threadersteller gebe ich insofern auch Recht: Eine solche Sichtweise ist irreführend.
Wobei ich gleichzeitig glaube, dass zwei Aspekte der Willkür immer unsere Begleiter sein werden und die Gefahr moralischer Degeneration mit sich bringen: die Bestrafung und die Verteilung von Besitztümern.

Die Abstufung zwischen Menschen und anderen Wesen erscheint tatsächlich erst mal willkürlich, aber gesellschaftlich ist sie schwer zu umgehen.
Nehmen wir ein Beispiel: Ich schlage keine Fliegen tot und hänge keine Fliegenfänger auf. Aber ich stelle fest, dass die meisten anderen Menschen in dieser Hinsicht keine Bedenken haben. Mein Grundrespekt vor dem Leben fehlt ihnen und ist schwer zu vermitteln.
Dennoch komme ich mit ihnen klar und kann sogar positive soziale Beziehungen zu ihnen aufbauen.
Dadurch wurde mir klar, dass es zwei Ebenen der Moralität gibt: Eine gesellschaftliche und eine spirituelle.
Die gesellschaftliche Moralität bezieht sich auf Fehlverhalten, das des Korrektivs bedarf, weil die Gesellschaft anders nicht funktionieren kann. Ich definiere meine Beziehung zu anderen Menschen.
Mit der spirituellen Moralität definiere ich meine Beziehung zum Universum im Allgemeinen. Die Fliegen schlage ich nicht deshalb nicht tot, weil ich mein Selbst in ihnen gespiegelt sehen würde, nicht mal, weil ich keine Abneigung gegen die Drecksviecher hätte.
Sondern weil ich will, dass mein Leben vor dem Universum irgendwie einen Wert haben möge. Sympathie ist in dem Zusammenhang nicht relevant.
Spirituell kannst du dich dafür entscheiden, dass der Grizzly dich fressen darf, weil er so großen Hunger hat. Aber du würdest kaum jemanden, der von einem angegriffen wird, auffordern, sein Gewehr fallen zu lassen, damit er gefressen wird.
Noch weniger könntest du ihn zwingen, denn dann setzt du dich gesellschaftlich ins Unrecht.
Und mit dem Menschen kann ich Gesellschaftlichkeit herstellen, mit dem hungrigen Grizzly nicht. Übertrage ich die Rechte eines Menschen auf ihn, dann stehe ich vor der kuriosen Situation, dass zwei moralische Subjekte sich gegenseitig töten dürfen, und keiner begeht ein Unrecht, denn wer andere fressen muss, um zu leben, der muss es eben.
Die Funktionsweise von Ökosystemen, die zumindest zum Teil auf Fressen und Gefressenwerden basieren, macht es unmöglich, gesellschaftliche Moral auf alle Lebewesen zu übertragen. Da braucht die Evolution noch ein paar Millionen/Milliarden Jahre.
Vielleicht können wir einen bewussten Schritt in diese Richtung versuchen – müssen aber nicht.
Wenn z. B. die anderen Bewohner deiner Kommune sich dafür entscheiden, weiterhin Tiere als Schlachtvieh zu halten und Pflanzen mit Gift einzusprühen, dann bist du eben überstimmt. Sie praktizieren Dinge, die du für inakzeptabel hältst, aber es liegt an dir, ob dadurch eine unüberwindbare Kluft entsteht. Und selbst wenn: Du kannst dir eine andere Kommune suchen, deine alte wird als Gesellschaft weiterhin funktionieren.
Die Äußerung, andere Wesen hätten bei diesen Entscheidungen „nichts zu melden“, war nicht geringschätzig gemeint, sondern die Feststellung einer unliebsamen Tatsache: Die Machtverhältnisse sind halt extrem asymmetrisch, und die Entscheidung, in welchen Wesen wir unser Selbst gespiegelt sehen wollen, liegt allein bei uns, ebenso der Grad des Respekts, den wir ihnen entgegenbringen. So wie du ja auch über deinen Speiseplan entscheidest: Andere Wesen können nur dann ein Wörtchen mitreden, wenn sie sich zur Wehr setzen, z. B. indem sie Stacheln ausbilden wie der Kaktus oder Gifte produzieren wie die Tollkirsche.

Deshalb wäre es sinnvoll, unsere Ethikdiskussion nicht zu kompliziert zu machen. Das Threadthema zielt ja auch auf Moral zwischen Menschen ab. Ich schlage vor, es auch darauf zu beschränken.

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